TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/22 W135 2165929-1

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Veröffentlicht am 22.12.2020
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Entscheidungsdatum

22.12.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §10
VOG §3
VOG §4

Spruch


W135 2165929-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Franz GALLA gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.06.2017, GZ: XXXX , betreffend Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer brachte am 27.02.2015 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes des Verdienstentganges, Heilfürsorge in Form der Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung, Gewährung von Selbstbehalten für Arztbesuche sowie Gewährung einer Pflegezulage und Rehabilitation ein. Antragsbegründung gab der Beschwerdeführer an, er sei ca. 18 Jahre in der öffentlichen Obsorge gewesen. Er sei bei Pflegeeltern untergebracht worden, welche ihn äußerst schlecht behandelt und in ihm nur eine billige Arbeitskraft gesehen hätten. Bei den Pflegeeltern habe der Beschwerdeführer physische, psychische, verbale und sexuelle Gewalt erlebt. Das Jugendamt habe sich nie um ihn gekümmert. Die sozialen Zustände in der Pflegefamilie seien äußerst zerrüttet gewesen. Der Pflegevater sei ein Alkoholiker der schlimmsten Sorte gewesen, der seine Familienmitglieder sexuell genötigt sowie physisch und psychisch gequält habe. Der Beschwerdeführer habe seine Neigungen und Talente nicht ausbilden können und habe daher eine schwierige berufliche Laufbahn gehabt. Es habe sehr lange gedauert, bis sich der Beschwerdeführer von den Prägungen seines Umfeldes distanzieren habe können. Der beigelegte Clearingbericht dokumentiere seine Unterbringung. Der Weiße Ring habe dem Beschwerdeführer eine Entschädigungssumme bezahlt, welche durch die geringe Höhe des Betrages lediglich als Schuldeingeständnis zu werten sei. Der Nachweis seiner psychischen Schädigungen sei durch die im beiliegenden Clearingbericht angeführte Diagnostik erbracht.

Mit dem Antrag legte der Beschwerdeführer den undatierten Clearingbericht eines Psychotherapeuten, auf dessen Grundlage dem Beschwerdeführer vom Weißen Ring eine Entschädigung geleistet wurde, vor. Im Clearingbericht wird wörtlich Folgendes ausgeführt:

„Clearingbericht,

über die in der öffentlichen Obsorge zugebrachten Zeit von

Herr XXXX , Soz. XXXX , wohnhaft in XXXX ,

XXXX , T. XXXX ;

„Mutter war obdachlos und erwerbslos, ein mutmaßlicher Vater ist mir nur namentlich bekannt. Mutter kam mit mir am 07. 11. 1950 nach der Entbindung ins XXXX . Mutter wurde von dort am 23. 01. 1951 entlassen. Ich blieb im XXXX alleine zurück.

Am 01. 12. 1952 kam ich zu den Pflegeeltern XXXX und XXXX , welche damals in XXXX wohnten. Der Ziehvater war Bauhilfsarbeiter und die Mutter war Tagelöhnerin und arbeitete saisonal in der Landwirtschaft mit oder half in der Küche von Gastronomiebetrieben aus. Nebenbei wurde eine kleine Landwirtschaft betrieben, der Hof war angemietet. Ich hatte einen Ziehbruder, der ein Jahr jünger war als ich, und eine um ca. 10 Jahre ältere Ziehschwester. Die Ziehschwester lebte nur die ersten Jahre im gemeinsamen Haushalt. Wir hatten 2 Hunde, 1 Ziege, einige Schweine, viele Haushasen, Hühner und unzählige Katzen.

Wir Kinder mussten sehr viel arbeiten und dies bereits seit frühester Kindheit. Ich musste bei den Schweinen ausmisten und Futter geben, welches ich auch zubereiteten musste. Mitunter wurde ich bereits um 2:00 — 3:00 in der Früh geweckt, musste mit dem Ziehvater mitgehen, wenn er Futter für die Tiere mähte. Auch ich bekam eine Sense, welche für mich zu groß und schwer war. Es gelang mir nie dieses Werkzeug zu beherrschen. Wir mähten meistens die Straßengräben der Umgebung ab, da der Eigengrund nicht ausreichte unsere Tiere zu ernähren.

Ich stach den Garten um und schnitt per Hand Brennholz und hackte dieses dann. Das Holz war einzulagern und im Winter schleppte ich das Brennholz ins Haus. Auch zur Arbeit bei diversen Bauern wurde ich eingeteilt und musste dort Erdäpfel klauben (ernten), mithelfen beim Stroh führen und wenn das Heu eingebracht wurde. Ich half auch beim „Federn schleißen" (da wurden die Kämme der Enten- und Gansfedern entfernt).

Ich ging nie in einen Kindergarten, weil dafür keine Zeit war und die Zieheltern mich nie in einen Kindergarten brachten.

Die Schule besuchte ich, aber die Arbeit am Hof blieb und so gab es viele Tage, wo ich um 2:00 schon aufstehen musste um Heu zu mähen. Danach ging ich in die Schule. In der Volksschule in XXXX konnte ich mich ausrasten. Oft war ich körperlich total müde und schlief in der Volksschule ein.

Wenn ich mich weigerte, dann sperrte mich der Ziehvater in eine dunkle, kalte und feuchte Kammer, solange bis ich meinen Widerstand aufgab. Schläge gab es sowieso immer vom Ziehvater. Wenn er mich besonders strafen wollte, dann sperrte er die Ziehmutter aus dem Raum raus. Er schlug mich mit einem aus Weidenzweigen gefertigten Teppichklopfer und/oder einer Rosspeitsche. Die Rosspeitsche hatte einen Holzstiel und auf dem war ein langer Lederriemen befestigt. Mit dem Teppichklopfer schlug er meistens im Kopfbereich zu' der Lederriemen traf mich überall. Ich hatte dann Hämatome und oft sogar offene Wunden und durfte dann nicht in die Schule gehen.

Die Pflegemutter wurde vom Ziehvater ebenfalls geschlagen. Der Ziehvater war ein typischer Alkoholiker, der gewalttätig und skrupellos wurde, wenn er besoffen war. Der Ziehvater trank sehr viel Most, aber auch Wein und Schnaps. Mit dem „Leiterwagerl" musste ich von einem Bauern monatlich ein Eimerfass Most holen, was für mich eine beträchtliche Herausforderung war. Die 56Liter Most, das Holzfass und das hölzerne Gefährt wogen zusammen mehr als ich schwer war! Der Bauer wohnte in ca. 8 km Entfernung und die Wege dorthin waren zum Teil unbefestigt und es gab einige Hügel zu überwinden.

Wir hatten keine anderen Transportmöglichkeiten als das „Leiterwagerl" und den „Schubkarren". Beide hatten hölzerne Räder, ohne jegliche Federung. Ich transportierte alle Lasten die es zu transportieren gab am Hof (Klee, Heu, Stroh, Gras, Kartoffeln, Most usw.).Speziell der Schubkarren war Schwerstarbeit und oft konnte ich die Last nicht bändigen und schmiss mit der Schubkarre um. Es waren lange Strecken zu überwinden, speziell vom Feld bis zum Bauernhof war es sehr weit. Die Feldwege waren uneben und nach einem Regen sanken die Räder tief in den Untergrund ein, was viel Widerstand erzeugte.

Wenn Mutter in Gastwirtschaften der Umgebung aushalf, dann kam sie immer erst spät in der Nacht heim. Für den Ziehvater war das die Gelegenheit mich dazu zu nötigen ihn händisch und oral zu befriedigen. Das passierte in vielen Wochen 1 2 Mal, Wollte ich diese „Dienste" verweigern, dann schlug mich der Ziehvater und ich musste auf einem Holzscheit knien. Das Holzscheit war ein geviertelter Rundling und ich hatte auf der Kante des Viertelstabes zu knien. Der Ziehvater hatte dazu noch ein paar Nägel eingeschlagen damit ich rasch große Schmerzen bekam und klein beigab. Oft konnte ich nach solchen Tortouren eine Zeit lang nicht gehen.

Oft sogar unter der Woche, verstärkt Freitag und Samstag suchten wir den Ziehvater, wenn Dieser nicht nach Hause kam. Es kam vor, dass dieser völlig alkoholisiert irgendwo im Freien liegen blieb. Er war immer mit einem Fahrrad unterwegs und fuhr mit Diesem von Wirtshaus zu Wirtshaus. Wir suchten mit der Ziehmutter mit der Taschenlampe nach dem Fahrrad und dem Ziehvater. Manchmal beteiligte sich auch die Polizei an der Suche, speziell im Winter. Die Polizei meldete die Vorfälle an das Jugendamt, aber dies hatte keine Konsequenzen. Die Fürsorge kam dann zwar zu uns auf den Hof, aber wir Kinder wurden nie befragt. Die Ziehmutter wurde vom Ziehvater total beherrscht und eingeschüchtert.

Die Ziehschwester lockte mich eines Tages in das Plumps Klo, welches über dem Misthaufen stand. Dort begann sie mit mir sexuell zu interagieren. Ich war damals ca. 13 Jahre alt und es kam zum Geschlechtsverkehr. In der Folge kam es zu häufigen sexuellen Kontakten.

Kam der Ziehvater betrunken von alleine heim, dann brüllte er im Haus herum und drohte uns alle umzubringen. Die Ziehmutter sperrte uns vorsorglich immer ein, damit der Ziehvater unserer nicht habhaft werden konnte. Dies brachte den Ziehvater regelmäßig so in Rage, dass er begann Teile der Einrichtung kaputt zu schlagen. Einmal hackte er mit einem Beil in der Küche herum. An solchen Abenden hörten wir Kinder Geräusche, welche eindeutig von Schlägen gegen die Ziehmutter herrührten. Oft tobte der Ziehvater die ganze Nacht durch und die Ziehmutter brachte uns dann bei Gelegenheit rauf in den Heuboden in ein Versteck. Dort oben blieben wir dann für zwei oder drei Tage, bis sich der Ziehvater wieder beruhigt hatte. Ich kann mich an Szenen erinnern, wo uns der Ziehvater mit einer Hacke in der Hand nachlief und uns Kindern mit dem Umbringen bedrohte. Wir retteten uns, indem wir über die Große XXXX (ein Gewässer) liefen. Solche Vorfälle passierten auch im Winter und ich erinnere mich wie jämmerlich ich fror mit meinen nassen Hosen und Schuhen. Wir konnten nirgends hin um uns aufzuwärmen und irrten dann stundenlang herum.

Mutter verkaufte oft die spärlichen Erzeugnisse unserer Landwirtschaft und ich und mein Bruder mussten dann zu den Bauern betteln gehen um ein paar Eier, Milch und Kartoffeln. Es gab Zeiten im Winter, wo ich regelrecht hungern musste, da es zu wenig zu essen gab.

Im strengsten Winter wurde ich zum Einkaufen geschickt und musste kilometerweite Strecken zurücklegen. Der nächste größere Ort war 8 km entfernt und ich besaß keine geeignete Winterkleidung.

Schule hatte bei den Pflegeeltern keinen Stellenwert und bei den Aufgaben konnten beide Pflegeeltern nicht helfen, da Diese kaum Kenntnisse in den diversen Kulturtechniken hatten. Brachte ich, was üblich war, schlechte Noten heim, dann wurde ich geschlagen. Die Fürsorge schickte mich nach Mödling in die Schule für Sprachgestörte und ich war dort eine Zeit lang im Internat, da meine Sprachentwicklung sehr verzögert war. Wir Kinder waren uns Großteiles selbst überlassen, da die Zieheltern nicht zuhause waren. Mit meinem Ziehbruder arbeitete ich dann am Hof, Das was uns aufgetragen wurde. Wir waren am Hof die „Arbeitstiere".

Wir zogen von XXXX nach XXXX wo wir wieder einen Bauernhof mieteten. Der Ziehvater arbeitet seit einiger Zeit in der Zuckerfabrik XXXX . In XXXX musste ich in die Sonderschule gehen, da ich große Lernrückstände hatte. Besonders schwer fiel mir der Gegenstand Deutsch, wo ich mit dem Schreiben und der Grammatik nicht zurechtkam.

Der Ziehvater wurde mehrmals von der Polizei mitgenommen, weil er bei uns zuhause oder in einem Wirtshaus Tobsuchtsanfälle hatte. Er kam dann meistens in eine Zelle des Polizeipostens XXXX zur Ausnüchterung. Die Ziehmutter und ich holten den Ziehvater mehrmals vom Polizeiposten XXXX ab. Dabei weinte der Ziehvater und beteuerte immer wieder, nie wieder sich so zu verhalten.

Nach der Schulpflicht kam ich zur Firma XXXX , einer Baumschule, wo ich als Helfer Arbeit fand. Am Bauernhof meines Arbeitsgebers begann ein weiterer Helfer zu arbeiten, der bei uns zuhause in XXXX wohnte. Der Mann war ca. 40 — 50 Jahre alt und er nötigte mich eines Abends zum Oralverkehr und verlangte, dass ich ihn mit der Hand befriedige. Er wollte mich zum Analverkehr zwingen, was ich nicht zuließ. Dieser Vorfall wurde durch die Ziehmutter angezeigt und es gab darüber eine Gerichtsverhandlung am Bezirksgericht XXXX .

Bei der Fa. XXXX arbeitete ich bis zum Bundesheer. Vor dem Heer machte ich die Prüfungen für die Führerscheine A + C + F. Nach dem Heer organisierte ich mir in Wien eine Wohnung und arbeitete bei einer Lebensmittelfirma als Fahrer. Mit 21 Jahren heiratete ich und gründete eine Familie.

Zusammenfassung und Diagnostik: Der 63-jährige XXXX wirkt geistig sehr beweglich. Der Klient ist seiner herben Jugendjahre nicht verbittert und scheint in der Gegenwart zu leben. Erstaunlich ist, dass der in der 5. Klasse Sonderschule ausgetretene Klient, auf Anhieb die Führerscheine A + C + F erlangen konnte.

In der Dokumentation sind „Nervenanfällen" (Aggressionsdurchbrüche) des Ziehvaters dokumentiert. Der Ziehvater wurde wegen eines Tobsuchtsanfalls 13 Tage in Polizeigewahrsam genommen. Es gibt einen Eintrag in dem über ein intimes Verhältnis des Ziehvaters mit seiner 19 jährigen Ziehtochter berichtet wird. Es gibt die Auflage des Jugendamtes, dass der Pflegevater sich einer nervenärztlichen Behandlung unterziehen muss („vegetative Neurose mit Angstzuständen"). In einem Schreiben der Küst wird eine „Kopfverletzung aus dem Krieg" des Ziehvaters erwähnt. Ebenso ist dokumentiert, dass der Ehemann seine Ehefrau oft bedrohte. Das Erleben des Klienten bestätigt sich durch die Dokumentation.

Der Klient erlebte in den ca. 16 Jahren seiner Unterbringung bei der Pflegefamilie verbale, physische, psychische und sexuelle Gewalt.

Die Entwicklungsverzögerungen des Kindes erscheinen durch die geringen Förderungen, die Gewalterfahrungen, den sexuellen und sonstigen Traumatisierungen mit verursacht zu sein.

Diagnostisch: F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung, F 45.1 undifferenzierte Somatisierungen, F 51.0 Insomie, F 51.5 Alpträume;

Den Bericht verfasste Mag. (FH), Mag. XXXX BA. pth.

Herr XXXX ist mit dem Bericht vollinhaltlich einverstanden.“

Mit Anwaltsschriftsatz vom 09.06.2015 legte der Beschwerdeführer nach entsprechender Aufforderung der belangten Behörde ein Konvolut an Unterlagen, darunter das Schreiben des Weißen Ringes aus März 2014, wonach dem Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von EUR 35.000,00 und die Kostenübernahme für insgesamt 80 Therapiestunden zugesprochen wurden, sowie den Pflegschaftsakt des Beschwerdeführers in Kopie, vor. Im Schriftsatz wird vom Rechtsvertreter – auf das hier entscheidungswesentliche zusammengefasst – vorgebracht, dass zur Darstellung der Gewalttaten des Pflegevaters insbesondere auf das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft (BH) XXXX vom 16.09.1958 an die Kinderübernahmestelle (KüSt) verwiesen werde, worin festgehalten werde, dass „der Pflegevater wegen Gewalttätigkeit seit 13.09.1958 beim Bezirksgericht XXXX in Untersuchungshaft“ gewesen sei. In einem Schreiben der BH XXXX an die KüSt vom 09.10.1958 werde ausgeführt, es sei „nicht von der Hand zu weisen, dass der rabiate Mann (Anmerkung: der Pflegevater) nicht nur seiner Frau, sondern auch den Kindern ein Leid antut“. In einem Schreiben der MA 11 an die Pflegemutter vom 28.10.1958 sei die Rückstellung der beiden Pflegekinder begehrt worden. Die MA 11 habe ausgeführt, nicht die Verantwortung übernehmen zu können, dass der Pflegevater, der sich „infolge einer Kopfverletzung nicht immer in der Gewalt hat, die Kinder nicht doch eines Tages in Gefahr bringen könnte“. Nach Intervention der Pflegemutter seien die Pflegekinder aber doch dort verblieben. Zumindest sei im Akt am 18.12.1959 verfügt worden, die Pflegestelle nicht mehr neu zu besetzen.

Am 24.08.2015 legte der Rechtsvertreter - nach Aufforderung der belangten Behörde, die vorgebrachten Verbrechen zu konkretisieren - einen Aktenvermerk vom selben Tag über ein, in der Kanzlei des Rechtsvertreters geführtes Gespräch mit dem Beschwerdeführer, mit folgendem Inhalt vor:

„Ergänzende Angaben von Herrn XXXX :

1) Familiärer Hintergrund und Umstände der Unterbringung bei der Pflegefamilie

Herr XXXX kam schon im Säuglingsalter zur Pflegefamilie, weil die Mutter alkoholkrank war, weiters wegen Ladendiebstählen oft von den Behörden verfolgt war und schließlich im Frauenheim untergebracht wurde. Der Vater ist eigentlich unbekannt. Die Großeltern mütterlicherseits standen nicht zur Verfügung.

2) Über Häufigkeit, Intensität und Begleitumstände der erlittenen Gewalt:

a)       Die Schläge durch den XXXX mit dem Teppichklopfer oder der Rosspeitsche (auch mit Kochtöpfen oder Schürhaken) erfolgten in Zeitraum 1953 bis 1964 im Schnitt drei-mal pro Woche, meist zwischen Donnerstag und Sonntag, weil da die Pflegemutter arbeitete (als Küchengehilfin im Gasthaus XXXX in XXXX ). Dabei war der Herr XXXX immer stark alkoholisiert der Hintergrund für die Schläge bestand in der Regel in reinem Sadismus oder um Herrn XXXX zu sexuellen Handlungen — siehe unten b) — zu zwingen. Die Schläge waren allesamt sehr heftig. Oft konnte Herr XXXX wegen der massiven blauen Flecken am Körper und im Gesicht die Schule nicht aufsuchen. Von der Pflegemutter wurde ihm nahe gelegt, dass — sollte er in der Schule doch nach den blauen Flecken befrag werden — er lügen solle (etwa dass er hingefallen sei), damit die Polizei den Herrn XXXX nicht andauernd in Haft nimmt.

b)       Der sexuelle Missbrauch durch den Herrn XXXX erfolgt in Zeitraum 1957 bis 1964 im Schnitt zwei bis drei Mal pro Monat/ wieder am Wochenende. Hier wurde Herr XXXX gezwungen, den Herrn XXXX händisch oder oral zu befriedigen. Bei Weigerung von Herrn XXXX bestand eine Strafe darin, dass Herr XXXX auf Holzscheiten knien musste, bis er umfiel.

c)       Der sexuelle Missbrauch durch den Unbekannten bei der Firma XXXX war in der zweiten Jahreshälfte 1966.

3.) Lebensumstände nach der Zeit bei der Pflegefamilie:

Herr XXXX war bis 1969 bei der Pflegefamilie und kam dann zum Bundesheer. Danach war er in XXXX auf Arbeitssuche und bekam (nach kurzer Obdachlosigkeit) ein Zimmer in XXXX , und einen Arbeitsplatz als Chauffeur zuerst bei der Firma XXXX und dann bei der Firma XXXX und weiters bei der Firma XXXX in XXXX . 1971 lernte er Frau XXXX aus XXXX kennen, welche damals seine Partnerin wurde. In der Folge war Herr XXXX Chauffeur bei der Firma XXXX in XXXX . Ab Juni 1975 war Herr XXXX Maschinist bei der Betriebsfeuerwehr der XXXX in XXXX , wo er 20 Jahre tätig war. Im Jahre 1984 hat er parallel dazu seine selbständige Tätigkeit aufgebaut (siehe Schreiben Mag. Galla vom 9.6.2015).“

Die belangte Behörde gab in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Auftrag und stellte dabei – ohne den Beschwerdeführer zuvor zu seinem Vorbringen persönlich zu befragen – folgenden Sachverhalt als Verbrechen im Sinne des VOG fest (AW = Beschwerdeführer):

„Wenn sich der AW geweigert hatte, bei der Arbeit in der Landwirtschaft mitzuhelfen, wurde er vom Pflegevater in eine dunkle, kalte und feuchte Kammer gesperrt, solange bis er seinen Widerstand aufgegeben hatte. Er wurde von seinem Pflegevater geschlagen (mit einem Teppichklopfer und/oder einer Rosspeitsche). Diese Angaben des Antragswerbers sind glaubhaft, da der Pflegevater auch im Akt des Jugendamtes als aggressiv beschrieben wird und befürchtet wurde, dass er den Pflegekindern etwas antun könnte.

Dass der Pflegevater ihn genötigt habe, ihn händisch und oral zu befriedigen, kann jedoch nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wahr angenommen werden. Diesbezüglich liegen lediglich die Angaben des Antragswerbers vor. Auch im Jugendamtsakt finden sich keine Anhaltspunkte, die diese Behauptungen stützen würden.

Betreffend den eventuell stattgefunden habenden Missbrauchsvorfall in der Gärtnerei XXXX , sind noch Erhebungen beim Bezirksgericht XXXX ausständig. Sobald eine diesbezügliche Antwort beim ho. Amt eingelangt ist, werden die Unterlagen umgehend nachgereicht.“

Das Bezirksgericht (BG) XXXX teilte der belangten Behörde auf deren Anfrage, ob mit dem im Zusammenhang stehenden Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei bei der Firma XXXX sexuell missbraucht worden, ein Gerichtsakt vorhanden sei und gegebenenfalls um Übermittlung ersucht werde, mit Schreiben vom 17.02.2016 mit, dass die Aufbewahrungspflicht für Strafakten 30 Jahre betrage und dem Ersuchen der belangten Behörde daher leider nicht entsprochen werden könne bzw. es keine Unterlagen bzgl. des angegebenen Vorfalles gebe.

Der Beschwerdeführer wurde am 15.04.2016 vom beauftragten Amtssachverständigen untersucht und das nervenfachärztliche Gutachten am 22.04.2016 erstattet. Der sachverständige Facharzt für Psychiatrie und Neurologie diagnostiziert beim Beschwerdeführer eine selbstunsichere Persönlichkeit, eine Grenzbegabung sowie Stottern und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Gesundheitsschädigungen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit kausal auf die von der belangten Behörde festgestellten Verbrechen zurückzuführen seien.

Das eingeholte Sachverständigengutachten wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und von diesem wegen Unschlüssigkeit des Gutachtens und Unschlüssigkeit der Aussage zur Kausalität bestritten.

Mit angefochtenem Bescheid vom 08.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 27.02.2015 auf Ersatz des Verdienstentganges, Heilfürsorge in Form der Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung, Gewährung von Selbstbehalten für Arztbesuche sowie Gewährung von Pflegezulage und Rehabilitation gemäß §§ 1 Abs. 1 und Abs. 3, 3, 4 Abs. 2 letzter Satz und Abs. 5, 5a, 6 sowie § 10 Abs. 1 VOG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte als Verbrechen im Sinne des VOG fest, dass der Beschwerdeführer bei den Pflegeeltern bei der Arbeit in der Landwirtschaft mithelfen habe müssen und er von seinem Pflegevater mit diversen Gegenständen, wie einem Teppichklopfer oder einer Rosspeitsche, geschlagen sowie des Öfteren in einer Kammer eingesperrt worden sei und auf Holzscheiten knien habe müssen. Zudem habe der Pflegevater im betrunkenen Zustand des Öfteren damit gedroht, den Beschwerdeführer und die Pflegefamilie umzubringen. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass sich die vom Beschwerdeführer erlittenen physischen und psychischen Misshandlungen im Zeitraum 1953 bis 1964 aus den eigenen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Clearingbericht sowie in den rechtsanwaltlichen Schreiben und den diesbezüglichen Aufzeichnungen im Pflegschaftsakt ergeben würden. So sei im Pflegschaftsakt etwa vermerkt, dass „nicht von der Hand zu weisen ist, dass der rabiate Mann nicht nur seiner Frau, sondern auch den beiden Kindern ein Leid antut“. Zudem sei der Pflegevater laut einem Schreiben der BH XXXX wegen Gewalttätigkeiten im Jahr 1958 in Untersuchungshaft gewesen. Folglich hätten die Schilderungen des Beschwerdeführers, dass er von seinem Pflegevater psychisch und physisch misshandelt worden wäre mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wahr angenommen werden können und sohin ein Verbrechen im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG festgestellt werden können. Im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch durch den Pflegevater hätten keine gesicherten Feststellungen getroffen werden könne. Es fänden sich im Pflegschaftsakt keine diesbezüglichen Vermerke oder Anmerkungen und es liege nur die Aussage des Beschwerdeführers vor. Gleiches gelte für den vom Beschwerdeführer geschilderten sexuellen Missbrauch durch die Pflegeschwester im Alter von 13 Jahren. In Bezug auf das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer in der zweiten Jahreshälfte 1966 von einem Unbekannten bei der damaligen Arbeitsstelle sexuell missbraucht worden wäre, würden ebenfalls nur die persönlichen Schilderungen des Beschwerdeführers vorliegen. Die Anfrage an das BG XXXX habe ergeben, dass für Strafakten eine dreißigjährige Aufbewahrungspflicht bestehe und diese im vorliegenden Fall bereits verstrichen wäre. Sohin habe nicht geklärt werden können, ob es eine Anzeige gegeben habe und wie dieses Verfahren abgeschlossen worden sei. In Anbetracht dessen habe auch dieser Misshandlungsvorwurf nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als tatsächlicher Sachverhalt festgestellt werden können, da nicht mehr dafür als dagegen spreche.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Anwaltsschriftsatz vom 24.07.2017 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, mit welcher der Bescheid zur Gänze angefochten wird. Geltend gemacht wird darin unter anderem grobe Verfahrensmängel, insbesondere mangelhafte Sachverhaltsfeststellung. Dazu wird unter Punkt 4.1 der Beschwerde Folgendes vorgebracht:

„Die Behörde hat außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer trotz seiner sprachlichen Schwierigkeiten im Kindesalter bei der Arbeit in der pflegeelterlichen Landwirtschaft mithelfen musste und sich nicht auf die sprachlichen Sonderkurse konzentrieren konnte. Die Behörde hat es an dieser Stelle unterlassen, festzustellen, dass der Beschwerdeführer nicht nur am elterlichen Bauernhof mithelfen musste, sondern auch zur Arbeit bei diversen anderen Bauern der Umgebung eingeteilt wurde. Aufgrund der schweren körperlichen Arbeiten schon im Kleinkindalter, war der Beschwerdeführer regelmäßig vollkommen erschöpft und konnte die Zeit in der Volksschule nicht dazu nutzen um zu lernen. Stattdessen musste er sich von dem pflegeelterlichen Drill erholen. Diese Tatsachen ergeben sich aus den detaillierten Ausführungen des Beschwerdeführers und aus dem Clearingbericht mit Herrn Mag. (FH) Mag. XXXX . Der Beschwerdeführer schilderte im Clearingbericht eindrucksvoll genau und glaubhaft welche Arbeiten er erledigen musste und wie diese zu geschehen hatten.

Die belangte Behörde hat auf Seite 6 des gegenständlichen Bescheids festgestellt, dass der Ziehvater den Beschwerdeführer mit diversen Gegenständen, wie einem Teppichklopfer oder einer Rosspeitsche geschlagen hat und des Öfteren In einer Kammer eingesperrt hat. Dort musste der Beschwerdeführer auf Holzscheiten knien. Zudem drohte der Ziehvater dem Beschwerdeführer im betrunkenen Zustand des Öfteren damit, den Beschwerdeführer und die restliche Pflegefamilie umzubringen.

Die Behörde gab an, diese Feststellungen auf die Ausführungen des Beschwerdeführers und den Clearingbericht des Herrn Mag. (FH) Mag. XXXX , das rechtsanwaftliche Schreiben sowie auf die diesbezüglichen Aufzeichnungen im Pflegschaftsakt zu stützen. Im Pflegschaftsakt fand sich der Vermerk, dass es „nicht von der Hand zu weisen ist, dass der rabiate Mann nicht nur seiner Frau, sondern auch den beiden Kindern Leid antut". Gestützt auf ein Schreiben der BH XXXX war der Ziehvater weiters wegen Gewalttätigkeiten 1958 in Untersuchungshaft.

Nicht nachvollziehbar ist an dieser Stelle, warum die Behörde zwar die körperlichen, jedoch nicht die sexuellen Misshandlungen festgestellt hat. Im Clearingbericht des Herrn Mag. (FH) Mag. XXXX führte der Beschwerdeführer aus, dass er zum Teil mehrmals pro Woche vom Ziehvater dazu genötigt wurde, ihn händisch und oral zu befriedigen, wenn die Mutter in einer Gastwirtschaft in der Umgebung aushalf. Mit den Ausführungen des Beschwerdeführers, dem Clearingbericht des Herrn Mag. (FH) Mag. XXXX dem rechtsanwaltlichen Schreiben und dem Vermerk im Pflegschaftsakt kann keinesfalls gerechtfertigt werden, warum die Behörde zwar die körperlichen Misshandlungen festgestellt hat, bezüglich der sexuellen Misshandlungen, zu welchen sich dieselbe Beweislage bietet, differenziert hat. Die Behörde begründet die fehlende Feststellung auf Seite 9 des Bescheids und verweist unter anderem auf fehlende Einträge im Pflegschaftsakt. Es ist jedoch äußerst schwierig, jener Behörde welche ihre Kompetenz, wie von der Behörde festgestellt, auch bezüglich der körperlichen Misshandlungen einzuschreiten, nicht wahrgenommen hat, derartige Beweiskraft zuzusprechen. Nur weil jene Behörde, welche schon aufgrund der körperlichen Züchtigungen eingreifen hätte müssen, nicht notiert hat, dass der Beschwerdeführer sexuell missbraucht worden ist, auszusprechen, dass die sexuellen Übergriffe demnach nicht stattgefunden hätten, ist nicht nachvollziehbar. Es spricht definitiv mehr dafür dass der Ziehvater auch sexuell übergriffig geworden ist, als dagegen. Der Vermerk im Pflegschaftsakt lässt nicht darauf schließen, dass er sich „nur" auf körperliche Misshandlungen und nicht auch auf sexuelle Übergriffe beziehe. Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand derartige Übergriffe nach so langer Zeit ausdenkt, waren doch auch die körperlichen Misshandlungen schon mehr als ausreichend für den Nachweis von Verbrechen gemäß § 1 Abs 1 VOG. Die Behörde hätte feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer vom Ziehvater sowohl körperlich als auch sexuell missbraucht worden ist.

Die Behörde hat es weiters unterlassen, den sexuellen Übergriff durch die etwa zehn Jahre ältere Ziehschwester auf den Beschwerdeführer im Alter von 13 Jahren festzustellen. Begründend führt die Behörde auf Seite 9 des Bescheids aus, dass ausschließlich die persönlichen diesbezüglichen Schilderungen vorlägen und es keinerlei Aussagen anderer Personen zu den Vorkommnissen gäbe. Die rechtliche Ansicht der Behörde ist diesbezüglich unrichtig. Wäre es für derartige Verbrechen notwendig, diese durch Aussagen anderer Personen zu belegen, so wären die meisten Verbrechen nach dem VOG wohl nicht nachweisbar. Es kommt wohl weit häufiger vor, dass sich Verbrechen nur zwischen dem Opfer und dem Täter ereignen und keinerlei Dritte beteiligt sind. Würde diese Tatsache nun dazu führen, dass das Verbrechen als nicht nachgewiesen angesehen werden könnte, so würde der Sinn des VOG verfehlt werden. Es soll hier keine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters erreicht werden. Im Strafrecht widmet sich das Verfahren dem Täter und seiner Erfüllung jeweiliger Straftatbestände. Im Verfahren nach dem VOG muss jedoch das Opfer im Vordergrund stehen. Ziel dieses Verfahrens ist es nicht, den Täter zu belangen, sondern dem Opfer Gerechtigkeit und einen Ausgleich für das widerfahrene Unrecht zu schaffen- Aus diesen Gründen hätte die Behörde feststellen müssen, dass die sexuellen Übergriffe der Ziehtochter auf den Beschwerdeführer sehr wohl stattgefunden haben.

Die Behörde hat es weiters unterlassen, den sexuellen Übergriff am Bauernhof des Ziehvaters durch einen eingestellten Helfer festzustellen. Die Behörde nannte hierfür die bereits oben erläuterten Gründe- Diesbezüglich wird demnach auf die soeben getroffenen Ausführungen verwiesen, Der Beschwerdeführer gab an, dass er und seine Ziehmutter den Vorfall damals angezeigt haben. Die Behörde hielt fest, dass die diesbezüglichen Akten aufgrund der dreißigjährigen Aufbewahrungspflicht beim BG XXXX nicht mehr aufliegen würden. Es darf dem Beschwerdeführer aber nicht zum Nachteil gereichen, dass das BG XXXX die Unterlagen nicht mehr aufbewahrt hat.

Generell hätte die Behörde feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer in einem Verhältnis grausamster Bedingungen aufwachsen musste. Er musste ca 16 Jahre lang ohne jegliche Förderung auskommen und lebte mit ständiger Angst vor dem Ziehvater. Der Vater tyrannisierte die gesamte Familie, sodass sich weder die Ziehmutter noch eines der Kinder wehren konnten. Alle Beteiligten hatten aufgrund der Alkoholsucht des Ziehvaters und der damit verbundenen gewaltsamen Ausbrüche Angst um ihr Leben. Regelmäßig musste die Polizei eingreifen, welche die Vorkommnisse an das Jugendamt meldete.

Laut der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können zwar entsprechende Feststellungen zu einer Vorsatztat davon abhängig gemacht werden, ob „erheblich mehr für als gegen das Vorliegen der Vorsatztat spricht", allerdings hat der VwGH dadurch keine Beweisregeln festgelegt. Genau davon geht die Behörde aber offensichtlich aus, wenn sie meint, dass sie aufgrund Ermangelung „objektivierbarer Unterlagen" keine Feststellungen treffen konnte.

Das österreichische Verwaltungsverfahrensrecht folgt dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Fixe Beweisregeln existieren nicht. Dementsprechend sind aufgenommene Beweise schlüssig auf Grund der Denkgesetze zu würdigen und daraus resultierend bzw. würdigungsgemäß Tatsachen festzustellen. Es erscheint nicht schlüssig dass die Behörde die körperlichen Misshandlungen festgestellt hat und sodann bei allen sexuellen Übergriffen eine Ermangelung „objektivierbarer Unterlagen" als Grund für eine nicht mögliche Feststellung heranzieht. Die Behörde geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer immer dann die Unwahrheit sagt, wenn er von sexuellen Übergriffen in seiner Kindheit berichtet. Diese angebliche Vorgangsweise des Beschwerdeführers erscheint nicht logisch oder nachvollziehbar und ist daher auszuschließen. Im Hinblick auf die bestehende und auch allgemein angenommene Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hätte die Behörde die sexuellen Übergriffe feststellen müssen. Die belangte Behörde hätte sich gegenständlich nicht damit begnügen dürfen, die Feststellung von der Anzahl der Beweismittel abhängig zu machen.

Insofern hätte sich die belangte Behörde damit auseinandersetzen müssen, weshalb sie die Ausführungen des Beschwerdeführers im gegenständlich angefochtenen Bescheid durchwegs als glaubwürdig und nur hinsichtlich aller sexuellen Übergriffe als nicht glaubwürdig beurteilte.

Die Behörde geht weiters davon aus, dass die grausame Kindheit des Beschwerdeführers in keinerlei Zusammenhang mit seiner verzögerten sprachlichen Entwicklung stehe. Dem wird entgegen gehalten, dass der Beschwerdeführer weder einen Kindergarten besuchen durfte, noch in irgendeiner Weise zu Hause gefördert wurde, wie ein „Arbeitssklave" behandelt wurde und zu alledem noch regelmäßig Opfer verbaler, psychischer, physischer und sexueller Gewalt war. Eine verzögerte Sprachentwicklung ist demnach sehr wohl wahrscheinlich und wurde definitiv kausal durch die Verbrechen nach dem VOG verursacht.“

Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2017 zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht gab am 14.06.2018 ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten in Auftrag, welches am 25.07.2018 nach einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erstattet wurde. Im Rahmen der von der beauftragten Sachverständigen erhobenen Anamnese gab der Beschwerdeführer Folgendes an:

„Anamnese

67 Jahre alter Mann, der in Begleitung seines langjährigen Psychotherapeuten, Herrn XXXX , zur Untersuchung kommt.

Herr XXXX habe gar nichts gelernt. Er habe 4 Jahre eine Sonderschule besucht in XXXX . Er habe eine Lehre machen wollen, sei aber dafür als „zu dumm" eingeschätzt worden. Er habe als Hilfskraft in der Landwirtschaft, als Gärtner und sonstige Hilfskraft gearbeitet. In der Familie habe er schon als 8/9-Jähriger arbeiten müssen. Mit der Sense mähen und sonstige Gartenarbeiten machen. Wenn er nicht gefolgt habe, sei er mit dem Ochsenziemer geschlagen worden. Schon mit 13 1/2 Jahren habe er zu arbeiten begonnen. 1966 habe er den Traktorführerschein gemacht und diesen auch bestanden. Die Arbeit sehr hart gewesen. Die Vorgesetzten seien sehr streng gewesen. Wenn etwas nicht gepasst habe, hätten sie zu Strafe im Hof herumlaufen müssen, auch im Winter.

Danach habe er in XXXX in einer Plastikfabrik am Fließband gearbeitet. Im 3-Schichtbetrieb. Ca. 1 Jahr lang.

Er stamme aus desolaten Familienverhältnissen. Die leibliche Mutter sei Alkoholikerin gewesen und das Jugendamt habe ihn ihr weggenommen. Er sei in verschiedene Spitäler gekommen. Den leiblichen Vater kenne man nicht. Zuerst sei er ins Kinderübernahmeheim XXXX gekommen. Dann hätte ihn eine Pflegefamilie übernommen. Nicht aus Liebe, sondern des Geldes wegen. Bei dieser Familie sei er vom 6. Bis zum 16. Lebensjahr verblieben. Gut sei es ihm dort nicht ergangen. Der Ziehvater sei Bauhelfer gewesen, grob und gewalttätig. Er sei oft von ihm geschlagen worden. Der Ziehvater habe oft getrunken und sei auch im Gefängnis gewesen. Die Ziehmutter habe auch als Aushiffe bei Bauern gearbeitet. Insgesamt 7 Pflegekinder gehabt.

Vom Pflegevater sei er auch sexuell missbraucht worden. Wenn dieser alkoholisiert gewesen sei, habe er ihm zu „Diensten" sein müssen. Habe seinen Penis angreifen müssen und mit ihm „spielen" müssen. Auch sei er oft bestraft worden. Stundenlang habe er auf einem Holzscheit knien müssen. Oder er sei geschlagen worden. Oder einfach sinnlos beschimpft worden und ständig sei an ihm herumgenörgelt worden.

1964 sei er und auch seine Ziehschwester von einem Knecht sexuell „betatscht" worden. Es sei auch zur Anzeige gekommen.

Später habe er seine leibliche Mutter getroffen. 2 oder 3 Mal. Diese sei aber nur böse gewesen. Mittlerweile sei sie bereits gestorben. Auch die Pflegeeltern seien beide schon tot. Mit 16 Jahren sei er weggezogen.

Er sei nach XXXX gezogen. Habe bei der Firma XXXX zu arbeiten begonnen. Ausführen von Butter und Käse. Sei oft in der Nacht gefahren. Später habe er Fahrten mit XXXX und XXXX durchgeführt.

Er sei danach auch beim Bundesheer gewesen. sei dort bei den Schützenpanzern eingesetzt gewesen. Es sei zu dieser Zeit auch ein Autounfall mit einem Betonmischer passiert. Er sei zu dieser Zeit auch mit einer Krankenschwester liiert gewesen, 7 Jahre lang verheiratet, 1970, aus welcher Beziehung auch ein Sohn stammt, heute 43 Jahre alt. zu der Zeit habe er alsKrankführer in der Firma des Schwiegervaters gearbeitet.

1975 sei er zur Feuerwehr XXXX , in Beschäftigung gegangen. 20 Jahre lang. Bis 2015.

Obwohl alles gut verlaufen sei, habe er sich eingebildet, er müsse sich unbedingt selbständig machen. Habe eine eigene Firma für Gartengestaltung gegründet, die „ XXXX ".

1984 sei er eine zweite Ehe eingegangen mit einer Grazerin, 1984. Aus dieser Ehe stammt Sohn XXXX , geboren 1975. Einen Sohn. geboren 1975, habe sie in die Ehe mitgebracht. Auch diese Ehe sei in die Brüche gegangen.

Jetzt habe er eine Freundin seit 7 Jahren, aber nicht in gemeinsamem Haushalt.

Er lebe auf 109 m2. Keller und Dachboden. Seit 2015 bekäme er Alterspension, € 1700.- netto, wovon er € 142,- die nächsten 7 Jahre wegen des Privatkonkurses abzahlen müsse. Seine Genossenschaftswohnung koste € 1000,-, 300.- bekäme er noch vom Opferfürsorgegesetz.

Beruflich habe er 2 Konkurse gehabt, 1999, mit 40 Mitarbeitern. Damals habe er sich in Altbausanierung versucht. Er habe 6 oder 7 Gewerbescheine gehabt und habe den Überblick verloren und so sei „alles den Bach hinunter gegangen".

Zuletzt sei es ein Ausgleich gewesen.

Derzeit sei er in Privatkonkurs, 7 Jahre, bis 2022.“

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W264 abgenommen und mit 04.05.2020 der Gerichtsabteilung W135 zugewiesen.

Am 01.12.2020 fand vor Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter, eine Vertreterin der belangten Behörde sowie der von der belangten Behörde beigezogene ärztliche Sachverständige teilnahmen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung, welche primär der Sachverhaltsfeststellung diente, wurde der Beschwerdeführer (erstmals) umfassend zu seinen Lebensumständen bei der Pflegefamilie und den von ihm behaupteten Straftaten befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger. Er wurde am XXXX in XXXX geboren und am XXXX gemeinsam mit seiner Mutter im XXXX aufgenommen. Die Mutter wurde am XXXX aus dem Heim entlassen. Der Beschwerdeführer verblieb zunächst im Heim und wurde im Alter von zwei Jahren am XXXX bei der Pflegefamilie XXXX und XXXX in XXXX bei XXXX , Gemeinde XXXX , untergebracht, wo er bis zu seinem 18. Lebensjahr verblieb. Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Beschwerdeführers bei der Pflegefamilie lebte im Haushalt auch eine zwölfjährige Pflegetochter. Als der Beschwerdeführer etwa vier Jahre alt war, wurde ein weiteres Pflegekind, ein zweijähriger Bub namens XXXX in Pflege genommen. Im März 1958 zog die Familie nach XXXX auf einen Gutshof, auf welchen die Pflegeeltern mitarbeiteten. Da die Pflegeeltern die Arbeit am Hof nicht mehr bewältigen konnten, zogen sie mit den Pflegekindern im August 1958 nach XXXX Nr. 44, in eine Wohnung im ersten Stock. Der Pflegevater war als Hilfsarbeiter in der Zuckerfabrik beschäftigt, die Pflegemutter im Haushalt tätig. Im Mai 1963 erfolgte dann die Übersiedlung nach XXXX Nr. 32, in ein Haus mit Garten in der Ortsmitte, wo die Pflegeeltern Kleintiere wie Geflügel und Hasen sowie zwei Ziegen hielten.

Die Pflegemutter XXXX war eine sehr warmherzige Frau und war gegenüber dem Beschwerdeführer sehr liebe- und verständnisvoll. Die Pflegeeltern waren um die Ausbildung des Beschwerdeführers, welcher im September 1956 mit sechs Jahren zunächst in eine Normalschule eingeschult und noch im selben Schuljahr wegen eines allgemeinen Intelligenzrückstandes mit einer Sprachstörung in die Sonderschule eingewiesen wurde, sehr bemüht und behandelten ihn wie ein eigenes Kind.

Festgestellt werden kann, dass der Pflegevater an einer vegetativen Neurose mit Angstzuständen litt. Es kann nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Pflegevater Alkoholiker war.

Festgestellt werden kann weiters, dass es im Herbst 1958 zwischen den Pflegeeltern öfters zu Auseinandersetzungen wegen der 19-jährigen Pflegetochter kam. Dabei bedrohte der Pflegevater die Pflegemutter und wurde dieser gegenüber handgreiflich. Die Auseinandersetzungen gingen zum Teil so weit, dass die Pflegemutter mit den Pflegekindern die Wohnung verlassen musste. Nach einem Tobsuchtsanfall am XXXX wurde der Pflegevater für 13 Tage beim BG XXXX in Untersuchungshaft genommen. Die Pflegetochter, die der Grund dieser Auseinandersetzungen war, wurde in weiterer Folge auf einem Arbeitsplatz mit Kost und Quartier untergebracht und es kam danach zu keinen weiteren Vorfällen zwischen den Pflegeeltern.

Es kann nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer während seiner Unterbringung bei der Pflegefamilie wie ein „Arbeitssklave" behandelt und regelmäßig Opfer verbaler, psychischer, physischer und sexueller Gewalt wurde.

Es kann weiters nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer während seiner Tätigkeit bei der Firma XXXX sexuellen Übergriffen durch einen Arbeiter ausgesetzt war.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, gründet sich auf seinen eigenen Angaben und die im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung vorgelegte Reisepasskopie.

Die Feststellungen zur Geburt des Beschwerdeführers, des Heimaufenthaltes und der Unterbringung bei der Pflegefamilie XXXX gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden Pflegschaftsunterlagen (Aktenseiten 30 bis 95 des Verwaltungsaktes). Dass der Beschwerdeführer bis zu seinem 18. Lebensjahr bei der Pflegefamilie verblieb, basiert auf seinen eigenen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Pflegemutter gründen sich auf die zahlreichen, im Verwaltungsakt einliegenden Pflege- und Führungsberichte der MA 11 – Städtische Kinderübernahmsstelle (KüSt) im Zeitraum November 1953 bis November 1963, in welchen die Pflegemutter ausnahmslos als warmherzig, liebevoll und verständnisvoll beschrieben wird. Auch in einem Bericht der Sonderschule in XXXX aus September 1958 wird festgehalten, dass die Schule der Pflegemutter nur das beste Zeugnis ausstellen könne, der Beschwerdeführer komme täglich sauber gepflegt zur Schule, der Beschwerdeführer habe bei der Pflegemutter stets eine gute Nestwärme und sei von dieser mit Liebe erzogen worden (vgl. Seite 54 des Verwaltungsaktes). Dass der Beschwerdeführer in der Pflegefamilie stets gut und wie ein eigenes Kind behandelt wurde, gründet sich ebenfalls auf sämtliche Pflege- und Führungsberichte, in welchen festgehalten wird, dass zwischen den Pflegeltern und dem Beschwerdeführer eine enge Bindung bestehe, der Beschwerdeführer an den Pflegeeltern hänge und wie ein eigenes Kind behandelt werde (vgl. etwa die Pflege- und Führungsberichte auf den AS 68 bis 74). Das Verhältnis zur Pflegemutter wurde auch vom Beschwerdeführer selbst in mündlichen Verhandlung als positiv beschrieben (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls).

Dass der Beschwerdeführer wegen eines allgemeinen Intelligenzrückstandes die Sonderschule besuchte, gründet sich auf den Bericht der XXXX vom 15.10.1956, in welchem festgehalten wird, dass die intellektuelle Entwicklung des Beschwerdeführers stark verzögert und die bestehende Sprachstörung (starkes Stammeln, noch fehlende Satzbildung) Teilsymptom des allgemeinen Intelligenzrückstandes sei. Es wurde nach Begutachtung des Beschwerdeführers ein Schulbesuch für verfrüht angesehen und die Rückstellung um ein Jahr und danach der Besuch einer Sonderschule geraten (AS 65). In einem Schreiben der Sonderschule XXXX an die KüSt Wien aus November 1957 wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer in der Normalschule nicht mitgekommen und vom Schulpsychologen in die Sonderschule eingewiesen worden sei (AS 91).

Dem Pflegschaftsakt ist in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass obwohl der Beschwerdeführer von der XXXX für das Schuljahr 1956/1957 befreit worden sei, die Pflegemutter dennoch bereits in diesem Schuljahr den Besuch der Sonderschule in XXXX durchgesetzt habe (AS 55). Die Pflegemutter wollte den Beschwerdeführer nach der Einweisung in die Sonderschule in den Schulferien noch einmal testen lassen, weil sie glaubte, dass er intelligent genug für eine Normalschule sei (AS 60). Der Beschwerdeführer erhielt in weiterer Folge auch Sprachunterricht, wodurch sich seine Sprache deutlich verbesserte. Es wurde dem Beschwerdeführer auch der Besuch eines Sommerkurses für sprachgestörte Kinder – gemeinsam mit seinem Pflegebruder, obwohl dieser keine Sprachstörung aufwies, aber die Buben sehr aneinander gehangen seien und man sie nicht habe trennen wollen – im Kinderheim XXXX vom XXXX ermöglicht (AS 83).

Es konnte daher entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen des Clearingberichtes nicht festgestellt werden, dass Schule und Bildung für die Pflegeeltern keinen Stellenwert hatten, sondern diese – im Gegenteil – um die Ausbildung des Beschwerdeführers und die Verbesserung seiner sprachlichen Defizite sehr bemüht waren.

Dieser Umstand spricht auch gegen das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei wie ein „Arbeitssklave“ gehalten und zur Kinderarbeit gezwungen worden; wenn die Pflegeeltern den Beschwerdeführer rein als Arbeitskraft gesehen hätten, wären sie nicht um den Schulbesuch und seine Ausbildung in der festgestellten Weise bemüht gewesen. Ganz abgesehen davon, konnten die vom Beschwerdeführer im Clearingbericht beschriebenen Arbeiten („Wir Kinder mussten sehr viel arbeiten und dies bereits seit frühester Kindheit. Ich musste bei den Schweinen ausmisten und Futter geben, welches ich auch zubereiten musste. Mitunter wurde ich bereits um 2:00 – 3:00 in der Früh geweckt, musste mit dem Ziehvater mitgehen, wenn er Futter für die Tiere mähte. Auch ich bekam eine Sense, welche für mich zu groß und schwer war. Es gelang mir nie dieses Werkzeug zu beherrschen. Wir mähten meistens die Straßengräben der Umgebung ab, da der Eigengrund nicht ausreichte unsere Tiere zu ernähren.“) nicht mit den im Pflegschaftsakt dokumentierten Wohnverhältnissen der Pflegefamilie in Einklang gebracht werden; so lebte die Familie lediglich von März bis August 1958 auf einem Gutshof, auf welchem die Pflegeeltern mitgearbeitet haben (AS 63), davor in einem „gut eingerichteten Zinshäuschen an der Landstraße mit Garten“, wo sie Kleintiere wie Geflügel und Hasen hatte (AS 70, 73) und ab August 1958 in XXXX 44 in einer Wohnung im ersten Stock, der Pflegevater war als Hilfsarbeiter in der Zuckerfabrik beschäftigt und die Pflegemutter im Haushalt tätig (AS 49); das Betreiben einer Landwirtschaft durch die Pflegeeltern, wie sie vom Beschwerdeführer im Clearingbericht beschrieben wird, ist – mit Ausnahme der Arbeit am Gutshof zwischen März und August 1958 - den Unterlagen nicht zu entnehmen. Auch nach der Übersiedlung nach XXXX 32 im Mai 1963 zog die Familie in ein Haus mit Garten in der Ortsmitte, wo sie lediglich Geflügel, zwei Ziegen und Hasen hatte (AS 37).

Auch nach entsprechendem Vorhalt dieser dokumentierten Lebensumstände in der Pflegefamilie in der mündlichen Verhandlung vermochte der Beschwerdeführer nicht schlüssig zu erklären, wie die vorgebrachten Arbeiten in Einklang damit zu bringen sind, dass der Beschwerdeführer hauptsächlich in einer Wohnung lebte und die Familie lediglich Kleintiere zu versorgen hatte. Dass der Beschwerdeführer wegen der landwirtschaftlichen Arbeiten in der Volksschule körperlich total müde gewesen und oft eingeschlafen sei – wie dies im Clearingbericht vorgebracht wird -, wird auch weder im Schreiben der Sonderschule in XXXX noch der Volksschule XXXX erwähnt (vgl. AS 54, 53). Hinzuweisen ist an dieser Stelle weiters darauf, dass auch die Frage in den Pflege- und Führungsberichten, ob der Beschwerdeführer zur Arbeit herangezogen werde, entweder aufgrund des Kleinkindalters des Beschwerdeführers verneint oder angegeben wurde, dass der Beschwerdeführer für „Botengänge“ herangezogen werde. Es konnte daher insgesamt nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Pflegeeltern wie ein „Arbeitssklave“ behandelt wurde.

Was die Negativfeststellung hinsichtlich der vorgebrachten verbalen, psychischen, physischen und sexuellen Gewalt in der Pflegefamilie, insbesondere durch den Pflegevater betrifft, ist vorauszuschicken, dass der Beschwerdeführer erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht persönlich einvernommen und zu seinen Lebensumständen bei der Pflegefamilie und den vorgebrachten Verbrechen bzw. Straftaten befragt wurde.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu den behaupteten Straftaten waren dermaßen vage und unkonkret gehalten, dass sie vom erkennenden Senat schon aus diesem Grund nicht als glaubhaft angesehen werden konnten. Dass sich der Beschwerdeführer an vieles nicht mehr erinnern können will, wäre angesichts des Umstandes, dass sich die behaupteten Verbrechen vor etwa sechs Jahrzehnten ereignet haben sollen, für den erkennenden Senat nachvollziehbar; nicht nachvollziehbar ist aber, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des Clearinggespräches (AS 2 bis 6) und bei seiner Vorsprache in der Kanzlei seines Rechtsvertreters am 24.08.2015 (AS 110) durchaus in der Lage war, konkrete Angaben etwa zum Zeitpunkt bzw. Zeitraum sowie Häufigkeit der vorgebrachten Verbrechen zu machen, er in der mündlichen Verhandlung die wesentlichen Fragen zu den Verbrechen aber damit beantwortete, sich nicht mehr erinnern zu können.

So gab der Beschwerdeführer etwa seinem Rechtsvertreter im August 2015 gegenüber an, er sei vom Pflegevater im Zeitraum 1953 bis 1964 im Schnitt drei- bis viermal pro Woche, meist zwischen Donnerstag und Sonntag, weil da die Pflegemutter als Küchengehilfin im Gasthaus XXXX in XXXX gearbeitet habe und nicht zu Hause gewesen sei, entweder mit dem Teppichklopfer oder der Rosspeitsche, Kochtöpfen oder Schürhaken geschlagen worden. Der Hintergrund der Schläge sei gewesen, den Beschwerdeführer zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Die Schläge hätten so massive blaue Flecken am Körper und Gesicht verursacht, dass der Beschwerdeführer nicht die Schule habe aufsuchen können. In der mündlichen Verhandlung zu den Schlägen durch den Pflegevater befragt, gab der Beschwerdeführer an (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls; VR=Vorsitzende Richterin, BF=Beschwerdeführer):

„VR: Wann waren die ersten Schläge, an die sie sich erinnern können? BF: Ich war noch zu jung für diese Sachen, um mir das zu merken. Ich kann es nicht sagen. Ich bin in der Woche zwei, drei Mal geschlagen worden. Wenn die Ziehmutter sich gewehrt hat, dass er mich haut, dann hat sie auch gleich ein paar Ohrfeigen bekommen. VR: Können Sie sich ungefähr erinnern, wann er angefangen hat, sie zu schlagen? BF: Frau Rat, ich kann das nicht richtig beantworten. Es kann früher gewesen sein, das ist lange her. VR: Ich verstehe das, das ist lange her. Ich frage deshalb, weil Sie am 24.08.2015 vor der belangten Behörde angegeben haben, im Zeitraum 1953 bis 1964 geschlagen worden zu sein. Im Jahr 1953 waren Sie drei Jahre alt, daran konnten Sie sich erinnern? BF: Ich kann mich erinnern, es war in XXXX . Es hat Minusgrade gehabt und ich habe eine Eisenstange abgeschleckt und er hat mir ein paar Ohrfeigen gegeben, weil ich mit der Zunge ‚picken geblieben‘ bin.“

Nicht unerwähnt gelassen werden soll an dieser Stelle, dass der Beschwerdeführer zu Beginn der mündlichen Verhandlung angab, erst mit vier Jahren zu den Pflegeeltern gekommen zu sein, sich aber daran erinnern können will – je nach Variante seines Vorbringens – ab dem dritten Lebensjahr vom Pflegevater regelmäßig geschlagen worden zu sein, um dann sexuell missbraucht zu werden bzw. einmal mehrere Ohrfeigen bekommen zu haben.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang, der Pflegevater habe als die Pflegemutter im Gasthaus XXXX in XXXX aushelfen gewesen sei, die Abwesenheit der Pflegemutter für die sexuellen Übergriffe auf den Beschwerdeführer ausgenutzt, ist festzuhalten, dass dem Pflegschaftsakt entnommen werden konnte, dass die Pflegemutter hauptsächlich Hausfrau war und als Erntehelferin ausgeholfen hat, es kann auch durchaus sein, dass die Pflegemutter öfters in dem genannten Gasthaus in XXXX ausgeholfen habe, dass sie dies jedoch drei- bis viermal die Woche im Zeitraum von 1953 bis 1964 getan hat, ist äußerst unwahrscheinlich, zumal die Familie erst im August 1958 nach XXXX gezogen ist. Im Übrigen wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Clearingbericht dazu im Widerspruch stehend ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei „in vielen Wochen 1-2 Mal“ genötigt worden, den Pflegevater händisch und oral zu befriedigen.

Würde man weiters entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch im August 2015 davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 1953 bis 1964 regelmäßig drei- bis viermal die Woche so heftig geschlagen worden wäre, dass er massive blaue Flecken am Körper und im Gesicht aufgewiesen hätte und daher auch die Schule nicht aufsuchen hätte können, so hätte der Beschwerdeführer ebenso regelmäßig in der Schule gefehlt und es wäre davon auszugehen, dass die Schule die KüSt bzw. das Jugendamt XXXX entsprechend unterrichtet hätte, im Gegenteil wird aber im bereits oben erwähnten Bericht der Sonderschule in XXXX aus September 1958 festgehalten, dass der Beschwerdeführer täglich sauber gepflegt zur Schule komme. Berücksichtigt man auch noch das Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre in der Schule von der landwirtschaftlichen Arbeit so müde gewesen, dass er öfter eingeschlafen wäre, wäre der Beschwerdeführer also regelmäßig entweder gar nicht in der Schule gewesen und wenn, dann wäre er vor Erschöpfung eingeschlafen, was aber wie bereits festgehalten, in den Schulberichten keine Erwähnung findet.

Was nun die Auseinandersetzungen im Herbst 1958 zwischen den Pflegeeltern betrifft, welche darin mündeten, dass der Pflegevater am XXXX in Polizeigewahrsam und für 13 Tage in Untersuchungshaft genommen wurde, so konnte die entsprechende Feststellung aufgrund der diesbezüglichen Dokumentation im Pflegschaftsakt getroffen werden (AS 45 bis 54). Die Auseinandersetzungen zwischen den Pflegeeltern wurden auch in der mündlichen Verhandlung erörtert und den Verfahrensparteien vorgehalten, dass entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, auf Grundlage der diesbezüglichen Berichte und Einträge im Pflegschaftsakt körperliche Übergriffe auf den Beschwerdeführer und Drohungen ihm gegenüber seitens des Pflegevaters nicht festgestellt werden konnten. Es wird in diesem Zusammenhang im Pflegschaftsakt davon berichtet, dass es zwischen den Pflegeeltern zu verbalen und physischen Auseinandersetzungen wegen der 19-jährigen Pflegetochter gekommen sei, es habe die Gendarmarie einschreiten müssen und es sei der Pflegevater in Untersuchungshaft gekommen. Es wurde seitens der BH XXXX , Jugendamt im Schreiben vom 09.10.1958 festgehalten, dass der Pflegevater wegen der Pflegetochter „seelisch außer Rand und Band“ geraten sei, sodass „nicht von der Hand zu weisen ist, dass der rabiate Mann nicht nur seiner Frau, sondern auch den beiden Kindern ein Leid antut“ und wegen des Pflegevaters die größten Bedenken gegen die Weiterbelassung des Beschwerdeführers bei den Pflegeeltern bestehen würden.

Es findet sich im Akt ein Aktenvermerk der KüSt über einen Hausbesuch am 19.11.1958 bei der Pflegefamilie mit folgendem Inhalt (AS 52):

„Auch Herrn XXXX zu Hause angetroffen, der Nachtdienst in der Zuckerfabrik XXXX hatte. Er macht schwächlichen, armseligen Eindruck. Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Mann einen derartigen Tobsuchtsanfall hatte, dass die Gendarmerie einschreiten musste. Angeblich ärgert er sich über die Nachstellungen von Burschen bei seiner Pflegetochter und er wurde auch von dieser bei der Gendarmerie angezeigt. Er gibt an, dass er sich aber gänzlich beruhigt habe, vor allem sei ja die Pflegetochter nicht mehr im Haus, sondern in Klosterneuburg in Stellung. Die Familie bewohnt eine geräumige 2-Zimmerwohnung in einem abgelegenen Haus, die tadellos gehalten ist. Die Bettwäsche ist einwandfrei sauber. Nur XXXX angetroffen der sichtlich an den Pflegeeltern hängt und ein liebes, natürliches, keineswegs verschrecktes Wesen zeigt. XXXX ist in der Schule, in die er mit dem Autobus gelangt.

Anschließend Rücksprache mit dem Amtsleiter des Jugendamtes XXXX . Dieser gibt offen zu, dass er Angst hat, dass sich die Tobsuchtsanfälle bei dem Pflegevater wiederholen könnten und den Kindern etwas passieren und das Amt in die Zeitung kommen könnte. Er ist einverstanden, dass ein Befund des Facharztes, der den Pflegevater behandelte, eingeholt werde. Davon solle abhängig gemacht werden, ob die Kinder wegkommen müssen. Herr Amtsleiter gibt an, dass Herr XXXX angeblich aus Eifersucht auf das Mädchen, in das er sich verliebt habe, den Tobsuchtsanfall bekommen habe.“

Im Gesamtbericht vom 19.11.1958 wird weiters wörtlich festgehalten (AS 49):

„Die P

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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