TE Vfgh Erkenntnis 2021/2/23 E3278/2020

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Veröffentlicht am 23.02.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben sowie mit der sicheren Erreichbarkeit der "Herkunftsprovinz"

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozess-kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er ist im Jahr 2000 im Iran geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 gelebt. Die Familie (Eltern und Geschwister) des Beschwerdeführers lebt weiterhin im Iran; eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Der Beschwerdeführer hat im Iran rund fünf Jahre eine afghanische Schule besucht und circa drei Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Am 5. August 2015 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19. Jänner 2018 wurde dieser Antrag abgewiesen, kein subsidiärer Schutz zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. August 2020 ab. Zum Spruchpunkt subsidiärer Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:

"Dass dem BF im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz, Daikundi aufgrund der dort vorherrschenden Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, ergibt sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, wonach Daikundi als eine relativ sichere Provinz erachtet wird.

Falls der BF Daikundi nicht sicher erreichen kann, ist es ihm zudem möglich, in eine der Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat zurückzukehren. Der Beschwerdeführer ist erwachsen, gesund und arbeitsfähig. Der BF besuchte im Iran 5 Jahre eine Schule für afghanische Flüchtlinge. Danach arbeitete der BF 3 Jahre in der Landwirtschaft und hat seine Bildung in Österreich weiter ausgebaut. Es ist davon auszugehen, dass sich der BF, aufgrund seiner Schulbildung im Iran und in Österreich und seiner mehrjährigen Berufserfahrung in der Landwirtschaft bei einer Rückkehr selbst durch diverse Hilfstätigkeiten eine neue Existenzgrundlage schaffen können wird. Die Eltern und Geschwister des BF leben im Iran und eine Schwester in Österreich. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie im Iran. Die persönlichen Merkmale des BF zeigen auf, dass er jung, gesund und arbeitsfähig ist. Der Beschwerdeführer spricht zumindest eine der Landessprachen und ist durch seine Eltern mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Es wird nicht verkannt, dass der BF im Iran geboren wurde und nie in Afghanistan aufhältig gewesen ist. Dem BF war es jedoch auch möglich im Iran, einem Land in dem er illegal aufhältig gewesen ist und keine Arbeitsbewilligung hatte unter erschwerten Arbeitsbedingungen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es ist daher davon auszugehen, dass ihm dies auch in seinem Heimatland möglich sein wird. Zudem hat der BF Berufserfahrung in der Landwirtschaft, welche ihm auch in Afghanistan zugutekommen wird. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich selbst eine Existenzgrundlage schaffen können wird, ohne auf die Hilfe seiner Familie angewiesen zu sein.

[…]

Es wird dabei nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren wurde. Laut den EASO Leitlinien 2019 ist in diesem Fall auf die Kriterien eines Unterstützungsnetzwerkes, Kenntnisse der afghanischen Kultur und den sozialen und ökonomischen Hintergrund Bedacht zu nehmen:

Der Beschwerdeführer hat zwar in Mazar-e-Sharif, Kabul oder Herat selbst kein Unterstützungsnetzwerk, gehört aber keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Sozialisierung in einer afghanischen Familie mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Landes ausreichend vertraut. Er hat eine gewisse Schulbildung erhalten und war bereits berufstätig, er könnte auch in Afghanistan in der Landwirtschaft tätig sein. Der Beschwerdeführer kann zudem allenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen kann. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Hinweise auf Basis der offiziellen Länderinformationen. Insgesamt bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, hindert allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0143-7; Ra 2019/18/0398; VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, Rn. 15, sowie VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

Eine spezifische Vulnerabilität wird auch nicht alleine dadurch begründet, dass der BF, ein Staatsangehöriger Afghanistans, jahrelang im Iran gelebt hat (vgl VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103, mwN; VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0067; VwGH 7.5.2019, Ra 2019/20/0144).

Allerdings weist das EASO, dessen Einschätzungen das Unionsrecht besondere Bedeutung beimisst, in den Country Guidance Afghanistan für Personen wie den BF ein besonderes Profil auf, das sich von anderen männlichen Asylwerbern aus Afghanistan unterscheidet. Danach kann eine innerstaatliche Fluchtalternative für Antragsteller, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder dort sehr lange Zeit gelebt haben, nicht zumutbar sein, wenn die über kein unterstützendes Netzwerk verfügen, das ihnen dabei hilft, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Richtlinien verweisen darauf, dass bei der Prüfung der Zumutbarkeit der persönliche Hintergrund der betroffenen Person, insbesondere deren Selbständigkeit, die vorhandene Ausbildung und allfällige Berufserfahrungen, ins Kalkül gezogen werden müssen.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen im 20. Lebensjahr stehenden gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter mit 5-jähriger Schulbildung im Iran und weiterer in Österreich und Erfahrung in der Landwirtschaft, welche im auch am afghanischen Arbeitsmarkt zu Gute kommt. Der BF hat daher die Möglichkeit, sich in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten aus eigenem eine Existenzgrundlage zu sichern. Zudem gehört er keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung. Der Beschwerdeführer erfüllt somit die in der Judikatur geforderten Merkmale eines alleinstehenden, leistungsfähigen Mannes im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie die wirtschaftlichen Lebensumstände bei einer Neuansiedelung für den BF schwierig sein können. Dies ist aber für sich betrachtet nicht ausreichend, um eine IFA in einem bestimmten Gebiet zu verneinen (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0411).

Außerdem kann er durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden. Aus diesen Gründen ist auch nicht zu befürchten, dass er in eine existenzbedrohende bzw wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Satus des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan richtet, ist sie auch begründet:

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine "Herkunftsprovinz" Daikundi zumutbar sei. Angesichts der Länderfeststellungen hat es das Bundesverwaltungsgericht aber unterlassen, sich nachvollziehbar mit der sicheren Erreichbarkeit dieser Region für den Beschwerdeführer auseinanderzusetzen (vgl dazu VfSgl. 20.296/2018 mwN).

2.1.2. Soweit das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif verweist, ist ihm Folgendes entgegenzuhalten:

2.1.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht verweist ua auf die " Country Guidance: Afghanistan" des EASO auf dem Stand Juni 2019. Daraus geht hervor, dass für jene Gruppe von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (vgl VfSlg 20.358/2019).

Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 6.10.2020, E2795/2019 mwN). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat.

2.1.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – mit Blick auf die dargestellte Berichtslage grundsätzlich zutreffend – aus, dass nach der EASO Country-Guidance jener Gruppe von Personen, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, in der Regel keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, wenn sie an diesem Ort kein Unterstützungsnetzwerk vorfinden.

Das Bundesverwaltungsgericht geht jedoch aus folgenden Gründen davon aus, dass das Personenprofil des Beschwerdeführers die im Länderbericht des EASO angeführten Kriterien erfüllt und somit besondere Umstände vorlägen, die dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar machten: Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, junger Mann im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen spreche und eine mehrjährige Schulausbildung im Iran erhalten habe, die er in Österreich weiter ausgebaut habe. Außerdem sei der Beschwerdeführer auf Grund der Sozialisierung in einer afghanischen Familie mit den kulturellen und sozialen Gepflogenheiten des Landes vertraut. Zudem hätte der Beschwerdeführer Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt.

2.1.2.3. Damit verkennt aber das Bundesverwaltungsgericht die Bedeutung der hier maßgeblichen Kriterien in einer qualifizierten, in die Verfassungssphäre reichenden Weise (VfGH 6.10.2020, E2795/2019; 6.10.2020, E1728/2020; 6.10.2020, E1887/2020):

Das Bundesverwaltungsgericht verweist lediglich darauf, dass der Beschwerdeführer Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt hätte, unterlässt es aber, insbesondere auch angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer diese Erfahrung wesentlich im Kindesalter erworben haben muss, zu prüfen, inwieweit der Beschwerdeführer damit über eine solche Berufserfahrung verfügt, die begründet vermuten lässt, dass er sich in seiner konkreten Rückkehrsituation selbst erhalten kann. Hiebei hätte das Bundesverwaltungsgericht auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer unter Rückenschmerzen gelitten hat und – nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes – darauf achten müsse, keine schweren Sachen zu heben. Diese Abwägung kann auch nicht durch den bloßen Verweis darauf ersetzt werden, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht verkenne, dass der Beschwerdeführer noch nie in Afghanistan aufhältig gewesen sei.

3. Daher ist das angefochtene Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet.

4. Die Behandlung der Beschwerde wird im Übrigen, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten angefochten wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3278.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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