TE Vwgh Beschluss 2021/6/4 Ro 2017/06/0028

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2021
beobachten
merken

Index

L82000 Bauordnung
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §59 Abs1
BauRallg
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, in der Revisionssache der M G in L, vertreten durch die Eisenberger Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Schloßstraße 25, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 30. Mai 2017, LVwG 50.38-2190/2016, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Marktgemeinde Ligist; mitbeteiligte Partei: E K in L, vertreten durch die Peissl & Partner Rechtsanwälte in 8580 Köflach, Judenburgerstraße 1; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Ligist vom 21. März 1978 wurde dem Rechtsvorgänger der Revisionswerberin im Eigentum am Grundstück Nr. X, KG U., die baurechtliche Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses auf dem genannten Grundstück mit der Maßgabe, dass die mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Pläne und Unterlagen einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bilden, sowie unter Vorschreibung diverser Auflagen erteilt. Die Auflagen 1. und 4. dieses Bescheides lauten:

„1.) Folgende Unterlagen sind der Baubehörde in dreifacher Ausfertigung ehestens nachzureichen: Richtiggestellte Einreichpläne 1:100.

(...)

4.) Das Wohngebäude ist so anzulegen, dass es von jeder Grundgrenze mind. 4,0 m entfernt ist.“

2        Dem Bescheid lag ein Einreichplan zugrunde, in dessen ursprünglichen Titel „Einreichplan über die Aufstockung eines bestehenden Wohnhauses ...“ das Wort „Aufstockung“ handschriftlich durchgestrichen und (ohne weitere textliche Veränderung) durch das Wort „Neubau“ ersetzt wurde. Diesem ohne Angabe eines Maßstabes erstellten vidierten Einreichplan ist die Lage des Gebäudes auf dem Grundstück nicht einwandfrei zu entnehmen, er enthält auch keine Angaben hinsichtlich der einzelnen Grenzabstände.

3        Bezüglich des in Rede stehenden Gebäudes liegt ferner ein rechtskräftiger Beseitigungsauftrag des Bürgermeisters der Marktgemeinde Ligist vom 10. November 2011 vor, in dessen Begründung unter anderem festgehalten wurde, dass entsprechend den Ergebnissen eines Ortsaugenscheines vom 24. Mai 2011 der Grenzabstand des Wohnhauses zur westlichen Grundstücksparzelle Y entgegen der im Baubescheid angeführten 4,0 m nur 2,48 m betrage. Für das gegenständliche Wohnhaus liege keine Benützungsbewilligung vor. Da auch gemäß der Stmk. Bauordnung 1969 die Abstandsbestimmungen nicht eingehalten werden könnten, handle es sich beim Wohnhaus um keinen rechtmäßigen Bestand, es erübrige sich demnach ein Feststellungsverfahren gemäß § 40 Abs. 2 Stmk. BauG 1995. Der gegen diesen Bescheid von der Revisionswerberin erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Ligist vom 11. Jänner 2012 keine Folge gegeben. Die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 1. Oktober 2012 als unbegründet abgewiesen. Auch in der Begründung dieses Bescheides wurde darauf verwiesen, dass der vorgeschriebene Grenzmindestabstand von 4,0 m mit 2,48 m unterschritten worden sei.

4        Mit Eingabe vom 2. Oktober 2015 beantragte die Revisionswerberin die Erteilung der Baubewilligung für den Zu- und Umbau des bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. X. Am 10. Dezember 2015 fand dazu eine mündliche Verhandlung statt. Die mitbeteiligte Partei als Eigentümerin des westlich an das Grundstück Nr. X angrenzenden Grundstücks Nr. Y erhob gegen das Vorhaben Einwendungen.

5        Mit Bescheid vom 10. März 2016 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Ligist der Revisionswerberin die Baubewilligung zum plan- und beschreibungsgemäßen Zu- und Umbau des bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück Nr. X entsprechend näher genannten Projektunterlagen unter Auflagen.

6        Im Zusammenhang mit dem Bewilligungsbescheid vom 21. März 1978 und der Unterschreitung des vorgeschriebenen Grenzabstandes von 4,0 m wurde im Bescheid unter anderem ausgeführt, von Konsenswerberseite sei nun der Umstand aufgezeigt worden, dass der zwar nicht in der Darstellung des Lageplanes, wohl aber in der Darstellung der Grundrissplanung mit Koten versehene Baukörper einen solchen Platz einnehme, dass unter Berücksichtigung der topografischen Verhältnisse (Grundstücksbreite) die Einhaltung einer Auflage eines allseitigen Grenzabstandes gar nicht möglich wäre; vice versa, dass bei unmittelbarer Umsetzung dieses Grenzabstandes von 4,0 m der bewilligte Baukörper innerhalb dieses fraglichen Grundbereiches gar keinen Platz fände. Man habe es sohin im Gegenstand mit einem Widerspruch zwischen Plan und Auflagentext zu tun.

7        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 15.10.1987, 84/06/0001) dürfe eine Auflage nicht die Umsetzung des gesamten bewilligten Vorhabens verhindern. Ein Baubewilligungsbescheid sei demnach so auszulegen, dass die angeordneten Auflagen die Ausführung des Bauvorhabens rechtlich nicht unmöglich machten. Im Lichte dieses Auslegungsergebnisses sei die vorliegende „alte Baubewilligung“ in deren bauplanmäßiger Ausgestaltung konsumiert, womit diese Baubewilligung durch fristgerechte Ausübung zum Rechtsbestand geworden sei. Die Baubehörde komme daher zum Ergebnis, dass im Lichte des solcher Art ergänzten Sachverhaltes für den Altbestand laut Bescheid vom 21. März 1978 ein konsentiertes Bauvorhaben vorliege, welches die hier beantragten baulichen Maßnahmen zulasse.

8        Der gegen diesen Bescheid von der mitbeteiligten Partei erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde Ligist vom 16. Juni 2016 keine Folge gegeben.

9        In den Entscheidungsgründen wurde unter anderem festgehalten, dass der Bauplatz gemäß dem aktuell in Geltung befindlichen 4.0 Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde L. in der Widmungskategorie „Freiland“ situiert sei. Aus den der Baubewilligung vom 21. März 1978 zugrunde liegenden Grundrissplan ergebe sich, dass das damals zur Genehmigung beworbene und letztlich bewilligte Wohnhaus eine Länge von 14,45 m und eine Breite von 7 m aufgewiesen habe. Ferner ergäben sich aus dem Grundrissplan genau jene beantragten und bewilligten Räumlichkeiten, die auch im Text der Baubewilligung vom 21. März 1978 ausdrücklich als genehmigt beschrieben seien.

10       Der unkotierte Lageplan hingegen weise keine Angaben von Längen- und Breitenmaßen auf und stelle planlich auch keine (Grenz-)Abstände (zu den benachbarten Grundgrenzen) dar. Man habe solcherart nur die Lage der baulichen Anlage erkannt, jedoch ohne die entsprechenden (im Grundrissplan kotiert dargestellten) Abmessungen.

11       In Zusammenschau von Text des Bewilligungsbescheides vom 21. März 1978 und den mitgenehmigten Einreichunterlagen ergebe sich, dass ein Baukörper von einer Länge von 14,45 m und einer Breite von 7,0 m Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens gewesen und solcherart genehmigt worden sei. Durch diese Längen- und Breitenausdehnung des genehmigten Baukörpers könne dieser Baukörper an der westlichen Seite - hin zum Grundstück Nr. Y - einen Abstand von 4 m nicht einhalten.

12       In weiterer Folge nahm auch die Berufungsbehörde Bezug auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 1987, 84/06/0001, und hielt fest, die Einhaltung des Auflagenpunktes 4. des Bescheides vom 21. März 1978 in Form der Einhaltung eines Abstandes von 4,0 m zur Nachbargrenze der mitbeteiligten Partei hätte zur Folge, dass das im Spruch des Bescheides genehmigte konkrete Bauvorhaben nicht realisierbar gewesen wäre. Dieser Widerspruch sei so zu lösen, dass die Anordnung des Auflagenpunktes 4. rechtlich in den Hintergrund zu treten habe. Die Bauausführung sei bewilligungskonform erfolgt.

13       Der gegen diesen Berufungsbescheid von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde wurde mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) hinsichtlich des Zu- und Umbaus des bestehenden Wohnhauses stattgegeben, der bekämpfte Bescheid diesbezüglich ersatzlos behoben sowie das Ansuchen vom 2. Oktober 2015 abgewiesen.

14       Im angefochtenen Erkenntnis hielt das LVwG beweiswürdigend fest, da es ausschließlich um die Klärung einer Rechtsfrage gehe, erübrigten sich darüber hinausgehende Beweiswürdigungen.

15       In seinen rechtlichen Erwägungen führte das LVwG aus, die Bewilligung eines Zu- oder Umbaus setze die Rechtmäßigkeit des Altbestandes voraus. Es sei im vorliegenden Fall nicht von einer Bindungswirkung der im Beseitigungsbescheid geklärten Vorfrage auszugehen, wonach kein rechtmäßiger Bestand hinsichtlich des bestehenden Objektes vorliege.

16       In Zusammenschau der beiden Nebenbestimmungen 1. und 4. des Bewilligungsbescheides vom 21. März 1978 könne zweifelsfrei abgeleitet werden, dass die Einreichpläne als unrichtig bzw. zumindest mangelhaft angesehen worden seien („Richtiggestellte Einreichpläne“) und dementsprechend die Vorlage neuer Pläne, welche das Gebäude mit geänderter Lage darstellten („so anzulegen“), vorgeschrieben worden seien. Die Grenzabstände hätten dabei mindestens 4 m zu jeder Grundgrenze zu betragen gehabt.

17       Zweck dieser Nebenbestimmungen sei sohin die Sanierung („ehestens“) der mangelnden Darstellung der Lage des Gebäudes vor Ausführung gewesen. Obwohl es für die Beurteilung des gegenständlichen Falles dahingestellt bleiben könne, gehe das LVwG bei der Beurteilung der als Auflagen bezeichneten Nebenbestimmungen 1. und 4. von Bedingungen aus. Es sei unbestritten, dass diese Nebenbestimmungen nicht erfüllt worden seien.

18       Nebenbestimmungen seien der Rechtskraft fähig und damit auch im Fall ihrer Rechtswidrigkeit grundsätzlich, solange keine Unbestimmtheit vorliege, beachtlich. Da der seinerzeitige Bauwerber diese Nebenbestimmungen unbekämpft gelassen habe, seien auch seine Rechtsnachfolger daran gebunden.

19       Die „Auflage 4.“, wonach das Gebäude 4 m von den Grundgrenzen entfernt zum Liegen kommen müsse, bedürfe keiner weiteren Interpretation, sei ausreichend bestimmt und bedürfe auch keiner Beurteilung eines Fachmannes. Ebenso sei die Nebenbestimmung „Auflage 1.“ bis auf den unbestimmten Rechtsbegriff „ehestens“ ausreichend bestimmt. Es sei eben ein richtiggestellter Einreichplan 1:100 vorzulegen.

20       Die Nebenbestimmung 4. sei hinsichtlich des Zwecks (es solle der gesetzliche Mindestabstand von 4 m zu allen Grundgrenzen eingehalten werden) ausreichend bestimmt. Die Wahl der Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, nämlich Verrücken, Verdrehen oder Weglassen von Bausubstanz sowie einen Grundstückszukauf, lasse die Auflage offen. Dies ändere jedoch nichts an ihrer ausreichenden Bestimmtheit.

21       Die Erteilung einer Baubewilligung unter Auflagen stelle grundsätzlich eine Einheit dar. Erfolge die Erteilung einer Baubewilligung unter einschränkenden Auflagen, sei dies einer (teilweisen) Abweisung rechtlich gleichzuhalten. Wenn die Baubewilligung ohne Auflagen nicht erteilt worden wäre, seien die Baubewilligung und die damit verbundenen Auflagen als eine untrennbare Einheit zu behandeln.

22       Nicht projektändernde Auflagen eines Baubewilligungsbescheides könnten dann, wenn von der Bewilligung Gebrauch gemacht worden sei, vollstreckt werden. Demgegenüber sei die rechtliche Sanktion bei Nichterfüllung von projektändernden Auflagen eines Baubewilligungsbescheides die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages, weil die Missachtung einer projektändernden Auflage bei der Bauausführung die Konsenswidrigkeit des Baues bedeute (Verweis auf VwGH 29.6.2000, 2000/06/0059). Gleiches gelte bei der Nichtbefolgung von Bedingungen.

23       Die Vorschreibung der Nebenbestimmungen 1. und 4. komme somit einer Abweisung des Antrages gleich und ändere das Projekt wesentlich ab.

24       Bei der Nebenbestimmung 4. handle es sich um eine projektändernde Nebenbestimmung, weil das Gebäude in der im Lageplan eingezeichneten Situierung bzw. in diesem Bereich mit den im Grundriss ersichtlichen Maßen nicht errichtet werden könne, wenn zu jeder Grundgrenze mindestens 4 m Abstand eingehalten würden. Die Erfüllung dieser projektändernden Nebenbestimmung sei auch nicht unmöglich, zumal sich dies durch Verrücken, Verdrehen oder Weglassen von Bausubstanz sowie einen Grundstückszukauf erreichen lasse. Es handle sich um eine rechtskräftige projektändernde Auflage, wodurch die Lage des Projekts verändert werden solle.

25       Da der Abstand von 4 m durch das errichtete Gebäude nicht eingehalten werde, sei der Bescheid vom 21. März 1978 nicht konsumiert worden. Es könne aus diesem Bescheid keine Rechtmäßigkeit des Altbestandes abgeleitet werden.

26       Eine Rechtmäßigkeit des Bestandes lasse sich auch nicht aus § 40 Abs. 2 Stmk. BauG ableiten, zumal aufgrund der Grenzabstandsverletzung (vgl. § 4 Abs. 1 Stmk. BauO 1968 - der Grenzabstand von 4 m werde nicht eingehalten) eine Bewilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Errichtung ausgeschlossen sei.

27       Der von der Revisionswerberin aufgeworfene Begriff eines „Basisgebäudes“ (auf das der Bauwerber aufbauen hätte wollen) sei dem Baugesetz fremd. Ein Bescheid und seine Nebenbestimmungen seien nach deren objektiven Erklärungswert auszulegen.

28       Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das LVwG damit, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt sei und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet seien. In der Beschwerde seien keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen worden, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Insbesondere habe das LVwG hinsichtlich zweier Nebenbestimmungen eine rechtliche Interpretation vorzunehmen gehabt, wobei die Standpunkte der Parteien hinreichend bekannt gewesen seien. Von der mündlichen Verhandlung habe daher gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können.

29       Vorliegend komme § 24 Abs. 4 VwGVG in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 zur Anwendung. Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage sei zu entnehmen, dass die Begriffe „Rechtssache“ und „Sache“ einheitlich verwendet werden sollten. Die mündliche Verhandlung sei demnach Teil des Ermittlungsverfahrens (vgl. § 39 Abs. 2 AVG), dessen Zweck es sei, den für die Erledigung einer Verwaltungssache (Rechtssache) maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben (§ 37 Abs. 1 AVG). Durch diese Vereinheitlichung solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass das Verwaltungsgericht eine eingehendere Ermittlungspflicht als bisher treffe.

30       Die ordentliche Revision ließ das LVwG mit der Begründung (teilweise) zu, dass die Frage der Auslegung des § 24 Abs. 4 VwGVG in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 vom Verwaltungsgerichtshof bislang nicht behandelt worden sei und die davor gültige Fassung des § 24 Abs. 4 VwGVG derart ausgelegt worden sei, dass die mündliche Verhandlung auch der Erörterung von strittigen Rechtsfragen gedient habe. Darüber hinaus sei die ordentliche Revision unzulässig.

31       Dagegen richtet sich die ordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

32       Die mitbeteiligte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete keine Revisionsbeantwortung.

33       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

34       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

35       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

36       Auch in einer ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die Zulässigkeitsgründe gesondert darzulegen, wenn die Begründung der Zulässigkeit der Revision durch das Verwaltungsgericht für die Beurteilung deren Zulässigkeit nicht ausreicht oder der Revisionswerber andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für gegeben erachtet (vgl. VwGH 13.1.2021, Ro 2020/06/0093, mwN).

37       Die Revisionswerberin schließt sich in ihren Zulässigkeitsausführungen zunächst der Begründung des LVwG für die Teilzulässigkeit der Revision an. Sie nimmt dabei auf die VwGVG-Novelle BGBl. I Nr. 24/2017 und auf die diesbezüglichen Erläuterungen Bezug und führt aus, es sei unklar, ob die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine mündliche Verhandlung auch zur Klärung strittiger Rechtsfragen durchzuführen sei, aufrechterhalten werden könne; dies auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR, wonach ein Absehen von der mündlichen Verhandlung möglich sei, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche Fragen betreffe. Im vorliegenden Fall sei rechtlich strittig gewesen, wie ein seit 30 Jahren rechtskräftiger Baubewilligungsbescheid auszulegen sei, bei dem eine Auflage im offenkundigen Widerspruch zu den genehmigten Einreichplänen stehe.

38       Ferner ergänzt die Revisionswerberin, wie nachfolgend dargestellt, weiteres Vorbringen zur Frage der Zulässigkeit der Revision.

39       Die Revision erweist sich aus nachstehenden Gründen als unzulässig.

40       Durch die mit BGBl. I Nr. 14/2017 erfolgte Novellierung des § 24 Abs. 4 VwGVG wurden lediglich die darin zuvor angeführten Fundstellen zur EMRK und GRC gestrichen. Die im angefochtenen Erkenntnis und in der Revision erwähnten Ausführungen in den Erläuterungen zur zitierten Novelle erfolgten im Übrigen zu den §§ 44 Abs. 4, 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 und 47 Abs. 2 VwGVG.

41       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchzuführen, welche der Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie der Erhebung der Beweise dient. Als Ausnahme von dieser Regel kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Antrages gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dies ist dann der Fall, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre (vgl. VwGH 20.10.2020, Ra 2020/22/0036, mwN).

42       Der Verwaltungsgerichtshof hat - unter Hinweis auf Rechtsprechung des EGMR - eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen wurden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. dazu VwGH 3.3.2020, Ra 2020/04/0023 bis 0024, mwN).

43       Ein solcher Fall lag hier - im Hinblick auf die bestehende Judikatur und auch angesichts der dem LVwG bekannten Argumentation der Verfahrensparteien - vor.

44       In der Regel stellen Nebenbestimmungen eines Bescheides wegen des engen sachlichen Zusammenhanges mit dem Hauptinhalt des Spruches eine notwendige, nicht trennbare Einheit mit diesem dar (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/05/0267, mwN).

45       Der Baubewilligungsbescheid vom 21. März 1978 ist in Rechtskraft erwachsen. In Übereinstimmung mit dem Umstand, dass der zu diesem Bewilligungsverfahren eingereichte Lageplan die handschriftlich ergänzte Formulierung „die Neubau eines bestehenden Wohnhauses“ enthielt, wurde im Spruch des Bescheides unzweifelhaft die Baubewilligung „zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses“ erteilt.

46       Ebenso unstrittig wurde dem damaligen Bauwerber in bestimmter Weise zum einen die eheste Nachreichung „richtiggestellter Einreichpläne 1:100“ (Auflage 1.) und zum anderen aufgetragen, das Wohngebäude so anzulegen, dass es von jeder Grundgrenze mindestens 4,0 m entfernt ist (Auflage 4.). Letztgenannte Nebenbestimmung entsprach inhaltlich bereits damals den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 4 Stmk. BauO 1968, LGBl. 149/1968).

47       Die Beurteilung des LVwG, wonach die beiden genannten Nebenbestimmungen (mit Ausnahme des Begriffs „ehestens“ in Auflage 1., worunter das LVwG die Vorlage vor Baubeginn verstehe) ausreichend bestimmt seien und insbesondere auch der Zweck der Auflage 4. (der in der Einhaltung des gesetzlichen Mindestabstandes von 4 m zu allen Grundgrenzen bestand) erkennbar sei, ist keineswegs unvertretbar.

48       Mit dem Baubewilligungsbescheid vom 21. März 1978 wurde (bereits im Hinblick auf das Fehlen von Einreichplänen in der erforderlichen Genauigkeit) in rechtswidriger Weise die Lage des zu errichtenden Wohnhauses auf dem Baugrundstück nicht genau bestimmt. Schon aufgrund der zitierten Formulierung des Spruchs des genannten Bewilligungsbescheides wurde - entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin - die Lage des in Rede stehenden Gebäudes aber auch nicht durch ein „Basisgebäude“ (womit die Revisionswerberin ein bereits vor der erteilten Baubewilligung vom 21. März 1978 auf dem Baugrundstück vorhanden gewesenes - laut ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2017 aus Garage, Werkzeuglager, Futtermittelvorratskammer bestehendes - Gebäude vor Augen hat) festgelegt.

49       Die Auflage 4. des rechtskräftigen Bewilligungsbescheides enthält jedoch die beschriebene unzweifelhafte und vom damaligen Bauwerber unbekämpft gebliebene Anordnung betreffend den Mindestabstand zu den Grundgrenzen, an die der Inhaber der Bewilligung gebunden ist. Es ist Sache des Inhabers einer mit Auflagen belasteten Baubewilligung, die der Erfüllung der Auflage allenfalls entgegenstehenden Hindernisse zu beheben (vgl. VwGH 2.7.1998, 97/06/0057, mwN). Unstrittig wurde diese Auflage nicht erfüllt.

50       Daraus folgt aber, dass der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision vorgebrachte Umstand, dass das LVwG die Frage, ob das Gebäude (in den bestehenden Abmessungen) auch an anderer Stelle des Grundstückes als jener, auf der es besteht, unter Einhaltung der vorgeschriebenen Mindestabstandsbestimmungen überhaupt errichtet hätte werden können, anders als die Baubehörden erster und zweiter Instanz beurteilt habe, für die Lösung des vorliegenden Falles (und damit auch für die Frage der Verhandlungspflicht des LVwG) nicht entscheidend ist. Selbst bei Verneinung der Frage wäre zwar mit dem Bewilligungsbescheid vom 21. März 1978 rechtlich Unmögliches bewilligt worden. Dies führte nach dem Gesagten jedoch nicht dazu, dass trotz der Nichteinhaltung der Auflage 4. des Bewilligungsbescheides nunmehr vom Vorliegen eines rechtmäßigen Altbestandes auszugehen wäre, weil dem Inhaber der Baubewilligung die Erfüllung dieser Vorgabe obliegt.

51       Dem steht auch das von der Revisionswerberin zitierte hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1987, 84/06/0001, in dem der Verwaltungsgerichtshof unter anderem ausführte, es sei nicht der Auffassung zu folgen, einen Bewilligungsbescheid so auszulegen, dass durch die darin vorgeschriebenen Auflagen die Ausführung des Bauvorhabens rechtlich unmöglich gemacht werde, schon deswegen nicht entgegen, weil der diesem Erkenntnis zugrunde gelegene Sachverhalt vom vorliegenden Fall in entscheidenden Punkten abweicht.

52       Dem erwähnten Erkenntnis 84/06/0001 lag nämlich im Gegensatz zum vorliegenden Revisionsfall ein aus den Einreichplänen exakt ersichtliches Bauvorhaben zugrunde und die der Bewilligung beigefügte Nebenbestimmung betraf anders als hier keine exakt bestimmbare Verpflichtung, die deshalb beigefügt wurde, weil die Einreichpläne die Situierung des Vorhabens gerade nicht auswiesen. Während im damaligen Verfahren somit ein in seiner Dimensionierung bestimmtes Vorhaben vorlag, wählte die Verwaltungsbehörde im Revisionsfall den Weg, zu versuchen, die nicht ausgewiesene exakte Lage durch den Verweis auf die Einhaltung eines Seitenabstandes von 4 m zur Grundgrenze zu kompensieren. Daraus folgt, dass es nicht als rechtswidrig anzusehen ist, wenn das LVwG davon ausging, dass jedenfalls keine Baubewilligung für ein näher als 4 m zur Grundgrenze errichtetes Gebäude vorliegt.

53       Schließlich kann auch keine Rede davon sein, dass das LVwG „überraschenderweise erstmals Auflage 1 des Baubewilligungsbescheides vom 21.03.1978 in das Verfahren mit einbezieht“ und deshalb vom nicht bestrittenen Sachverhalt abgegangen sei. Der Inhalt des genannten Bescheides war allen am Verfahren Beteiligten, insbesondere auch der Revisionswerberin, bekannt. Die Auslegung des Bescheides aus dem Jahr 1978 machte eine mündliche Verhandlung vor dem LVwG nicht erforderlich.

54       Mit dem in Rede stehenden Zulässigkeitsvorbringen wird somit eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Fehlbeurteilung des LVwG bzw. ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht dargetan. Ebenso wenig zeigt die Revisionswerberin nachvollziehbar auf, dass die hier zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung nicht beantwortet wären.

55       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

56       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Juni 2021

Schlagworte

Baubewilligung BauRallg6 Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4 Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2017060028.J00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten