TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/26 Ra 2018/16/0110

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Veröffentlicht am 26.05.2021
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Index

E3R E02101000
E3R E02200000
E3R E02201010
E3R E02201030
E3R E02202000
E3R E11606000
E6J
10/07 Verwaltungsgerichtshof
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §250
BAO §250 Abs2
BAO §256 Abs3
BAO §278 Abs1 litb
BAO §85 Abs2
BAO §93 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z2
31987R2658 Kombinierte Nomenklatur
31987R2658 Kombinierte Nomenklatur Anh1 Teil1 Titel1 AbschnA
31992R2913 ZK 1992 Art12
32013R0952 ZK 2013 Art33
62019CJ0772 Bartosch Airport Supply Services VORAB
62020CJ0062 Vogel Import Export VORAB

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/16/0111
Ra 2018/16/0112

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und den Hofrat Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revisionen der T GmbH & Co KG in D, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 32, gegen die Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts vom 27. März 2018, Zlen. 1. RV/1200065/2015 (hg. Zl. Ra 2018/16/0110), 2. RV/1200066/2015 (hg. Zl. Ra 2018/16/0111) und 3. RV/1200067/2015 (hg. Zl. Ra 2018/16/0112), betreffend Einfuhrabgaben und Abgabenerhöhung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: nunmehr Zollamt Österreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von 4.039,20 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheiden vom 20. Mai 2014, 3. Juni 2014 und 30. Juni 2014 teilte das damalige Zollamt Feldkirch Wolfurt der revisionswerbenden Kommanditgesellschaft (Revisionswerberin) gemäß Art. 220 Abs. 1 des Zollkodex die nachträgliche buchmäßige Erfassung von zu näher genannten Zeitpunkten in den Jahren 2011 und 2012, 2013 sowie 2014 nach Art. 201 des Zollkodex entstandenen Eingangsabgaben (Zoll) in näher angeführter Höhe mit und setzte eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes in näher angeführter Höhe fest.

2        Die von der Revisionswerberin zu den erwähnten Zeitpunkten eingeführten und in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführten LED-Module seien nicht - wie von der Revisionswerberin in den Zollanmeldungen angeführt - unter Warennummer 8541 40 10 00 (Zollsatz 0 %) einzureihen. Es habe sich um elektrische Beleuchtungskörper gehandelt, welche in die Warennummern 9405 40 39 90 (aus Kunststoff - Zollsatz 4,7 %) oder 9405 40 99 90 bzw. 89 (aus anderen Stoffen - Zollsatz 2,7 %) einzureihen seien.

3        Dagegen erhob die Revisionswerberin nach gewährter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 12. Jänner 2015 Beschwerde, worin sie ausführte, es habe sich um jene LED-Module gehandelt, die hinsichtlich Beschaffenheit und Eigenschaft den im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 1037/2014 der Kommission vom 25. September 2014 beschriebenen LED-Modulen entsprächen.

4        Mit drei Beschwerdevorentscheidungen vom 26. Februar 2015 wies das Zollamt die Beschwerde hinsichtlich aller drei bekämpften Bescheide als unbegründet ab. Die erwähnte Einreihungsverordnung könne für vor ihrer Geltung erfolgte Einfuhren nicht angewendet werden. Bei den verfahrensgegenständlichen Waren handle es sich um LED-Module, welche aus folgenden Komponenten bestünden: Leuchtdioden, elektrische Anschlüsse und gedruckte Schaltungen auf mit Glasfaser verstärktem Kunststoff oder Aluminium.

5        Dagegen brachte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 2. April 2015 einen Vorlageantrag ein, worin sie ihr Vorbringen aus der Beschwerde wiederholte und auf die Rechtsprechung des EuGH verwies, dass eine Einreihungsverordnung zumindest ein Indiz dafür sein könne, dass sie auch auf vor ihrem Inkrafttreten getätigte Einfuhren anzuwenden sei.

6        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde hinsichtlich aller drei bekämpften Bescheide als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Bei den verfahrensgegenständlichen Waren handle es sich jeweils um elektrische Beleuchtungsbaugruppen, bestehend aus einer mit einer Vielzahl von Leuchtdioden sowie mehreren elektrischen Anschlüssen bestückten gedruckten Schaltung (PCB) auf einem Träger aus mit Glasfaser verstärktem Kunststoff oder anderen unedlen Metallen - ohne weitere elektronische Bauelemente. Laut Produktbeschreibung könnten die LED-Module mit Hilfe von Steckklemmen einfach und schnell verdrahtet werden. Teilweise sei die Montage auf einem Kühlkörper erforderlich. Durch Anschluss an ein LED-Betriebsgerät/Konverter mit Kurzschluss- und Überlastungserkennung sowie Übertemperaturabschaltung könne die Inbetriebnahme erfolgen.

8        Es handle sich nicht um Leuchtdioden, sondern um Waren, die neben anderen Bestandteilen (gedruckten Schaltungen und elektrischen Anschlüssen) auch Leuchtdioden enthielten.

9        Diese aus mehr als einem Stoff bestehenden Waren seien nach den Grundsätzen der AV 3 einzureihen, eine unmittelbare Einreihung „nach 8541“ sei daher unzulässig.

10       Die Waren wiesen alle objektiven Merkmale eines Beleuchtungskörpers der Position 9405 auf und verfügten über den wesentlichen Charakter eines vollständigen Beleuchtungskörpers, der zur Inbetriebnahme nur über ein LED-Betriebsgerät an eine Stromversorgung angeschlossen werden müsse.

11       Die einzureihenden Waren seien nach ihrer tatsächlichen Beschaffenheit in der Position 9405 40 erfasst.

12       Die gegen diese Erkenntnisse erhobenen außerordentlichen Revisionen legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

13       Der Verwaltungsgerichtshof leitete jeweils das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); das Zollamt reichte mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2019 eine Revisionsbeantwortung ein und beantragte die Abweisung der Revisionen unter Zuerkennung von Aufwandersatz.

14       Die Revisionswerberin erachtet sich jeweils im Recht auf „Einfuhr der verfahrensgegenständlichen LED Module (ua des Typs ...) unter Anwendung des Nullzollsatzes der Position 8541 4010 00 der Kombinierten Nomenklatur sowie der Nichtvorschreibung einer Abgabenerhöhung nach § 108 ZollR-DG“ verletzt.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs die Verbindung der Revisionsverfahren beschlossen und erwogen:

16       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er diese Zulässigkeit im Rahmen der dafür gemäß § 28 Abs. 3 VwGG in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

18       Die Revisionswerberin stützt die Begründung der Zulässigkeit ihrer Revisionen zusammengefasst darauf, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Einreihung von LED-Modulen wie in den Revisionsfällen und das Bundesfinanzgericht habe entgegen dem klaren Wortlaut der Bestimmung und entgegen der Rechtsprechung die „AV 3 lit b“ nicht angewendet.

19       Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.

20       Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif, ABl. L 256 vom 7. September 1987, (KN-VO) wird von der Kommission eine Warennomenklatur - Kombinierte Nomenklatur oder abgekürzt KN genannt - eingeführt, die u.a. den Erfordernissen des Gemeinsamen Zolltarifs genügt, welche u.a. gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchstabe c) der KN-VO die Einführenden Vorschriften und die Zusätzlichen Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln umfasst und welche gemäß Art. 1 Abs. 3 KN-VO in Anhang I der KN-VO enthalten ist.

21       Die Kombinierte Nomenklatur (Anhang I der KN-VO) enthält in Teil I die Einführenden Vorschriften und darunter in Titel I die Allgemeinen Vorschriften und in Teil II den Zolltarif.

22       Anhang I - KN, Teil I - Einführende Vorschriften, Titel I - Allgemeine Vorschriften, Kapitel A. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur lautet:

„Für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur gelten folgende Grundsätze:

1.   Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten nichts anderes bestimmt ist - die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

2.   [...]

3.   Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:

a)   Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. [...]

b)   Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

c)   Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen.“

23       Zu Abschnitt XVI (Maschinen, Apparate, mechanische Geräte und elektrotechnische Waren, Teile davon; Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte, Fernseh-Bild- und -Tonaufzeichnungsgeräte oder Fernseh-Bild- und -Tonwiedergabegeräte, Teile und Zubehör für diese Geräte) der Kombinierten Nomenklatur in den in den Revisionsfällen anzuwendenden - insoweit gleichlautenden - Fassungen der Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom 5. Oktober 2010, ABl. L 284 vom 29. Oktober 2010, für Zeitpunkte der Entstehung der Einfuhrabgaben im Jahr 2011, der Verordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom 27. September 2011, ABl. L 282 vom 28. Oktober 2011, für Zeitpunkte der Entstehung der Einfuhrabgaben im Jahr 2012, der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9. Oktober 2012, ABl. L 304 vom 31. Oktober 2012, für Zeitpunkte der Entstehung der Einfuhrabgaben im Jahr 2013 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013, ABl. L 290 vom 31. Oktober 2013, für Zeitpunkte der Entstehung der Einfuhrabgaben im Jahr 2014 lauten die Anmerkungen 4. und 5.:

„4.  Besteht eine Maschine oder eine Kombination von Maschinen aus entweder voneinander getrennten oder durch Leitungen, Übertragungsvorrichtungen, elektrischen Kabeln oder anderen Vorrichtungen miteinander verbundenen Einzelkomponenten, die gemeinsam eine genau bestimmte, in einer der Positionen des Kapitels 84 oder 85 erfasste Funktion ausüben, so ist das Ganze in die Position einzureihen, die diese Funktion erfasst.

5.   Bei der Anwendung der Anmerkungen des Abschnitts XVI umfasst der Begriff ‚Maschinen‘ alle Maschinen, Apparate, Geräte und Vorrichtungen der in den Positionen des Kapitels 84 oder 85 genannten Art.“

24       Zu Kapitel 85 (Elektrische Maschinen, Apparate, Geräte und andere elektrotechnische Waren, Teile davon; Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte, Bild- und Tonaufzeichnungs- oder -wiedergabegeräte, für das Fernsehen, Teile und Zubehör für diese Geräte) der Kombinierten Nomenklatur in diesen Fassungen lautet die Anmerkung 8:

„8.  Im Sinne der Positionen 8541 und 8542 sind:

a)   ‚Dioden, Transistoren und ähnliche Halbleiterbauelemente‘ Bauelemente, deren Arbeitsweise auf der Veränderung des spezifischen Widerstandes unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes beruht;

     [...]

     Mit Ausnahme der Position 8523 haben die Positionen 8541 und 8542 für die in dieser Anmerkung beschriebenen Waren Vorrang vor jeder anderen Position der Nomenklatur, die für diese Waren, insbesondere wegen ihrer Funktion, in Betracht kommen könnte.“

25       Im Kapitel 85 der KN in diesen Fassungen fallen in die Position 8541 „Dioden, Transistoren und ähnliche Halbleiterbauelemente; lichtempfindliche Halbleiterbauelemente (einschließlich Fotoelemente, auch zu Modulen zusammengesetzt oder in Form von Tafeln); Leuchtdioden; gefasste oder montierte piezoelektrische Kristalle“.

26       Darunter sind unter dem KN Code 8541 40 „lichtempfindliche Halbleiterbauelemente (einschließlich Fotoelemente, auch zu Modulen zusammengesetzt oder in Form von Tafeln); Leuchtdioden“ und unter dem KN Code 8541 40 10 „Leuchtdioden, einschließlich Laserdioden“ erfasst, wofür der Zollsatz „frei“ festgelegt ist.

27       Unter die Position 8543 der KN in den erwähnten Fassungen fallen „Elektrische Maschinen, Apparate und Geräte, mit eigener Funktion, in diesem Kapitel anderweit weder genannt noch inbegriffen“.

28       Im Abschnitt XX (Verschiedene Waren) der KN in den erwähnten Fassungen lautet zu Kapitel 94 („Möbel; medizinisch-chirurgische Möbel; Bettausstattungen und ähnliche Waren; Beleuchtungskörper, anderweit weder genannt noch inbegriffen; Reklameleuchten, Leuchtschilder, beleuchtete Namensschilder und dergleichen; vorgefertigte Gebäude“) die Anmerkung 1 Buchstabe f:

„1.  Zu Kapitel 94 gehören nicht:

[...]

f)   Beleuchtungskörper des Kapitels 85;

[...]“

29       Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln festgelegt sind (vgl. etwa EuGH 15.4.2021, Vogel Import Export NV, C-62/20, Rn 33; und EuGH 25.2.2021, Bartosch Airport Supply Services GmbH, C-772/19, Rn 22).

30       So hat der EuGH zur Frage der Einreihung von „Optokopplern“ (KN Position 8541) ausgesprochen, dass deren Tarifierung nicht unterschiedlich sein kann, je nachdem ob eine integrierte Verstärkerschaltung vorhanden ist oder nicht, weil die Einfügung einer solchen Schaltung eine sehr verbreitete Technik sei, die nur dazu diene, eine gute Signalübertragung zu gewährleisten, und das Vorhandensein dieser Schaltung die Merkmale und Eigenschaften des Optokopplers als lichtempfindliches Halbleiterbauelement nicht wesentlich ändere (EuGH 2.10.2008, X BV, C-411/07, Rn 8 und 23).

31       Zur Einreihung von Sende- und Empfangsmodulen, welche jeweils aus einer Zusammenschaltung einer Leuchtdiode, einer Fotodiode und mehrerer anderer Halbleiterbauelemente bestehen und als Infrarotsender und -empfänger genutzt werden können, wenn sie über die Geräte, in die sie eingebaut sind, mit Strom versorgt werden, hat der EuGH ausgesprochen, dass sie komplexer als Optokoppler seien und sich von einem einfachen Halbleiterbauelement oder einer einfachen Diode dadurch unterscheiden, dass sie aus mehreren Schaltkreisen, die auf mehrere Halbleiterbauelemente aufgebracht wurden, sowie aus einer Leucht- und einer Fotodiode bestehen und demnach keiner dieser Bauteile diesen Modulen eine charakteristische Funktion verleihe, sondern diese Module eine eigene Funktion hätten, weshalb sie nicht in die Position 8541 einzureihen seien (EuGH 20.11.2014, Rohm Semiconductor GmbH, C-666/13, Rn 22 und 30 bis 34).

32       Dem Urteil des EuGH zur Einreihung von sogenannten LED-Lampen lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Es handelte sich um LED-Lampen, die sich aus verschiedenen elektronischen Komponenten, einer Glasumhüllung und einer Metallfassung zusammensetzten und zur Verwendung in einer Leuchte bestimmt waren. Eine der elektronischen Komponenten war eine gedruckte Schaltung („printed circuit board“ - PCB) in quadratischer Form mit 14 mm Seitenlänge, auf der sechs Leuchtdioden („light emitting diodes“ - LED) angebracht waren. Die Leuchtdioden setzten elektrische Energie aus dem Stromnetz in sichtbares Licht um, sobald elektrischer Strom in der Durchlassrichtung durch die Diode floss. Das PCB mit den Leuchtdioden war von einer Glaskugel umhüllt. Ferner verfügten die LED-Lampen über eine Fassung mit sogenanntem Edison-Gewinde mit einem Durchmesser von 27 mm (E27-Fassung). Damit konnten die LED-Lampen in eine Leuchte eingesetzt werden. Die Leuchtdioden benötigten eine konstante Stromzufuhr. Daher war zwischen der Fassung und dem PCB eine elektronische Komponente angebracht, die die Funktion hatte, Stromschwankungen aufzufangen, die im Stromnetz auftreten. Diese elektronische Komponente enthielt ua. Dioden, Transistoren, Widerstände, Kondensatoren und Spulen sowie integrierte Schaltungen.

33       Der EuGH reihte diese LED-Lampen nicht unter die Position 8541 ein, weil die LED-Lampen nicht nur aus Leuchtdioden, sondern auch aus zahlreichen anderen Komponenten bestanden, die für ihre Funktion erforderlich waren, wie einem Glaskolben, einem PCB und einer Fassung (EuGH 8.12.2016, Lemnis Lighting BV, C-600/15, Rn 21 bis 24 und 43 bis 46).

34       Die vom Zollamt ua. in der Revisionsbeantwortung bezweifelte Gültigkeit der in der Beschwerde erwähnten Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1037/2014 der Kommission vom 25. September 2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur, ABl. L 287 vom 1. Oktober 2014, kann im Revisionsfall dahin gestellt bleiben.

35       In den vorliegenden Revisionsfällen waren offenbar Leuchtdioden mit anderen Bestandteilen zusammengesetzt. Dabei kommt auch der AV 3 b) (Waren aus verschiedenen Bestandteilen) Bedeutung zu, wonach die Ware nach dem Bestandteil einzureihen ist, der ihr ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Bestandteil ermittelt werden kann. Die Frage der Funktion des jeweiligen „LED-Moduls“ ist an Hand der Anmerkung 4 zu Abschnitt XVI der KN entscheidend. Und schließlich ist die Anmerkung 8 letzter Satz zu Kapitel 85 der KN zu beachten, wenn die in Rede stehenden Waren aus den in dieser Anmerkung 8 Buchstabe a beschriebenen Waren bestehen. All dies kann dazu führen, dass die in Rede stehenden Waren als Leuchtdioden einzureihen sind.

36       Zu einer solcherart vorzunehmenden Einreihung sind Feststellungen über die genaue Beschaffenheit und die Funktion der in Rede stehenden Waren erforderlich, welche das angefochtene Erkenntnis indes nicht enthält. Das Bundesfinanzgericht erwähnt lediglich die Bestandteile, welche die Waren enthielten. Die Art der Verbindung und des Zusammenspiels dieser Bestandteile, die Funktion der Bestandteile (etwa der erwähnten gedruckten Schaltung) und vor allem die Funktion der Ware selbst wird nicht beschrieben.

37       Das Fehlen der in den angefochtenen Erkenntnissen vermissten unabdingbaren Sachverhaltsfeststellungen stellt eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG dar.

38       Es erklärt sich auch daraus, dass schon die Beschwerde den Erfordernissen des § 250 BAO nicht entsprochen hat.

39       § 250 Abs. 2 BAO lautet:

„(2) Wird mit Bescheidbeschwerde die Einreihung einer Ware in den Zolltarif angefochten, so sind der Bescheidbeschwerde Muster, Abbildungen oder Beschreibungen, aus denen die für die Einreihung maßgeblichen Merkmale der Ware hervorgehen, beizugeben. Ferner ist nachzuweisen, dass die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende Ware mit diesen Mustern, Abbildungen oder Beschreibungen übereinstimmt.“

40       Diese Bestimmung erfasst nicht nur Beschwerden gegen Bescheide über verbindliche Zolltarifauskünfte (Art. 33 des Unionszollkodex, früher Art. 12 des Zollkodex der Gemeinschaften), bei denen die Einreihung in den Zolltarif den Spruchgegenstand bildet, sondern alle Fälle, in denen der Spruch eines bekämpften Bescheids von der Einreihung in den Zolltarif abhängt (vgl. VwGH 15.10.2020, Ra 2020/16/0049).

41       Der Verweis in der Beschwerde, die in Rede stehenden Waren „entsprechen“ den in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1037/2014 der Kommission vom 25. September 2014 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur, ABl. L 287 vom 1. Oktober 2014, beschriebenen, bedeutet noch nicht, dass die verfahrensgegenständlichen Waren die in Spalte 1 der Tabelle im Anhang der Verordnung unter „Warenbezeichnung“ angeführte Beschaffenheit und Funktion aufgewiesen hätten. Eine genaue Beschreibung der Beschaffenheit und Funktion der in Rede stehenden Waren enthält die Beschwerde genauso wenig wie eine Abbildung.

42       Die in § 250 Abs. 2 BAO auferlegte Pflicht, Muster, Abbildungen oder Beschreibungen, aus denen die für die Einreihung maßgeblichen Merkmale der Ware hervorgehen, der Bescheidbeschwerde beizugeben, wird nicht dadurch erfüllt, dass vom Zollamt im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahr 2014 Warenproben gezogen worden sein mögen, welche von einer anderen Zollstelle („ETOS-Erledigungen“ des damaligen Zollamts Wien, Zentralstelle für Verbindliche Zolltarifauskünfte) untersucht worden sind (vgl. auch VwGH 12.6.2020, Ra 2017/16/0116).

43       Entspricht eine Bescheidbeschwerde nicht dem Erfordernis des § 250 Abs. 2 BAO, ist ein Mängelbehebungsauftrag zu erlassen (§ 85 Abs. 2 BAO). Wird ein solcher nicht fristgerecht erfüllt, gilt die Beschwerde als zurückgenommen und ist sie gemäß § 256 Abs. 3 BAO von der Behörde mit Beschwerdevorentscheidung oder vom Verwaltungsgericht mit Beschluss als zurückgenommen zu erklären (vgl. abermals VwGH 12.6.2020, Ra 2017/16/0116).

44       Das Verwaltungsgericht, welchem keine den Erfordernissen des § 250 BAO entsprechende Beschwerde vorliegt, ist zu einer Sachentscheidung nicht zuständig. Trifft es eine solche dennoch, ohne dass zuvor ein Mängelbehebungsauftrag erteilt und fristgerecht erfüllt wurde, so belastet es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (vgl. etwa VwGH 15.10.2020, Ra 2020/16/0049; und VwGH 19.12.2017, Ro 2017/16/0011).

45       In den vorliegenden Revisionsfällen wurden die in § 250 Abs. 2 BAO genannten Unterlagen, welche zur Sachverhaltsfeststellung erforderlich sind, weder der Beschwerde beigegeben noch wurde ein Mängelbehebungsauftrag erteilt noch sind diese Unterlagen ohne einen solchen Mängelbehebungsauftrag nachgereicht worden. Dennoch traf das Bundesfinanzgericht die angefochtenen Sachentscheidungen.

46       Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.

47       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-AufwErsV.

Wien, am 26. Mai 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62019CJ0772 Bartosch Airport Supply Services VORAB
EuGH 62020CJ0062 Vogel Import Export VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018160110.L00

Im RIS seit

28.07.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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