TE Vwgh Beschluss 2021/4/14 Ra 2020/18/0526

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Veröffentlicht am 14.04.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §46
AVG §69 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/18/0527
Ra 2020/18/0528
Ra 2020/18/0529
Ra 2021/18/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revisionen von 1. E G, 2. S U, 3. H H, 4. I G und 5. F G, alle vertreten durch Mag. Thomas Stenitzer, Rechtsanwalt in 2136 Laa/Thaya, Rathausgasse 4, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2020, 1. L521 2164299-2/3E, 2. L521 2164300-2/3E, 3. L521 2166151-2/4E, 4. L521 2166157-2/3E und 5. L521 2166154-2/4E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind der kurdischen Volksgruppe zugehörige türkische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber ist der Ehemann der Zweitrevisionswerberin und der Vater der dritt- bis fünftrevisionswerbenden Parteien. Sie alle stellten am 30. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründeten, dass der Erstrevisionswerber aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Partei HDP und seiner Tätigkeit als Autor verurteilt worden sei und die Familie deshalb aus der Türkei geflüchtet sei.

2        Mit am 26. Juni 2019 mündlich verkündeten und am 8. August 2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Anträge - im Beschwerdeverfahren - zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung der revisionswerbenden Parteien in die Türkei fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 3535-3539/2019-7, ablehnte und diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 3. Jänner 2020, E 3535-3539/2019-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

4        Mit Beschluss vom 26. Juni 2020, Ra 2020/14/0077-0081, wies der Verwaltungsgerichtshof die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 26. Juni 2019 erhobenen außerordentlichen Revisionen der revisionswerbenden Parteien zurück.

5        Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 begehrten die revisionswerbenden Parteien beim BVwG die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG. Begründend führten sie aus, dass sie am 25. September 2020 in Besitz eines neuen Beweismittels gelangt seien, nämlich eines Auskunfts- und Informationsformulars der Provinzgendarmerie Gaziantep vom 20. September 2020. Aus diesem Beweismittel ergebe sich zweifelsfrei, dass der Erstrevisionswerber sowie der Drittrevisionswerber „aufgrund der Teilnahme an politischen/ideologischen Ausbildungen an PKK/KCK/PYD/YPG Terror Organisationen“ verfolgt würden. Dass die behauptete Furcht, aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund in der Türkei verfolgt zu werden, nicht begründet wäre, sei daher unrichtig.

6        Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 13. November 2020 wies das BVwG den Wiederaufnahmeantrag der revisionswerbenden Parteien gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7        Begründend führte das BVwG aus, das vorgelegte Informations- und Auskunftsformular vom 21. September 2020 sei unbestritten erst nach Abschluss des seinerzeitigen Asylverfahrens neu entstanden, weswegen es unabhängig von der Frage der Echtheit bzw. Richtigkeit den Begriff der „nova reperta“ nicht erfülle und somit keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstelle. Zudem stehe das Beweismittel auch in keinem Zusammenhang mit dem Verfolgungsvorbringen im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren, zumal der Erstrevisionswerber dort angegeben habe, aufgrund seiner kurdischen Abstammung, seiner Mitgliedschaft zur Partei HDP sowie aufgrund politischer oder schriftstellerischer Aktivitäten strafrechtlich verfolgt und (zu Unrecht) wegen der ihm zur Last gelegten Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, neun Monaten und 15 Tagen verurteilt worden sei, die er im Fall einer Rückkehr in die Türkei zu verbüßen hätte. Im nunmehr vorgelegten Informations- und Auskunftsformular der Provinzgendarmerie Gaziantep sei von einer Verurteilung wegen der Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, neun Monaten und 15 Tagen keine Rede. Erwähnt würden dafür Verteilungen wegen „Verwendung gegenwertloser Aktien“, wegen „Bedrohung mit einer Waffe“, wegen „Beleidigung des Präsidenten“, wegen „einfacher Körperverletzung“ oder wegen „unerlaubter Grabungen bzw. Bohrungen“. Darüber hinaus könnten „Informationen bestätigt werden“, wonach der Erstrevisionswerber politische bzw. ideologische Ausbildungen der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) erhalten und Propagandaaktivitäten für die PKK entfaltet habe. Dass der Erstrevisionswerber sich der PKK angeschlossen habe und von dieser ausgebildet worden sei bzw. Propagandaaktivitäten entfaltet habe, sei seitens des Erstrevisionswerbers im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren indes nicht vorgebracht worden, in dem er sich als Mitglied der HDP sowie als regierungskritischen Journalisten und Schriftsteller dargestellt habe, dem aufgrund seiner Tätigkeit als Journalist und Autor die Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation unterstellt und der deshalb verurteilt worden sei. Das nunmehr vorgelegte Beweismittel betreffe somit einen anders gelagerten Sachverhalt, nämlich den angeblich (neu erhobenen) Vorwurf, dass der Erstrevisionswerber politische bzw. ideologische Ausbildungen der PKK erhalten und Propagandaaktivitäten für sie entfaltet habe. Mit dem Standpunkt des Erstrevisionswerbers im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren stehe das nunmehr vorgelegte Beweismittel in keinem greifbaren Zusammenhang und sei auch kein näheres Vorbringen bzw. keine Erläuterung eines allfälligen Zusammenhanges im Wiederaufnahmeantrag erfolgt.

8        Des Weiteren erwog das BVwG, dass selbst für den Fall, dass es sich bei dem neu vorgelegten Schriftstück um ein neu entstandenes Beweismittel handle, das sich auf alte Tatsachen beziehe, der Wiederaufnahmeantrag nicht erfolgreich sein könne, weil das gegenständliche Beweismittel nicht geeignet sei, alleine oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeizuführen. Das gegenständliche Auskunfts- und Informationsformular sei lediglich als schlecht lesbare Kopie vorgelegt worden, weshalb eine weitere, objektive Überprüfung - etwa durch eine kriminaltechnische Untersuchung - nicht möglich sei. Es sei nicht dargelegt worden und auch nicht nachvollziehbar, wie die revisionswerbenden Parteien zu diesem Schriftstück gekommen seien. Wie die revisionswerbenden Parteien in den Besitz dieses Formulars gekommen sein wollen, könne dem Antrag auf Wiederaufnahme nicht entnommen werden. Es erscheine jedenfalls nicht nachvollziehbar, wie dieses Schreiben - falls es sich um ein behördeninternes bzw. für den Amtsgebrauch bestimmtes Dokument handle - an die revisionswerbenden Parteien gelangt sein solle, zumal es sich als noch befremdlicher darstellen würde, wenn eine Gendarmeriebehörde dieses Formular direkt an die revisionswerbenden Parteien übermittelt hätte.

9        Das vorgelegte Auskunfts- und Informationsformular erweise sich sohin jedenfalls als untauglich, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung bzw. die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt habe.

10       Gegen diese Beschlüsse wenden sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das BVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass hinsichtlich des vorgelegten Beweismittels kein Bezug auf eine Tatsache vorliege, die nach dem Vorbringen des Erstrevisionswerbers im gesamten Asylverfahren stets vorhanden gewesen sei, nämlich, dass ihm und seiner Familie bei Rückkehr in die Türkei wegen der Zugehörigkeit zu staatlich verpönten Organisationen politische Verfolgung, Repressalien und sogar Haft drohten. Das BVwG weiche somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Jänner 2017, Ra 2016/18/0197, ab.

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf „alte“ - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 28.9.2020, Ra 2020/18/0265, mwN).

15       Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt weiters die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. erneut VwGH 28.9.2020, Ra 2020/18/0265, mwN).

16       Eine nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommene und vertretbare Beurteilung der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme durch das Verwaltungsgericht ist nicht revisibel (vgl. VwGH 30.9.2020, Ra 2020/01/0344, mwN).

17       Im gegenständlichen Fall legte das BVwG in einer ausführlichen und vertretbaren Beweiswürdigung dar, weshalb das gegenständliche Beweismittel - abgesehen von dem Umstand, dass es unbestritten erst nach Abschluss des Erstverfahrens neu entstanden sei - in keinem für das BVwG greifbaren Zusammenhang mit dem im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren erstatteten Verfolgungsvorbringen stehe und sohin nicht geeignet sei, alleine oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeizuführen.

18       Dass das BVwG seine diesbezügliche Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise durchgeführt hätte, vermögen die vorliegenden Revisionen nicht aufzuzeigen.

19       In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

20       Da sich die Revisionen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als unzulässig erweisen, erübrigt sich die Prüfung, ob die Revision des Drittrevisionswerbers rechtzeitig erhoben wurde (vgl. VwGH 25.6.2015, Ra 2015/07/0072).

Wien, am 14. April 2021

Schlagworte

Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180526.L00

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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