TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/17 W234 2194681-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2021
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Entscheidungsdatum

17.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs1a

Spruch


W234 2194681-1/47E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.09.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides zu lauten haben:

„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 19.11.2013 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Georgien abgewiesen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.        XXXX (im Folgenden Beschwerdeführer) stellte erstmals am 29.03.2008 – unter dem Namen XXXX und dem Geburtsdatum XXXX – einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom damaligen Bundesasylamt mit Bescheid vom 15.07.2008, Zl. XXXX , abgewiesen wurde. Das darauffolgende Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof wurde mit Verfahrensanordnung vom 14.07.2010, Zl. XXXX , eingestellt, weil der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers unbekannt war.

2.       Am 19.11.2013 stellte der Beschwerdeführer – nunmehr unter der im Spruch angeführten Identität – erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, dass die Fluchtgründe des ersten Antrages nicht ganz wahr gewesen seien. Er habe in Georgien kein Zuhause. In seiner Heimat Ossetien werde er aufgrund seines georgischen Familiennamens gehasst. Seine Lebensgefährtin XXXX und die gemeinsame Tochter XXXX würden zudem in Österreich leben.

3.       In der am 16.05.2017 erfolgten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) führte der Beschwerdeführer aus, dass er der georgischen Volksgruppe angehöre und sich zum georgisch-orthodoxen Glauben bekenne. Er spreche die Sprachen Georgisch, Russisch, Deutsch und Ossetisch. Er habe 2008 in den Niederlanden, 2009 in Deutschland und 2012 in der Schweiz einen Asylantrag gestellt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er sei nach Österreich gekommen, weil er in Ossetien keine Perspektive mehr gehabt habe. Aufgrund seines georgischen Nachnamens habe ihm jeder gesagt, dass er ihnen aus dem Wege gehen solle. In Georgien habe er weder ein Haus noch ein Grundstück, er sei beim Bruder seines Großvaters in Georgien gemeldet. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer zudem an, dass er 2006 oder 2007 den Militärdienst verweigert habe und dass er deswegen bei einer Rückkehr Probleme bekommen könne.

4.       Am 01.03.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut vom Bundesamt einvernommen. Dabei wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus der vorherigen Einvernahme.

5.       Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III). Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt IV und V). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 04.06.2017 verloren habe (Spruchpunkte VI und VII). Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise und es wurde ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren erlassen (Spruchpunkte VIII und IX).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer kein glaubhaftes Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung darzulegen vermocht habe. So habe er stets nur vorgebracht, dass er in Georgien nichts hätte und auch in Ossetien keine Möglichkeit zu leben hätte. Eine Diskriminierung aufgrund des verweigerten Wehrdienstes sei für das Bundesamt nicht glaubhaft, weil es in Georgien die Möglichkeit gebe, einen Wehrersatzdienst zu leisten. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen schweren Raubes liege zudem ein Ausschlussgrund vor.

6.       Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 04.05.2018 Beschwerde in vollem Umfang erhoben. Der Beschwerdeführer habe Georgien aufgrund wiederkehrender Diskriminierungen verlassen; er verfüge dort zudem über keine Lebensgrundlage. Aufgrund des Familienlebens des Beschwerdeführers überwiege sein individuelles Interesse am Verbleib in Österreich das öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

7.        Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2018, GZ W234 2194681-1/8E, wurde Spruchpunkt VI (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) ersatzlos aufgehoben.

8.       Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.04.2019, Ro 2019/18/0001, wurde das Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben.

9.       Am 09.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die georgische Sprache eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtvertretung sowie ein Vertreter des Bundesamtes teilnahmen. Dabei wurde der Beschwerdeführer zu seiner Integration in Österreich, seiner bisherigen Ausbildung und Berufserfahrung, seiner Familiensituation sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Es wurde zudem die ehemalige Lebensgefährtin XXXX als Zeugin zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers – insbesondere zu seinem Verhältnis zur gemeinsamen Tochter XXXX – befragt.

10.      Am 13.10.2020 nahm das Bundesamt Stellung zum Beschwerdeverfahren und verwies auf eine erneute strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers. Dieser stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und es werde daher die Erhöhung der Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre beantragt.

11.      Mit Schreiben vom 27.10.2020 nahm die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers dazu Stellung und betonte das Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich. Das individuelle Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich überwiege das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung.

12.      Mit Schreiben vom 08.01.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien das neue Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Georgien (Gesamtaktualisierung vom 02.12.2020) und gab ihnen die Möglichkeit, sich dazu binnen einer Frist von drei Wochen dazu zu äußern.

Es erfolgten diesbezüglich keinen Stellungnahmen der Parteien.

13.      Mit Schreiben vom 20.01.2021 bevollmächtigte der Beschwerdeführer die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH mit der Vertretung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer weist die im Spruch bezeichnete Identität auf. Er ist jedenfalls auch Staatsangehöriger Georgiens, gehört der georgischen Volksgruppe an und bekennt sich zum georgisch-orthodoxen Glauben. Seine Muttersprachen sind Georgisch und Ossetisch, zudem spricht er Russisch. Er hat – bis er Georgien 2006 erstmal verließ – abwechselnd im Dorf XXXX , Ossetien, und in der Stadt XXXX gelebt. Damals lebte die Familie von der Landwirtschaft des Großvaters des Beschwerdeführers und der Tischlerei der Familie.

Der Beschwerdeführer hat zwei Deutschkurse der Niveaus A1 sowie A2/B1 besucht, über seine Kenntnisse jedoch keine Prüfungen abgelegt. Der Beschwerdeführer versteht alltägliches Deutsch durchgehend und kann sich – von grammatikalischen Ungereimtheiten abgesehen – gut auf Deutsch ausdrücken.

Er wurde am 03.10.2018 nach Georgien abgeschoben und ist seit Mitte Dezember 2018 wieder im Bundesgebiet aufhältig. Vor der Abschiebung war er ab 2006 mit Unterbrechungen (während Aufenthalten in anderen EU-Staaten) bislang in Summe über zehn Jahre in Österreich aufhältig; jedenfalls seit 2012 hielt sich der Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf.

1.1.2. Der Beschwerdeführer besuchte in Georgien neun Jahre lang die Schule und weist praktisch angeeignete Kenntnisse der Berufe des Automechanikers und Tischlers auf.

1.1.3. Die Tochter des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , lebt bei ihrer Mutter, XXXX (der ehemaligen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers), in Österreich. Beide sind russische Staatsangehörige und zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt. Ansonsten hat der Beschwerdeführer im Bundesgebiet lediglich entfernte Verwandte, zu welchen kein näherer Kontakt besteht.

Im Herkunftsstaat leben unter anderem die Eltern sowie zwei Schwestern des Beschwerdeführers. Bis zu seiner Inhaftierung hatte der Beschwerdeführer regelmäßig telefonischen Kontakt zu seinen Eltern und unregelmäßig zu den übrigen Verwandten im Herkunftsstaat. Bei seinem letzten Aufenthalt in Georgien von Anfang Oktober bis Mitte Dezember 2018 wohnte der Beschwerdeführer abwechselnd bei seinem Vater in XXXX sowie bei Cousinen seiner Großmutter mütterlicherseits in XXXX , einem Dorf an der Grenze zu Ossetien. Während dieses Aufenthalts wurde der Beschwerdeführer durch seine Verwandten auch mit Nahrung versorgt. Die Eltern des Beschwerdeführers besitzen ein Haus in XXXX . Die Eltern des Beschwerdeführers würden ihm nach seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat wieder ein Obdach bieten; die Verwandten des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat sind jedoch nicht dazu in der Lage, den Beschwerdeführer dauerhaft finanziell zu unterstützen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist – abgesehen von seiner Suchtmittelabhängigkeit – gesund und er ist arbeitsfähig. Er war in Österreich für acht Monate des Jahres 2015 selbstständig erwerbstätig und bezog in der übrigen Zeit seines Aufenthalts in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung. Nahezu jeden Monat wird er von Cousins, die in Frankreich und den USA ansässig sind, im Umfang von Euro 200 finanziell unterstützt.

1.1.5. Der Beschwerdeführer unterhält freundschaftliche Beziehungen zu dauerhaft in Österreich aufhältigen Personen. Er ist nicht Mitglied in Vereinen und sonstigen Organisationen in Österreich; bis 2010 war der Beschwerdeführer Mitglied in einem Judoklub in Österreich. Abgesehen von zwei Deutschkursen besuchte der Beschwerdeführer in Österreich keine Ausbildungen oder sonstige Kurse.

1.1.6. Der Beschwerdeführer wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit rechtskräftigem Urteil vom 29.01.2018, Zl. XXXX wegen schweren Raubes und Nötigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Konkret wurde es zunächst als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer mit einem Mittäter im Frühjahr 2017 im bewussten und gewollten Zusammenwirken einem unbekannten Suchtgifthändler unter Verwendung einer Waffe 43 Säckchen Heroin, 8 Gramm Kokain, 3 Gramm Marihuana und zumindest Euro 300,- an Bargeld weggenommen bzw. abgenötigt hat, indem er das Tatopfer mit einer ausgefahrenen Stahlrute bedrohte und zur Übergabe des Suchtgiftes sowie von Bargeld aufforderte, woraufhin das Tatopfer das Bargeld und das Heroin aushändigte. Ferner wurde es als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer Ende April 2017 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern einen unbekannten Suchtgifthändler mit Gewalt zur Herausgabe eines Bargeldbetrages von Euro 20,- genötigt hat, indem er ihn im Halsbereich gewaltsam fixierte und zur Übergabe des Bargeldes aufforderte, wobei das Tatopfer dieser Aufforderung nachkam und einen Bargeldbetrag von Euro 20,- aushändigte. Bei der Strafbemessung wurden die Faktenmehrheit als erschwerend und das teilweise Geständnis sowie die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers als mildernd berücksichtigt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 05.02.2020, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Es wurde als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer am 24.12.2019 versucht hat, fremde bewegliche Sachen, nämlich diverse alkoholische Getränke im Gesamtwert von EUR 347,92 Gewahrsamsträgern der Firma XXXX mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Bei der Strafbemessung wurde als erschwerend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bereits einmal wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt worden war; als mildernd wurden das reumütige Geständnis sowie der Umstand berücksichtigt, dass es beim Versuch geblieben ist.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.09.2020, Zl. XXXX , wegen (teilweise versuchten) schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Unter einem wurden sowohl die bedingte Entlassung aus der ersten Freiheitsstrafe als auch die bedingte Nachsicht der zweiten Freiheitsstrafe widerrufen. Es wurde als erwiesen angenommen, dass der Beschwerdeführer Gewahrsamsträgern gewerbsmäßig sowie als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, teils unter Mitwirkung anderer Mitglieder dieser Vereinigung, fremde bewegliche Sachen in einem € 5.000,-- übersteigenden Wert, mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Konkret hat der Beschwerdeführer zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt zwischen 24.11. und 27.11.2019 Dachboxen, Sportausrüstung und Werkzeug im Gesamtwert von € 3.917,-- durch Einbruch in einen umschlossenen Raum, indem er die Öse eines Kellerabteils durchtrennte, weggenommen. Ferner hat er mit einem Mittäter Gewahrsamsträgern der XXXX am 18.12.2019 Waren im Gesamtwert von € 484,37, am 08.01.2020 Waren im Gesamtwert von € 1.359,60 und am 15.01.2020 Waren im Gesamtwert von € 1.132,25 weggenommen. Ferner hat er mit einem Mittäter Gewahrsamsträgern der XXXX am 10.3.2020 Waren im Gesamtwert von € 380,53 weggenommen. Schließlich hat er versucht, zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt zwischen 24.11.2019 und 27.11.2019 stehlenswertes Gut durch Einbruch in einen umschlossenen Raum, wegzunehmen, indem er versuchte, ein (weiteres) Kellerabteil aufzubrechen. Für die Strafbemessung wurden das Geständnis und der teilweise Versuch mildernd sowie die doppelte Qualifikation, zwei einschlägige Vorstrafen in Österreich und der rasche Rückfall als erschwerend berücksichtigt.

1.2.    Zum Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Tochter:

Der Beschwerdeführte wohnte seit der Geburt der Tochter (am XXXX ) mit ihr und der Kindesmutter in einem Haushalt. Nach seiner Inhaftierung von 01.06.2017 bis 01.10.2018 sowie der daran unmittelbar anschließenden Abschiebung nach Georgien teilte sich der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr Mitte Dezember 2018 erneut den Wohnsitz mit seiner Tochter und der Kindesmutter. Seit Juli oder August 2019 übernachtete der Beschwerdeführer nur mehr unregelmäßig in der gemeinsamen Wohnung. Die Partnerschaft mit der Kindesmutter endete im Jänner oder Februar 2020, der Beschwerdeführer verblieb noch bis April 2020 in der Wohnung. Danach besuchte er seine Tochter jeden bis jeden zweiten Tag. Am 29.05.2020 wurde der Beschwerdeführer erneut inhaftiert und verbüßt eine Freiheitsstrafe bis 29.11.2022. Seither wurde er weder durch seine Tochter noch die Kindesmutter in Haft besucht, weil die Kindesmutter dies nicht möchte. Seit der Festnahme besteht auch sonst kein Kontakt des Beschwerdeführers zu Tochter, Kindesmutter und sonstigen Angehörigen.

Bis Februar oder März 2020 trug der Beschwerdeführer mit ca. 150 bis 200 € zum Haushaltseinkommen bei. Seither unterstützte er die Familie durch die Renovierung des Kinderzimmers im Mai 2020.

Die mit der Obsorge verbundenen Verpflichtungen wie insbesondere die tägliche Betreuung sowie die Beförderung der Tochter zu diversen Terminen übernimmt schon seit dem dritten Lebensjahr des Kindes alleine die Kindesmutter. Denn der Beschwerdeführer erwies sich für die Kindesmutter als zu unzuverlässig, als dass er mit derlei Aufgaben hätte betraut werden können.

Die Beibehaltung des aufgrund der Inhaftierung erfolgten Kontaktabbruchs zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter liegt nach Ansicht der Kindesmutter derzeit im Interesse des Wohles der Tochter, weil sie dieser nicht zumuten will, dass der Beschwerdeführer erneut unvorhersehbar im Leben der Tochter an- und dann wieder abwesend ist. Sollte sich der Beschwerdeführer in Zukunft als nicht mit Drogen in Kontakt stehend und verlässlich erweisen, ist die Kindesmutter offen dafür, dass er wieder Kontakt zur Tochter unterhält und sie bei deren Betreuung unterstützt, rechnet mangels bisheriger Verlässlichkeit jedoch nicht damit. Die Kindesmutter ist jedoch nicht dafür offen, dass der Beschwerdeführer mit ihr und der gemeinsamen Tochter wieder einen Wohnsitz teilt.

Tochter und Beschwerdeführer sind einander zugetan; die Tochter vermisst den Beschwerdeführer wegen seiner gegenwärtigen Abwesenheit infolge seines Freiheitsentzuges.

Die Kindesmutter wäre dazu bereit, den Beschwerdeführer nach Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet in Georgien wie in der Russischen Föderation mit der Tochter zu besuchen. Sie wäre dazu einmal pro Jahr finanziell in der Lage. Sie verfügt jedoch über kein gültiges Reisedokument; ihre Versuche, sich durch die Botschaft in Wien einen neuen russischen Reisepass ausstellen zu lassen, sind genauso gescheitert wie ihre Versuche, einen österreichischen Fremdenpass ausgestellt zu bekommen. Derzeit sind ihr Auslandsreisen nach Georgien wie in die Russische Föderation also nicht möglich.

1.3.    Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist sein weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch wurde der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005.

1.4.    Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass das Kindeswohl der Tochter der Fortsetzung des gegenwärtigen Kontaktabbruchs zum Beschwerdeführer derzeit nicht entgegensteht.

1.5.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer drohen in seinem Herkunftsstaat aktuell keinerlei Übergriffe irgendeiner Art ernstlich. Ihm drohen insbesondere keine Konsequenzen aufgrund seines nicht geleisteten Wehrdienstes ernstlich. In den unter der georgischen Staatsgewalt stehenden Landesteilen (d.h. mit Ausnahme der Regionen Abchasien und Südossetien) drohen dem Beschwerdeführer auch keine Diskriminierungen aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit hier relevanter Intensität ernstlich.

Bei einer Rückkehr droht der Beschwerdeführer nicht in eine seine Existenz bedrohende Lage zu geraten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Georgien:

Als örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat werden folgende Kapitel des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Georgien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 02.12.2020 festgestellt:

„2 COVID-19

Letzte Änderung: 01.12.2020

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg der positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020; vgl. WOM 30.11.2020). COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 30.11.2020a).

Tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen werden von der Regierung auf der Webseite https://stopcov.ge/en/ veröffentlicht (Stop-CoV.ge o.D.).

Aufgrund der steigenden Zahlen wurden mit Wirkung vom 28.11.2020 unter anderem folgende Beschränkungen landesweit, vorerst bis 31.1.2021, in Kraft gesetzt: Während der nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr sind öffentliche und private Verkehrsbewegungen, einschließlich zu Fuß gehen, sowie der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht gestattet. Der öffentliche Überlandverkehr einschließlich Bahn, Bus und Kleinbus ist ganztägig eingestellt. Reisen in Kleinfahrzeugen (einschließlich Taxis) sind – außerhalb der nächtlichen Ausgangssperre – zulässig. Es herrscht eine Tragepflicht von Gesichtsmasken im Freien sowie in allen geschlossenen öffentlichen Räumen. Personen über 70 Jahren wird empfohlen, zu Hause zu bleiben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Für die Großstädte Tiflis, Batumi, Kutaissi, Rustawi, Poti, Sugdidi und Telawi sowie die Wintersportorte Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia gelten zusätzlich u.A. folgende Einschränkungen: Der innerstädtische öffentliche Verkehr ist vollständig eingestellt. Geschäfte sind geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Hygieneprodukten und Kiosken für Printmedien. Agrarmärkte, Schönheitssalons, Friseurläden und Zentren für ästhetische Medizin sind weiterhin in Betrieb. Kindergärten sind geschlossen, Schulen und Universitäten bieten ausschließlich Fernlehre an (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Für die Periode Neujahr-Weihnachten (24.12.2020 bis 15.1.2021) werden einzelne Beschränkungen gelockert (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Die Einschränkungen von Linienflügen nach Georgien wurden mit 1.11.2020 gelockert, seither sind auch wieder Linienflüge nach XXXX ex Wien erlaubt (GCAA 21.10.2020). Diese Flüge werden Stand Ende November 2020 einmal wöchentlich von Georgian Airways durchgeführt (F24 30.11.2020; vgl. VIE 30.11.2020).

Bei der Einreise aus dem Ausland müssen sich georgische Staatsangehörige sowie ihre Familienangehörigen für 8 Tage in Selbstisolation begeben, wenn sie an der Grenzübertrittsstelle einen negativen PCR-Test nicht älter als 72 Stunden vorweisen können. Sollte ein solcher Test nicht vorgewiesen werden, wird eine obligatorische Quarantäne verhängt (MoF o.D.; vgl. StopCoV.ge o.D.) und die Person wird in eine Quarantänezone verbracht (StopCoV.ge o.D.). In den Wintersportorten Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia werden Hotels ausschließlich als Quarantäne- oder COVID-Unterkünfte betrieben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Quellen:

?        Agenda.ge (26.11.2020): Georgian gov’t introduces further coronavirus restrictions until Jan. 31, https://agenda.ge/en/news/2020/3722, Zugriff 30.11.2020

?        CW - Caucasus Watch (27.11.2020): Council of Europe reports on Abkhazia and Tskhinvali, https://caucasuswatch.de/news/3289.html, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (18.9.2020): Georgia experiences its first wave of COVID-19, https://eurasianet.org/georgia-experiences-its-first-wave-of-covid-19, Zugriff 30.11.2020

?        F24 – Flightradar24 (30.11.2020): TBS/UGTB Tbilisi International Airport, Georgia - Routes Tbilisi, https://www.flightradar24.com/data/airports/tbs/routes, Zugriff 30.11.2020

?        GCAA – Georgian Civil Aviation Agency (21.10.2020): News and Statements - 21 Oct. ’20 | Information for Passengers, http://www.gcaa.ge/eng/news.php?id=6285, Zugriff 30.11.2020

?        Jam News (16.10.2020): Georgia: coronavirus patients from the other side of territorial conflict, https://jam-news.net/coronavirus-georgia-treatment-abkhazia-south-ossetia, Zugriff 30.11.2020

?        MoF – Ministry of Foreign Affairs of Georgia (o.D.): Regulations for Crossing the Georgian Border in connection with the COVID-19 pandemic, https://mfa.gov.ge/MainNav/CoVID-19-sakitkhebi/sazgvris-kvetis-regulaciebi.aspx?fbclid=IwAR0PQsqZ2jc22Etm9gyMDFzetGwWktKodcpXUVW4Op1HEZImKTEXi4SyUbU&lang=en-US%20%20, Zugriff 30.11.2020

?        StopCoV.ge (o.D.): Prevention of Coronavirus Spread in Georgia, https://stopcov.ge/en/ , Zugriff 30.11.2020

?        USEMB – U.S. Embassy in Georgia (30.11.2020a): COVID-19 Information for Georgia (November 30), https://ge.usembassy.gov/covid-19-information-on-georgia/, Zugriff 30.11.2020

?        USEMB – U.S. Embassy in Georgia (30.11.2020b): Measures to control the spread of COVID-19 in Georgia, https://ge.usembassy.gov/u-s-citizen-services/measures-to-control-the-spread-of-covid-19-in-georgia/, Zugriff 30.11.2020

?        VIE – Flughafen Wien-Schwechat / Vienna International Airport (30.11.2020): Routes - Vienna International Airport (VIE), http://tracker.flightview.com/customersetup/viennaairport/routemapper/, Zugriff 30.11.2020

?        WOM – Worldometer (30.11.2020): Coronavirus – Georgia, https://www.worldometers.info/coronavirus/country/georgia/, Zugriff 30.11.2020

3 Politische Lage

Letzte Änderung: 01.12.2020

In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 10.3.2020).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 10.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in XXXX und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor und forderten vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020); vgl. Jam 26.11.2020.

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weit verbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020); vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020).

Laut Gesetz muss die Zentrale Wahlkommission bis spätestens 19. Dezember 2020 das endgültige Wahlergebnisse bekannt geben und das neue Parlament muss spätestens zehn Tage nach der offiziellen Bekanntgabe der Wahlergebnisse zusammentreten. Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020).

Stand Ende November 2020 ist es weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben. Im Extremfall könnte die politische Krise nur durch vorgezogene Neuwahlen im Frühling 2021 gelöst werden (Jam 26.11.2020).

Quellen:

?        civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 9.3.2020

?        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 12.8.2019

?        DW – Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 13.8.2019

?        EN – Euronews (2.11.2020): Georgia’s ruling party wins parliamentary vote, opposition calls for protests, https://www.euronews.com/2020/10/31/georgia-s-ruling-party-claims-victory-in-parliamentary-vote, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (27.11.2020): Georgian politics still deadlocked after runoff polls, https://eurasianet.org/georgian-politics-still-deadlocked-after-runoff-polls , Zugriff 30.11.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 12.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

?        Jam News (26.11.2020): Georgia: can a single-party parliament function?, https://jam-news.net/georgia-can-a-single-party-parliament-work-function/, Zugriff 30.11.2020

?        KP – Kaukasische Post (11.4.2020): Neues Wahlrecht mit Virus infiziert? in: Kaukasische Post Ausgabe März 2020, Seiten 1,2.

?        KP – Kaukasische Post (23.11.2019): Vorhängeschlösser und Wasserwerfer ersetzen den politischen Diskurs, http://www.kaukasische-post.com/?p=3078, Zugriff 17.1.2020

?        KP – Kaukasische Post (26.11.2020): Alle Wahlen wieder, in: Kaukasische Post Ausgabe Oktober/November 2020. Seiten 1,2.

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (1.11.2020): International Election Observation Mission Georgia

?        Parliamentary Elections, 31 October 2020 – Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/files/f/documents/a/d/469005.pdf, Zugriff 30.11.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (29.11.2018): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 12.8.2019

?        RFE/RL– Radion Free Europe/Radion Liberty (28.11.2019): Georgian Police Cordon Off Parliament Building To Prevent Opposition Rally, https://www.rferl.org/a/georgian-police-cordon-off-parliament-building-to-prevent-opposition-rally/30297334.html, Zugriff 2.12.2019

?        Standard, der (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen – https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 12.8.2019

4 Sicherheitslage

Letzte Änderung: 02.09.2020

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. (EDA 23.3.202013.8.2019; vgl. BMEIA 13.5.2020). Die Kriminalität ist gering (MSZ 25.5.2020; vgl. EDA 23.3.2020).

Die EU unterstützt durch dieArbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die EU- Beobachtermission (EUMM) aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung. 2009 wurde der Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM) geschaffen, der Risiko- und Sicherheitsfragen der Gemeinden in den abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetens erörtern soll (EC 30.1.2019).

Quellen:

?        BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten der Republik Österreich (13.5.2020): Reiseinformation Georgien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reise information/land/georgien/ , Zugriff 10.6.2020

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_repor t_georgia.pdf , Zugriff 30.1.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (13.8.2019): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html , Zugriff 23.3.2020

?        MSZ – Ministerstwo Spraw Zagranicznych Rzeczypospolitej Polskiej (25.5.2020): Informacje dla podró?uj?cych – Gruzja, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/gruzja , Zugriff 10.6.2020

[…]

4.2 Südossetien

Letzte Änderung: 02.09.2020

Südossetien – amtliche Bezeichnung in Georgien auch: Region Tskhinvali – hat eine Fläche von ca. 3.900 km² (gov.ge o.D.) und eine Bevölkerung von ca. 53.000 (Jam 20.2.2016). Große Teile Südossetiens wurden nach dem Ende eines Bürgerkriegs 1992 de facto unabhängig. Der Krieg im Jahr 2008 führte zum Einmarsch russischer Truppen und zur Vertreibung der zuvor noch bestehenden georgischen Regierungspräsenz sowie etlicher ethnischer Georgier. Nur Russland und eine Handvoll anderer Staaten haben seither die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt. Das Territorium bleibt fast vollständig von Russland abhängig und Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf die Politik und die Regierungsführung aus (FH FH 4.3.2020s).

Im März 2019 drückte eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates erneut große Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Südossetien aus, wobei insbesondere Entführungen, willkürliche Festnahmen, Verletzung von Eigentumsrechten, das Fehlen muttersprachlichen Schulunterrichts, mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Verweigerung des Rückkehrrechts für die geflüchtete georgische Bevölkerung genannt werden. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um diese zur Abwanderung zu bewegen. Dagegen ist die Anwesenheit der im Gebiet von Akhalgori [Leningor] lebenden Georgier gegenwärtig akzeptiert (AA 19.10.2019, vgl. FH 4.3.2020s). Die südossetischen de facto-Behörden verweigern den meisten wegen des Konflikts von 2008 vertriebenen ethnischen Georgiern die Rückkehr nach Südossetien und erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang nach Südossetien zur Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 11.3.2020).

Die russische ’Grenzverfestigung’ (borderization) der administrativen Grenze (ABL) geht weiter, sodass Anrainer von ihren Gemeinden bzw. Lebensgrundlagen getrennt werden (USDOS 11.3.2020, vgl. AI 7.2019). Die Dorfbewohner - einige leben in den ärmsten Teilen des Landes verlieren Zugang zu Weiden, Ackerland und Obstgärten, zu Wasserquellen und Brennholz. Sie sind von ihren Verwandten und Einkommensgrundlagen ebenso abgeschnitten wie vom kulturellen und sozialen Leben. Jedes Jahr werden Hunderte von Menschen willkürlich festgehalten, während sie versuchen, die ABL zu überqueren (AI 7.2019).

Die Parlamentswahlen fanden im Juni 2019 statt. Trotz besserer Gesetze konnten sich viele Regierungskritiker und Anhänger der Opposition nicht zur Kandidatur anmelden, was der Regierungspartei half, ihre Dominanz im Parlament aufrechtzuerhalten. Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf Politik und Regierungsführung aus und schränkt die Möglichkeiten politischer Parteien erheblich ein, sich außerhalb eines engen politischen Spektrums frei zu betätigen (FH 4.3.2020s).

Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zwischen Südossetien und Georgien wurden 2019 verschärft. Wie in den vergangenen Jahren wurden Dutzende georgischer Bürger von südossetischen Grenzschutzbeamten in der Nähe der administrativen Grenze zum Rest Georgiens festgehalten und gegen Zahlung einer Geldstrafe freigelassen. Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahren wurden die Grenzübergänge zu Kerngeorgien 2019 ohne Vorankündigung für längere Zeit geschlossen (FH 4.3.2019s).

Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, Die Redefreiheit wird unterdrückt und ein Klima von Angst und Einschüchterung ist weit verbreitet (AI 8.4.2020). Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, Selbstzensur ist weit verbreitet und gegen kritische Medien werden häufig Verläumdungsklagen eingebracht. Aufgrund des erheblichen russischen Einflusses auf die Innenpolitik und Entscheidungsfindung arbeitet die Regierung Südossetiens nicht transparent. Behörden-Korruption ist weit verbreitet. Ein systematischer Zugang diese zu bekämpfen besteht nicht. Die Justiz ist nicht unabhängig. Sie unterliegt politischer Einflussnahme und Manipulation und dient zur Bestrafung vermeintlicher politischer Gegner. Körperliche Übergriffe und schlechte Bedingungen sind Berichten zufolge in Gefängnissen und Haftanstalten weit verbreitet (FH 4.3.2019s).

Die Bewohner demonstrieren gelegentlich gegen Umweltzerstörung, das schleppende Tempo des Wiederaufbaus nach dem Krieg und seltener gegen politische Missstände. Die Versammlungsfreiheit ist jedoch stark eingeschränkt. Teilnehmer an nicht genehmigten Versammlungen laufen Gefahr, angeklagt zu werden (FH 4.3.2019s).

Die Mehrheit der Bevölkerung sind orthodoxe Christen. Es gibt aber auch eine beträchtliche muslimische Gemeinschaft. Ein Teil des Eigentums der georgisch-orthodoxen Kirche wird von der südossetisch-orthodoxen Kirche kontrolliert. Der Oberste Gerichtshof Südossetiens hat im Jahr 2017 die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation verboten (FH 4.3.2019s).

Im Zuge der Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde Anfang April 2020 die Grenze zu Russland auch für den Güterverkehr geschlossen und somit Südossetien effektiv vom Rest der Welt isoliert (Eurasianet 19.4.2020; vgl. Sputnik 10.4.2020, 4.4.2020). Die Sperre bleibt bis zum 31. Juli aufrecht. Südossetische Staatsbürger, die von Russland nach Hause zurückkehren wollen, müssen zuerst einen Antrag beim südossetischen Konsulat in Nordossetien [Wladikawkas] stellen. Darüber hinaus haben die südossetischen Behörden die Grenze zu Georgien vollständig geschlossen (RES 6.7.2020; vgl. IWPR 30.5.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        AI – Amnesty International (8.4.2020): South Ossetia/Tskhinvali Region: Persecution of Journalists who speak out [EUR 56/2112/2020], https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR562112 2020ENGLISH.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AI – Amnesty International: Georgia: Behind barbed wire (7.2019): Human rights toll of ’borderization’ in Georgia [EUR 56/0581/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2012567/EUR5605812019 ENGLISH.PDF , Zugriff am 20.8.2019

?        Eurasianet (19.4.2020): Dashboard: Coronavirus in Eurasia, https://eurasianet.org/dashboard-cor onavirus-in-eurasia , Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020s): Freedom in the World 2020 - South Ossetia, https://freedomh ouse.org/country/south-ossetia/freedom-world/2020, Zugriff 16.6.2020

?        gov.ge – Government of Georgia (o.D.): http://www.gov.ge/index.php?lang_id=GEO&sec_id=214 , Zugriff 17.1.2020

?        IWPR – Institute for War & Peace Reporting (30.5.2020): South Ossetia Grapples with Covid-19, https://iwpr.net/global-voices/south-ossetia-grapples-covid-19 , Zugriff 5.6.2020

?        Jam News (20.2.2016): How many people live today in South Ossetia?, https://jam-news.net/how -many-people-live-today-in-south-ossetia/ , Zugriff 17.1.2020

?        RES - Staatliche Nachrichtenagentur ’Res’ der Republik Südossetien (6.7.2020): ??????????? ??? 85: ? ????? ?????? ?? ???????? ????? ??????? ??????????? ?????????????, http://co minf.org/node/1166530895 , Zugriff 10.7.2020

?        Sputnik News Južnaja Osetija (10.4.2020): ??????? ????? ?????? ? ??????? ????? ??????? ?? 1 ???, https://sputnik-ossetia.ru/South_Ossetia/20200410/10401609/Granitsa-Yuzhnoy-Osetii -s-Rossiey-budet-zakryta-do-1-maya-.html , Zugriff 20.4.2020

?        Sputnik News Južnaja Osetija (4.4.2020): ????? ?????? ????????? ?????????? ???????? ????????? ? ???????, https://sputnik-ossetia.ru/South_Ossetia/20200404/10371566/YuzhnayaOsetiya-polnostyu-prekratila-dorozhnoe-soobschenie-s-Rossiey.html , Zugriff 20.4.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices:

?        Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 12.3.2020

5 Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 02.09.2020

Georgien hat bei der Reform des Justizsektors bescheidene Fortschritte erzielt. Es gibt noch immer wichtige Herausforderungen, um die erzielten Fortschritte zu konsolidieren und die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft hat Bedenken hinsichtlich einer möglichen politischen Einmischung in die Justiz und den Medienpluralismus. Die wirksame Umsetzung der Rechtsvorschriften zu Menschenrechten und Antidiskriminierung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Am 23.3.2018 schloss das georgische Parlament den Prozess der Verfassungsreform ab. Die überarbeitete Verfassung enthält neue Bestimmungen über die Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Kinderrechte (EC 30.1.2019).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 19.10.2019).

Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 10.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

6 Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 02.09.2020

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (USDOS 11.3.2020).

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter des Gesetzes werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 19.10.2019).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (USDOS 11.3.2020) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.202013.3.2019).

Das 2018 geschaffene Büro der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) nahm seine Arbeit am 1.11.2019 auf (HRW 14.1.2020). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS 22.8.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10.pdf, Zugriff 30.1.2020

?        Eurasianet (19.4.2020): Dashboard: Coronavirus in Eurasia, https://eurasianet.org/dashboard-coronavirus-in-eurasia, Zugriff 20.4.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Georgia, https://www.hrw.org/worl d-report/2020/country-chapters/georgia , Zugriff 17.1.2020

?        SIS - State Inspector‘s Service (22.8.2019): Who we are? https://personaldata.ge/en/about-us# , Zugriff 22.8.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-R EPORT.pdf , Zugriff 12.3.2020

[…]

8 Korruption

Letzte Änderung: 02.09.2020

In Bezug auf die Prävention und Bekämpfung von Korruption hat Georgien seine Antikorruptionsstrategie und den mit den Verpflichtungen der EU-Assoziationsagenda im Einklang stehenden Aktionsplan weiter umgesetzt. Allerdings bestehen nach wie vor einige Bedenken hinsichtlich Korruption auf hoher Ebene (EC 30.1.2019; vgl. SWP 5.2020).

Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 10.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; SWP 5.2020). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung angeblich die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 10.3.2020; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 10.3.2020).

Im ’Corruption Perceptions Index 2019’ von Transparency International erreichte Georgien 56 von 100 [bester Wert] Punkten und lag damit auf Rang 44 von 180 Ländern (TI 31.1.2020). (2018: 58 Punkte und Rang 41 von 180 Ländern) (TI 29.1.2019). Das Land steht vor einem Rückfall in der Demokratieentwicklung, was es anfällig für Korruption auf hoher Ebene macht. Dieser Rückwärtstrend ist unter anderem auf die mangelnde Rechenschaftspflicht bei der Strafverfolgung, Korruption und politische Einmischung in die Justiz und von der Regierung unterstützte Angriffe auf die unabhängige Zivilgesellschaft zurückzuführen. Trotz der dringenden Notwendigkeit, Fälle von Korruption und Fehlverhalten in der Regierung zu untersuchen, hat Georgien es versäumt, unabhängige Stellen einzurichten, die dieses Mandat übernehmen. Straflosigkeit trägt zum öffentlichen Misstrauen bei. Laut einer 2018 von Transparency International Georgia durchgeführten Umfrage glauben 36% der Bürger, dass Beamte ihre Macht zum persönlichen Vorteil missbrauchen. Das ist ein Anstieg des Wertes verglichen mit nur 12% im Jahr 2013 (TI 5.2019).

Quellen:

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.o rg/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

?        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik / Uwe Halbach (5.2020): SWP-Studie 8 - Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 9.6.2020

?        TI - Transparency International (29.1.2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/GEO , Zugriff 22.8.2019

?        TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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