TE Vwgh Erkenntnis 2021/2/17 Ra 2019/17/0072

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Veröffentlicht am 17.02.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 2. Juli 2019, LVwG-S-354/001-2019, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich; mitbeteiligte Partei: D B in P) zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Die belangte Behörde erkannte mit Straferkenntnis vom 21. August 2017 die Mitbeteiligte als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit gemäß § 9 Abs. 1 VStG Verantwortliche einer näher bezeichneten Gesellschaft der achtfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG schuldig und verhängte über sie acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 3.000 (samt Ersatzfreiheitsstrafen). Dieses Erkenntnis wurde der Mitbeteiligten in ausschließlich deutscher Sprache in die Slowakei übermittelt.

2        Die Mitbeteiligte erhob dagegen eine in deutscher Sprache abgefasste Beschwerde, in der sie u.a. vorbrachte, dieser Sprache nicht mächtig zu sein. Das Straferkenntnis sei nicht in die slowakische Sprache übersetzt und ihr daher gemäß Art. 5 Abs. 3 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. III Nr. 65/2005, nicht wirksam zugestellt worden.

3        Mit Beschluss vom 27. November 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) die Beschwerde als unzulässig zurück. Begründend führte das LVwG aus, der Mitbeteiligten hätte nicht nur das Straferkenntnis in deutscher Sprache, sondern auch eine - zumindest Spruch und Rechtsmittelbelehrung umfassende - Übersetzung in die slowakische Sprache übermittelt werden müssen. Dies sei nicht erfolgt, sodass nicht von einer wirksamen Zustellung des Straferkenntnisses an die Mitbeteiligte auszugehen sei.

4        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 4. Jänner 2019 wurde die Mitbeteiligte neuerlich hinsichtlich desselben Tatzeitraums und desselben Tatorts der achtfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall GSpG schuldig erkannt und über sie acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 3.000 (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Dieses wurde der Mitbeteiligten samt einer Übersetzung des Spruchs und der Rechtsmittelbelehrung in die slowakische Sprache in die Slowakei übermittelt.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und hob das Straferkenntnis vom 4. Jänner 2019 auf (Spruchpunkt 1.). Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Begründend führte das LVwG nach Wiedergabe des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe eine 27 Seiten umfassende Beschwerde erhoben, in welcher sie sich gegen die neuerliche Bescheiderlassung trotz „entschiedener Sache“ gewandt habe. Ihr wäre zwar das Straferkenntnis vom 21. August 2017 unter Beifügung einer angeschlossenen vollständigen Übersetzung zuzustellen gewesen. Im Mehrparteienverfahren hätten aber durch das Straferkenntnis vom 21. August 2017 „doch schon andere Verfahrensparteien Teilrechtskraft erlangt, sodass der neuerlichen Bescheiderlassung vom 04. Jänner 2019 entschiedene Sache“ entgegenstehe.

6        Das LVwG schließe sich dieser Rechtsmeinung an. Es sei auf die ausführliche Darstellung der Rechtsmittelwerberin in deren Beschwerde zu verweisen. Nach Ansicht des LVwG „reicht die von der Behörde I. Instanz erfolgte Übersetzung des Spruches des Straferkenntnisses indes dahingehend aus, der [Mitbeteiligten] zu erkennen zu geben bzw. erkennbar darzustellen, dass das Straferkenntnis vom 04. Jänner 2019 bezüglich jenes vom 21. August 2017 dahingehend übereinstimme, dass entschiedene Sache zu verzeichnen sei“.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung. Auch die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie u.a. vorbrachte, nunmehr der deutschen Sprache etwas kundig zu sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Amtsrevision macht in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit u.a. geltend, das LVwG sei seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. Es habe keine Feststellungen in Bezug auf das von ihm angenommene Prozesshindernis der entschiedenen Sache getroffen, sondern lediglich pauschal auf das Beschwerdevorbringen verwiesen.

9        Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und als begründet.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 leg. cit. den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund. Bei der Anwendung der in Rede stehenden Rechtsvorschriften ist die besondere Stellung der Verwaltungsgerichte zu berücksichtigen. Angesichts ihrer sich aus Art. 130 B-VG ergebenden Zuständigkeit werden die Verwaltungsgerichte ihrer Begründungspflicht nach § 29 VwGVG dann nicht gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung in den wesentlichen Punkten nicht aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 22.3.2019, Ra 2017/04/0135, mwN).

11       Das angefochtene Erkenntnis enthält im Wesentlichen eine Wiedergabe des Verfahrensganges. Feststellungen zum Sachverhalt, den es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, insbesondere zu der Frage, ob das Straferkenntnis vom 21. August 2017 auch einer anderen Partei zugestellt worden war, und eine diesbezügliche Beweiswürdigung fehlen zur Gänze. Vielmehr begnügt sich das LVwG, auf „die ausführliche Darstellung der Rechtsmittelwerberin in deren Beschwerde“ zu verweisen.

12       Für einen derartigen Verweis, der an die Stelle einer eigenständigen Begründung des angefochtenen Erkenntnisses tritt, fehlt in den vom Verwaltungsgericht anzuwendenden Verfahrensbestimmungen des VwGVG jegliche Rechtsgrundlage (vgl. zur Unzulässigkeit eines Verweises auf ein anderes Erkenntnis eines Landesverwaltungsgerichts: VwGH 22.3.2019, Ra 2017/04/0135, mwN). Der bloße Hinweis auf Ausführungen in der Beschwerde stellen noch keine eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes dar (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0044).

13       Dieser Begründungsmangel erweist sich - wie in der Amtsrevision vorbracht - schon deswegen als relevant, weil aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht hervorgeht, aus welchen Gründen das LVwG vom Vorliegen eines erstinstanzlichen Mehrparteienverfahrens ausgeht. Das wäre etwa der Fall, würde zu der gegenständlichen Verwaltungsübertretung eine Anzeige der Abgabenbehörde vorliegen (§ 50 Abs. 5 GSpG idF vor dem Finanz-Organisationsreformgesetz - FORG, BGBl. I Nr. 104/2019). In diesem Fall wäre ein Straferkenntnis jedenfalls auch der Abgabenbehörde zuzustellen gewesen. Das LVwG hätte dann Feststellungen zu der Frage, ob das Straferkenntnis der Abgabenbehörde tatsächlich zugestellt wurde, treffen müssen, um beurteilen zu können, ob das Straferkenntnis vom 21. August 2017 rechtlich existent geworden ist, obwohl es der mitbeteiligten Partei nicht zugestellt wurde. Nur bei Bejahung dieser Frage ist ein späterer Verstoß gegen das Prozesshindernis der res iudicata denkbar.

14       Die unzureichenden Feststellungen und die mangelhafte Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ermöglichen dem Verwaltungsgerichtshof keine inhaltliche Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses „auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhaltes“ im Sinne des § 41 VwGG. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15       Sollten im fortzusetzenden Verfahren die Ermittlungen des LVwG zu dem Ergebnis führen, dass im Revisionsfall das Strafverfahren als Mehrparteienverfahren zu führen war und das Straferkenntnis vom 21. August 2017 tatsächlich der weiteren Partei zugestellt worden ist, dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob im Revisionsfall res iudicata vorliegt. Auch in diesem Zusammenhang wird das LVwG gehalten sein, seine Rechtsansicht in nachvollziehbarer Weise zu begründen.

Wien, am 17. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019170072.L00

Im RIS seit

14.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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