TE Vfgh Erkenntnis 2021/2/24 E2867/2020

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Veröffentlicht am 24.02.2021
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Index

10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

EMKR Art11
VersammlungsG §6
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Abhaltung der Versammlung "Friedensdialog Wien" am Praterstern mangels nachvollziehbarer Begründung der Entscheidung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid vom 12. September 2019 untersagte die Landespolizeidirektion Wien dem Beschwerdeführer die Abhaltung einer Versammlung zum Thema "Friedensdialog Wien", die er am 7. September 2019 für den 14. September 2019 von zwölf bis 17 Uhr mit dem Standort 1020 Wien, Praterstern, Ausgang Praterallee angezeigt hatte.

Das Verwaltungsgericht Wien wies die dagegen erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers mit angefochtenem Erkenntnis vom 6. Juli 2020 als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid.

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Ein Eingriff in das durch Art11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art11 Abs1 EMRK widersprechender und durch Art11 Abs2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).

§6 Versammlungsgesetz 1953 sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf §6 Versammlungsgesetz 1953 gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung iSd Art11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).

3. In seinem insgesamt knapp sechs Seiten umfassenden Erkenntnis geht das Verwaltungsgericht Wien anscheinend davon aus, dass die angezeigte Versammlung auf Grund einer gegen den demokratischen Verfassungsstaat gerichteten Zielsetzung zu Recht untersagt worden sei.

Eine nachvollziehbare Begründung bleibt das Verwaltungsgericht Wien diesbezüglich allerdings schuldig, da nicht erkennbar ist, wie das Verwaltungsgericht Wien zu dieser Einschätzung gelangt. Vielmehr erschöpft sich das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen auch nur eine äußerst rudimentäre Sachverhaltsdarstellung beinhaltet, in der Aneinanderreihung von offenbar überwiegend kopierten Textpassagen, die teilweise sogar syntaktisch fehlerhaft sind. Auch aus dem Verweis auf den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde ist für das Verwaltungsgericht Wien nichts zu gewinnen, müssen doch die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl zB VfSlg 17.901/2006, 18.000/2006).

Schon aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Versammlungsrecht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2867.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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