TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/21 W209 2241503-1

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Veröffentlicht am 21.04.2021
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Entscheidungsdatum

21.04.2021

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13

Spruch


W209 2241503-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wiener Neustadt vom 23.03.2021 betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wiener Neustadt vom 15.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 15.03.2021 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 38 iVm § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) für die Zeit von 10.03.2021 bis 20.04.2021 (sechs Wochen) den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe aus. Nachsicht wurde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm vom AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung vereitelt bzw. verweigert habe. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen lägen nicht vor bzw. hätten nicht berücksichtigt werden können.

2. Dagegen erhob der Beschwerdeführer binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde.

3. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 23.03.2021 schloss das AMS die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aus und begründete dies im Wesentlichen damit, dass aufgrund der Langzeitarbeitslosigkeit des Beschwerdeführers und des Umstandes, dass gegen ihn Exekution geführt werde, die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Leistung gefährdet sei.

4. Dagegen erhob der Beschwerdeführer binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde, die er damit begründete, dass er von diesem Geld seine Miete und die Autoversicherung zahlen müsse. Bezahle er nicht, drohe ihm die Abnahme der Kfz-Kennzeichen und er komme nicht mehr zu seinem neuen Arbeitsplatz, den er seit 06.04.2021 habe. Darüber hinaus habe die laufende Exekution keine Auswirkungen, weil er vom AMS so wenig Geld bekomme, dass er den gesamten Betrag behalten könne.

5. Am 15.04.2021 einlangend legte das AMS die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und gab bekannt, dass es von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung in der Hauptsache nicht absehen werde. Zu den Gründen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung führte es ergänzend aus, dass der Beschwerdeführer zwar am 06.04.2021 (innerhalb der Ausschlussfrist) eine Beschäftigung aufgenommen habe. Im Hinblick auf den Umstand, dass aus dem bisherigen Versicherungsverlauf des Beschwerdeführers nicht geschlossen werden könne, dass das gegenwärtige Dienstverhältnis so lange aufrecht bleiben werde, dass es Nachsicht begründend zu berücksichtigen sei, sei prima facie nicht ersichtlich, dass die Beschwerde Erfolg haben werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang.

2. Beweiswürdigung:

Beweis erhoben wurde durch Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen 0sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die aufschiebende Wirkung von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 – sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist – dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Zur Regelung des § 13 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof in Zusammenhang mit Beziehern von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit Erkenntnis vom 11.04.2018, Ro 2017/08/0033, zuletzt wie folgt ausgeführt:

"Die Entscheidung über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). [...] § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.

Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).

Um die vom Gesetzgeber außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können (vgl. zur Interessenabwägung nach § 30 Abs. 2 VwGG VwGH 14.02.2014, Ro 2014/02/0053), hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.

Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 19 zu § 56). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl. zur Erfolgsprognose VwGH 09.05.2016, Ra 2016/09/0035).“

Nach den vom AMS vorgelegten Verwaltungsakten sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde gegen den Bescheid vom 15.03.2021 dem ersten Anschein nach als gut – und daher eine (gänzliche) Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe als unwahrscheinlich – einzuschätzen. So hat der Beschwerdeführer innerhalb der Ausschussfrist eine neue, die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung aufgenommen, die bereits über die verhängte Ausschlussfrist hinaus andauert. In diesem Fall ist die Aufnahme des Dienstverhältnisses nach der Judikatur des VwGH jedenfalls im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG Nachsicht begründend zu berücksichtigen (vgl. VwGH 02.04.2008, 2007/08/0234). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass – wenn überhaupt – nur ein Teil der dem Beschwerdeführer vorläufig weiter gewährten Notstandshilfe zurückgefordert werden könnte, weil das AMS zumindest teilweise Nachsicht zu üben hätte. Darüber hinaus hat das AMS nicht konkret dargelegt, wieso es für den Fall der vorläufigen Weitergewährung der Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet sieht. Zwar steht unstrittig fest, dass gegen den Beschwerdeführer Exekution geführt wird. Nicht berücksichtigt wurde aber, dass der Beschwerdeführer seit kurzem wieder in Beschäftigung steht und daher (spätestens) zum Monatsende mit seinem ersten Gehalt rechnen kann. Hinzu kommt, dass das AMS nicht erhoben hat, wie hoch die Exekutionsforderungen gegenüber dem Beschwerdeführer sind. Mangels konkreter Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit von der Uneinbringlichkeit eines allfälligen Überbezuges ausgegangen werden. Weiters droht dem Beschwerdeführer – vom AMS unwidersprochen – im Falle der sofortigen Zahlungseinstellung die Abnahme seiner Kfz-Kennzeichen, wodurch er seinen neuen Arbeitsplatz verlieren könnte, der laut Beschwerdeführer (und vom AMS unwidersprochen) öffentlich nicht erreichbar ist, was mit dem bestehenden öffentlichen Interesse am Ausschluss der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist und fallgegenständlich zugunsten des Beschwerdeführers ausschlägt.

Sonstige Anhaltspunkte, denen zufolge der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde der Verhinderung gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl dienen könnte, sind nach der Aktenlage nicht evident.

Somit war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Eine mündliche Verhandlung konnte entfallen, weil das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 5 VwGVG verpflichtet ist, über die Beschwerde "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden", was impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Dienstverhältnis Interessenabwägung Konkretisierung wirtschaftliche Situation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2241503.1.00

Im RIS seit

23.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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