TE Vwgh Beschluss 2021/5/10 Ra 2021/20/0119

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Veröffentlicht am 10.05.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11 Abs1
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des A H in O, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Schießstattgasse 30/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. April 2020, W171 2197733-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er stellte am 27. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 und brachte als Fluchtgrund vor, dass er wegen seines Glaubens sowie seiner Volksgruppenzugehörigkeit die Regierung sowie die Taliban fürchte. Der Vater des Revisionswerbers habe auch viele Feinde gehabt und sei in Afghanistan sowie im Iran bedroht worden.

2        Mit Bescheid vom 22. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die vom Revisionswerber gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem Erkenntnis vom 20. April 2020 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Februar 2021, E 1869/2020-8, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. März 2021, E 1869/2020-10, an den Verwaltungsgerichtshof abtrat. In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende Revision ein.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision macht in Bezug auf die Prüfung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Verfahrensfehler geltend und bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Ermittlungs- und Begründungspflicht verletzt, indem es ohne tragfähige Sachverhaltsgrundlage und ohne Heranziehung aktueller Länderberichte eine innerstaatliche Fluchtalternative für den Revisionswerber, der lange außerhalb Afghanistans gelebt habe, in den Städten Herat und Mazar-e Sharif angenommen habe.

9        Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungs-, Begründungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 25.3.2021, Ra 2021/20/0062 bis 0064, mwN).

10       Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung lässt die Revision vermissen. Es wird nicht ausgeführt, aufgrund welcher konkreter Beweismittel welche weiteren oder sonstigen entscheidungswesentlichen Feststellungen zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einer anders lautenden Entscheidung hätten führen können.

11       Entgegen dem Revisionsvorbringen traf das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Länderberichte, die EASO-Guidelines zu Afghanistan 2018 und 2019 sowie die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 hinreichend aktuelle Feststellungen zur Situation in den genannten afghanischen Städten (Sicherheits- und Versorgungslage) sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Der Revisionswerber tritt den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es sich bei ihm um einen gesunden, volljährigen und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge und dem die finanzielle Unterstützung durch Familie und Hilfsorganisationen zuteilwerden könne, nicht entgegen.

12       Darüber hinaus entspricht es in Bezug auf die auch hier maßgebliche Lage in Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einem arbeitsfähigen Asylwerber, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfügt, eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist (was auch auf den Revisionswerber zutrifft), auch ohne soziale und familiäre Anknüpfungspunkte in Herat und Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. etwa VwGH 1.10.2020, Ra 2020/20/0332; 5.8.2020, Ra 2020/14/0302, jeweils mwN). Eine spezifische Vulnerabilität des Asylwerbers wird nicht alleine dadurch begründet, dass der Revisionswerber jahrelang im Iran gelebt hat (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 10.6.2020, Ra 2019/18/0143 sowie 17.6.2019, Ra 2018/20/0500, jeweils mwN).

13       Die Revision zeigt fallbezogen weder auf, dass in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Situation vorläge, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellen würde, noch dass dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber eine Ansiedelung dort nicht zumutbar wäre (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176; 27.5.2020, Ra 2019/14/0394, mwN).

14       Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang weiters rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der Lage in Afghanistan vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie auseinandergesetzt, macht er ebenfalls einen Verfahrensmangel geltend, ohne dessen Relevanz hinreichend darzulegen. Der Revisionswerber vermeint lediglich pauschal, die Covid-19-Pandemie habe Auswirkungen auf die medizinische Versorgung, die Verfügbarkeit von Arbeit und Nahrungsmitteln, die hygienischen Zustände in Unterkünften sowie die Bewegungsmöglichkeiten in Afghanistan, ohne darzulegen, welche konkreten Feststellungen vom Bundesverwaltungsgericht zur Covid-19-Pandemie zu treffen gewesen wären und weshalb diesen eine Relevanz für den Verfahrensausgang zukäme. In der Rechtsprechung (betreffend die Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz) wurde auch bereits klargestellt, dass es nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0439, mwN).

15       Soweit sich der Revisionswerber ferner gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel ist (vgl.VwGH 17.2.2021, Ra 2020/20/0393, mwN).

16       Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der im Einzelfall vorgenommenen Gewichtung der festgestellten Umstände - darunter auch die in der Revision ins Treffen geführten Integrationsbemühungen des Revisionswerbers - die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

17       Da in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 10. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200119.L00

Im RIS seit

03.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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