TE Vwgh Erkenntnis 1979/4/3 3444/78

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Veröffentlicht am 03.04.1979
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Index

StVO
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §62 Abs1
StVO 1960 §76 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Weiss und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein des Schriftführers Polizeirat Dr. Hofreiter, über die Beschwerde des JA in L, vertreten durch Dr. Theodor J. Schütz, Rechtsanwalt in Linz, Museumstraße 5, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Oktober 1978, Zl. VerkR-10530/1-1978-II/Wi, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Laut Anzeige des Verkehrsunfallkommandos der Bundespolizeidirektion Linz vom 7. November 1977 habe am selben Tag gegen 11.00 Uhr Dipl.-Ing. S einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h auf der Holzstraße in Linz in Richtung Lederergasse gelenkt. Zur selben Zeit habe der Beschwerdeführer einen dem Kennzeichen nach bestimmten Lkw (VW-Kombi mit Schiebetüre an der rechten Seitenwand), der auf der Fahrbahnhälfte, auf der sich das von Dipl.-Ing. S gelenkte Fahrzeug genähert habe, am Fahrbahnrand neben dem Gehsteig vor dem Haus Nr. 14 in Fahrtrichtung Untere Donaulände abgestellt gewesen sei, beladen. Unmittelbar vor Passieren des Lkw‘s durch Dipl.-Ing. S sei der Beschwerdeführer, der sich an der Heckseite des Lkw‘s und deshalb verdeckt für Dipl.-Ing. S aufgehalten habe, unvermutet ca. 1 m hinter dem abgestellten Fahrzeug hervorgetreten und sofort zum Lkw hin abgebogen, um offensichtlich zu dessen rechter Türe zu gehen. Dipl.-Ing. S sei durch das plötzliche Hervortreten des Beschwerdeführers derart überrascht gewesen, daß er nicht mehr habe verhindern können, daß der rechte Arm des Beschwerdeführers in der Folge vom rechten Türholm seines Fahrzeuges erfaßt worden, der Beschwerdeführer ins Wanken und nach einigen Metern Torkeln zu Sturz gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe sich dabei einen offenen rechtsseitigen Unterarmbruch und einen linksseitigen Fersenbeinbruch zugezogen. Dipl.-Ing. S erklärte vor dem Unfallkommando, der Beschwerdeführer sei schnellen Schrittes hinter dem abgestellten Fahrzeug hervorgetreten und habe beim Abbiegen zur Seitenfront des Kombis einen Abstand von etwa 1 m eingehalten. Der Beschwerdeführer verantwortete sich bei seiner polizeilichen Vernehmung am 1. Dezember 1977 damit, er sei an der Heckseite seines Lkw‘s hervorgetreten, um zur rechten Fahrzeugtüre zu gehen und einen beim Laden der Ware verrutschten Fleischladen wieder in die richtige Lage zu bringen, als er plötzlich einen Schlag gegen den rechten Arm erhalten und bemerkt habe, er sei vom Pkw Dipl.-Ing. S, der in zu knappem Abstand an seinem abgestellten Lkw vorbeigefahren sei, erfaßt worden.

Nach einer am 18. April 1978 mit dem Vertreter des Beschwerdeführers aufgenommenen Niederschrift wiederholte der Beschwerdeführer in einer schriftlichen Stellungnahme, eingelangt bei der Bundespolizeidirektion Linz am 3. Mai 1978, im wesentlichen seine bisherige Verantwortung, wobei er betonte, die Fahrbahn nicht überraschend betreten und sich unmittelbar neben seinem Fahrzeug fortbewegt zu haben.

Aus Amtsvermerken vom 26. Mai 1978 und vom 15. Juni 1978 ist zu entnehmen, daß beim Bezirksgericht Linz das Verfahren gegen den Beschwerdeführer am 22. Dezember 1977 gemäß § 90 StPO eingestellt und Dipl.-Ing. S. mit Urteil desselben Gerichts vom 11. Mai 1978, AZ. 20 U 2280/77, von dem gegen ihn wegen § 88 Abs. 1 und 4 StGB gestellten Antrag auf Bestrafung gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen wurde. Das Verwaltungsstrafverfahren gegen Dipl.-Ing. S wurde am 15. Juni 1978 gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG I950 eingestellt.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 23. Juni 1978 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 7. November 1977 gegen 11.00 Uhr in Linz, Holzstraße, als Fußgänger überraschend die Fahrbahn betreten und dadurch die Verwaltungsübertretung nach § 76 Abs. 1 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde über ihn eine Geldstrafe von S 100,-- (Ersatzarreststrafe in der Dauer von 12 Stunden) verhängt. In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei mit der Beladung seines Lkw‘s beschäftigt gewesen. Dabei habe er sich zunächst hinter seinem Fahrzeug befunden und sei der Sicht des vorbeifahrenden Verkehrs entzogen gewesen. Nachdem er bemerkt habe, daß ein Fleischladen im Fahrzeug nach vorne gerutscht sei, sei er von der Heckseite seines Fahrzeuges hervor auf die Fahrbahn getreten, um sich zur rechten Wagentüre zu begeben. Dies sei überraschend für den vorbeifahrenden Dipl.-Ing. S erfolgt, sodaß dieser sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig habe abbremsen bzw. auslenken können. Die Behörde komme „selbst unter Berücksichtigung der Verantwortung des Beschwerdeführers zu der Überzeugung, daß dieser unvorsichtig und überraschend hinter seinem Fahrzeug auf die Fahrbahn getreten sei. Bei entsprechender Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers hätte sich der Unfall vermeiden lassen. Ob der mitbeteiligte Fahrzeuglenker den Unfall durch Einhaltung eines zu geringen Sicherheitsabstandes mitverursacht habe, habe das Bezirksgericht Linz zu entscheiden gehabt, welches Dipl.-Ing. S jedoch offenbar auf Grund eines Sachverständigengutachtens freigesprochen habe.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer erneut darauf, daß er sich knapp an seinem Fahrzeug seitwärts vorbeibewegt habe und von dem, einen zu knappen Abstand einhaltenden Fahrzeug des anderen Unfallbeteiligten gestreift worden sei. Er sei nicht als Fußgänger anzusehen und habe „die Fahrbahn nicht überraschend betreten, da er sich schon geraume Zeit auf ihr befunden habe. Der Freispruch von Dipl.-Ing. S lasse keine gültigen Rückschlüsse auf sein, des Beschwerdeführers Verhalten zu. Auch ihm könne - ebensowenig wie Dipl.-Ing. S - kein konkretes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Es müsse ihm gleichermaßen zumindest im Zweifel zugebilligt werden, daß seine Verantwortung, wonach ihn kein Verschulden treffe, der Wahrheit entspreche.

Von der belangten Behörde wurde in der Folge eine Abschrift des vom Verkehrssachverständigen im gerichtlichen Strafverfahren erstatteten Gutachtens beigeschafft, dem zu entnehmen ist, daß objektive Spuren über den von Dipl.-Ing. S bei der Vorbeifahrt eingehaltenen Sicherheitsabstand nicht vorhanden sind, seine Verantwortung aber in technischer Hinsicht auf Grund des gesamten Unfallverlaufes nicht ausgeschlossen werden könne. Hätte der Beschwerdeführer zur Anstoßzeit die Außenfront des abgestellten Kombis nur um 3o cm überragt, dann wäre bei einer Streifung mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er knapp hinter dem Kombi in seine Endlage gekommen wäre. Seine tatsächliche Endlage lasse aber schließen, er habe sich entgegen der Fahrtrichtung des Pkw‘s des Dipl.-Ing. S. bewegt. Keinesfalls aber sei der Beschwerdeführer bei der Berührung gestanden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 51 VStG 1950 und 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 ab und führte begründend nach Wiedergabe der ein Verschulden bestreitenden Verantwortung des Beschwerdeführers aus, sie habe in Ergänzung der Entscheidungsgründe der Erstbehörde bei freier Beweiswürdigung nach § 45 Abs. 2 AVG 1950 erwogen, daß gemäß § 76 Abs. 1 StVO Fußgänger auf Gehsteigen zu gehen haben; sie dürften nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Diese Halbsätze könnten nur im Zusammenhang miteinander verstanden werden. Die ratio legis könne nur sein, daß der in erster Linie für den Fahrzeugverkehr bestimmte freie Teil der Straße nicht überraschend von Fußgängern betreten werde. Dem wäre im gegenständlichen Fall so Rechnung zu tragen gewesen, daß der Beschwerdeführer nicht (für den ankommenden Fließverkehr unsichtbar) hintenherum zu seiner rechten Fahrzeugtüre hätte gehen sollen, sondern, den Gehsteig benützend, vorneherum (für den ankommenden Fließverkehr sichtbar). Das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 22. November 1977 (richtig wohl 11. Mai 1978) enthalte nur den nicht näher begründeten Freispruch des Unfallgegners gemäß § 259 Z. 3 StPO. Demnach sei der zu ahnende Tatbestand als erwiesen zu beurteilen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer behauptet, so wie schon im Verwaltungsstrafverfahren, gar nicht Fußgänger gewesen zu sein, da er sein Fahrzeug beladen und sich dabei schon längere Zeit auf der Fahrbahn aufgehalten habe. Auch habe er nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Er bestreitet somit, daß auf ihn die Bestimmungen über den Fußgängerverkehr nach § 76 Abs. 1 StVO zur Anwendung gelangen könnten.

Dem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Die Straßenverkehrsordnung 1960 trifft Vorschriften über die Benützung von Straßen für den Verkehr sowie für verkehrsfremde Zwecke. Die Pflichten der einzelnen Verkehrsteilnehmer bzw. der sonst die Straße benützenden Personen richten sich darnach, in welcher Weise sie am Verkehr teilnehmen bzw. welche Tätigkeiten sie verrichten, welches Mittel sie zu ihrer Fortbewegung benützen, ob sie Fahrgeschwindigkeit und Richtung eines Fortbewegungsmittels bestimmen, es also lenken. Eine ausdrückliche Begriffsbestimmung, wer Fußgänger ist, fehlt wohl in der Straßenverkehrsordnung. So wie aber Radfahrer im Sinne des § 65 Abs. 1 StVO ist, wer ein Fahrrad lenkt, oder Reiter im Sinne des § 79 StVO, wer sich eines Tieres zu seiner Fortbewegung bedient, ist als Fußgänger jener anzusehen, der den Weg zu Fuß zurücklegt, sich also lediglich auf seinen Füßen fortbewegt, losgelöst von jeder Verbindung von anderen Fortbewegungsmitteln irgendwelcher Art. Demgemäß ist daher nicht Fußgänger, wer sein Fahrzeug (z. B. Motorrad oder Fahrrad) schiebt, weil durch das Absteigen die während der Benützung des Fahrzeuges im öffentlichen Verkehr fortbestehende und dauernde Beziehung zwischen Fahrzeug und Lenker noch nicht aufgehoben wird. (Vgl. z. B. die hg. Erkenntnisse vom 15. Juni 1955, Slg. Nr. 3788/A, und vom 27. November 1963, Slg. Nr. 6164/A.) Auch ein Lenker eines Kraftwagens, der anhält und sein Fahrzeug verläßt, sich aber bei diesem unmittelbar aufhält - ohne den Weg fortzusetzen - , bleibt in der Regel Lenker im weiteren Sinn des Wortes und unterliegt daher nicht den für den Fußgängerverkehr geltenden Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1970, Zl. 1323/69 = ZVR 1971/77) Erst wenn er sein Fahrzeug verläßt und sich aus welchem Grund immer zu Fuß auf der Fahrbahn fortbewegt, losgelöst vom Fahrzeug, hat er die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für Fußgänger zu beachten. (Vgl. z. B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 10. April 1975, 2 Ob 348/74 = ZVR 1976/101.) Des weiteren unterliegen nach der Rechtsprechung mit der Durchführung von Arbeiten zur Erhaltung der Straße befaßte Arbeiter (vgl. z.B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom28. September 1967, 1 Ob 166/76 = ZVR 1968/184) oder Personen, die von der Fahrbahn aus einen Arbeitsvorgang neben der Straße leiten (vgl. z. B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 27. Oktober 1972, 2 Ob 204/72 = ZVR 1973/190), nicht den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über den Fußgängerverkehr (§ 76 StVO). Es ist also nicht jeder, der auf der Straße steht oder sich darauf bewegt, Fußgänger Sinne des § 76 StVO.

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer, der Fleischhauermeister ist, mit der Beladung seines Fahrzeuges, das nach der Aktenlage außer der Hecktüre an der Seitenfront eine Schiebetüre besitzt, beschäftigt, wobei er, um verrutschte Laden zurechtzurichten, sich vom Heck seines Fahrzeuges zu der gegen die Fahrbahn gerichteten Seitentüre begab, als er von dem anderen unfallsbeteiligten Fahrzeug erfaßt wurde. Die Durchführung einer Ladetätigkeit auf Straßen findet jedoch im § 62 StVO ihre Regelung. So bestimmt § 62 Abs. 1, daß durch eine Ladetätigkeit auf Straßen, das ist das Beladen oder Entladen von Fahrzeugen sowie das Abschlauchen von Flüssigkeiten aus Fahrzeugen oder in Fahrzeuge, die Sicherheit des Verkehrs nicht und die Leichtigkeit des Verkehrs nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf. Damit zeigt sich, daß auf den mit einer Ladetätigkeit befaßten Beschwerdeführer nicht die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung über den Fußgängerverkehr (§ 76 StVO), sondern die speziellen Bestimmungen des § 62 StVO zur Anwendung zu gelangen haben. Dies hat die belangte Behörde verkannt, als sie das Verhalten des Beschwerdeführers den Bestimmungen des § 76 Abs. 1 StVO unterstellte. Gemäß § 44 a lit. b VStG 1950 hat der Spruch eines Straferkenntnisses die Verwaltungsvorschrift zu nennen, die durch die Tat verletzt worden ist. Da die belangte Behörde aber den vorliegenden Sachverhalt einer Vorschrift unterstellt hat, die durch die Tat nicht verletzt worden ist, ist der Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Es erübrigte sich deshalb, auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers näher einzugehen.

Das Verwaltungsstrafverfahren ist darüber hinaus nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch insofern mit Verfahrensmängel behaftet, als unterlassen wurde, den Lenker des am Unfall beteiligten Pkw’s Dipl.-Ing. S als Zeugen zu vernehmen. Bestreitet doch der Beschwerdeführer, im Zuge seiner Ladetätigkeit überraschend für den übrigen Fahrzeugverkehr und insbesondere zu weit auf den für den flutenden Verkehr zur Verfügung gestandenen Teil, der Fahrbahn hinausgetreten zu sein.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, wie oben dargelegt, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, war er gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.

Wien, am 3. April 1979

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1979:1978003444.X00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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