TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/25 I413 2231068-1

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Veröffentlicht am 25.03.2021
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Entscheidungsdatum

25.03.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch


I413 2231068-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von MMag. Mathias DEMETZ als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des XXXX , vertreten durch RAe KÖNIG ERMACORA LÄSSER & Partner, gegen den Bescheid der Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Tirol vom 26.03.2020, Zl. 18-2020-BE-VER10-0000P, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2020, 07.09.2020 und am 22.09.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 5 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

1.        XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) ist seit 14.04.2015 Geschäftsführer der Firma H XXXX Z XXXX GmbH (in Folge auch: Primärschuldnerin). Über diese Gesellschaft wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 03.01.2018, 7 S XXXX das Konkursverfahren eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst.

2.       Mit Bescheid vom 22.03.2017, 18-2017-BE-VER10-0000E, verpflichtete die belangte Behörde den Beschwerdeführer erstmals zur Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG in Zusammenhang mit entstandenen Beitragsrückständen der Primärschuldnerin im Zeitraum September 2015 bis Jänner 2016. Da sich das Vermögen des Beschwerdeführers ebenfalls in einem Insolvenzverfahren befand, stellte die belangte Behörde diese Erledigung dem Beschwerdeführer sowie dessen Masseverwalter zu, sie adressierte den Bescheid jedoch nur an den Beschwerdeführer.

3.       Gegen diesen Bescheid erhob der Masseverwalter des Beschwerdeführers Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, welches die Beschwerde mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 24.02.2020, I412 2161827-1/4E, als unzulässig zurückwies. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die angefochtene Erledigung rechtsirrig an den Schuldner und nicht an dessen Masseverwalter gerichtet worden sei und deshalb dem Beschwerdeführer gegenüber nicht wirksam geworden wäre. Mangels wirksamer Erlassung eines Bescheides würde daher kein tauglicher Anfechtungsgegenstand vorliegen.

4.       Mit - an den Masseverwalter des Beschwerdeführers adressierten - nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26.03.2020, 18-2020-BE-VER10-0000P, stellte die belangte Behörde zusammengefasst fest, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Beitragskontoinhaberin H XXXX Z XXXX GmbH der Österreichischen Gesundheitskasse die zu entrichten gewesenen Beiträge s.Nbg. aus den Vorschreibungen für die Zeiträume September 2015 bis Jänner 2016, sowie die Nachrechnung auf Grund der Beitragsprüfung vom 10.08.2016 von €10.176,97 zuzüglich Verzugszinsen schuldet. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Einbringlichmachung der ausständigen Beträge bei der Primärschuldnerin nicht möglich gewesen sei, weshalb der Beschwerdeführer als Geschäftsführer im maßgeblichen Zeitraum zur Haftung zu bringen wäre. Da die Beiträge für fünf Monate nicht termingerecht bezahlt worden seien, würde eine fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beschwerdeführers vorliegen.

5.       Gegen diesen Bescheid erhob der Masseverwalter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 27.04.2020 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beiträge bereits verjährt wären, keine Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Primärschuldnerin vorliegen würde, die Beitragsschulden nicht schlechter als die sonstigen Gesellschaftsschulden behandelt worden wären und zudem mangels gewährtem Parteiengehör eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegen würde. Aus all diesen Gründen sei der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.

6.       Mit Schriftsatz vom 18.05.2020 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht den Akt des Verwaltungsverfahrens samt der Beschwerde vor und führte dabei ergänzend aus, dass eine Einbringlichmachung beim „Primärschuldner Herr Karbon“ nicht möglich gewesen wäre. Zur „Feststellung der Einbringlichmachung“ bedürfe es auch nicht der vollständigen Abwicklung der Insolvenz. Zur behaupteten Verjährung führte die belangte Behörde aus, dass diese durch die Zustellung des Bescheides vom 22.03.2017 an den Beschwerdeführer unterbrochen worden sei. Schuldausschließungsgründe seien vom Beschwerdeführer keine dargelegt worden.

7.       Am 12.08.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht die erste mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erschien und mitteilte, dass ihm der Beschwerdeführer eine E-Mail geschickt habe, mit dem Wortlaut, dass er krank sei. Er hätte geschrieben, dass er fast 39 Grad Fieber habe und gerne zum Arzt gehen würde. Zudem erstattete der Rechtsvertreter ein schriftliches Vorbringen und legte ein Konvolut von Unterlagen zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im haftungsbegründenden Zeitraum vor.

8.       Mit Eingabe vom 13.08.2020 gab der Beschwerdeführer seine neue Adresse bekannt und ersuchte um Zustellung an diese Adresse.

9.       Am 07.09.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht die zweite mündliche Verhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer unentschuldigt (erneut) nicht erschien. Zwei ehemalige Mitarbeiter der Primärschuldnerin, Frau A XXXX K XXXX und Herr J XXXX K XXXX , wurden als Zeugen einvernommen.

10.      Auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes, die Ladung für eine neuerliche mündliche Verhandlung am 22.09.2020, 15:45 Uhr, dem Beschwerdeführer zukommen zu lassen, teilte die Landespolizeidirektion Tirol mit „Kurzbrief“ vom 18.09.2020 mit, dass der Beschwerdeführer an der mit Eingabe vom 13.08.2020 bezeichneten Adresse weder gemeldet noch wohnhaft sei und retournierte das Ladungsschreiben.

11.      Am 22.09.2020 übermittelte der Beschwerdeführer um 12:42 Uhr eine E-Mail an die Einlaufstelle des Bundesverwaltungsgerichtes und führte darin zusammengefasst aus, leider an diesem Tag einen Dienstvertrag in Vorarlberg unterfertigen zu müssen und „diese sowie nächste Woche“ wegen der neuen Stelle verhindert zu sein. Im Anschluss sei jedoch jeder Termin möglich.

12.      Am 22.09.2020 fand die dritte mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und ein Vertreter der belangten Behörde erschienen. Die ehemalige Lohnverrechnerin der Primärschuldnerin, Mag. S XXXX R XXXX , wurde als Zeugin einvernommen und das Ermittlungsverfahren geschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der in Punkt. I. dargestellte Verfahrensgang wird zum maßgeblichen Sachverhalt erhoben. Zudem wird weiters als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer der zu FN XXXX f im Firmenbuch eingetragenen Gesellschaft H XXXX Z XXXX GmbH. Er vertritt diese Gesellschaft seit 14.04.2015 selbstständig.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 08.03.2016, 7 S XXXX wurde über das Vermögen der H XXXX Z XXXX GmbH das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Am 24.08.2018 bewilligte das Landesgericht Innsbruck den Antrag des Masseverwalters auf Schließung des Unternehmens. Seither befindet sich das Unternehmen im Verwertungsverfahren. Einer Insolvenzmasse von zumindest etwa EUR 7.800 stehen dabei anerkannte Forderungen in Höhe von EUR 361.689,92 gegenüber.

Die H XXXX Z XXXX GmbH schuldet der belangten Behörde Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 25.743,70. Diese Forderung ist im Rahmen des Insolvenzverfahrens angemeldet und anerkannt. Ob eine (teilweise) Einbringlichmachung dieser Beträge bei der Primärschuldnerin möglich sein wird, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Der oben dargelegte Verfahrensgang und der maßgebliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, aus dem (schriftlichen) Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren sowie aus der Befragung der Zeugen A XXXX K XXXX , J XXXX K XXXX und Mag. S XXXX R XXXX im Rahmen der mündlichen Verhandlungen am 12.08.2020, 07.09.2020 und am 22.09.2020. Ergänzend wurde Einsicht genommen in den eingeholten Firmenbuchauszug der H XXXX Z XXXX GmbH, in den eingeholten Auszug aus der Insolvenzdatei betreffend diese GmbH, in die Akten der Insolvenzverfahren des Landesgerichtes Innsbruck zu 7 S XXXX betreffend die Primärschuldnerin und 7 S XXXX betreffend den Beschwerdeführer sowie in die Akten der Strafverfahren des Landesgerichtes Innsbruck zu 34 Hv XXXX und 38 Hv XXXX .

Die Feststellungen zur H XXXX Z XXXX GmbH gründen auf dem eingeholten Firmenbuchauszug. Hieraus geht auch hervor, dass der Beschwerdeführer seit 14.04.2015 Geschäftsführer der Helka Zäune GmbH ist.

Die Feststellungen zur Eröffnung des Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung, zur Schließung des Unternehmens und zum gegenwärtigen Verwertungsverfahren der H XXXX Z XXXX GmbH ergeben sich aus der Einsichtnahme in den eingeholten Insolvenzakt des Landesgerichtes Innsbruck zu 7 S XXXX . Aus dem darin enthaltenen Bericht des Insolvenzverwalters vom 23.11.2018 geht hervor, dass im Eigentum der Insolvenzmasse zumindest Maschinen im Wert von rund EUR 7.800 stehen. Die anerkannten Forderungen in Höhe von EUR 361.689,92 sind dem jüngsten Anmeldungsverzeichnis im Insolvenzakt vom 06.02.2018 zu entnehmen.

Die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 25.743,70 folgen den Angaben der belangten Behörde und blieben der Höhe nach unwidersprochen. Die anerkannte Anmeldung der Forderung ist wiederum dem Anmeldungsverzeichnis vom 06.02.2018 zu entnehmen.

Aus dem Umstand, dass im Eigentum der Insolvenzmasse der Primärschuldnerin zumindest ein Vermögen von rund EUR 7.800 steht, ergibt sich, dass die Uneinbringlichkeit der Forderung nicht festgestellt werden kann (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.3.). Da sich das Insolvenzverfahren nach wie vor im Stadium des Verwertungsverfahrens befindet, steht zum Entscheidungszeitpunkt weder eine quotenmäßige Befriedigung der Forderung noch ein Totalausfall fest. Ein etwaiger Ausfall ist somit auch nicht ziffernmäßig bestimmbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 67 Abs 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Primäre Voraussetzung für die Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs 10 ASVG ist die objektive, gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner (vgl. VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039). Der Haftungspflichtige kann jedenfalls so lange nicht in Anspruch genommen werden, als ein Ausfall beim Beitragsschuldner als Primärschuldner noch nicht angenommen werden kann. Erst wenn die objektive gänzliche oder zumindest teilweise Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung maßgebenden weiteren an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen.

Gegenständlich ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin im Stadium des Verwertungsverfahrens nach wie vor anhängig. Aus dem Umstand, dass im Eigentum der Insolvenzmasse im gegenständlichen Fall zumindest ein Gegenwert von rund EUR 7.800 steht, ergibt sich, dass die Uneinbringlichkeit der Forderung (zum Entscheidungszeitpunkt) nicht vorliegt. Zwar bedarf es zur Beurteilung dieser Uneinbringlichkeit nicht notwendig der vollständigen Abwicklung (bis zur Aufhebung) der Insolvenz; sie ist vielmehr bereits anzunehmen, sobald im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Abgabenforderung mangels ausreichenden Vermögens nicht (nicht einmal mit einem ziffernmäßig bestimmten Teilbetrag) wird befriedigt werden können, andererseits kann aus der Tatsache der Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein noch nicht zwingend auf die (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der gegenüber der Gesellschaft entstandenen Beitragsforderungen geschlossen werden (vgl. Müller, in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV Komm § 67 ASVG Rz 131).

Da die Insolvenzmasse nicht völlig vermögenslos ist, kann durchaus mit der Befriedigung eines (wenn auch geringen) Teils der Forderung gerechnet werden, sodass die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin nicht festgestellt werden kann. Zwar ist eine teilweise Uneinbringlichkeit - ob des wesentlichen Überwiegens der Forderungen - wohl abzusehen, diese lässt sich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht ziffernmäßig bestimmen. Die belangte Behörde hat jedenfalls mit einer quotenmäßigen Befriedigung zu rechnen und steht auch deshalb das Ausmaß einer etwaigen Uneinbringlichkeit (noch) nicht fest.

Somit liegt bereits die primäre Haftungsvoraussetzung gemäß § 67 Abs 10 ASVG gegenständlich nicht vor und erübrigt sich daher eine weitergehende Prüfung der übrigen Voraussetzungen.

Der angefochtene Bescheid war somit spruchgemäß zu beheben und wird die belangte Behörde im Falle des Abschlusses des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin bzw. mit Eintreten einer ziffernmäßigen Bestimmbarkeit eines etwaigen Ausfalls eine Haftung des Beschwerdeführers allenfalls neu zu prüfen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Anhängigkeit Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Geschäftsführer Haftung Insolvenzverfahren Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I413.2231068.1.01

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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