TE Vfgh Erkenntnis 1995/6/13 B2754/94

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Veröffentlicht am 13.06.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

EMRK Art8 Abs2
AsylG 1991 §7 Abs1
FremdenG §17 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Abweisung ihres Asylantrags aufgrund eines aktenwidrig angenommenen Sachverhalts hinsichtlich des Hochzeitsdatums der Betroffenen

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, reiste am 30. August 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 2. September 1991 stellte sie einen Asylantrag, der mit Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1993 rechtskräftig abgewiesen wurde. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. Mai 1994 wurde über die Beschwerdeführerin gemäß §17 Abs1 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Ausweisung ausgesprochen, weil sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. September 1994 keine Folge gegeben und es wurde der bekämpfte Bescheid gemäß §66 Abs4 AVG bestätigt.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder die Behandlung der Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG abzulehnen.

4. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Replik, in welcher sie ihren Rechtsstandpunkt bekräftigt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11638/1988, 11857/1988, 11982/1989, 12919/1991, 13241/1992, 13489/1993).

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides, insbesondere gegen die §§17 Abs1 und 19 FrG, werden in der Beschwerde nicht vorgebracht; solche sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (vgl. in diesem Zusammenhang das zu §10a des - bereits außer Kraft getretenen - Fremdenpolizeigesetzes ergangene Erkenntnis VfSlg. 12919/1991).

3. Der belangten Behörde ist jedoch ein den Art8 EMRK verletzender Vollzugsfehler anzulasten:

3.1. Die belangte Behörde führt in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, die Beschwerdeführerin halte sich zumindest seit der rechtskräftigen Abweisung ihres Asylantrages mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1993 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, da gemäß §7 Abs1 des Asylgesetzes 1991 die vorläufige Aufenthaltsberechtigung dem Asylwerber spätestens ab dem Zeitpunkt nicht mehr zukomme, zu dem das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Über eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz verfüge die Beschwerdeführerin nicht. Sie habe am 14. Jänner 1994 einen österreichischen Staatsbürger geheiratet. Ihrer Ansicht, sie bilde mit ihrem Mann eine Familieneinheit, weshalb ihr in Ansehung des §19 FrG nicht zugemutet werden könne, daß die Ehe durch die Ausweisung auseinandergerissen werde, könne nicht gefolgt werden, da die Verehelichung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem sich die Beschwerdeführerin bereits nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Somit sei "der Eingriff im Sinne des §19 Fremdengesetz ... nicht relevant".

3.2. Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof insbesondere, eine Interessenabwägung iS des Art8 Abs2 EMRK habe im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Im übrigen sei die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe am 14. Jänner 1994 geheiratet, aktenwidrig, da die Beschwerdeführerin bereits im Verwaltungsverfahren angegeben habe, am 14. Jänner 1993 geheiratet zu haben.

3.3. Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof steht außer Streit, daß die Eheschließung der Beschwerdeführerin am 14. Jänner 1993 und nicht - wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid noch fälschlich ausgeführt hat - am 14. Jänner 1994 erfolgt war. Diese, von der Beschwerdeführerin zu Recht gerügte Aktenwidrigkeit allein belastet den angefochtenen Bescheid indes noch nicht mit Verfassungswidrigkeit. Die belangte Behörde zog daraus aber den Schluß, daß "der Eingriff im Sinne des §19 Fremdengesetz ... nicht relevant" sei, da die Verehelichung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem sich die Beschwerdeführerin bereits nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, und nahm infolgedessen eine Interessenabwägung iS des Art8 Abs2 EMRK nicht vor.

Die Auffassung der belangten Behörde, es liege kein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin vor, stützt sich somit maßgeblich auf einen aktenwidrig angenommenen Sachverhalt. Unter Zugrundelegung des tatsächlichen Hochzeitsdatums (14. Jänner 1993) hätte die belangte Behörde bei Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Privat- und Familienleben vorliegt und die nach Art8 Abs2 EMRK gebotene Interessenabwägung vorzunehmen ist, aus ihrer Sicht prüfen müssen, ob der Beschwerdeführerin vor der mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1993 erfolgten rechtskräftigen Abweisung ihres Asylantrages die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zukam oder nicht.

Indem die belangte Behörde dies unterließ, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die belangte Behörde in einem an die Beschwerdeführerin gerichteten Schriftsatz vom 5. Dezember 1994 die unrichtige Angabe des Datums der Eheschließung einbekannte, hiezu aber ausführte, daß dieser Fehler keinen Einfluß auf den Spruch des angefochtenen Bescheides habe. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich wiederholt ausgesprochen hat, muß die Begründung eines Bescheides aus diesem selbst hervorgehen (VfSlg. 10057/1984, 12476/1990, 12905/1991).

4. Die Beschwerdeführerin wurde durch den angefochtenen Bescheid sohin in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung

stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

Die von der Beschwerdeführerin für die Erstattung der Replik begehrten Kosten waren nicht zuzusprechen, da es sich um keinen abverlangten Schriftsatz handelt und die Erstattung der Gegenäußerung, die bloß Rechtsausführungen enthält, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geboten war (VfSlg. 11491/1987).

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Ausweisung, Asylrecht, Privat- und Familienleben, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2754.1994

Dokumentnummer

JFT_10049387_94B02754_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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