TE Lvwg Erkenntnis 2021/1/22 VGW-151/088/14887/2020

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Veröffentlicht am 22.01.2021
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Entscheidungsdatum

22.01.2021

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG §11 Abs3
NAG §45 Abs12
AsylG 2005 §8 Abs4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Dr. Kalteis über die Beschwerde des Herrn A. B. (geb.: 1998, StA: Afghanistan), vertreten 1) durch den MigrantInnenverein …, sowie 2) Dr. C. D., ebendort, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 29.9.2020, Zl. MA35-..., mit welchem der Antrag vom 9.1.2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "für den Zweck 'Daueraufenthalt – EG (int. Schutzberechtigte)' nach dem [NAG]" abgewiesen wurde,

zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt, dass es im Spruch des angefochtenen Bescheides zu lauten hat, dass der verfahrensgegenständliche Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Daueraufenthalt – EU" gemäß § 45 Abs. 12 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 146/2020, abgewiesen wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Mit persönlich im Bundesgebiet bei der belangten Behörde eingebrachtem Antrag vom 9.1.2020 begehrte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck "Daueraufenthalt – EU" und stützte diesen Antrag erkennbar auf § 45 Abs. 12 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies die belangte Behörde diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid ab. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.6.2012 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm weiters eine befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt worden sei. Die letzte Aufenthaltsbewilligung sei bis 27.6.2020 gültig gewesen, der Beschwerdeführer habe jedoch keinen Verlängerungsantrag eingebracht, weshalb er über keinen gültigen Aufenthaltsstatus für das Bundesgebiet verfüge. Der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" könne nur erteilt werden, wenn der Beschwerdeführer in den letzten fünf Jahren ununterbrochen niedergelassen gewesen sei. Ein Verlängerungsantrag betreffend § 8 Abs. 4 AsylG 2005 sei zwar zwischenzeitig gestellt worden, jedoch sei über diesen Antrag noch nicht entschieden worden. Da der Beschwerdeführer nicht mehr niedergelassen sei, könne ihm der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" nicht erteilt werden. Eine Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG könne unterbleiben, weil der Beschwerdeführer die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten Aufenthaltszweck nicht erfülle.

3. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde. In dieser führt der Beschwerdeführer aus, es sei unrichtig, dass im Hinblick auf seine letzte – bis 27.6.2020 gültige – Aufenthaltsbewilligung kein Verlängerungsantrag eingebracht worden sei. Wie aus dem – der Beschwerde beigelegten – Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29.9.2020, IFA-Zahl: ..., hervorgehe, sei die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers für zwei Jahre verlängert worden und schließe diese an die zuletzt erteilte Aufenthaltsberechtigung an. Entsprechend Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen wäre eine Unterbrechung der Aufenthaltsberechtigung zudem auch unerheblich, da sie jedenfalls sechs aufeinanderfolgende Monate nicht überschritten habe.

4. Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte die Beschwerde samt dem angefochtenen Bescheid und dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor (hier einlangend am 23.11.2020).

II. Sachverhalt:

Das Verwaltungsgericht Wien stellt folgenden entscheidungserheblichen Sachverhalt als erwiesen fest:

1. Der Beschwerdeführer ist am ...1998 geboren und afghanischer Staatsangehöriger. Er verfügt über einen bis 16.8.2021 gültigen Reisepass, ausgestellt vom BFA.

2. Der Beschwerdeführer brachte am 23.8.2011 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 ein, welcher bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen wurde, jedoch wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des früheren Bundesasylamtes vom 27.6.2012, Zl. ..., der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und wurde ihm weiters eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt.

Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt aufgrund seines Antrages vom 2.5.2018 mit Bescheid des BFA vom 23.8.2018, Zl. .../BMI-BFA_WIEN_AST_01, eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 27.6.2020 erteilt. Vor Ablauf des 27.6.2020 stellte der Beschwerdeführer keinen Verlängerungsantrag nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005; ein solcher wurde vielmehr erst am 10.9.2020 beim BFA eingebracht.

Mit Bescheid des BFA vom 29.9.2020, Zl. ..., wurde über diesen Antrag dahingehend entschieden, dass die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte des Beschwerdeführers nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für den Zeitraum vom 9.10.2020 bis zum 9.10.2022 verlängert wurde.

3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 9.1.2020 begehrte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck "Daueraufenthalt – EU" gemäß § 45 Abs. 12 NAG.

III. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen stützen sich auf folgende Beweiswürdigung:

1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, Würdigung des Beschwerdevorbringens und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie Vornahme diverser Registerabfragen (Zentrales Fremdenregister, Zentrales Melderegister, Versicherungsdatenauszüge, etc.).

2. Die Ausführungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem vorliegenden, hinsichtlich seiner Vollständigkeit und Richtigkeit insoweit unzweifelhaften Akteninhalt. Die Feststellungen zu den persönlichen Angaben zum Beschwerdeführer und zur Gültigkeitsdauer seines Reisepasses stützen sich auf die bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen (Ausweiskopien, etc.).

3.1. Die Feststellungen zum vormaligen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz und zu den ihm bisher erteilten Aufenthaltsberechtigungen nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stützen sich auf die vom Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren sowie im Rahmen der Beschwerdeerhebung vorgelegten Bescheide des BFA vom 23.8.2018, Zl. .../BMI-BFA_WIEN_AST_01, und vom 29.9.2020, Zl. ..., sowie eine vom Verwaltungsgericht Wien durchgeführte Abfrage des Zentralen Fremdenregisters, aus welcher sich insbesondere die Gültigkeitsdauer der aktuellen Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (9.10.2020 bis 9.10.2022) ergibt.

3.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer vor Ablauf der bis 27.6.2020 gültigen Aufenthaltsberechtigung keinen Verlängerungsantrag nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stellte, sondern ein solcher vielmehr erst am 10.9.2020 – nachdem dem Beschwerdeführer mit als "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" tituliertem Schreiben der belangten Behörde vom 3.9.2020 die beabsichtigte Abweisung seines Antrages vom 9.1.2020 zur Kenntnis gebracht wurde, weil er im Hinblick auf seine zuletzt bis 27.6.2020 gültige Aufenthaltsberechtigung keinen Verlängerungsantrag "auf Erteilung des Status subsidiär Schutzberechtigter" (gemeint offenkundig: auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005) gestellt habe und daher über keinen gültigen Aufenthaltsstatus für das Bundesgebiet verfüge – beim BFA eingebracht wurde, wurde vom Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt bestritten. Vielmehr gestand er selbst ausdrücklich zu, die rechtzeitige Stellung eines Verlängerungsantrages unterlassen bzw. verabsäumt zu haben, weil er angenommen habe, der Aufenthaltstitel zum Zweck "Daueraufenthalt – EU" würde ihm vor Ablauf der bis 27.6.2020 befristeten Aufenthaltsberechtigung erteilt werden (vgl. die im verwaltungsbehördlichen Akt befindliche Stellungnahme vom 10.9.2020 bzw. den Antrag auf "Verlängerung des subsidiären Schutzes" an das BFA vom 10.9.2020). Es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er trotz des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck "Daueraufenthalt – EU" die Verlängerung des subsidiären Schutzes beantragen müsse. Darüber hinaus ergibt sich schließlich auch aus dem Vorbringen, wonach dem Beschwerdeführer "mit Ausnahme der verspäteten Antragstellung zur Verlängerung des subsidiären Schutzes […] nichts vorzuwerfen [sei], das einem Daueraufenthalt EU widersprechen würde" (vgl. Stellungnahme vom 10.9.2020), dass der Beschwerdeführer selbst den verspäteten Verlängerungsantrag zugesteht (siehe weiters die mehrfache ausdrückliche Bezugnahme auf die verspätete Antragstellung im BFA-Bescheid vom 29.9.2020).

IV. Rechtliche Beurteilung:

1. Maßgebliche Rechtsgrundlagen:

1.1. Die hier maßgebliche Bestimmung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) lautet in der hier maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

"Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU'

§ 45.

(1) – (11) […]

(12) Asylberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen über den Status des Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005) verfügten und subsidiär Schutzberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005) rechtmäßig aufhältig waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' erteilt werden, wenn sie

1.

die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2.

das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.

Der Zeitraum zwischen Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz (§ 17 Abs. 2 AsylG 2005) und Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten ist zur Hälfte, sofern dieser Zeitraum 18 Monate übersteigt zur Gänze, auf die Fünfjahresfrist anzurechnen."

1.2. Die hier maßgebliche Bestimmung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lautet in der hier maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

"Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) – (3a) […]

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) – (7) […]"

1.3. Die hier maßgebliche Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) lautet in der hier maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

"Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. – 3. […]

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt;

5. – 9. […]

(1a) – (4) […]"

1.4. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes (COVID-19-VwBG) lauten in der hier maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:

"Unterbrechung von Fristen

§ 1. (1) In anhängigen behördlichen Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991, Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, und Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 – VVG, BGBl. Nr. 53/1991) anzuwenden sind, werden alle Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt, sowie Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen neu zu laufen. Bei der Berechnung einer Frist nach § 32 Abs. 1 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Bei der Berechnung einer Frist nach § 32 Abs. 2 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, an dem die Frist begonnen hat. Die vorstehenden Sätze gelten nicht für Fristen in Verfahren nach dem Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950.

(1a) Keine Fristen im Sinne des Abs. 1 sind die Fristen gemäß

1. § 80 Abs. 6 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 und

2. § 22a Abs. 2 und 4 des BFA-Verfahrensgesetzes – BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012.

(2) Die Behörde (Art. II Abs. 1 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 – EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008) kann jedoch im jeweiligen Verfahren aussprechen, dass eine Frist nicht für die in Abs. 1 festgelegte Dauer unterbrochen wird. Diesfalls hat sie gleichzeitig eine neue angemessene Frist festzusetzen.

(3) Nach Abs. 2 ist nur vorzugehen, wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Partei (§ 8 AVG) dringend geboten ist und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Verwaltungsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen.

Sonderregelungen für bestimmte Fristen

§ 2. (1) Die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 wird nicht eingerechnet:

1. in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag (§ 13 Abs. 8 AVG) zu stellen ist,

2. in Entscheidungsfristen mit Ausnahme von verfassungsgesetzlich festgelegten Höchstfristen und

3. in Verjährungsfristen.

Im Anwendungsbereich der Z 2 verlängert sich die jeweilige Entscheidungsfrist um sechs Wochen, wenn sie jedoch weniger als sechs Wochen beträgt, nur im Ausmaß der Entscheidungsfrist selbst.

(2) […]

         

Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes

§ 6. (1) (Verfassungsbestimmung) Auf das Verfahren der Verwaltungsgerichte sind die §§ 1 bis 5 dann sinngemäß anzuwenden, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist. Im Fall des § 4 Abs. 2 hat der Verwaltungsgerichtshof ein anderes sachlich zuständiges Verwaltungsgericht, in Ermangelung eines solchen ein anderes Verwaltungsgericht zu bestimmen.

(2) Auf das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes sind die §§ 1 bis 3 und 5 sinngemäß anzuwenden."

2. Erwägungen:

2.1. Gemäß § 45 Abs. 12 NAG kann subsidiär Schutzberechtigten ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt haben. Dies jedoch nur unter der besonderen Erteilungsvoraussetzung, dass sie in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 rechtmäßig aufhältig waren.

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist als das vorübergehende, verlängerbare Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen des AsylG 2005 gewährt, von der gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zusätzlich zu erteilenden Berechtigung zu unterscheiden (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, sowie VwGH 29.6.2020, Ra 2019/01/0120 und VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001).

Gemäß § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 gilt die anlässlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu erteilende Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr und wird über Antrag für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Wird der Verlängerungsantrag vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt, so besteht die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts (vgl. wiederum VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, sowie VwGH 29.6.2020, Ra 2019/01/0120 und VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001).

Mit der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ist ein rechtmäßiger Aufenthalt gemäß § 31 Abs. 1 Z 4 FPG verbunden (vgl. dazu erneut VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, sowie VwGH 29.6.2020, Ra 2019/01/0120 und VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001).

Der Gesetzgeber gibt mit der Anordnung des § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 zu erkennen, dass grundsätzlich – (wenn auch) eingeschränkt auf den Fall der rechtzeitigen Antragstellung – erst mit der dem Antrag nicht Folge gebenden Entscheidung der Verlust der Aufenthaltsberechtigung eintreten soll (vgl. VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007 sowie VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 besteht somit nach der rezenten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur im Fall eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages über das Endigungsdatum der zuletzt erteilten Aufenthaltsberechtigung hinaus – bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts – weiter (vgl. auch bereits VwGH 24.5.2018, Ro 2017/01/0007, Rz 17). Wurde somit erst nach Ablauf der zuletzt erteilten Aufenthaltsberechtigung deren Verlängerung beantragt, so besteht für den Zeitraum zwischen Ablauf der letzten Aufenthaltsberechtigung und Beginn der weiteren Aufenthaltsberechtigungen keine solche Aufenthaltsberechtigung.

2.2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

2.2.1. Feststellungsgemäß verfügte der Beschwerdeführer zuletzt bis 27.6.2020 über eine Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Er stellte vor dem 27.6.2020 keinen rechtzeitigen Verlängerungsantrag nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005, erst am 10.9.2020 brachte er einen Antrag betreffend eine Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ein. Eine Entscheidung hinsichtlich dieses Antrages erfolgte erst mit BFA-Bescheid vom 29.9.2020, sohin ca. drei Monate nach Ende der zuletzt erteilten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Der Beschwerdeführer verfügt erst seit 9.10.2020 (gültig bis 9.10.2022) wieder über eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Für den Zeitraum zwischen dem Ablauf des 27.6.2020 und dem 9.10.2020 lag somit – wie auch das BFA in seinem Bescheid vom 29.9.2020, Zl. ..., ausgeführt hat (siehe dortige Punkte A. bis C.) – keine Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 vor.

2.2.2. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass eine Fristenunterbrechung bzw. Fristenhemmung im Sinne der §§ 1 und 2 COVID-19-VwBG, aufgrund derer sich – rein hypothetisch – die Rechtzeitigkeit des Verlängerungsantrages vom 10.9.2020 ergeben hätte können, nicht in Betracht kommt:

Eine Fristenunterbrechung gemäß § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG, wonach die "Frist" zur Stellung des Verlängerungsantrages unterbrochen worden wäre und am 1.5.2020 neu zu laufen begonnen hätte, kommt nicht in Betracht, zumal es sich bei der in § 8 Abs. 4 AsylG 2005 vorgesehenen "Frist" um eine materiell-rechtliche Frist handelt, weil die befristete Handlung (Stellung eines Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter) auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet ist (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0191, zur Bestimmung des § 24 Abs. 1 NAG). Die in § 1 COVID-19-VwBG vorgesehene Fristenunterbrechung gelangt jedoch nur bei verfahrensrechtlichen, nicht jedoch bei materiell-rechtlichen Fristen zur Anwendung (vgl. Materialien zu BGBl. 16/2020, AB 112 BlgNR 27. GP 6).

Auch aus einer allfälligen Fristenhemmung im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG, wonach der ca. sechswöchige Zeitraum vom 22.3.2020 bis zum Ablauf des 30.4.2020 in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag zu stellen ist, nicht eingerechnet wird, wäre für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, zumal sich selbst bei Erstreckung der Frist um den Hemmungszeitraum von 40 Tagen ab 27.6.2020 als Tag, an welchem die Frist zur Stellung des Verlängerungsantrages abgelaufen ist, der 6.8.2020 ergebe. Der Antrag des Beschwerdeführers betreffend eine Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde jedoch erst deutlich nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 10.9.2020, eingebracht.

Es ist daher auch im Lichte der genannten Sonderregelungen zur Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie jedenfalls von einem verspäteten Antrag auszugehen (und wurde dieser Umstand im Übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogen, vgl. hierzu bereits die Ausführungen zu Punkt III.3.2.).

2.2.3. Wie unter Punkt IV.2.1. bereits dargelegt wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass das lückenlose Fortbestehen einer Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 über das zuletzt maßgebliche Gültigkeitsende – hier also den 27.6.2020 – hinaus die rechtzeitige Stellung eines Verlängerungsantrages nach der zitierten Gesetzesstelle voraussetzt (siehe etwa erneut VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, Rz 23 und 42, sowie VwGH 29.6.2020, Ra 2019/01/0120, Rz 13 und 15 ff; vgl. auch VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001; 30.10.2019, Ro 2019/14/0007, Rz 38 und 50). Wird daher – wie im gegenständlichen Fall – ein Verlängerungsantrag nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erst nach Ablauf der zuletzt nach dieser Gesetzesstelle erteilten Aufenthaltsberechtigung gestellt, so liegt kein durchgehender ("ununterbrochen") legaler Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne von § 45 Abs. 12 NAG vor.

Am Vorstehenden ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer laut eigener Angabe nicht wusste, dass er vor Ablauf des 27.6.2020 einen rechtzeitigen Verlängerungsantrag hätte stellen müssen, ebenso ist unbeachtlich, dass das BFA im Bescheid vom 29.9.2020 (in welchem im Übrigen auf das Vorliegen einer "Lücke" im Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ausdrücklich verwiesen wird) eine zweijährige anstatt einer einjährigen Aufenthaltsdauer ausgesprochen hat (siehe zu beidem die gleichgelagerte Situation zu VwGH 29.6.2020, Ra 2019/01/0120; vgl. auch VwGH 27.11.2020, Ro 2020/01/0001).

Damit lag aber im Zeitraum vom 28.6.2020 bis einschließlich 8.10.2020 kein rechtmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers im Sinne von § 31 Abs. 1 Z 4 FPG vor (vgl. VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007, Rz 36 f; 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, Rz 21 f; 29.6.2020, Ra 2019/01/0120, Rz 12) und steht dies daher der (besonderen) Erteilungsvoraussetzung des ununterbrochenen und rechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in den letzten fünf Jahren iSd § 45 Abs. 12 NAG entgegen.

2.2.4. Mit Blick auf die Beschwerdeausführungen ist überdies festzuhalten, dass Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ("Daueraufenthaltsrichtlinie") gegenständlich nicht einschlägig und auch daraus für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen ist, zumal sich diese Bestimmung auf den Aufenthalt außerhalb des Bundesgebietes (bei bestehendem Aufenthaltsrecht) für einen bestimmten Zeitraum bezieht.

Aus den dargelegten Gründen war der Beschwerdeführer in den letzten fünf Jahren nicht ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 rechtmäßig aufhältig und erfüllt er somit nicht die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" gemäß § 45 Abs. 12 NAG.

2.3. Bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung muss weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen geprüft noch eine Interessensabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG vorgenommen werden (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0062; 25.4.2019, Ra 2018/22/0177; 17.1.2019, Ra 2017/22/0115; VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0158; 17.10.2016, Ra 2016/22/0065; 6.8.2009, 2009/22/0195; uva.).

2.4. Die Abweisung des gegenständlichen Antrages des Beschwerdeführers vom 9.1.2020 durch die belangte Behörde erfolgte daher zu Recht; die dagegen gerichtete Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Da die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid anstatt § 45 Abs. 12 NAG – offenkundig bloß irrtümlich – die Regelung des § 45 Abs. 1 NAG zitiert hat, war der Spruch des angefochtenen Bescheides entsprechend abzuändern. Gleiches gilt für die Abänderung des Spruches im Hinblick auf die Zwecknennung des verfahrenseinleitenden Antrages, zumal § 45 Abs. 12 NAG diesbezüglich ausdrücklich nur vom Zweck "Daueraufenthalt – EU" spricht und auch hier lediglich ein bloß irrtümliches Vergreifen im Ausdruck durch die belangte Behörde vorlag.

2.5. Festzuhalten ist, dass der Status des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter nach dem AsylG 2005 und die nach Unterbrechung nunmehr erneut vorliegende und bis 9.10.2022 befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 von der vorliegenden Entscheidung nicht tangiert werden.

Es steht dem Beschwerdeführer frei, nach fünfjährigem ununterbrochenem und rechtmäßigem Aufenthalt aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, einen weiteren entsprechenden Antrag im Hinblick auf § 45 Abs. 12 NAG einzubringen.

3. Die vorliegende Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG trotz Antrages ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil einzig nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen zu klären waren und der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. Im Beschwerdefall waren im Wesentlichen die vom Beschwerdeführer selbst gemachten Angaben bzw. vorgelegten Unterlagen zu beurteilen, weitergehende amtswegige Ermittlungen waren nicht vorzunehmen. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026). Zudem ist das Verwaltungsgericht vom seitens des Beschwerdeführers vorgebrachten Sachverhalt ausgegangen (vgl. VwGH 26.4.2016, Ra 2016/03/0038, sowie EGMR 18.7.2013, 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein, Rz 97 ff). Im Übrigen berührt die Versagung eines Aufenthaltstitels kein civil right iSd Art. 6 EMRK (VwGH 15.6.2010, 2009/22/0347).

4. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – oben zitierten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel; subsidiär Schutzberechtigte; Daueraufenthalt; besondere Erteilungsvoraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.151.088.14887.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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