TE Vwgh Beschluss 2021/6/8 Ra 2021/19/0164

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/19/0165
Ra 2021/19/0166
Ra 2021/19/0167

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache 1. des V A, 2. der S V, 3. der S A und 4. der E A, alle vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das am 16. November 2020 mündlich verkündete und mit 8. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, 1. L518 2188431-1/13E, 2. L518 2188433-1/8E, 3. L518 2188429-1/6E und 4. L518 2188427-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerberin. Sie alle sind armenische Staatsangehörige und stellten - abgesehen von der Viertrevisionswerberin - am 19. Oktober 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die während des Aufenthalts im Bundesgebiet geborene Viertrevisionswerberin wurde am 17. November 2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Anträge wurden im Wesentlichen damit begründet, dass dem Erstrevisionswerber, der als Sicherheitsbeamter in einer Bank tätig gewesen sei, zu Unrecht das Verschwinden von Vermögenswerten in der Bank unterstellt worden sei. In der Folge sei er von unbekannten Personen verfolgt, entführt und misshandelt worden. Überdies habe man versucht, die Drittrevisionswerberin zu entführen.

2        Mit Bescheiden vom 31. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen; erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem in Revision gezogenen, am 16. November 2020 verkündeten und am 8. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend ging das BVwG von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe aus. Angesichts gravierender Widersprüche im Fluchtvorbringen sei auch von der Einholung eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens über die erlittenen Verletzungen des Erstrevisionswerbers Abstand zu nehmen, da ein solches Gutachten lediglich die Verletzungen an sich belegten, aber keine weiteren Rückschlüsse auf die Umstände, auf die Täter oder deren Motive bieten könne. Selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens sei von der Schutzfähigkeit und -willigkeit der Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates auszugehen. Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat drohe den Revisionswerbern keine reale Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. Sowohl der Erstrevisionswerber als auch die Zweitrevisionswerberin seien jung, gesund, mobil sowie arbeitsfähig und würden über eine Schulausbildung, Arbeitserfahrung sowie familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügen. Die Pflege und Obsorge der Dritt- und Viertrevisionswerberinnen sei folglich gesichert. Eine spezifische Vulnerabilität der Revisionswerber sei auch im Hinblick auf das in concreto zu berücksichtigende Kindeswohl nicht gegeben. Nach Durchführung einer Interessenabwägung gelangte das BVwG zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Revisionswerber im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und die Rückkehrentscheidung somit keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Revisionswerber darstelle.

5        Mit Beschluss vom 10. März 2021, E 626-627/2021-5, E 639-640/2021-4, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis des BVwG gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision primär vor, das BVwG habe seinen Ausspruch, dass eine Revision gegen das vorliegende Erkenntnis nicht zulässig sei, ausschließlich mit der sinngemäßen Wiedergabe des Wortlautes des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründet. Dies würde nicht den vom Verfassungsgesetzgeber intendierten Anforderungen an eine solche Begründung entsprechen, die kurz, aber nicht inhaltsleer sein dürfe. Anhand der Ausführungen des BVwG zur Unzulässigkeit der Revision sei eine Einschätzung allfälliger Erfolgsaussichten nicht möglich.

10       Mit diesen Ausführungen wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe. An der gesonderten Darlegung dieser Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, waren die Revisionswerber nicht gehindert (vgl. etwa VwGH 19.4.2016, Ra 2015/20/0302, sowie aus der jüngeren Judikatur 20.1.2021, Ra 2020/19/0323).

11       Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit zudem die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens rügt, ist auf die entsprechende ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen. Werden demnach Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/19/0295, mwN). Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 25.3.2021, Ra 2021/20/0062, mwN). Diesen Anforderungen wird die diesbezüglich allgemein gehaltene Revision nicht gerecht.

12       Insofern sich die Revision überdies gegen die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG wendet und im Speziellen vorbringt, dem BVwG sei aufgrund dessen, dass es die im Verfahren vorgelegten Urkunden nicht zugunsten der Revisionswerber gewertet habe, eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0295, mwN).

Das BVwG gab den Revisionswerbern im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Gelegenheit, sich zu ihren Fluchtgründen zu äußern. Es setzte sich in seiner Beweiswürdigung sowohl mit den Aussagen der Revisionswerber als auch mit den vorgelegten Urkunden umfassend auseinander und begründete die angenommene Unglaubwürdigkeit der geltend gemachten Verfolgung im Heimatstaat mit Widersprüchen und Unstimmigkeiten in den Schilderungen der Revisionswerber, mit zeitlich inkonsistenten Angaben zur behaupteten Entführung des Erstrevisionswerbers und zum Entführungsversuch der Drittrevisionswerberin sowie mit einer unplausiblen Darstellung in mehreren näher genannten Aspekten der als fluchtauslösend vorgebrachten Vorfälle. Angesichts der ausführlichen Würdigung des Vorbringens durch das BVwG, welches sich im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern verschafft hat, ist - auch im Hinblick auf die allgemein gehaltenen Ausführungen der Revision - nicht zu erkennen, dass die vorgenommene Beurteilung fallbezogen unvertretbar wäre. Eine antizipierende Beweiswürdigung ist auch hinsichtlich der Abstandnahme von der Einholung eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens zu den Verletzungen des Erstrevisionswerbers nicht ersichtlich, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein medizinisches Gutachten in einem Fall wie dem vorliegenden nicht geeignet ist, Aufklärung über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse der Erstrevisionswerber die Verletzungen erlitten haben mag, und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers zu geben (vgl. etwa VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286, mwN).

13       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. Juni 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190164.L00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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