TE Vwgh Erkenntnis 2021/4/26 Ra 2020/06/0257

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Veröffentlicht am 26.04.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus

Norm

BStMG 2002 §10 Abs1
BStMG 2002 §11 Abs1
BStMG 2002 §20 Abs1
BStMG 2002 §29 Abs3
VStG §33a
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. Juni 2020, LVwG-400450/2/Gf/RoK, betreffend Aufhebung eines Straferkenntnisses in einer Angelegenheit des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (mitbeteiligte Partei: Dr. K D in F (Deutschland)), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen (Amtsrevisionswerberin) vom 12. Mai 2020 wurde über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe von € 300,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 33 Stunden) verhängt, weil er am 29. August 2019 um 12:35 Uhr ein Kraftfahrzeug auf der zum mautpflichtigen Straßennetz gehörigen Autobahn A 8 gelenkt habe, ohne zuvor die für dieses Fahrzeug vorgeschriebene zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben. Zum Zeitpunkt der Benützung des mautpflichtigen Straßennetzes sei weder am Kraftfahrzeug eine gültige Klebevignette angebracht gewesen, noch sei für das Kennzeichen des Kraftfahrzeuges eine zum Zeitpunkt der Benützung gültige Digitale Vignette registriert gewesen. Der Mitbeteiligte habe daher eine Übertretung des § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) begangen, weshalb er gemäß § 20 Abs. 1 BStMG zu bestrafen gewesen sei.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (LVwG) wurde der vom Mitbeteiligten gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde stattgegeben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

3        In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das LVwG fest, vom Mitbeteiligten werde die Tatbegehung nicht in Abrede gestellt. Seine Strafbarkeit sei grundsätzlich gegeben. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass über den Mitbeteiligten bislang noch keine Strafe wegen einer Verwaltungsübertretung verhängt worden sei, seine bisherige Unbescholtenheit sei daher als mildernd zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite seien weder Erschwerungsgründe noch Anzeichen dafür erkennbar, dass die öffentliche Ordnung durch die dem Mitbeteiligten angelastete Tat in einer deutlich spürbaren Weise beeinträchtigt worden wäre.

4        Davon ausgehend sei darauf hinzuweisen, dass der Mitbeteiligte zwar objektiv den Tatbestand des § 20 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 BStMG erfüllt habe, die Behörde jedoch gemäß § 33a Abs. 1 und 2 VStG unter anderem dann, wenn sie einerseits eine Übertretung festgestellt habe, andererseits die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering seien, den Beschuldigten mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Beendigung des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeiten zu beraten und ihn schriftlich unter Angabe des festgestellten Sachverhaltes aufzufordern habe, innerhalb einer angemessenen Frist einen den Verwaltungsvorschriften entsprechenden Zustand herzustellen. Werde dieser Aufforderung fristgerecht entsprochen, dann sei die weitere Verfolgung einer Person unzulässig.

5        Nach den Gesetzesmaterialien (Verweis auf RV 193 BlgNR, 26. GP) liege der Sinn dieser Bestimmung vornehmlich darin, den Grundsatz „Beraten statt strafen“ in allgemeiner Form zu verwirklichen.

6        Im vorliegenden Fall habe es gar keines behördlichen Hinweises bedurft, um dem Mitbeteiligten die Strafbarkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen und ihn dazu anzuhalten, einen gesetzeskonformen Zustand herzustellen, weil der Mitbeteiligte die Ordnungswidrigkeit selbst erkannt und umgehend dadurch beseitigt habe, dass er in einem in örtlicher und zeitlicher Hinsicht gerade noch vertretbaren Konnex nach dem Grenzübertritt eine Klebevignette erworben habe. Das dem Mitbeteiligten angelastete rechtswidrige Verhalten sei auch in keiner Weise öffentlich wahrnehmbar gewesen, sodass objektiv besehen auch keine generalpräventiven Aspekte erkennbar seien, die unter den konkret gegebenen Umständen die Annahme gebieten würden, dass die Intensität der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsgutes als nicht gering im Sinne des § 33a Abs. 3 VStG zu qualifizieren sei.

7        Seien damit aber die Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 VStG gleichsam als sogar „übererfüllt“ anzusehen, dann sei gemäß § 33a Abs. 2 VStG jede weitere Verfolgung unzulässig.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das LVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit abgewichen, als es die qualifizierte Nichtbeachtung von speziellen Regelungen in Materiengesetzen zu Verfahrensfragen - wie es der explizite Ausschluss von Strafaufhebungsgründen des § 29 Abs. 3 BStMG darstelle, wonach auf Verwaltungsübertretungen gemäß §§ 20, 21 und 32 Abs. 1 zweiter Satz BMStG die Bestimmung des § 33a VStG nicht anwendbar sei - „als keine im innerstaatlichen Recht wurzelnde bzw. in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes fallende Rechtsfrage darzustellen versucht“.

9        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung der Amtsrevision beantragt.

10       Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf das erstattete Zulässigkeitsvorbringen als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12       § 10 BStMG, BGBl. I Nr. 109/2002 in der Fassung BGBl. I Nr. 82/2007, sowie die §§ 11, 20 und 29 BStMG, jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 45/2019, lauten:

Mautpflicht

§ 10. (1) Die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der zeitabhängigen Maut.

(...)

Mautentrichtung

§ 11. (1) Die zeitabhängige Maut ist vor der Benützung von Mautstrecken durch Anbringen einer Klebevignette am Fahrzeug oder durch Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (digitale Vignette) zu entrichten.

(...)

Mautprellerei

§ 20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(...)

Mitwirkung der Organe der Straßenaufsicht

§ 29. (...)

(3) Auf Verwaltungsübertretungen gemäß §§ 20, 21 und 32 Abs. 1 zweiter Satz ist § 33a VStG nicht anwendbar.

(...)“.

13       § 33a VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018 lautet:

Beratung

§ 33a. (1) Stellt die Behörde eine Übertretung fest und sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering, so hat ihn die Behörde, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Beendigung des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeiten zu beraten und ihn schriftlich unter Angabe der festgestellten Sachverhalte aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist den den Verwaltungsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen.

(2) Wird der schriftlichen Aufforderung innerhalb der von der Behörde festgelegten oder erstreckten Frist entsprochen, dann ist die weitere Verfolgung einer Person wegen jener Übertretungen, betreffend welche der den Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechende Zustand hergestellt worden ist, unzulässig.

(...)“.

14       In den Erläuternden Bemerkungen (RV 562 Blg. XXVI. GP) wird zu § 29 Abs. 3 BStMG in der mit 29. Mai 2019 in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 45/2019 unter anderem Folgendes ausgeführt:

„(...) Nunmehr soll in § 29 Abs. 3 BStMG durch den Ausschluss der Anwendbarkeit der mit BGBl. I Nr. 57/2018 in das VStG eingefügten Regelung des § 33a auf Verwaltungsübertretungen nach dem BStMG klargestellt werden, dass die Bedeutung des durch die Strafbestimmungen des BStMG geschützten Rechtsgutes im Hinblick auf die Höhe des im BStMG vorgesehenen Strafrahmens (für die Verwaltungsübertretungen gemäß § 20 und 32 Abs. 1 zweiter Satz beträgt die Mindeststrafe 300 € und für alle Verwaltungsübertretungen beträgt die Höchststrafe 3 000 €) nicht gering im Sinne des § 33a Abs. 1 VStG ist (vgl. VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167). Abgesehen davon würde sich dessen Regelungsinhalt nicht mit dem aus der Gesetzessystematik des BStMG ableitbaren abgestuften Bezugssystem zwischen den Mauten, der Ersatzmaut und dem Strafrahmen (vgl. VwGH 25.1.2018, Ra 2016/06/0025, zum abgestuften Bezugssystem) in Einklang bringen lassen. Das Ersatzmautsystem ermöglicht dem Tatverdächtigen durch Bezahlung der Ersatzmaut die Strafbarkeit nachträglich wieder entfallen zu lassen und die Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens zu verhindern. Dies geschieht in rund 86 % der Fälle von Ersatzmautaufforderungen. Dem bewährten System würde die Grundlage entzogen, wenn Tatverdächtige die Frist zur Zahlung der Ersatzmaut verstreichen lassen und dann gemäß § 33a Abs. 1 VStG die Gelegenheit erhalten, im Sinne der Herstellung des den Verwaltungsvorschriften entsprechenden Zustandes die nicht ordnungsgemäß entrichtete Maut nachzuentrichten. Anders als der Zahlung der Ersatzmaut käme der Nachentrichtung der Maut gemäß § 33a Abs. 1 VStG nicht die notwendige generalpräventive Wirkung zu, da die Nachentrichtung im Falle der fahrleistungsabhängigen Maut und der Streckenmaut lediglich für die jeweils kontrollierten Mautabschnitte vorzunehmen wäre oder im Falle der zeitabhängigen Maut lediglich in der Entrichtung des Preises einer Zehntagesvignette bestehen würde, wodurch kein Anreiz zur Entrichtung der zeitabhängigen Maut vor Benützung der Mautstrecken bestünde. (...).“

15       Nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 3 BStMG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 45/2019 und den zitierten Erläuterungen ist die Rechtslage eindeutig. Das LVwG durfte seine Entscheidung, das eine Verwaltungsübertretung nach § 20 BStMG betreffende Straferkenntnis der Amtsrevisionswerberin aufzuheben, im vorliegenden Fall nicht rechtmäßig auf § 33a Abs. 1 und 2 VStG stützen, weil dem die Bestimmung des § 29 Abs. 3 BStMG entgegensteht.

16       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 26. April 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060257.L00

Im RIS seit

19.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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