TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/25 94/05/0056

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Veröffentlicht am 25.03.1997
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L37163 Kanalabgabe Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
L82303 Abwasser Kanalisation Niederösterreich;

Norm

BauO NÖ 1976 §56 Abs1;
BauO NÖ 1976 §56 Abs2;
KanalG NÖ 1977 §17 Abs1;
KanalG NÖ 1977 §17 Abs2;
KanalG NÖ 1977 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der M in W, (nunmehr) vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der NÖ Landesregierung vom 14. September 1993, Zl. R/1-V-92101/00, betreffend Kanalanschluß (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde L, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 18. Dezember 1991 trug der Bürgermeister der mitbeteiligten Statgemeinde gemäß § 17 des NÖ Kanalgesetzes und § 56 der NÖ Bauordnung 1976 der Beschwerdeführerin für ihre Liegenschaft K-Gasse 18 - Z-Weg 13 in L den Anschluß an den öffentlichen Mischwasserkanal bis zum 30. September 1992 auf. In der Begründung wurde ausgeführt, die Liegenschaftseigentümer seien gemäß den im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet, in Gemeinden, in denen zur Ableitung des Niederschlags- und Schmutzwassers eigene Kanäle bestehen, Liegenschaften an den öffentlichen Mischwasserkanal auf eigene Kosten anzuschließen, soferne die Anschlußleitung (von der Grundstücksgrenze bis zum öffentlichen Kanalstrang) nicht länger als 50 m sei.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr ständiger Wohnsitz sei seit 1956 Wien und sie könne aus Gesundheitsgründen das Haus in L nicht mehr benützen. Sie habe eine Kläranlage, die sie vorschriftsgemäß errichtet habe und die erst vor zwei Jahren gereinigt worden sei. Solange sie lebe, wolle sie nichts mehr ändern.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1992 gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde dieser Berufung keine Folge. Da der Stadtgemeinde die Errichtung einer Kläranlage im Jahre 1982 vorgeschrieben worden sei, seien seit der Fertigstellung dieser Abwasserbeseitigungsanlage die Liegenschaftseigentümer verpflichtet, die Hauskläranlagen und Senkgruben aufzulassen und das Niederschlags- und Schmutzwasser in den öffentlichen Kanal auf eigene Kosten einzuleiten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung. Sie sei seit zwei Jahren schwer krank; sie könne ihr Haus in L nicht benützen, weil es ihr nur möglich sei, bei offenem Fenster zu schlafen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge. Die Beschwerdeführerin habe den vom Gesetz her eingeräumten Ausnahmetatbestand, daß der Kanalanschluß nur mittels Pumpvorgang möglich wäre, nicht geltend gemacht. Für die generelle Verpflichtung der Liegenschaftseigentümer, bei Vorhandensein eines Kanales die Abwässer einzuleiten, sei nicht maßgeblich, ob das betreffende Bauwerk einen Zweitwohnsitz darstelle, sondern es werde nur darauf abgestellt, daß Abwässer anfielen. An dieser Verpflichtung könne auch eine bereits bestehende Senkgrube oder Kläranlage nichts ändern. Zahlungserleichterungen bzw. Stundungen könnten von der Beschwerdeführerin allenfalls im Abgabeneinhebungsverfahren geltend gemacht werden. Krankheit bilde keinen Ausnahmetatbestand. Der Umstand, daß sich der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde in der Berufungsentscheidung mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt habe, rechtfertige nicht die Aufhebung des Bescheides, weil aufgrund der eindeutigen Bestimmungen des Gesetzes ein anderer Bescheid nicht in Betracht gekommen wäre.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und

erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Abs. 1 und 2 des § 56 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0 in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. 8200-6 (im folgenden: BO) lauten:

"§ 56

Abwässerbeseitigung

(1) Für jedes Gebäude ist Vorsorge zur Beseitigung der Abwässer (Niederschlags- und Schmutzwässer) zu treffen.

(2) In Gemeinden mit öffentlichen Kanälen zur Beseitigung der Abwässer sind die Abwässer unter Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften durch flüssigkeitsdichte, entsprechend bemessene und in frostfreier Tiefe verlegte Rohrleitungen in diese Kanäle abzuleiten, wenn jeweils

1.

die Anschlußleitung (§ 17 Abs. 2 des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl. 8230-2) nicht länger als 50 m und

2.

die Ableitung in den öffentlichen Kanal ohne Pumpvorgang möglich ist.

Fehlen solche öffentlichen Kanäle, sind die Abwässer in Senkgruben zu leiten oder gemäß anderen gesetzlichen Vorschriften in unschädlicher Weise zu beseitigen. Die Jauche aus Stallgebäuden ist durch flüssigkeitsdichte Rohre in Jauchengruben zu leiten."

Die Abs. 1 bis 3 des § 17 des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl. 8230-0 in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. 8230-2 (im folgenden: KanalG), lauten:

"§ 17

Hauskanäle, Anschlußleitungen

(1) Die Eigentümer von Liegenschaften oder Bauwerken oder Bauwerber, die zum Anschluß an die öffentliche Kanalanlage verpflichtet sind, haben Gebäude gemäß § 3 Abs. 2 erster Satz mit der öffentlichen Kanalanlage in Verbindung zu bringen. Der Hauskanal mitsamt dem Anschluß an die Anschlußleitung (Absatz 2) ist auf Kosten des Liegenschaftseigentümers (Bauwerbers) nach den näheren Bestimmungen der NÖ Bauordnung und den Anordnungen in der baubehördlichen Bewilligung und innerhalb der in demselben vorgeschriebenen Frist herzustellen. Die Liegenschaftseigentümer der im Zeitpunkt der Eintrittes der Anschlußverpflichtung bereits bestehenden Gebäude sind verpflichtet, die Aborte und sonstigen Abwasseranlagen einschließlich der Regenwasserableitungen auf ihre Kosten nötigenfalls derart umzubauen, daß ein Anschluß an die Hausentwässerungsanlage (Hauskanal) möglich ist. Bei Neubauten ist im vorhinein auf die Anschlußmöglichkeit Bedacht zu nehmen.

(2) Der Hauskanal umfaßt die Hausleitung bis zur Grenze der anschlußpflichtigen Liegenschaft, im Falle des § 18 Abs. 1 jedoch bis zur Einmündung in den öffentlichen Grund. Die Anschlußleitung umfaßt das Verbindungsstück zwischen dem Hauskanal und dem Straßenrohrstrang.

(3) Bei Neulegung eines Hauptkanales der Gemeinde hat der Bürgermeister (Magistrat) den Liegenschaftseigentümern, für die dadurch eine Anschlußpflicht eintritt, rechtzeitig durch Bescheid den Anschluß aufzutragen. Die Liegenschaftseigentümer sind nach Rechtskraft des Bescheides verpfichtet, binnen 4 Wochen um die baubehördliche Bewilligung anzusuchen und unverweilt für den rechtzeitigen Anschluß der Hauskanäle Vorsorge zu treffen. Mit der Bauführung muß spätestens zwei Wochen nach Zustellung der baubehördlichen Bewilligung begonnen und diese längstens drei Monate nach Baubeginn beendet sein. Diese Fristen können in Einzelfällen vom Bürgermeister (Magistrat) auf begründetes schriftliches Ansuchen verlängert werden."

Voraussetzung für die Feststellung einer Anschlußverpflichtung ist somit u.a., daß die Anschlußleitung nicht länger als 50 m und kein Pumpvorgang erforderlich ist. Die belangte Behörde weist in der Gegenschrift darauf hin, daß sich aus dem Akt kein Hinweis ergebe, wonach diese Voraussetzungen nicht vorlägen; die Beschwerdeführerin habe erstmals in der Beschwerde die Notwendigkeit eines Pumpvorganges dargetan.

Die belangte Behörde hatte gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 den angefochtenen Bescheid dahingehend zu überprüfen, ob durch die Entscheidung der Gemeinde in dieser Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches Rechte der Beschwerdeführerin verletzt worden sind. Mit ihrem Vorbringen in der Vorstellung machte die Beschwerdeführerin unzweifelhaft ihr Recht geltend, daß sie keinem Anschlußzwang unterworfen wäre. Im Rahmen der zulässigen Prüfung des gemeindebehördlichen Bescheides ist die Aufsichtsbehörde aber nicht an die vom Vorstellungswerber geltend gemachten Rechtsverletzungen gebunden, sie hat vielmehr das Recht und die Pflicht zur VOLLEN Prüfung des angefochtenen Bescheides, ohne an das Parteienvorbringen gebunden zu sein (Berchtold, Gemeindeaufsicht, 44, mit Nachweisen aus der hg. Judikatur). Die Vorstellungsbehörde mußte daher prüfen, ob auf Grund der Feststellungen der Baubehörden die gesetzlichen Voraussetzungen des Anschlußzwanges bejaht werden können oder nicht.

Nach der Aktenlage beginnt das Verwaltungsverfahren mit einem Bescheid, in welchem der Anschlußzwang ausgesprochen wurde, ohne daß der Bescheid irgendwelche Feststellungen über die beiden genannten Voraussetzungen enthielt. Der Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen in bezug auf die Entfernung von 50 m ersetzt nicht die erforderlichen Feststellungen, wobei hinsichtlich der Frage des Pumpvorganges überhaupt keine Ausführungen enthalten sind. Daß diesem Bescheid ein Verwaltungsverfahren vorausgegangen wäre, daß insbesondere Beweisergebnisse vorgehalten worden wären, läßt sich dem Akt nicht entnehmen. Gleiches gilt für das Berufungsverfahren: Auch die Berufungsbehörde hat keine Beweise aufgenommen und in ihrem Bescheid keine entsprechenden Tatsachenfeststellungen getroffen.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher (für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebender) Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (siehe die Nachweise bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Seite 569, E. 8 zu § 67 AVG).

Weder im erstinstanzlichen Bescheid noch im Berufungsbescheid wurden Feststellungen darüber getroffen, ob die Anschlußleitung länger als 50 m und die Ableitung in den öffentlichen Kanal ohne Pumpvorgang möglich sein würde.

Im Rahmen ihrer Rechtmäßigkeitskontrolle hätte die belangte Behörde diese Feststellungsmängel wahrnehmen müssen, weil sie ohne diese Feststellungen nicht beurteilen konnte, ob die rechtlichen Voraussetzungen des behördlichen Eingriffes gegeben sind.

Für die Auffassung der belangte Behörde, § 56 Abs. 2 Z. 2 BO sei ein "Ausnahmstatbestand", den die Partei behaupten und beweisen müsse, fehlt eine Begründung im Gesetz. Schon der Gesetzeswortlaut ("... sind die Abwässer ... abzuleiten, wenn jeweils 1. ..., 2. ...") macht deutlich, daß es sich hierbei um positive Voraussetzungen der Festlegung der Anschlußpflicht handelt. Stellt die Behörde das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht fest, erweist sich die ausgesprochene Anschlußpflicht als rechtswidrig.

Von einer Verletzung des aus § 41 Abs. 1 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbotes könnte nur dann die Rede sein, wenn die Behörden die erforderlichen Feststellungen getroffen hätten, die Partei sich dagegen nicht zur Wehr gesetzt und erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Unrichtigkeit der Feststellungen behauptet hätte. Davon kann hier aber keine Rede sein.

Vielmehr belastete die belangte Vorstellungsbehörde dadurch, daß sie die Feststellungsmängel in den gemeindebehördlichen Bescheiden nicht aufgegriffen und eine Subsumtion ohne Tatsachengrundlagen vorgenommen hat, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Vorliegen der Anschlußpflicht ausschließlich durch die genannten gesetzlichen Bestimmungen geregelt ist und es insbesondere nicht darauf ankommt, ob und in welchem Umfang das Gebäude benützt wird. Auch kommt es nicht darauf an, ob eine andere Möglichkeit der Abwasserbeseitigung besteht.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Mit den Pauschalsätzen wird auch die Umsatzsteuer abgegolten.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1994050056.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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