TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/18 W183 2240260-1

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Veröffentlicht am 18.03.2021
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Entscheidungsdatum

18.03.2021

Norm

AVG §73
B-VG Art130 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
GehG §13b
GehG §169c
GehG §169f
GehG §169g
VwGVG §28 Abs7
VwGVG §8

Spruch


W183 2240260-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Dr. Richard BENDA, Dr. Christoph BENDA, Mag. Stefan BENDA Rechtsanwälte, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht der Österreichischen Post AG betreffend den am 30.10.2017 gestellten Antrag hinsichtlich Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages und der besoldungsrechtlichen Stellung zu Recht:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der belangten Behörde aufgetragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichtes binnen acht Wochen ab Zustellung zu erlassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer beantragte am 30.10.2017 die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages durch Anrechnung von vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten, die Feststellung der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung und allfällige Nachzahlung von Bezügen.

2.       Mit Bescheid vom 05.03.2018 setzte die belangte Behörde das Verfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, welcher vom OGH mit Beschluss vom 19.12.2016, GZ 9 ObA 141/15y-14, angerufen wurde, aus.

3.       Mit Urteil vom 08.05.2019 zu C-24/17 hat der Europäische Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

4.       Mit Schriftsatz vom 21.05.2019 wies die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die belangte Behörde darauf hin, dass nun das Verfahren fortzusetzen sei.

5.       Mit Schriftsatz vom 12.02.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde ausgeführt, dass sein Verfahren über den Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages wieder fortzusetzen sei und die Entscheidungsfrist abgelaufen sei.

6.       Mit Schriftsatz vom 05.03.2021 (eingelangt am 10.03.2021) legte die belangte Behörde die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor und ersuchte das Bundesverwaltungsgericht, dem Postamt Graz gem. § 28 Abs. 7 VwGVG aufzutragen, den versäumten Bescheid binnen acht Wochen zu erlassen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beim Bund.

Während seines aufrechten Dienstverhältnisses zum Bund beantragte er am 30.10.2017 die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtages durch Anrechnung von vor der Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Zeiten, die Feststellung der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung und allfällige Nachzahlung von Bezügen.

Die belangte Behörde hat über den Antrag des Beschwerdeführers nicht abgesprochen.

Mit Schreiben vom 12.02.2020 erhob der Beschwerdeführer wegen Verletzung der Entscheidungspflicht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akt in Verbindung mit der Säumnisbeschwerde des Beschwerdeführers und sind soweit unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Zur Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde:

Gemäß § 8 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen, einen Bescheid zu erlassen.

Gemäß § 38 AVG ist die Behörde berechtigt, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage auszusetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Der Beschwerdeführer hat am 30.10.2017 den gegenständlichen Antrag auf Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtages gestellt. Die belangte Behörde setzte mit Bescheid vom 05.03.2018 das Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Vorabentscheidungsersuchen zu C-24/17 aus. Mit Urteil vom 08.05.2019 zu C-24/17 hat der Europäische Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Durch den Wegfall des Aussetzungsgrundes hat die Entscheidungsfrist der Behörde neu zu laufen begonnen. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist ist daher gemäß § 73 Abs. 1 AVG im Zeitpunkt des Einlangens der Säumnisbeschwerde am 13.02.2020 jedenfalls abgelaufen gewesen.

Wie sich aus den Verwaltungsakten und aus dem oben dargestellten Verfahrensgang ergibt, hat die belangte Behörde in dieser Zeit keine Ermittlungs- bzw. Verfahrensschritte gesetzt.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (vgl. VwGH 21.09.2007, 2006/05/0145).

In diesem Zusammenhang ist daher festzuhalten, dass sich aus dem Akteninhalt nicht ergibt, dass die Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers oder durch unüberwindliche Hindernisse verursacht war. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher von einer durch die Behörde zu verantwortenden Untätigkeit aus, welche die Kriterien des „überwiegenden Verschuldens“ erfüllt.

Aus all dem folgt, dass die Säumnisbeschwerde zulässig ist.

Da die belangte Behörde nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Bescheid innerhalb der Nachfrist von drei Monaten iSd § 16 VwGVG nachzuholen, sondern die Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt hat, ist die Zuständigkeit an das Bundesverwaltungsgericht übergegangen.

3.2. Nachholung des versäumten Bescheides:

Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen.

Auch wenn das Gesetz keine expliziten Voraussetzungen für die Ausübung dieses Ermessens nennt, ist anzunehmen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung in erster Linie die Grundsätze der Verfahrensökonomie zu beachten hat (vgl. VwGH 24.10.2017, Ra 2016/06/0023 mwN). Aus verfahrensökonomischer Sicht wird die Erlassung eines „Teilerkenntnisses“ vor allem dann in Betracht kommen, wenn neben der Lösung der maßgeblichen Rechtsfragen auch noch der Sachverhalt weiter klärungsbedürftig ist.

Vor diesem Hintergrund macht das Bundesverwaltungsgericht von der Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch und trägt der belangten Behörde auf, den versäumten Bescheid innerhalb von acht Wochen unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung nachzuholen:

Der Beschwerdeführer stellte seinen Antrag am 30.10.2017, als er sich im Dienststand befand.

In Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG ist die 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I 58/2019, ergangen.

§ 169f Abs. 1 GehG 1956 ordnet an, dass bei Beamten, die sich am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I 58/2019, im Dienststand befinden (Z 1) und die nach § 169c Abs. 1 übergeleitet wurden (Z 2) und deren erstmalige Festsetzung des Vorrückungsstichtags für das laufende Dienstverhältnis unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten erfolgt ist (Z 3) und bei denen nach der erstmaligen Festsetzung nach Z 3 nicht die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes BGBl. I 82/2010 vorangestellt und durch Außerachtlassung der mit diesem Bundesgesetz bewirkten Verlängerung des für die erste Vorrückung erforderlichen Zeitraums zur Gänze für die Einstufung wirksam geworden sind (Z 4), die besoldungsrechtliche Stellung von Amts wegen bescheidmäßig neu festzusetzen ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. erfolgt bei den am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I 58/2019, anhängigen Verfahren, welche die Frage der Anrechnung zusätzlicher Vordienstzeiten, der Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags, insbesondere nach § 113 Abs. 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I 82/2010, der Neufestsetzung des Besoldungsdienstalters oder der Festsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung für eine Beamtin oder einen Beamten nach Abs. 1 Z 3 als Hauptfrage zum Gegenstand haben, eine Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. erfolgt die Neufestsetzung nach den Abs. 1 bis 3 nach Ermittlung des Vergleichsstichtags (§ 169g) durch Feststellung des Besoldungsdienstalters zum Ablauf des 28.02.2015. Das Besoldungsdienstalter nach § 169c erhöht sich um den zwischen dem Vergleichsstichtag und dem Vorrückungsstichtag liegenden Zeitraum, wenn der Vergleichsstichtag vor dem Vorrückungsstichtag liegt, andernfalls vermindert es sich um diesen Zeitraum. Für den Vergleich ist der letzte Vorrückungsstichtag maßgebend, der unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die belangte Behörde zunächst den letzten Vorrückungsstichtag des Beschwerdeführers, der unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde und gemäß § 169f Abs. 4 letzter Satz GehG 1956 für den Vergleich mit dem zu ermittelnden Vergleichsstichtag heranzuziehen ist, festzustellen hat.

In einem weiteren Schritt hat die belangte Behörde den Vergleichsstichtag gemäß § 169g GehG 1956 zu ermitteln.

Zuletzt hat die belangte Behörde den im ersten Schritt festgestellten Vorrückungsstichtag mit dem festgestellten Vergleichsstichtag zu vergleichen. Das Besoldungsdienstalter nach § 169c erhöht sich um den zwischen dem Vergleichsstichtag und dem Vorrückungsstichtag liegenden Zeitraum, wenn der Vergleichsstichtag vor dem Vorrückungsstichtag liegt, andernfalls vermindert es sich um diesen Zeitraum.

Sollte sich aufgrund dieser Berechnung ergeben, dass sich die Einstufung des Beschwerdeführers verbessert, würde dem Beschwerdeführer eine Nachzahlung der sich aus der Verbesserung seiner Einstufung ergebenden Bezüge gebühren. Dabei ist die Verjährung gem. § 13b GehG zu berücksichtigen.

Der belangten Behörde wird daher gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG aufgetragen, binnen acht Wochen den beantragten Bescheid zu erlassen. Im Hinblick auf die noch durchzuführenden Ermittlungen wurde die in § 28 Abs. 7 VwGVG vorgesehene Frist in vollem Umfang gewährt.

Es wird nicht verkannt, dass § 169f GehG normiert, dass dem Beschwerdeführer das vorläufige Ergebnis der Ermittlungen aufgrund der Aktenlage mit der Aufforderung schriftlich mitzuteilen ist, binnen sechs Monaten allfällige weitere Zeiten geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise zu erbringen, jedoch kann diese Frist mit Zustimmung des Beamten verkürzt werden, weshalb es der belangten Behörde jedenfalls möglich ist, den gegenständlichen Bescheid innerhalb einer Frist von 8 Wochen nachzuholen.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter unter den Begriff der „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen, insoweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben (vgl. VwGH 13.09.2017, Ro 2016/12/0024 mwN).

Demnach kann eine Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK nur dann entfallen, wenn die Ausnahmen für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen Platz greifen (vgl. VwGH 21.12.2016, Ra 2016/12/0067).

Da sich im vorliegenden Fall der Sachverhalt aus den Akten ergibt und es sich auch um keine übermäßig komplexe Rechtsfrage handelt, kann von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Darüber hinaus haben die Parteien die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Verfahren nicht ausdrücklich beantragt.

Zu Spruchpunkt B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlt es an einer Rechtsprechung zu den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen, die mit der 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I 58/2019 im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG normiert wurden und hier zu Anwendung gelangen.

Schlagworte

Besoldungsdienstalter Entscheidungspflicht öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis Revision zulässig Säumnisbeschwerde Vorrückungsstichtag - Neufestsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W183.2240260.1.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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