TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/22 Ra 2020/19/0050

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Veröffentlicht am 22.04.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs1
AVG §45 Abs3
AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A O, vertreten durch Dr. Johann Jalovetz, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Postgasse 8, gegen das am 10. Dezember 2018 mündlich verkündete und mit 12. Dezember 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. L519 2142392-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, von Milizen bedroht worden zu sein, weil er den Friseurladen seines Bruders nicht nach traditioneller Art geführt habe. Darüber hinaus habe es einen Haftbefehl gegen ihn gegeben, nachdem er beschuldigt worden sei, Häftlingen jenes Gefangenenhauses, in dem er als Friseur gearbeitet habe, zur Flucht verholfen zu haben. Nach seiner Ausreise sei er vom Untersuchungsgericht in Kerbala (in Abwesenheit) zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 28. November 2016 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        In seiner Begründung stellte das BVwG fest, dass der Revisionswerber der Volksgruppe der Araber angehöre und sich zum sunnitischen Islam bekenne. Er stamme aus einem Dorf in der Umgebung von Kerbala, habe dort sieben Jahre lang die Grundschule besucht und vor seiner Ausreise ein Friseurgeschäft betrieben.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung oder die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention drohe.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu Spruchpunkt I.:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten geltend, das BVwG habe insofern eine ganzheitliche Würdigung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers nicht vorgenommen, als die von ihm herangezogenen Länderberichte weder die von der Rechtsprechung geforderte Aktualität noch irgendeinen Bezug zur Herkunftsprovinz aufweisen würden. Zudem habe es das BVwG unterlassen, für eine ordnungsgemäße Übersetzung der vom Revisionswerber vorgelegten Kopien des gegen ihn seitens der irakischen Behörden ergangenen Haftbefehls sowie des in seiner Abwesenheit ergangenen Urteils zu sorgen. Das BVwG begründe seine Annahme, bei den vorgelegten Kopien handle es sich um Fälschungen, im Wesentlichen damit, dass derartige Dokumente zum einen problemlos und gegen geringes Entgelt im Irak erhältlich wären und zum anderen sich die diesbezüglichen Aussagen des Revisionswerbers als unplausibel und widersprüchlich erwiesen hätten.

9        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0051, mwN).

10       Die Revision übersieht mit ihrer Rüge, dass das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers zu jenen Umständen, auf Grund derer es zum Haftbefehl und zum Abwesenheitsurteil gekommen sein soll, als nicht glaubhaft erachtet hat. Dass die diesbezügliche Beweiswürdigung an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel leiden würde, wird von der Revision nicht aufgezeigt.

11       Die Revision war daher - soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet - zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

12       Die Revision rügt die mangelnde Aktualität der vom BVwG herangezogenen Länderberichte sowie deren fehlenden Bezug zur Herkunftsprovinz des Revisionswerbers auch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Während das BVwG beweiswürdigend ausgeführt habe, in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers Einsicht genommen zu haben, die in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden könnten, stützten sich die in der Entscheidung getroffenen Länderfeststellungen - abgesehen von den in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation nach der mündlichen Verkündung der Entscheidung eingefügten Kurzinformationen - auf Länderberichte aus den Jahren 2016 bis 2018 und ließen einen Bezug zur aktuellen Sicherheitslage im Irak vermissen. Nicht nachvollziehbar sei vor allem, warum das BVwG umfangreich Feststellungen zur Sicherheitslage in weiten Teilen des Irak treffe, ohne auf jene Provinz Bezug zu nehmen, aus der der Revisionswerber stamme. Die Stadt Kerbala, aus der der Revisionswerber komme, werde lediglich einmal in Zusammenhang mit den Protestbewegungen der jüngeren Zeit kurz erwähnt.

13       Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

14       Die Begründung eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 5.3.2020, Ra 2019/19/0447, mwN).

15       Im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gilt das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, haben die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht diese von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0085, mwN; vgl. näher VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).

16       Es ist der Revision zuzustimmen, dass die angefochtene Entscheidung keine herkunftsspezifischen Länderfeststellungen enthält. Das BVwG traf - gestützt auf im Zeitpunkt der mündlichen Verkündung der Entscheidung verfügbare Länderberichte - Feststellungen zur allgemeinen Sicherheitslage im Irak, wonach diese sich seit dem militärischen Sieg der irakischen Regierung über den Islamischen Staat im Jahr 2017 insgesamt verbessert habe, jedoch veränderlich und in verschiedenen Teilen des Landes unterschiedlich sei, sowie speziell zur Sicherheitslage in Bagdad und im Nord- und Zentralirak, wonach der Zentralirak derzeit der wichtigste Stützpunkt für den Islamischen Staat sei. Feststellungen zur Sicherheitslage im Gouvernat Kerbala finden sich - abgesehen von dessen Erwähnung in Zusammenhang mit den Protestbewegungen der letzten Jahre - im Erkenntnis hingegen nicht. Auch zur Grundversorgung traf das BVwG lediglich die allgemeine Feststellung, dass der Staat diese nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten könne.

17       Soweit das BVwG darüber hinaus ausführte, ergänzend in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers Einsicht genommen zu haben, die in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden könnten, fehlt auch diesbezüglich jegliche Bezugnahme auf das Herkunftsgouvernat des Revisionswerbers. Im Übrigen genügt allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht einen bestimmten Sachverhalt - insbesondere die Lage im Herkunftsstaat eines Asylwerbers - als „notorisch“ erachtet, nicht den Anforderungen an ein mängelfreies Verfahren (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/19/0085, mwN).

18       Der Mangelhaftigkeit der Feststellungen des BVwG zur Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers kommt im vorliegenden Fall auch Relevanz zu.

19       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0001).

20       Dem wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Das BVwG beschränkte sich bei der Prüfung des subsidiären Schutzes auf den bloßen Hinweis, dass im Irak kein Bürgerkrieg herrsche und Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage nicht bestehen würden. Eine nähere Differenzierung erachtete es entgegen den durch die von ihm herangezogenen Länderberichte nahegelegten Hinweisen auf eine uneinheitliche Sicherheits-, aber auch Versorgungslage für entbehrlich.

Damit vermögen jedoch die Feststellungen die vom BVwG im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorgenommene rechtliche Schlussfolgerung, wonach für den Revisionswerber keine Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt und keine Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in seinem Herkunftsstaat bestehen würden, nicht zu tragen.

21       Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die rechtlich davon abhängigen Entscheidungen betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

22       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.

23       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. April 2021

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190050.L00

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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