TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/11 Ra 2021/21/0066

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Veröffentlicht am 11.05.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §17
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §22a Abs1
BFA-VG 2014 §22a Abs3
BFA-VG 2014 §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §80 Abs4
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z4
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §35 Abs1
VwGVG 2014 §7 Abs4
VwGVG 2014 §9
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Y A M (auch: A) (alias M M), vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Jänner 2021, W171 2223852-15/7E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses, mit denen die gegen die Schubhaftbescheide vom 10. April 2019 und vom 10. Mai 2019 und gegen die Festnahme am 9. Mai 2019 sowie gegen die Anhaltung des Revisionswerbers vom 10. April 2019 bis 7. Mai 2019 und vom 9. Mai 2019 bis 29. Mai 2019 erhobene Beschwerde als verspätet zurückgewiesen wurde, und gegen die diesbezüglichen Kostenentscheidungen in den Spruchpunkten A.VI. und A.VII. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

1.1. Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses wird, soweit damit die gegen die Festnahme des Revisionswerbers am 5. September 2019 und gegen die anschließende Anhaltung bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides vom 6. September 2019 erhobene Beschwerde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1.2. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die mit Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses (auch) vorgenommene Zurückweisung wegen entschiedener Sache der gegen den Schubhaftbescheid vom 6. September 2019 und gegen die anschließende Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft bis zur Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Oktober 2019 und gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft jeweils zum Zeitpunkt der Erlassung der nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes (beginnend vom 3. Jänner 2020 und zuletzt vom 27. November 2020) erhobenen Beschwerde richtet, als unbegründet abgewiesen.

1.3. Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses wird, soweit damit die gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft im Zeitraum nach der Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Oktober 2019 bis zur Erlassung seines Erkenntnisses vom 27. November 2020 erhobene Beschwerde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, - ausgenommen die von der Abweisung der Revision mit Punkt II.1.2. erfasste Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft jeweils zum Zeitpunkt der Erlassung der nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes (beginnend vom 3. Jänner 2020 und zuletzt vom 27. November 2020) - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

1.4. Spruchpunkt A.VIII. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

2. Spruchpunkt A.V. des angefochtenen Erkenntnisses, mit dem die Zulässigkeit der Fortsetzung der Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft festgestellt wurde, und die Kostenentscheidung im Spruchpunkt A.IX. des angefochtenen Erkenntnisses, soweit damit der Aufwandersatzantrag des Revisionswerbers abgewiesen wurde, werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

3. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet Mitte Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er in diesem Verfahren zu seiner Identität den Namen M. M., geboren am 1. Jänner 1999 in Kunduz, Staatsangehöriger von Afghanistan, angab. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 17. August 2017 zur Gänze ab und es erließ gegen den Revisionswerber - verbunden mit der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan - eine Rückkehrentscheidung. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2018 als unbegründet ab.

2        Der Revisionswerber wurde straffällig und deshalb (unter anderem) wegen schwerer Körperverletzung mit Urteil vom 12. Dezember 2018 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten (davon zehn Monate bedingt nachgesehen) und mit Urteil vom 24. Jänner 2019 zu einer teilbedingten Zusatzfreiheitsstrafe von sieben Monaten (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt.

3        Während der Anhaltung in Strafhaft stellte der Revisionswerber im März 2019 einen Asylfolgeantrag, wobei er nunmehr angab, den Namen Y. A. zu führen, am 18. September 1999 in Grosny geboren und Staatsangehöriger der Russischen Föderation zu sein. In Bezug auf diesen Antrag hob das BFA mit Bescheid vom 18. April 2019 den faktischen Abschiebeschutz auf, was mit Beschluss des BVwG vom 6. Mai 2019 bestätigt wurde. Der Asylfolgeantrag wurde sodann mit Bescheid des BFA vom 7. Juni 2019 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber neuerlich eine Rückkehrentscheidung erlassen und damit ein mit zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden. Diese Entscheidung ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

4        Bereits davor, nämlich am 10. April 2019, war der Revisionswerber aus der Strafhaft entlassen und im Anschluss daran auf Basis des Bescheides des BFA vom selben Tag in Schubhaft genommen worden. Der Revisionswerber wurde sodann am 7. Mai 2019 - nachdem für ihn von der afghanischen Vertretungsbehörde ein Heimreisezertifikat ausgestellt worden war - nach Afghanistan überstellt. Da der Revisionswerber auch gegenüber den afghanischen Behörden behauptete, Staatsangehöriger der Russischen Föderation zu sein, verweigerten sie die Übernahme des Revisionswerbers, sodass er am 9. Mai 2019 wieder nach Österreich rücktransferiert und anschließend festgenommen wurde.

5        In der Folge verhängte das BFA mit Bescheid vom 10. Mai 2019 über den Revisionswerber neuerlich die Schubhaft. Am selben Tag wurde er nochmals der afghanischen Vertretungsbehörde vorgeführt, wiederum als Staatsangehöriger Afghanistans identifiziert und für ihn noch einmal ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Hierauf wurde er am 29. Mai 2019 neuerlich nach Afghanistan überstellt und den dortigen Behörden übergeben. Obwohl der Revisionswerber weiterhin geltend machte, kein afghanischer Staatsangehöriger zu sein, übernahmen ihn die lokalen Behörden nach Telefonaten mit dem Konsulat in Wien. Schließlich ersuchten die afghanischen Behörden aber im Hinblick auf die vom Revisionswerber weiterhin ins Treffen geführte Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation um Rückübernahme des Revisionswerbers, die sodann entsprechend einem solchen Abkommen am 5. September 2019 erfolgte.

6        Hierauf verhängte das BFA mit Bescheid vom 6. September 2019 über den Revisionswerber, der zuvor festgenommen worden war, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung neuerlich die Schubhaft. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 4. Oktober 2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab und es stellte gemäß § 22a Abs. 3 FPG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen.

7        Anfang November 2019 wurde ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber mit den Behörden der Russischen Föderation eingeleitet.

8        Vom BVwG wurden nach § 22a Abs. 4 BFA-VG periodische - nach der Überschreitung einer Anhaltedauer von vier Monaten und danach alle vier Wochen - Überprüfungen der weiteren Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vorgenommen. Beginnend mit dem Erkenntnis vom 3. Jänner 2020 und zuletzt mit den Erkenntnissen vom 2. November 2020 (siehe dazu den die dagegen eingebrachte Revision zurückweisenden Beschluss vom heutigen Tag, VwGH 11.5.2021, Ra 2020/21/0518) und vom 27. November 2020 wurde immer wieder festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.

9        In den beiden zuletzt genannten Erkenntnissen wurde im Rahmen der Begründung auch festgestellt, dass am 4. Februar 2020 ein „Interview“ des Revisionswerbers bei der russischen Botschaft stattgefunden habe. Die Botschaft habe danach die Identität des Revisionswerbers nicht bestätigen können, aber eine Überprüfung seiner Angaben durch den russischen Migrationsdienst veranlasst. Eine endgültige Entscheidung der russischen Botschaft sei damals noch nicht vorgelegen, das BFA habe aber eine solche zuletzt am 1. Oktober 2020 und am 5. November 2020 urgiert.

10       Der Revisionswerber wurde am 27. November 2020 aufgrund einer COVID-19-Erkrankung wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen und in einem Spital stationär aufgenommen. Nach Beendigung der Spitalsbehandlung am 7. Dezember 2020 wurde der Revisionswerber wieder festgenommen, in das Polizeianhaltezentrum verbracht und es wurde über ihn am selben Tag mit Bescheid des BFA wiederum gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt.

11       Mit Schriftsatz vom 7. Jänner 2021 erhob der Revisionswerber (erkennbar auch) gegen den Schubhaftbescheid vom 7. Dezember 2020 und die darauf gegründete Anhaltung sowie gegen die vorangegangenen Schubhaftbescheide vom 10. April 2019, vom 10. Mai 2019 und vom 6. September 2019 und die Anhaltungen in Schubhaft seit 10. April 2019 (erkennbar) bis 27. November 2020 eine Beschwerde, wobei der Anfechtungsumfang nach dem übrigen Inhalt der Beschwerde auch die Festnahmen am 9. Mai 2019 und am 5. September 2019 und die daran anschließenden Anhaltungen bis zur Erlassung des jeweiligen Schubhaftbescheides erfassen sollte.

12       Über diese Beschwerde entschied das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Jänner 2021 im Spruch wie folgt:

„A)

I. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 10.04.2019 und die darauffolgende Anhaltung in Schubhaft von 10.04.2019 bis 07.05.2019 (Beschwerde a)) wird gemäß § 76 Abs. 2 Zi. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 10.05.2019 und die Anhaltung in Haft vom 09.05.2019 bis 29.05.2019 (Beschwerde b)) wird gemäß § 76 Abs. 2 Zi. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

III. Die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 06.09.2019 und die Anhaltung in Haft von 05.09.2019 bis 27.11.2020 (Beschwerde c)) wird gemäß § 76 Abs. 2 Zi. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

IV. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 07.12.2020 sowie gegen die darauffolgende Anhaltung in Schubhaft seit dem 07.12.2020 ([Beschwerde] d)) wird gemäß § 76 Abs. 2 Zi. 2 iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft vom 07.12.2020 bis 14.01.2021 für rechtswidrig erklärt.

V. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG und § 76 Abs. 2 Zi. 2 FPG wird jedoch festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

VI. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 für die Beschwerde a) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag auf Kostenersatz des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

VII. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 für die Beschwerde b) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag auf Kostenersatz des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

VIII. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 für die Beschwerde c) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag auf Kostenersatz des Beschwerdeführers wird abgewiesen.

IX. Die Kostenersatzanträge der Parteien hinsichtlich der Beschwerde zu d) werden gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.“

13       Gegen die Spruchpunkte A.I. bis A.III. und gegen die Spruchpunkte A.V. bis A.IX. - der letztgenannte Spruchpunkt wird allerdings erkennbar nur insoweit angefochten, als damit der Kostenersatzantrag des Revisionswerbers abgewiesen wurde - richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

14       Vorauszuschicken ist, dass sich die Revision, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A.I. und A.II. sowie A.VI. und A.VII. richtet, unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist. Im Übrigen, betreffend die Spruchpunkte A.III. und A.V. sowie A.VIII. und A.IX., ist die Revision einerseits wegen der Notwendigkeit zur Klarstellung in der Folge behandelter Rechtsfragen, andererseits wegen Abweichens von schon bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit der Frage der Effektuierbarkeit einer Abschiebung zulässig; insoweit ist sie teilweise auch berechtigt.

Zu den Spruchpunkten A.I. und A.II. sowie A.VI. und A.VII.:

15       In der Begründung der Spruchpunkte A.I. und A.II. ging das BVwG zunächst davon aus, dass die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft seit 10. April 2019 nicht durch den gescheiterten Abschiebeversuch vom 7. Mai 2019 bis 9. Mai 2019 beendet, sondern bis zum 29. Mai 2019 „fortgeführt“ worden sei. Einerseits habe es nämlich keine formelle Entlassung aus der Schubhaft gegeben, andererseits sei der Revisionswerber von den afghanischen Behörden nicht übernommen und „von den österreichischen Organen gleich wieder ins Land zurückgebracht“ worden. Erst durch die Übergabe des Revisionswerbers an die afghanischen Behörden am 29. Mai 2019 und die damit erfolgreiche Abschiebung sei die Schubhaft dann faktisch und rechtlich beendet worden. Da aber innerhalb der sechswöchigen Frist des § 7 Abs. 4 VwGVG keine Schubhaftbeschwerde eingebracht worden sei, erweise sich die gegenständliche Beschwerde in dem aus den Spruchpunkten A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses ersichtlichen Umfang als verspätet.

16       Dazu wird in der Revision bei Bekämpfung der Kostenentscheidungen in den Spruchpunkten A.VI. und A.VII., der Sache nach aber auch in Bezug auf die Spruchpunkte A.I. und A.II., (nur) geltend gemacht, in der Beschwerde sei der ab dem 10. April 2019 angefochtene Haftzeitraum „explizit“ dahingehend eingeschränkt worden, dass jene Zeiträume, für die die Beschwerdefrist bereits verstrichen sei, nicht bekämpft würden, sondern „zur Dokumentation des gesamten Verfahrensgangs“ erwähnt worden seien.

17       In erster Linie ist diesem Vorbringen zu erwidern, dass eine derartige Einschränkung in Form der Bedingung der Rechtzeitigkeit unzulässig wäre. Im Übrigen trifft es nicht zu, dass sich der Beschwerde eine entsprechende ausdrückliche Einschränkung entnehmen lässt. Es findet sich zwar in der Beschwerde eine Passage, wonach „sehr wohl bekannt ist, dass gewisse Fristen ggf bereits abgelaufen sind und demnach Entscheidungen (Bescheide als auch Erkenntnisse) rechtskräftig sind bzw keine Möglichkeit der Anfechtung mehr bieten“, wobei „diese“ dennnoch „im ggst Verfahren vorgebracht [werden], um den Sachverhalt als auch den Verfahrensgang zu dokumentieren sowie die persönliche Freiheitsentziehung des BF seit 10.04.2019 als Beweis im ggst Verfahren zu erheben.“ Aus diesen allgemein gehaltenen Formulierungen musste das BVwG aber nicht ableiten, dass damit der in der Beschwerde insoweit ausdrücklich umschriebene Anfechtungsumfang - insbesondere auch die Schubhaftbescheide vom 10. April 2019 und vom 10. Mai 2019 sowie die Anhaltung des Revisionswerbers seit 10. April 2019 (bis 29. Mai 2019) - wieder eingeschränkt werden sollte, zumal die Beschwerdegründe auch konkrete Ausführungen zur diesbezüglichen Rechtzeitigkeit der Beschwerde enthalten und überdies abschließend noch einmal als Hauptantrag die Feststellung begehrt wurde, dass „die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung im Stande der Schubhaft sowie der Festnahme nach dem BFA-VG seit dem 10.04.2019“ in rechtswidriger Weise erfolgt seien. Vor diesem Hintergrund war die Deutung des Beschwerdeinhalts durch das BVwG aber zumindest vertretbar, was insoweit der Zulässigkeit der Revision jedenfalls entgegensteht (vgl. etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0181, Rn. 11, mwN).

18       Allerdings trifft die Beurteilung des BVwG, die Schubhaft sei durch den gescheiterten Abschiebeversuch vom 7. bis 9. Mai 2019 nicht unterbrochen worden, der sich der Revisionswerber in der Revision anschließt, nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Nichtunterbrechung der Schubhaft in einem Fall angenommen, in dem der Fremde zwecks Durchführung seiner Abschiebung aus den Hafträumlichkeiten des Polizeianhaltezentrums (zweimal) zum Flughafen Wien - Schwechat verbracht und nach dem aufgrund des Widerstands des Fremden im Flugzeug herbeigeführten Scheitern der Abschiebeversuche umgehend in das Polizeianhaltezentrum rücküberstellt wurde, sich somit nie außerhalb behördlicher Gewahrsame befunden hatte und die Schubhaft auch nie erkennbar beendet worden war. Daraus wurde gefolgert, dass es für die Erlassung eines neuen Schubhaftbescheides nach den gescheiterten Abschiebeversuchen keine Grundlage gegeben und das BFA insoweit eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen, somit den dort in Beschwerde gezogenen Schubhaftbescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet habe (VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0106, Rn. 20/21). Dieser Fall ist aber nicht mit der vorliegenden Konstellation zu vergleichen, in der sich der Revisionswerber im Zuge der Abschiebung bereits im Ausland befunden hatte und dort seine Übernahme durch die Behörden des Zielstaats abgelehnt wurde. Auch wenn sich der Revisionswerber durchgehend in der Gewahrsame österreichischer Sicherheitsorgane befand, so wurde die Schubhaft jedenfalls mit der Außerlandesbringung und dem dadurch bewirkten Verlassen des Bundesgebietes beendet. Demzufolge war die neuerliche Schubhaftverhängung mit Bescheid vom 10. Mai 2019 nicht rechtswidrig (vgl. VwGH 25.4.2014, 2013/21/0077, wo in einem vergleichbaren Fall nicht von der Unzulässigkeit der wiederholten Schubhaftverhängung ausgegangen wurde).

19       Dass aber für den von den Spruchpunkten A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses erfassten Zeitraum die Beschwerde jedenfalls verspätet erhoben wurde, kann am Maßstab des (grundlegenden) Erkenntnisses VwGH 30.4.2009, 2008/21/0565, dessen Ausführungen auch für die aktuelle Rechtslage gelten, nicht zweifelhaft sein und wird in der Revision auch nicht in Frage gestellt. Danach wäre die Beschwerde nämlich spätestens sechs Wochen nach der Beendigung der Schubhaft (7. Mai 2019 bzw. 29. Mai 2019) einzubringen gewesen, was hier nach dem Gesagten nicht der Fall war. Insoweit liegt daher keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, sodass die Revision in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen war.

20       Ausgehend davon, dass - wie in Widerlegung der Meinung in der Revision in Rn. 17 dargelegt wurde - mit der Beschwerde die Schubhaftbescheide vom 10. April 2019 und vom 10. Mai 2019 und die darauf gegründeten Anhaltungen, somit - wie sich auch aus Rn. 18 ergibt - zwei gesonderte Verwaltungsakte, angefochten wurden, wurde der Revisionswerber mangels diesbezüglichen Erfolgs zu Recht mit den Spruchpunkten A.VI. und A.VII. des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 35 VwGVG zum Kostenersatz gegenüber dem Bund verpflichtet. Auch diesbezüglich vermag die Revision daher keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb sie auch in Bezug auf die genannten Spruchpunkte gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen war. Im Übrigen wäre - wie zur Vollständigkeit noch anzumerken ist - dem Revisionswerber auch hinsichtlich der in Beschwerde gezogenen Festnahme am 9. Mai 2019 und der danach anschließenden Anhaltung, die unabhängig vom Beschwerdegegenstand Schubhaft als weiterer gesondert angefochtener Verwaltungsakt anzusehen sind (vgl. mit dem Hinweis auf VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014, das Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162, Rn. 12, und darauf Bezug nehmend etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0169, Rn. 8), Kostenersatz aufzuerlegen gewesen. Davon hat das BVwG aber ohnehin abgesehen.

Zu den Spruchpunkten A.III. und A.VIII.:

21       Die mit Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses vorgenommene Zurückweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Anhaltung des Revisionswerbers im Zeitraum vom 5. September 2019 bis 27. November 2020 und gegen den Schubhaftbescheid vom 6. September 2019 richtete, erfolgte wegen bereits entschiedener Sache. Das begründete das BVwG damit, dass der genannte Bescheid schon durch das Erkenntnis vom 4. Oktober 2019 einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen worden sei. Die weitere Anhaltung bis zur Überstellung des Revisionswerbers in eine Krankenanstalt am 27. November 2020, wodurch die Schubhaft „faktisch und rechtlich“ beendet worden sei, sei ebenfalls bereits mehreren (dreizehn) Überprüfungen unterlegen und es sei daher diese Periode der Anhaltung keiner weiteren Prüfung durch das BVwG zugänglich.

22       Dem wird in der Revision entgegengehalten, lediglich das erste dieser Verfahren sei aufgrund einer Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG eingeleitet und mit Erkenntnis vom 4. Oktober 2019 abgeschlossen worden. Sämtliche weiteren Entscheidungen betreffend die Zulässigkeit der weiteren Anhaltung beruhten auf einer amtswegigen Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG; eine solche Entscheidung beziehe sich aber nur auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt. Über die Zulässigkeit der Haft vor oder nach diesem Zeitpunkt werde damit nicht abgesprochen. Folglich stehe der Erhebung einer Schubhaftbeschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG eine „vorherige“ Entscheidung nach § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht entgegen.

23       Der Revisionswerber beruft sich zur Stützung seiner Auffassung auf das Erkenntnis VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0163. Dort wurde in Rn. 15 unter Bezugnahme auf VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0111, wiederholt, mit einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenem Erkenntnis werde entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Diese Entscheidung stelle - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume werde damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG stehe daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt werde, nicht entgegen. Es sei - so wurde in Rn. 16 ergänzt - dem Fremden unbenommen, betreffend Zeiträume vor oder nach der Erlassung der Entscheidung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG eine Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG einzubringen, sofern hierüber nicht bereits durch ein Erkenntnis des BVwG abgesprochen wurde. In diesem Sinn wurde in dem genannten Erkenntnis VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0111, unter Rn. 12, in Anknüpfung an Vorjudikatur auch allgemein festgehalten, es könne (nur) dann von entschiedener Sache ausgegangen werden, wenn sich die spätere Schubhaftbeschwerde auf einen Zeitraum bezieht, über den bereits durch einen rechtskräftigen Bescheid oder ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes abgesprochen wurde.

24       Daraus folgt für den vorliegenden Fall Folgendes:

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerde im gesamten hier behandelten Umfang, nämlich soweit sie sich gegen die Anhaltung im Zeitraum vom 5. September 2019 bis 27. November 2020 richtete, nicht verfristet ist, weil sie binnen sechs Wochen ab Beendigung der Schubhaft am 27. November 2020 (siehe dazu noch unten in Rn. 34) eingebracht wurde (vgl. neuerlich VwGH 30.4.2009, 2008/21/0565, worauf schon in Rn. 19 Bezug genommen wurde). Aus dem genannten Erkenntnis ergibt sich nämlich auch, dass nicht nur der Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft binnen sechs Wochen nach Beendigung der Schubhaft noch in Beschwerde gezogen werden können, sondern dass das auch für die unmittelbar vorangegangene Festnahme und die danach erfolgte Anhaltung gilt.

25       Da in Bezug auf die mit der Beschwerde ebenfalls bekämpfte Festnahme des Revisionswerbers am 5. September 2019 und die anschließende Anhaltung bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides vom 6. September 2019 aber auch noch keine Entscheidung des BVwG vorliegt, hätte die Beschwerde zunächst insofern nicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden dürfen, sondern sie hätte meritorisch erledigt werden müssen. Das verkannte das BVwG, weshalb das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

26       Allerdings war gegen den Schubhaftbescheid vom 6. September 2019 und die darauf gegründete Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft eine Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG erhoben worden, die mit Erkenntnis des BVwG vom 4. Oktober 2019 abgewiesen worden war. Insoweit lag daher bereits eine rechtskräftige Entscheidung des BVwG und damit jedenfalls entschiedene Sache vor, sodass die Beschwerde diesbezüglich zu Recht aus dem genannten Grund zurückgewiesen wurde und demzufolge die Revision in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

27       Der nachfolgende Anhaltezeitraum ist dadurch gekennzeichnet, dass am Ende der einzelnen Perioden jeweils Erkenntnisse gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG, beginnend mit dem Erkenntnis vom 3. Jänner 2020 bis zuletzt mit dem Erkenntnis vom 27. November 2020, ergangen sind. Ein nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenes feststellendes Erkenntnis des BVwG wird zwar mit seiner Erlassung (formell und materiell) rechtskräftig (vgl. neuerlich VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0111, nunmehr Rn. 10); dagegen steht nur der Rechtszug an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen. Es ist aber daran festzuhalten, dass entsprechend dem Wortlaut des § 22a Abs. 4 BFA-VG, an den sich auch die im vorliegenden Fall ergangenen Erkenntnisse im Spruch orientierten, mit diesen Entscheidungen über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nur bezogen auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt rechtskräftig abgesprochen wurde. Hinsichtlich der davor und danach liegenden Zeiträume der Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft existieren daher keine rechtskräftigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes, die im Sinne der Einschränkung in Rn. 16 im Erkenntnis VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0163 (siehe oben Rn. 23 am Ende) insoweit einer Schubhaftbeschwerde entgegenstünden.

28       Die Beschwerde wurde daher, soweit sie sich gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft jeweils zum Zeitpunkt der Erlassung der nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes - beginnend vom 3. Jänner 2020 und zuletzt vom 27. November 2020 - richtete, zu Recht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Insoweit war die Revision daher ebenfalls gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. In Bezug auf den nach der Erlassung des nach § 22a Abs. 3 BFA-VG ergangenen positiven Fortsetzungsausspruches mit dem Erkenntnis des BVwG vom 4. Oktober 2019 bis zur Erlassung des ersten nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnisses des BVwG vom 3. Jänner 2020 liegenden Zeitraum der Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft und die danach zwischen den gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnissen, zuletzt vom 27. November 2020, liegenden Zeiträume hätte die Beschwerde jedoch nicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden dürfen. Insoweit war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG eine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorzunehmen.

29       Schon daraus folgt, dass auch die im Spruchpunkt A.VIII. getroffene Kostenentscheidung, die sich auf die mit Spruchpunkt A.III. vorgenommene Beschwerdezurückweisung bezieht, keinen Bestand haben kann, weil insoweit noch nicht feststeht, ob der Revisionswerber zur Gänze unterlegen und damit kostenersatzpflichtig sein wird (vgl. zum Aufwandersatzanspruch im Schubhaftbeschwerdeverfahren nur bei vollständigem Obsiegen etwa VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0228, Rn. 5, mwN).

Zu den Spruchpunkten A.V. und A.IX.:

30       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Es sind daher Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der (jeweils) zulässigen Schubhafthöchstdauer zu treffen (vgl. etwa VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 14, und zu den diesbezüglichen Begründungserfordernissen Rn. 20, jeweils mwN).

31       Das BVwG erachtete den Schubhaftbescheid vom 7. Dezember 2020 in Bezug auf diese Frage für mangelhaft begründet, weshalb es der Beschwerde insoweit mit Spruchpunkt A.IV. des angefochtenen Erkenntnisses stattgab und die Anhaltung des Revisionswerbers im Zeitraum 7. Dezember 2020 bis 14. Jänner 2021 für rechtswidrig erklärte. Zur Begründung des mit Spruchpunkt A.V. getroffenen (positiven) Fortsetzungsausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG verwertete das BVwG dann das Vorbringen des BFA aus Anlass der Beschwerdevorlage, wonach am 9. Dezember 2020 von Seiten der russischen Botschaft mitgeteilt worden sei, dass es einen Datensatz mit den vom Revisionswerber behaupteten Identitätsangaben in der Russischen Föderation nicht gebe und somit feststehe, dass der Revisionswerber kein russischer Staatsangehöriger sei. Da die afghanische Vertretungsbehörde bereits zwei Mal ein Heimreisezertifikat für den Revisionswerber ausgestellt habe, sei - so folgerte das BVwG - zu erwarten, dass von ihr abermals ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde, zumal sie diesbezüglich die Kooperation stets zugesichert habe. Das bezog sich offenbar auf die im angefochtenen Erkenntnis getroffene Feststellung, die afghanische Botschaft habe zugesichert, für den Revisionswerber ein weiteres Heimreisezertifikat auszustellen, falls er von der Botschaft der Russischen Föderation nicht als Staatsangehöriger anerkannt werde. Es sei nach der Einschätzung des BVwG auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Behörden in Afghanistan nunmehr die Rücknahme des Revisionswerbers nicht mehr mit der Begründung verweigern könnten, er sei russischer Staatsangehöriger, zumal die eigene Botschaft in Österreich die afghanische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers schon bestätigt habe. Insofern habe sich während der laufenden Schubhaft die Sachlage entscheidend dahingehend geändert, dass „kein vernünftiger Grund“ mehr bestehe, an einer Übernahme des Revisionswerbers durch die Behörden Afghanistans zu zweifeln. Er werde unmittelbar nach Beendigung des „laufenden Lockdowns“ erneut der Botschaft vorgeführt und aller Voraussicht nach mit dem Charterflug am 23. Februar 2021, somit noch innerhalb der Schubhafthöchstdauer, in seinen Herkunftsstaat verbracht werden.

32       Diesbezüglich wird in der Revision vorrangig ins Treffen geführt, der Revisionswerber sei vom 10. April 2019 bis 29. Mai 2019 insgesamt 49 Tage und vom 6. September 2019 (unter Einbeziehung des Aufenthalts im Krankenhaus) bis zum Entscheidungszeitpunkt am 14. Jänner 2021 insgesamt 496 Tage, somit zusammen 545 Tage in Schubhaft angehalten worden, sodass die höchstzulässige Schubhaftdauer von achtzehn Monaten bereits überschritten sei. Demnach hätte nicht angenommen werden dürfen, die Abschiebung des Revisionswerbers sei innerhalb der maximal zulässigen Haftdauer realisierbar. Dieser Schlussfolgerung liegt die Auffassung des Revisionswerbers zugrunde, mehrere Haftperioden „aufgrund desselben Sachverhalts“ seien zusammenzurechnen. Lediglich in Fällen, in denen ein neues Verfahren zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet werde und folglich die Anhaltung auf einem anderen Sachverhalt basiere, könne zulässig davon ausgegangen werden, dass die gemäß Art. 15 Abs. 6 Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG) festgesetzte Haftdauer neu zu laufen beginne.

33       In der Revision wird somit nicht bestritten, dass die Schubhafthöchstdauer im vorliegenden Fall gemäß § 80 Abs. 4 FPG - konkret: nach der Z 1 und der Z 2, weil die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist und weil eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt - achtzehn Monate betragen hatte und dass das in dieser Bestimmung für die Frage der Zusammenrechnung von Haftzeiträumen vorgenommene Abstellen auf „Schubhaft wegen desselben Sachverhalts“ (vgl. auch dazu VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, nunmehr unter Rn. 21) im Einklang mit der genannten unionsrechtlichen Bestimmung steht. Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich aber schon in dem zu § 80 Abs. 4 FPG in der Stammfassung ergangenen Erkenntnis VwGH 31.3.2008, 2008/21/0053, mit der Auslegung der Wendung „wegen desselben Sachverhalts“ zu befassen und kam dabei unter Einbeziehung von Literaturmeinungen und auch der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu dem Ergebnis, Schubhaftzeiten seien dann nicht zusammenzurechnen, wenn es nach (wie auch immer) erfolgter Ausreise eines Fremden nach seiner Wiedereinreise erneut zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder einer Abschiebung kommen könne. Genau dieser Fall war aber hier gegeben und die vorliegende Revision gibt auch keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen, sodass vom BVwG der vor September 2019 gelegene Zeitraum bei der Berechnung des Endes der Schubhafthöchstdauer zu Recht nicht berücksichtigt wurde.

34       In Bezug auf den Krankenhausaufenthalt wurde - entgegen der Meinung in der Revision - schon aufgrund der förmlichen Entlassung des Revisionswerbers aus der Schubhaft (das BVwG verwies dazu auf einen entsprechenden, in den Akten befindlichen „Entlassungsschein“) zutreffend deren Ende und demzufolge die Notwendigkeit eines neuen Schubhaftbescheides nach dem Rücktransfer in das Polizeianhaltezentrum am 7. Dezember 2020 angenommen. Davon wurde im Übrigen auch in der Beschwerde bei der Sachverhaltsdarstellung ausgegangen, wonach der Revisionswerber „lt BFA aufgrund einer positiven COVID-19-Testung entlassen“ wurde. Soweit in der Revision nunmehr vorgebracht wird, der Revisionswerber sei während seines Krankenhausaufenthaltes durchgehend überwacht worden, habe sich nicht frei bewegen können und sei folglich in seinem Recht auf persönliche Freiheit eingeschränkt worden, handelt es sich somit um eine unzulässige Neuerung, bei der im Übrigen auch die Möglichkeit nicht einbezogen wird, dass die behaupteten Maßnahmen auf Basis eines wegen der Covid-19-Erkrankung ergangenen „Absonderungsbescheides“ gesetzt worden sein könnten. Davon, dass die Schubhaft im Sinne des § 78 Abs. 7 FPG in der Krankenanstalt weiter vollzogen wurde, musste das BVwG aufgrund der sich ihm darstellenden Aktenlage somit nicht ausgehen, sodass es auch nicht geboten war, diesen Zeitraum in die Berechnung der bisherigen Schubhaftdauer einzubeziehen. Letztlich kann diese Frage im vorliegenden Fall aber ohnehin dahinstehen, weil andernfalls das Ende der Schubhafthöchstdauer zwar nicht schon mit Anfang März 2021, sondern neun Tage später anzunehmen gewesen wäre, was allerdings am fallbezogenen Ergebnis nichts ändert.

35       In der Revision wird nämlich unter dem eingangs in Rn. 30 erwähnten Gesichtspunkt der Effektuierbarkeit der Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer zu Recht ins Treffen geführt, trotz der vorangehenden Ausstellung eines Heimreisezertifikates sei von den lokalen afghanischen Behörden die Übernahme des Revisionswerbers (letztlich) zweimal abgelehnt worden. Es hätte daher weiterer Ermittlungen bedurft, ob die afghanischen Behörden - trotz ihrer ursprünglichen gegenteiligen Feststellung, er sei kein Staatsangehöriger Afghanistans - bei neuerlicher Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die Botschaft in Österreich nunmehr bereit wären, den Revisionswerber zu übernehmen und sich im Ergebnis der Einschätzung der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation, er sei kein russischer Staatsangehöriger, anzuschließen. Zu diesem Thema wäre - wie in der Revision ebenfalls zutreffend gerügt wird - die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen, in der vom Vertreter des BFA konkret darzulegen gewesen wäre, weshalb ungeachtet des bisherigen Verhaltens der lokalen afghanischen Behörden nunmehr von ihrer Bereitschaft zur Übernahme des Revisionswerbers auszugehen sei. Bei der Annahme, dass dies allein wegen des negativen Ergebnisses des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit den russischen Behörden der Fall wäre, handelt es sich nämlich tatsächlich - so die Revision - um „nicht nachvollziehbare Spekulationen“, weil dieser Annahme keine fundierten Ermittlungsergebnisse - naheliegend wäre eine vom BFA eingeholte entsprechende Zusicherung der afghanischen Botschaft gewesen - zugrunde liegen. Im Übrigen wurde bisher offenbar überhaupt nur seitens der „HRZ-Abteilung“ des Bundesministeriums für Inneres zugesichert, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für Afghanistan nach dem Einlangen einer negativen Antwort der russischen Vertretungsbehörde erfolgen werde. Dass eine derartige Zusicherung von der afghanischen Vertretungsbehörde abgegeben worden sei, wie das BVwG im angefochtenen Erkenntnis feststellte, hat jedenfalls in den vorgelegten Akten keine Deckung, was ebenfalls zu Recht in der Revision bemängelt wird. Außerdem wird in der Revision zutreffend gerügt, dass zu der vom BVwG zugrunde gelegten Stellungnahme des BFA aus Anlass der Beschwerdevorlage, die neues Tatsachenvorbringen in Bezug auf das Ergebnis des mit den russischen Behörden geführten Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates und zur weiteren Vorgangsweise zur Realisierung der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan enthielt, (mit einer angemessenen Äußerungsfrist) Parteiengehör einzuräumen gewesen wäre (vgl. VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0503, Rn. 16; siehe auch VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0152, Rn. 13).

36       Spruchpunkt A.V. des angefochtenen Erkenntnisses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben; das erfasst auch die damit zusammenhängende Kostenentscheidung in Spruchpunkt A.IX., soweit damit der diesbezügliche Antrag des Revisionswerbers abgewiesen wurde.

37       Der Kostenzuspruch für die Revision gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-AufwErsV 2014.

Wien, am 11. Mai 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Parteiengehör Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210066.L00

Im RIS seit

09.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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