TE Vwgh Beschluss 2021/3/3 Ra 2021/11/0007

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Veröffentlicht am 03.03.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal

Norm

ÄrzteG 1998 §4 Abs2 Z2
ÄrzteG 1998 §53 Abs1
ÄrzteG 1998 §59 Abs3
VwGG §30 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Dr. K, vertreten durch Dr. Stefan Stastny, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2020, Zl. W136 2227996-1/5E, betreffend Streichung aus der Ärzteliste (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsident der Österreichischen Ärztekammer), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht, insoweit den Bescheid der belangten Behörde vom 12. Dezember 2019 bestätigend, gemäß § 59 Abs. 3 ÄrzteG 1998 festgestellt, dass die Berechtigung des Revisionswerbers zur Ausübung des ärztlichen Berufes nicht mehr bestehe und dessen Streichung aus der Ärzteliste verfügt.

2        Nach der Begründung betreibe der Revisionswerber seit 1991 als Arzt für Allgemeinmedizin eine Ordination in der Steiermark.

3        Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 12. November 2018 sei er eines Disziplinarvergehens schuldig erkannt worden, weil er auf seiner Homepage zum Thema „Impfen“ (u.a.) die Existenz von krankmachenden Viren geleugnet und ausgeführt habe, dass Impfen nie vor Krankheiten schütze. Deswegen sei über ihn eine Disziplinarstrafe (Geldstrafe € 2.000,--) verhängt worden, eine dagegen erhobene Revision sei beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.

4        Weiters wurde festgestellt, der Revisionswerber habe in einer im Fernsehen am 2. Mai 2019 ausgestrahlten Sendung im Rahmen eines Interviews näher genannte, im angefochtenen Erkenntnis wörtlich zitierte Aussagen (betreffend seine Zweifel an der Krankheitsübertragung durch Bakterien und Viren) getroffen. Diese Aussagen, die im Wesentlichen jenen des bereits erwähnten Disziplinarverfahrens entsprächen, „widersprechen den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen und sind daher unrichtig bzw. unsachlich im Sinne des § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 iVm § 2 Abs. 1 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014“.

5        In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, die Berufsausübung des Arztes setze dessen Vertrauenswürdigkeit (§ 4 Abs. 2 Z 2 ÄrzteG 1998) voraus. Dies bedeute, dass sich Patienten darauf verlassen können, dass ein Arzt bei Ausübung des ärztlichen Berufes den Berufspflichten nach jeder Richtung entspricht (Hinweis u.a. auf VwGH 24.7.2013, 2010/11/0075).

6        Der Revisionswerber habe seine Kritik am Impfen einerseits nachvollziehbar mit von ihm behaupteten Folge- und Nebenwirkungen von Impfungen begründet, andererseits aber auch mit der Wirkungslosigkeit von Impfungen und mit dem Leugnen krankmachender Viren, wofür er bereits rechtskräftig eines Disziplinarvergehens schuldig erkannt worden sei. Da der Revisionswerber nunmehr „neuerlich in einer Fernsehsendung seine wissenschaftlichen Erkenntnissen oder medizinischen Erfahrungen widersprechenden Behauptungen wiederholt“, sei mit der belangten Behörde vom Wegfall der für die Ausübung des Arztberufes erforderlichen Vertrauenswürdigkeit des Revisionswerbers auszugehen.

7        Gegenständlich sei nämlich aufgrund der öffentlichen Verbreitung unwahrer bzw. unsachlicher medizinischer Informationen durch den Revisionswerber zu befürchten, dass er „seinen ärztlichen Behandlungs- und Aufklärungspflichten in Bezug auf empfohlene Impfungen nicht nachkommen könnte“.

8        Daran ändere nichts, dass der Revisionswerber in der Beschwerde vorgebracht habe, seine in der genannten Fernsehsendung wiedergegebenen Aussagen seien „vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen und die ausführlichen, erklärenden Passagen nicht dargestellt worden“. Diesem Einwand sei deshalb „nicht zu folgen, weil es dem [Revisionswerber] möglich gewesen wäre, die von ihm behauptete missverständliche Darstellung seiner Aussagen gegenüber dem Ehrenrat bzw. der belangten Behörde richtig zu stellen“ (der Revisionswerber sei zweimal erfolglos „zu einer Anhörung des beratenden Ehrenrates“ geladen worden).

9        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber die (außerordentliche) Revision verbunden mit dem gegenständlichen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, weil das angefochtene Erkenntnis zu einem schwerwiegenden und unverhältnismäßigen Eingriff in seine Erwerbsfreiheit führe.

10       Die belangte Behörde hat sich in ihrer Stellungnahme vom 15. Februar 2021 gegen diesen Antrag ausgesprochen, weil ihm zwingende öffentliche Interessen gemäß § 30 Abs. 2 VwGG entgegen stünden. Durch seine Aussagen habe der Revisionswerber seine „ablehnende Haltung gegenüber Impfungen klar zum Ausdruck“ gebracht, sodass die weitere ärztliche Berufsausübung seitens des Revisionswerbers zu einer „potentiellen massiven Gefährdung“ von Patienten und zu deren Verunsicherung und Falschinformation führe und davon auszugehen sei, er werde Patienten nicht lege artis behandeln oder beraten.

11       Gemäß § 30 Abs. 2VwGG ist der Revision die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

12       Das angefochtene Erkenntnis beruht zusammengefasst auf der Rechtsansicht, der Revisionswerber habe durch öffentliche Äußerungen zum Stellenwert und zur Wirksamkeit von Impfungen unwahre bzw. unsachliche medizinische Informationen öffentlich verbreitet und damit die für die Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Vertrauenswürdigkeit verloren. Die belangte Behörde sieht deshalb zwingende öffentliche (Gesundheits-)Interessen iSd § 30 Abs. 2 VwGG gefährdet, wenn dem Revisionswerber durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorläufig (bis zur Entscheidung über seine Revision) die Berufsausübung ermöglicht würde.

13       Im zitierten Erkenntnis 2010/11/0075 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

„Zwar könnte es gegen die Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers sprechen, wenn er in seinen Publikationen und Vorträgen unmissverständlich zum Ausdruck brächte, er würde die nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft gebotenen Impfungen in einer konkreten Behandlungssituation nicht verabreichen oder seinen Patienten von derartigen Impfungen ohne Aufklärung über die seiner Meinung entgegengesetzte Auffassung abraten. Eine derartige Prognose könnte jedoch nur auf der Basis konkreter Ermittlungen (wie etwa einer Befragung des Beschwerdeführers) getroffen werden, welche die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage durchzuführen verabsäumt hat.“

14       Träfe daher zu, dass der Revisionswerber in seinen Äußerungen unmissverständlich zum Ausdruck brachte, er würde die nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft gebotenen Impfungen in einer konkreten Behandlungssituation nicht verabreichen oder seinen Patienten von derartigen Impfungen ohne Aufklärung über die seiner Meinung entgegengesetzte Auffassung abraten, dann stünden der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gegenständlich tatsächlich zwingende öffentliche Interessen iSd. § 30 Abs. 2 VwGG entgegen.

15       Davon kann jedoch im vorliegenden Provisorialverfahren nicht ausgegangen werden:

16       Nach ständiger Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu überprüfen, sondern es ist - wenn das in der Revision selbst erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen ist - zunächst von den Sachverhaltsannahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen, es sei denn, diese beruhten auf einem offenkundigen Verfahrensmangel (vgl. etwa VwGH vom 14.4.2014, Ra 2014/04/0004, vom 29.5.2015, Ra 2015/11/0038, und vom 2.7.2020, Ra 2020/11/0041).

17       Nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses hat sich der Revisionswerber (einerseits) zu einem nicht näher festgestellten (aber offensichtlich noch vor dem diesbezüglichen Disziplinarerkenntnis vom 27. Juni 2017 gelegenen) Zeitpunkt auf seiner Homepage dahin geäußert, dass Impfen nie vor Krankheiten schütze, und (andererseits) im Rahmen eines in einer Fernsehsendung vom 2. Mai 2019 ausgestrahlten Interviews Zweifel an der Krankheitsübertragung durch Bakterien und Viren geäußert. Eine der vom Verwaltungsgericht festgestellten Äußerungen des Revisionswerbers in diesem Interview lautet sogar: „Wenn der Mensch Angst hat vor irgendeiner Erkrankung, dann empfehle ich ihm, sich impfen zu lassen, ..., aber ich impfe ihn selber nicht.“

18       Im angefochtenen Erkenntnis (Seite 4) ist zudem festgehalten, der Revisionswerber habe zu seinen Äußerungen („im Film“) vorgebracht, „dass fast alle erklärenden Passagen herausgeschnitten wurden und meine Aussagen ohne Hintergrundinfo stehen blieben“.

19       Das Verwaltungsgericht hätte daher im Rahmen der Befragung des Revisionswerbers (vgl. abermals VwGH 24.7.2013, 2010/11/0075) - somit im Rahmen einer mündlichen Verhandlung (Art. 6 EMRK) - die Sachlage klären müssen (insoweit unverständlich daher, wenn das Verwaltungsgericht darauf verzichtete, weil der Revisionswerber eine Richtigstellung seiner Aussagen schon vor dem „Ehrenrat“ hätte tätigen können).

20       Schon wegen dieses offenkundigen Verfahrensmangels ist daher im vorliegenden Provisorialverfahren die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zugrunde zu legen, der Revisionswerber werde seinen ärztlichen Behandlungs- und Aufklärungspflichten in Bezug auf empfohlene Impfungen nicht nachkommen (eine solche Annahme lässt sich im Übrigen auch nicht auf die Feststellungen zu den Ausführungen auf der Homepage des Revisionswerbers stützen).

21       Damit liegen die in der Stellungnahme vom 15. Februar 2021 vorgebrachten zwingenden öffentlichen Interessen iSd. § 30 Abs. 2 VwGG nicht vor.

22       Dem Antrag des Revisionswerbers war daher angesichts des ihm drohenden unverhältnismäßigen Nachteils im Sinne der letztgenannten Bestimmung (Berufsausübungsverbot) stattzugeben.

Wien, am 3. März 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021110007.L00

Im RIS seit

08.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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