TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/14 W166 2209796-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.12.2020
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Entscheidungsdatum

14.12.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §2
VOG §3

Spruch


W166 2209796-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC sowie den fachkundigen Laienrichter DI Herbert KASBERGER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch RA Mag. Franz GALLA, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 21.09.2018, GZ: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Ersatz des Verdienstentganges, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.10.2020, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer brachte am 28.06.2013 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form des Ersatzes des Verdienstentganges beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), ein.

Der Beschwerdeführer verwies in seinem Antrag unter anderem auf den beigelegten Clearingbericht des Weißen Rings (Gespräche vom 29.11.2010 und vom 01.02.2011), worin auf schädigende Ereignisse in seiner Kindheit und Jugend in der Kinderübernahmestellte (kurz: KÜST), wo er im Zeitraum 1967 – 1970 zwei Mal einige Wochen lang untergebracht gewesen sei, im Kinderheim XXXX in der Zeit von 1970 – 1974 und im Gesellenheim XXXX , wo er ca. ein Jahr gewesen und von einem Mitbewohner mit dem Umbringen bedroht worden sei, eingegangen wurde. In der KÜST sei den Kindern angedroht worden, dass sie bei Fehlverhalten in eine psychiatrische Anstalt oder in ein strenges Erziehungsheim kommen würden. Der Beschwerdeführer sei dadurch in ständiger Anspannung gewesen, hätte Angst gehabt, sei unsicher gewesen und habe ein Grundgefühl der völligen Verlassenheit gehabt. Im Heim in XXXX habe vor der Bettruhe absolutes Redeverbot geherrscht. Wer trotzdem sprach, sei „abgewatscht“ worden und habe mindestens eine halbe Stunde am Gang stramm stehen müssen. Das Bett habe genau gemacht werden müssen, ansonsten sei es aufgerissen und das gesamte Bettzeug auf den Boden geschmissen worden. Wenn die Fingernägel nicht sauber gewesen seien, habe es Schläge mit dem Kochlöffel auf die Finger gegeben. Nach dem Duschen sei der Körper auf Sauberkeit kontrolliert worden. Sei etwas nicht in Ordnung gewesen, habe es Schläge auf den nackten Körper gegeben. Von einer Erzieherin habe es „Watschenorgien“ gegeben. Sie habe die Kinder auch an den Haaren oder an den Ohren gezogen und habe sie solange geohrfeigt, bis sie keinen Ton mehr von sich gegeben hätten. Bei einer anderen Erzieherin hätten sie stundenlang im Schotter stehen oder knien müssen. Es habe Schläge mit dem Bambusstock, Kochlöffel, Schuhstrecker, Teppichpracker und Lineal gegeben. Bettnässer seien öffentlich gedemütigt worden, indem ihre beschmutzte Unterwäsche vor allen Kindern hergezeigt worden sei. Durch die Mitzöglinge sei man der Gefahr eines „Gruppendipplers“ – einer Hetzjagd, bei der man von ca. 30 Kindern getreten und geschlagen worden sei – ausgesetzt gewesen. Als er die Aufnahmeprüfung für das Fach Nachrichtentechnik im XXXX geschafft habe, sei er ins Heim XXXX übersiedelt, wo er im Zeitraum Herbst 1974 bis Frühling 1975 gewohnt habe. Trotz großer Bemühungen sei die HTL für ihn nicht zu bewältigen gewesen, da er aus dem Hauptschulunterricht in XXXX nicht genügend Vorwissen sammeln und daher die Anforderungen nicht erfüllen habe können. Er sei in Mathematik und Englisch durchgefallen. Der Direktor habe den Besuch eines Gymnasiums abgelehnt und der Beschwerdeführer habe sich um eine Lehrstelle umgesehen. Er sei von Mai bis August 1975 einer Lehre in einer Buchhandlung nachgegangen. Danach sei er ins Heim XXXX gekommen, wo er eine Lehre bei der XXXX als XXXX begonnen und 1978 auch abgeschlossen habe. Im Gesellenheim XXXX sei er dann von einem Mitbewohner mit dem Messer bedroht worden. Ein Erzieher von XXXX habe ihm ein Untermietzimmer besorgt und damit sein Leben gerettet. Der Beschwerdeführer habe eine Firma gehabt, dann aber Krebs bekommen. Seit 2008 stehe er wegen Depressio und Paranoia in Invaliditätspension. Zusätzlich leide er aufgrund einer Psoriasis an starken Gelenksschmerzen.

Mit Schreiben vom April 2011 wurden dem Beschwerdeführer seitens des Weißen Rings einerseits eine Entschädigungszahlung in Höhe von EUR 15.000,- und andererseits Therapieeinheiten im Ausmaß von 40 Stunden zugesprochen, wobei diese in der Höhe von EUR 3.200,- in Barabgeltung dem Beschwerdeführer ausbezahlt wurden.

Im Rahmen eines Verfahrens nach dem Behinderteneinstellungsgesetz wurde mit Sachverständigengutachten vom 14.03.2003 ein beim Beschwerdeführer vorliegender Grad der Behinderung von 50 v.H. aufgrund Psoriasisarthritis festgestellt. Der Zustand nach Morbus Hodgkin mit anschließender Chemotherapie ohne Folgeschäden bedingte keine Gesundheitsschädigung die zu einem Grad der Behinderung führte. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, bereits einen Grad der Behinderung von 70 v.H. zu haben, da er schon mehrere diesbezügliche Anträge - unter anderem wegen Psoriasis - gestellt habe, und legte den Behindertenpass vor.

Der Beschwerdeführer war ab dem Jahr 2007 in befristeter Berufsunfähigkeitspension, und bezieht seit 01.03.2011 eine unbefristet zuerkannte Invaliditätspension. In den zugrunde gelegten Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt wurde als Hauptursache der Minderung der Erwerbsfähigkeit eine Wahnhafte Störung bzw. eine Anhaltend paranoid wahnhafte Störung diagnostiziert.

Mit mehreren Schreiben der belangten Behörde wurde der vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, bei welchem er in Behandlung stand, um Übermittlung einer Stellungnahme betreffend den Grund der Therapie, der Art seiner psychischen Probleme, deren Ursache(n) und Auswirkungen und der Diagnose ersucht. Dr. XXXX gab daraufhin am 25.11.2013 bekannt, prinzipiell keine Auskünfte über seine Patienten zu erstatten und habe ihn der Beschwerdeführer darüber hinaus auch mitgeteilt, dass er dies nicht wünsche. Er ersuche einen Gutachter mit dieser Sache zu betrauen.

Seitens der belangten Behörde wurde ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Psychiatrie und Neurologie eingeholt.

In dem Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 10.04.2014 basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, wird im Wesentlichen Nachfolgendes ausgeführt:

„(…) Aus der Anamnese:

In allen biografischen Beschreibungen fällt auf, dass Herr R. angab, schon als Kind von der Mutter gequält worden zu sein und auch vom neuen Mann der Mutter nicht gewollt worden zu sein. Er sei in verschiedene Kinderheime gekommen, aktenkundig ist der Zeitraum von 1970 bis Ende 1977 (also von seinem 11. bis zum 18. Lebensjahr), wobei die letzten Heime bereits Lehrlingsheime gewesen waren. Im Akt sind ausführliche Berichte über Stil der „Heimerziehung“ enthalten, die in für die damalige Zeit typischer und nicht ungewöhnlicher Weise aus Sadismen, Gemeinheiten, Schikanen, Herabwürdigungen, Gewalttätigkeiten und sonstigen traumatisierenden Erlebnissen gekennzeichnet waren. Diese traumatisierenden Ereignisse sind im Akt ausführlich beschrieben und werden hier nicht weiter ausgeführt.

Wichtig ist ein sehr ausführlicher Befund und Gutachten des Psychologischen Dienstes des Magistrates der Gemeinde Wien vom 29.4.1969 (Aktenblatt, AB 57 bis 59), in dem der damals 10 Jahre alte Bub noch vor seiner Heimunterbringung als überdurchschnittlich intelligent eingestuft wurde, aber auch bereits auffallende Persönlichkeitsmerkmale zeigte („klebrig, nervöse Getriebenheit, affektive Unausgeglichenheit, Unruhe, Geltungsstreben, psychisch reifungsrückständig, Konzentrationsmängel“).

Der weitere Verlauf zeigte eine Zunahme der Persönlichkeitsauffälligkeiten.

(…) Trotz des Bestehens der Aufnahmeprüfung ins XXXX schaffte er diese Ausbildung nicht und machte eine XXXX bei der XXXX , die er auch mit Auszeichnung abschloss. Viele Jahre Arbeit bei der XXXX , auch eine zeitlang selbständig, bis er 2007 sich nicht mehr in der Lage fühlte zu arbeiten. Befristete Pension zuerst, seit 2011 in unbefristeter Berufsunfähigkeitspension.

Derzeit lebe er alleine. Er habe nur geringe soziale Kontakte. Sei seit den 80er Jahren geschieden, habe nur kurz mit dieser Frau zusammengelebt. Es habe nicht geklappt. Keine Kinder. Danach kurze Beziehung. Keine längerdauernden Beziehungen. „Wie er keine passende Partnerin gefunden habe.“

Seit Jahren beschäftige er sich hauptsächlich mit den erlittenen Traumata. Er möchte zu „seinem Recht“ kommen. Er „werde weiterkämpfen“. Er wolle eine angemessene Entschädigung und wolle, dass die verantwortlichen Erzieher und Erzieherinnen bestraft würden.

Der einzige Mensch, dem gegenüber er sich öffne und mit dem er über alles spreche sei sein Psychiater Dr. XXXX , den er so zweimonatlich aufsuche. (…)

Beantwortung der gestellten Fragen:

1. Welche Gesundheitsschädigungen liegen bei dem AW vor?

1. Herr R. leidet im Rahmen einer konstitutionell bedingten ausgeprägten paranoiden Persönlichkeitsstörung auch an einer langdauernden depressiven Reaktion.

2. Welche der festgestellten Gesundheitsschädigungen sind mit Wahrscheinlichkeit auf die oben angeführten Verbrechen zurückzuführen (Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs bedeutet nach der Judikatur, dass wesentlich mehr für einen Kausalzusammenhang sprich als dagegen)?

Die Depression ist mit Wahrscheinlichkeit auf die angeführten Verbrechen zurückzuführen, die Persönlichkeitsstörung nicht.

3. Liegt beim AW Arbeitsunfähigkeit vor (Der AW bezieht derzeit eine Berufsunfähigkeitspension)? a) Wenn ja, aufgrund der kausalen Gesundheitsschädigungen (Frage 2)? b) Wenn ja, aufgrund der akausalen Gesundheitsschädigungen?

3. Beim Antragsteller liegt Arbeitsunfähigkeit vor.

a) nicht hauptsächlich wegen der kausalen Gesundheitsschädigung, sondern

b) wegen der konstitutionell bedingten ausgeprägten Persönlichkeitsstörung.

4. Hat die kausale Gesundheitsschädigung den beruflichen Werdegang des AW maßgeblich beeinflusst? D.h. wäre aus medizinischer Sicht ohne kausale Gesundheitsschädigungen eine kontinuierliche Beschäftigung (normaler Beschäftigungsverlauf) z.B. als XXXX bei XXXX oder als Vertragsbediensteter möglich gewesen oder hätten schon allein die akausalen Gesundheitsschädigungen dies verhindert?

4. Nein. Die kausale Gesundheitsschädigung, also die depressive Reaktion, ist erst später zum Tragen genkommen. Von Anbeginn an, sogar noch vor der Heimunterbringung, wird der Antragsteller als schwierige Persönlichkeit beschrieben, der durch seine paranoide Erlebnisverarbeitung und durch seine Zwanghaftigkeit zusätzlich zu den traumatisierenden Ereignissen während der Heimunterbringung Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung gezeigt hat. Auch das „Versagen“ in der Ausbildung im XXXX kann nicht der Heimunterbringung angelastet werden. Zu diesem Zeitpunkt war Antragsteller schon in diversen Lehrlingsheimen untergebracht und zuletzt auch selbständig wohnhaft. Die verminderte Arbeitsleistung, die letztendlich zur Berufsunfähigkeitspension geführt hat, wurde vor allem durch die Erkrankung an Morbus Hodgkin und nachfolgend der Psoriasis vulgaris und arthropoetica verursacht. Beide Krankheiten sind nicht kausal auf die erlittenen Verbrechen zurückzuführen. Auf Grund der vorbestehenden Persönlichkeitsstörung hat aber Antragsteller alle in seinem Leben aufgetretenen Schicksalsschläge und Unbillen der Heimunterbringung angelastet. Die Traumatisierung wird nicht bestritten, daher auch die langdauernde Depression als kausal angesehen, nicht aber die Arbeitsunfähigkeit. Auch ist nicht nachzuvollziehen, dass Antragsteller angibt, er hätte „Akademiker“ werden können, wäre die Heimunterbringung mit den dort erlittenen Traumata nicht gewesen. Dies entbehrt auch jeder Logik und Kausalität.

Der Hauptgrund für das für den Antragsteller unglücklich verlaufene Leben ist seine Grundpersönlichkeit, die es ihm auch schwer gemacht hat, die Traumata zu überwinden und mit seiner guten Intelligenz ein zufriedenstellendes berufliches und privates Leben zu erreichen und zu führen.

Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bis in die späten 80er Jahre die Pädagogik geprägt war von autoritären Kriterien der Kindererziehung. Schläge, Diskriminierungen, Herabwürdigungen, Verächtlichmachen und Schikanen waren nicht nur in den diversen Kinderheimen an der Tagesordnung und quasi „state of the art“, sondern auch in den meisten Fällen, auch in „guten“ Familien, üblich und als gerechtfertigt angesehen.

Erst. Dr. Hans Czermak, Kinderarzt (1913 bis 1989) gelang es, seinen Leitgedanken „Jedes Kind hat das Recht auf eine glückliche Kindheit“ politisch verankern zu lassen. Die Gesetzesänderung im Kindschaftsrecht erfolgte erst 1989 (!) mit der Ergänzung: „die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlicher oder seelischen Leides ist unzulässig.“

Mit Schreiben vom 04.07.2014 wurden dem Beschwerdeführer die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht und ausgeführt, sein Ansuchen um Ersatz des Verdienstentganges könne nicht bewilligt werden, da das Vorliegen eines verbrechenskausalen Verdienstentganges zum Zeitpunkt der Antragstellung im fiktiven schadensfreien Verlauf nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Dazu wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben binnen vier Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.

Am 06.10.2014 gab der Beschwerdeführer seine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ab, worin er im Wesentlichen äußerte, dass sich das gesamte Gutachten vom 10.04.2014 für ihn als Konstrukt von oberflächlichen Behauptungen hinsichtlich kausaler Zusammenhänge innerhalb und vor seinen Heimaufenthaltszeiten darstelle, einschließlich sehr mangelhafter Kenntnis seiner Aktenlage. Für ihn stelle es sich so dar, als wäre das Ergebnis der Untersuchung bzw. Beurteilung schon vorher festgestanden. Das Erfragen seiner Biographie habe sich bloß auf formale Eckpunkte, die sowieso dem Akt einfach zu entnehmen seien, beschränkt. Besondere Detailfragen hätte er gern beantwortet, aber solche seien ihm nicht gestellt worden.

Als Beilage übermittelte er unter anderem einen ambulanten Patientenbrief des XXXX von Dr. XXXX vom 07.10.2014. Diesem sei zu entnehmen, dass beim Beschwerdeführer – entgegen dem Gutachten vom 10.04.2014 – eine anhaltende Persönlichkeitsänderung nach extremen Lebenserfahrungen (F62.0) vorliege, welche vor dem Hintergrund, der durch extreme Lebenserfahrung der erlebten Misshandlungen des Beschwerdeführers und anderer Kinder im Heim als eindeutig kausal zu sehen sei, da andere schwere Lebenserfahrungen, die die Entwicklung des Krankheitsbildes erklären könnten, wie z.B. eine Geiselhaft, die Erfahrung anderer schwerwiegender krimineller Gewalt, oder Misshandlungen in der Familie weder explorierbar, noch aus der Aktenlage ersichtlich seien. Weiters würden traumakausale rezidivierende depressive Episoden (F33.2 bzw. F33.3) bestehen. Eine „konstitutionelle Persönlichkeitsstörung“ – wie im Gutachten vom 10.04.2014 festgestellt – sei neben der nicht nachvollziehbaren Darstellung der Bedingungen im Heim XXXX als „state of the art“ Erziehung in keiner Weise erklärt. Aufgrund der guten Allgemeinintelligenz, der sprachlichen Geschicklichkeit und der deutlichen Motivation des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass nicht eine intellektuelle oder konstitutionelle Beeinträchtigung, sondern die angeführte klinische Symptomatik im Rahmen der erlebnisrelevanten anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach extremen Lebenserfahrungen Grund für die vom Beschwerdeführer erlebte Beeinträchtigung in der schulischen, beruflichen und familiären Entwicklung sei. Alternative negative Life-Events bzw. Lebenserfahrungen, wie auch Teil der Lebensgeschichte des Beschwerdeführers, wie eine abwesende oder autoritäre Vaterfigur, eine ambivalente Haltung zur Mutter, allgemeine soziale Schwierigkeiten oder sogar die zwei durchaus als schwerwiegend einzustufenden Krankheitsbilder (Psoriasis, erfolgreich behandelter Mb. Hodkin) seien einerseits später auftretende Lebenserfahrungen, und würden andererseits als üblicherweise nicht ausreichend schwer gewertet, um als alternative Erklärung der Hauptdiagnose gelten zu können.

Mit Eingabe vom 29.05.2015 legte der Beschwerdeführer einen weiteren ambulanten Patientenbrief des XXXX vom 06.05.2015 vor, welcher die Vorversion ersetze. In der zusammenfassenden Bewertung des Zustandes des Beschwerdeführers wurden im Wesentlichen dieselben Ausführungen getätigt, wie im vorangegangenen Patientenbrief vom 07.10.2014.

Auf Anfrage der belangten Behörde bei der Wiener Gebietskrankenkasse, übermittelte diese am 06.07.2015 eine Auflistung der stationären Krankenhausaufenthalte samt Krankheiten (Diagnosen) des Beschwerdeführers. Demnach war er in den Zeiträumen 24.08.2008 bis 04.09.2008 wegen Zoster generalisatus und von 09.08.2010 bis 12.08.2010, 18.04.2011 bis 14.05.2011, 09.12.2013 bis 05.01.2014, 16.10.2014 bis 12.11.2014 wegen Psoriasis stationär aufhältig. Im Zeitraum 30.03.2007 bis 20.09.2007 war der Beschwerdeführer wegen einer schweren generalisierten Angststörung arbeitsunfähig.

Die belangte Behörde holte ein weiteres nervenfachärztliches Sachverständigengutachten mit Gutachtensauftrag vom 09.07.2015 ein.

In dem Sachverständigengutachten vom 22.01.2016 führte der befasste Facharzt für Neurologie und Psychiatrie im Wesentlichen wie folgt aus:

„(...)

Diagnose: Dysthymie, paranoide Persönlichkeitsstörung

Stellungnahme:

1. Welche Gesundheitsschädigungen liegen bei dem AW vor?

Anlässlich der Untersuchung am 8.1.2016 wurde die Diagnose Dysthymie und paranoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert.

Unter Dysthymie versteht sich eine chronifizierte (länger als 2 Jahre) depressive Stimmungslage, die in ihrer klinischen Ausprägung als leicht bezeichnet wird, d.h. nicht zwingend einer medikamentösen Therapie bedarf.

Eine paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD F 60.0) ist durch übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung, Nachtragen von Kränkungen, durch Misstrauen, sowie eine Neigung, Erlebtes zu verdrehen gekennzeichnet, indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich oder verächtlich missgedeutet werden, wiederkehrende unberechtigte Verdächtigungen hinsichtlich der sexuellen Treue des Ehegatten oder Sexualpartners, schließlich durch streitsüchtiges und beharrliches Bestehen auf eigenen Rechten. Diese Personen können zu überhöhtem Selbstwertgefühl und häufiger, übertriebener Selbstbezogenheit neigen.

(Eine Grenzziehung zwischen paranoider Persönlichkeit und paranoider Psychose ist mitunter nicht sicher möglich, da sich beide Zustandsbilder überlappen können.)

Die gestellten Diagnosen stehen im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Diagnosen diverser Vorgutachten, insbesondere mit dem Gutachten der PVA.

Dem ambulanten Patientenbrief XXXX (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, datiert 26.05.2015), gezeichnet Univ. Prof. Dr. XXXX , kann wegen eingeschränkter Objektivität im Rahmen eines Privatgutachtens nicht gefolgt werden, zumal im Gutachten belastende Erfahrungen unterbewertet werden, unter anderem die Aussagen (Seite 3, 26.5.2015): „Im weiteren Lebensverlauf keine Hinweise auf andere ungewöhnlich schwerwiegenden spezifische Erfahrungen, die als alternative Erklärung für die heute zu beobachtende anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach extremen Lebenserfahrungen vermutet werden können.“, sowie „Alltägliche negative Life-Events bzw. Lebenserfahrungen, wie auch Teil der Lebensgeschichte des Patienten, wie eine abwesende oder autoritäre Vaterfigur, eine ambivalente Haltung zur Mutter, allgemeine soziale Schwierigkeiten oder sogar die zwei durchaus als schwerwiegend einzustufenden Krankheitsbilder (Psoriasis, erfolgreich behandelter Mb. Hodgkin) sind einerseits später auftretende Lebenserfahrungen, nach Auftreten der ursprünglichen Symptome einer komplexen PTBS mit Übergang in eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach extremen Lebenserfahrungen, und werden andererseits als üblicherweise nicht ausreichend schwer gewertet, um als alternative Erklärung der Hauptdiagnose gelten zu können.“ (Zusammenfassung, Seite 6, 25.5.2015), sind als in diesem Sinne tenzendiös zu werden. (Das zitierte Gutachten Dr. XXXX liegt zur Stellungnahme nicht auf.)

2. Welche der festgestellten Gesundheitsschädigungen sind mit Wahrscheinlichkeit - kausal auf das Verbrechen zurückzuführen (Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhanges bedeutet nach der Judikatur, dass wesentlich mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht)? Begründung.

Ein Kausalzusammenhang mit dem Verbrechen ist nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

-        akausal, somit nicht auf die oben angeführten Verbrechen zurückzuführen?

Es ist allgemein bekannt, dass sich eine Persönlichkeit (Charakter) in den ersten Lebensjahren formt, wobei das Verhältnis von anlage- bzw. umweltbedingten Faktoren individuell schwankt.

Es ist anzunehmen, dass Herr R. bereits vor Heimaufnahme durch die chaotischen familiären Verhältnisse schwer traumatisiert war (leiblicher Vater abwesend – hat Vaterschaft zudem nie anerkannt, ablehnendes Verhalten des Stiefvaters, geringe bis fehlende Unterstützung durch die psychische labile Mutter, Wohnortwechsel), was in Zusammenhang mit der Entwicklung einer paranoiden Persönlichkeitsstörung gesehen werden muss.

3. Falls das Verbrechen nicht alleinige Ursache ist, wird um Beurteilung ersucht, ob das Verbrechen als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen hat. Es wird ersucht ausführlich darzulegen, was für den wesentlichen Einfluss (vorzeitige Auslösung und/oder Verschlimmerung) des Verbrechens spricht und was dagegen.

Der Einfluss des Verbrechens auf den psychischen Leidenszustand kann nur als möglich bezeichnet werden.

Gegen das Verbrechen als wesentlicher Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand spricht eine Vielzahl von einerseits länger (rund 50 Jahre) zurückliegenden belastenden Ereignissen, vor allem Bevorzugung des Stiefvaters durch die Mutter, Vernachlässigung und dadurch mangelnde schulische Leistungen, „Abschiebung“ des Kindes ins Heim, die Heimaufnahme an sich (Trennung von Familie und Freunden) und die Länge der Unterbringung, Herr R. hat einen Teil seiner Kindheit und seine Jugend in verschiedenen Heimen verbracht andererseits auch Belastungen aus der jüngeren Vergangenheit, wie Scheidung, Lymphomerkrankung mit in Folge Privatkonkurs, nur kurze, wechselnde Anstellungen, prekäre finanzielle Verhältnisse, chronische Erkrankung (Psoriasis und Psoriasis-Arthropathie) und letztendlich Frühpensionierung aufgrund einer psychischen Erkrankung.

Es ist ausfachärztlich-psychiatrischer Sicht unmöglich, die einzelnen Belastungen gegeneinander abzuwägen und zu gewichten, zumal ein Teil der Ereignisse weit zurückliegt. Trotz dieser Ereignisse war Herr R. in der Lage, über mehrere Jahre für seinen Unterhalt mittels verschiedenen Berufen zu sorgen.

4. Fall die festgestellten Gesundheitsschädigungen durch kausale und akausale Ursachen herbeigeführt worden sind, wird ersucht zu folgendem Stellung zu nehmen:

a. Hat das erlittene Trauma die festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit vorzeitig (erheblich früherer Zeitpunkt) ausgelöst oder wäre diese auch ohne die angeschuldigten Ereignisse im annähernd selben Zeitraum entstanden?

Es ist eine Vielzahl von belastenden und traumatisierenden Ereignissen bekannt, eine Gewichtung ist unmöglich.

Aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht bildet die paranoide Persönlichkeitsstörung die kindliche Traumatisierung durch die familiären Verhältnisse ab.

b. Hat das erlittene Trauma die festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit verschlimmert? Wenn ja, in welchem Ausmaß? Welche Gesundheitsschädigungen lägen ohne die angeschuldigten Ereignisse vor?

Ein Einfluss des Traumas auf die festgestellte Gesundheitsschädigung ist lediglich als möglich zu bezeichnen.

Aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das gegenwärtige psychische Zustandsbild auch ohne die angeschuldigten Ereignisse vorliegen würde.

5. Liegt bei dem AW Arbeitsunfähigkeit vor?

a. Wenn ja, wegen der kausalen Gesundheitsschädigungen?

Entfällt, siehe unten.

b. Wenn ja, wegen der akausalen Gesundheitsschädigungen?

Herr R. ist seit 2011 Bezieher einer unbefristeten Berufsunfähigkeitspension. Im Gutachten der PVA (13.1.2011) findet sich kein Bezug einer allfälligen kausalen Gesundheitsschädigung.

6. Kann aus medizinischer Sicht gesagt werden, ob die kausalen Gesundheitsschädigungen maßgebliche (überwiegende) Ursache für Zeiten sind, in denen der AW nicht gearbeitet hat? (Krankenstände der WGKK […])

Die vorgelegten Krankenstände (2007 bis 2014) nennen einen 6-monatigen Krankenstand (30.3.2007 bis 20.9.2007) mit der Diagnose „schwere generalisierte Angststörung“ zu einem Zeitpunkt, als die (vorerst befristete) Pensionierung (ab 1.3.2007) bereits im Laufen war. Die weiteren Krankenhausaufenthalte beziehen sich auf somatische Erkrankungen (Psoriasis und Gürtelrose).

7. Kann aus medizinischer Sicht gesagt werden, ob der Antragswerber aufgrund der kausalen Gesundheitsschädigungen an einem kontinuierlichen Berufsverlauf oder einer besseren Ausbildung gehindert war?

Wenn ja: In welchem Ausmaß kann das festgestellte werden und welche Anhaltspunkte sprechen aus medizinischer Sicht dafür?

Auch wenn Herr R. wiederholt beteuert, es wäre die Intention der Verantwortlichen in den Heimen gewesen, „seine Matura“ zu verhindern, so verweist dies auf seine paranoide Erlebnisverarbeitung im Sinne Benachteiligung und Zurückweisung. Auch wenn Herrn R. wiederholt hohe Intelligenz attestiert wurde, so sind für eine höhere Ausbildung auch entsprechende finanzielle Mittel und familiäre Unterstützung notwendig, die nicht vorhanden waren.

Herr R. berichtet aber durchaus mit Stolz von seinen beruflichen Tätigkeiten und Fähigkeiten, die er erwerben konnte.

Er ist mit Sicherheit anzunehmen, dass einerseits seine Persönlichkeitsstörung (akausal) und andererseits seine Mb. Hodgkin Erkrankung (akausal) hinderlich für einen kontinuierlichen Berufsverlauf waren.“

Im Wege des Parteiengehörs erstattete der Beschwerdeführer in Vollmacht seiner rechtlichen Vertretung RA Mag. Galla mit Schreiben vom 11.05.2016 folgendes Vorbringen: Das Gutachten vom 22.01.2016 sei als Beweismittel unbrauchbar, da es sich auf keinen Befund stütze. Damit überhaupt eine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen werden könne, habe der Sachverständige auch darzulegen, auf welchem Weg er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen sei. Das Gutachten sei nicht nachvollziehbar begründet und erschöpfe sich in der Abgabe von allgemein gehaltenen Urteilen. Der Beschwerdeführer sei entgegen der Meinung des Gutachters nicht in Behandlung bei Herrn Prof. XXXX , XXXX sondern bei Dipl. Psych. XXXX . Diesbezüglich werde auf den beiliegenden Befundbericht vom 10.04.2016 verwiesen. Wie der Gutachter darauf komme, dass keine Einschlaf- oder Durchschlafstörung vorliegen, sei nicht nachvollziehbar. Diesbezüglich seien jedenfalls keine Fragen gestellt worden. Bei dem ambulanten Patientenbrief des XXXX handle es sich nicht um ein Privatgutachten, das der Beschwerdeführer gegen Entrichtung eines Entgeltes zur Erlangung eines gewünschten Ergebnisses in Auftrag gegeben habe. Vielmehr handle es sich dabei um einen unbeeinflussten Befund eines Professors für Psychiatrie und Psychotherapie, die somit nicht bloß eine Privatmeinung darstelle. Es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb diesem eine eingeschränkte Objektivität unterstellt werde. Der von der Behörde befasste Sachverständige habe sich nicht annähernd wissenschaftlich mit dem Patientenbrief auseinandergesetzt. Ein Gutachter, der ein schlüssiges Gutachten verfassen will, müsse seitens der Behörde verpflichtet werden, sich im Detail mit ausführlichen Vorgutachten auseinander zu setzen und deren begründeten anderslautenden Diagnosen zu kommentierte und gegebenenfalls zu widerlegen. Des Weiteren wurden in dem Schreiben einige Passagen aus dem Gutachten zitiert, welche im Zusammenhang mit dem Akteninhalt nicht nachvollziehbar seien.

Dem Schreiben angehängt wurden der ambulante Patientenbrief des XXXX von Dr. XXXX vom 26.05.2015, der psychologische Befund von Dr. XXXX vom 28.04.2015 sowie ein Gutachten des psychologischen Dienstes der MA11 vom 29.04.1969, in welchem der Beschwerdeführer als „körperlich ansprechend entwickelter, intellektuell etwas überdurchschnittlich begabter, motorisch unruhiger, psychisch reifungsrückständiger Bub, durch Konzentrationsmängel leistungsbehindert, affektiv ansprechbar, liebesbedürftig.“ beschrieben wurde. Dem psychologischen Befund Dris. XXXX , Klinische Gesundheitspsychologin, die am 23.04.2015 und 28.04.2015 eine klinisch-psychologische Untersuchung des Beschwerdeführers durchführte, sind als Diagnosen eine F43.1 PTBS und eine F62.0 andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung mit anankastischen und selbstunsicheren Zügen zu entnehmen.

Mit Eingabe vom 23.05.2016 legte die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme eines Zeugen vor, worin dieser ausführte, dass der Beschwerdeführer gegen Ende der zweiten Jahreshälfte 1977 ihm mitgeteilt habe, von einem Mitbewohner des Gesellenheimes XXXX ( XXXX ) eine ernstgemeinte Morddrohung erhalten zu haben und ihn gleichzeitig um Hilfe gebeten habe, eine sichere Wohnmöglichkeit zu finden. Der Zeuge habe dem Beschwerdeführer sodann ein Untermietzimmer organisiert.

Konfrontiert mit den im Rahmen des Parteiengehörs getätigten Einwendungen der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, führte der von der Behörde befasste Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in seinem Ergänzungsgutachten vom 06.07.2016 aus wie folgt:

„(...) Unzutreffende Angaben

Herr R. hat eine Ambulanz eines öffentlichen Krankenhauses aufgesucht, die Erstellung eines Gutachtens ist aus meiner Sicht nicht die Aufgabe einer solchen Institution, weshalb eine darüberhinausgehende therapeutische Beratung und Therapieempfehlung angenommen wurde.

(…) Unvollständige Diagnose:

Es obliegt dem Gutachter, seine gestellte Diagnose anderen Gutachten, Stellungnahmen, Befunden etc., sämtlich im Akt und einsichtlich, gegenüberzustellen. Dort wo auffällige Diskrepanzen über die Bewertung der Frage der Kausalität offensichtlich wurden, wurde darauf eingegangen. Bezüglich der Dauer der Untersuchung ist zu bemerken, dass die Untersuchung durch die Verspätung in 40 min stattgefunden hat, die Validität der Diagnose ist unverändert aufrecht.

Eine Notwendigkeit zur abermaligen Untersuchung ist meines Erachtens nicht ersichtlich.

(...)

Herr R. hat aus eigenem Begehren das Gutachten in Auftrag gegeben und keine im gegenständlichen Verfahren beteiligte Institution, weshalb es von mir als Privatgutachten bezeichnet wird. Es ist bekannt, dass Privatgutachten, seien sie entgeltlich oder unentgeltlich, die Anliegen des Antragstellers vertreten.

Das Gutachten wurde aus zitierten Gründen als „tendenziös“ gewertet. Die ausdrückliche Ausschließung - im Gutachten zitiert und mit Untersuchung hervorgehoben - anderer negativer Life-Events bis eben auf das Verbrechen ist subjektiv und daher tendenziös in der Frage der Kausalität. Die Bewertung steht im krassen Widerspruch zu allen gängigen psychologischen Konzepten, die geschlossen davon ausgehen, dass je früher eine Traumatisierung stattfindet, desto weiterreichender und ausgeprägter die Folgeschädigungen zu erwarten sind. Eine solche Traumatisierung hat in der Familie vor Heimaufnahme stattgefunden und es ist aus meiner Sicht unmöglich, Heimaufnahme (wie im Gutachten ausgeführt) und Verbrechen scharf zu trennen und einzig das Verbrechen als für das weitere Leben (und damit Erwerbstätigkeit) bestimmend anzunehmen.

Das Gutachten Dr. XXXX vom April 2015 (Abl. 454-455) stellt keinen Widerspruch zu meinem Gutachten dar. Ich verweise auf die Zusammenfassung, wo das Verbrechen keinen Eingang findet. Die gestellten Diagnosen sind zwar divergent, können jedoch mit Einschränkungen durchaus akzeptiert werden. Die Einschränkung betrifft die Bewertung des Verbrechens als Trauma, weil es aus meiner Sicht bei der Vielzahl an Traumata unmöglich ist, das Wesentlichste mit absoluter Wahrscheinlichkeit zu individuieren.

Grundsätzlich muss an dieser Stelle festgehalten werden: Psychologischen Gutachten sind Hilfsbefunde, die der Klinik, das heißt dem aktuellen Zustandsbild, untergeordnet sind. Psychologische Gutachten unterliegen der Interpretation und Bewertung wie sämtliche anderen medizinischen Verfahren und dürfen nicht als „Wahrheit“ missverstanden werden. Wie jedem anderen Befund können sie in Hinblick auf die Fragestellung gefolgt, teilweise gefolgt oder nicht gefolgt werden. Das Verhalten- und Erlebnismuster von Herrn R. ist klinisch dysthym und paranoid, nicht anhaltend persönlichkeitsverändert.

(…) Unzutreffende bzw. nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen

Die Feststellung erfolgt hinsichtlich der Fragestellung kausal/akausal.

Sämtliche im Akt aufliegenden Unterlagen wurden gesichtete und gewertet. Das Zitat kann exakt in dem Zusammenhang mit den Familienverhältnissen verstanden werden. Traumatisierte Kinder bieten eine Vielzahl an adaptiven Verhaltensmustern - unter anderem „einen psychischen Reifungsrückstand“. Ein Widerspruch zu meiner Aussage besteht nicht. Die Bezeichnung „Folterknechte“ verweist auf die paranoide Realitätsverarbeitung. Die Bedrohung durch Umbringen ist aus dem Kontext gerissen und liegt, wie die anderen Angaben, mehr als 40 Jahre zurück.

Aus Obgenanntem besteht für mich keinerlei Veranlassung, die Aussage des Gutachtens zu revidieren.

Es widerspricht meiner langjährigen klinischen Erfahrung, dass eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung „spurlos“ an einem Patienten vorübergeht, insbesondere auch dann, wenn zudem eine ökonomische Bedrohung besteht, wie ein Privatkonkurs. Eine Verknüpfung Lymphomerkrankung 1994 und Arbeitsfähigkeit 1997 bis 1999 kann von meiner Seite nicht hergestellt werden, ebenso nicht die Anstellung im XXXX . Die intellektuelle Leistung von Herrn R. wurde nie in Abrede gestellt, wobei wiederum die Auflösung des Angestelltenverhältnisses als Re-Traumatisierung anzusehen als Spekulation zu bezeichnen ist, könnte doch dann jeder Konflikt der negativ für die betroffene Person ausfällt als Re-Traumatisierung im Sinne einer Schutzbehauptung gesehen werden.

Die zitierten Unterlagen und darüber hinaus sind mir durchaus bekannt. Meines Erachtens wird der Rahmen des Gutachtens gesprengt, sollte verlangt werden, die Aussagen der psychologischen Untersuchungen in die Feststellungen mit einzubeziehen. Wie bereits festgehalten, handelt es sich dabei um psychologische Veröffentlichungen, die keinesfalls blind und unreflektiert, d.h. ohne Diskussionen übernommen werden können. Auch scheint mir die unkritische Übertragung der Gewaltausübung von katholischen Heimen auf öffentliche Einrichtungen problematisch. Eine Diskussion des Resilienzmodells als Erklärungshilfe für gelungenes oder nicht gelungenes „Überleben“ ist meinem Erachten nach hinsichtlich des gegenständlichen Falles nebensächlich.

Bezüglich der wissenschaftlichen Basis meiner Feststellung muss festgehalten werden, dass es zwar eine Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen zu Themen wie Heimunterbringung und Gewaltanwendung gibt, exakt vergleichbare, die zu dem Gutachten heranzuziehen sind, finden sich nicht, somit muss z.B. Bowlby (siehe Bindung und menschliche Entwicklung: John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie, Februar 2015) herangezogen werden, der sich intensiv mit der Frage der Mutter-Kind Bindung auseinandergesetzt hat, was in der psychologischen-psychiatrischen Terminologie Eingang gefunden hat, indem von Bindungsstörungen gesprochen wird (siehe Karl Heinz Brisch: Bindungsstörungen: von der Bindungstheorie zur Therapie, März 2015).

Es wird von meiner Seite nochmals betont und soll Aussage des Gutachtens sein:

Zweifellos liegt eine schwere Erkrankung im gegenständlichen Fall vor, dafür sind nicht nur die familiären Verhältnisse vor Heimaufnahme, sondern auch die äußerst belastenden Lebensereignisse und Umstände nach Heimentlassung (lebensbedrohliche Erkrankung, Privatkonkurs, Scheidung, etc.) wesentlich.

Hinsichtlich der Auswirkung auf die Psyche (und somit Mitbeeinflussung) ist das Verbrechen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Heimaufnahme an sich abzugrenzen.

Das Verbrechen ist somit nicht alleinig für das vorliegende Zustandsbild zu verantworten.

Die Wertung des Vorfalles Heim XXXX führt zu keiner Überarbeitung des Gutachtens vom 22.1.2016.“

Die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers replizierte mit Schriftsatz vom 31.10.2016 auf das Ergänzungsgutachten vom 06.07.2016 und äußerte darin im Wesentlichen, dass der Sachverständige auf die Einwände nicht eingegangen sei. Die Schlussfolgerungen seien auch im Ergänzungsgutachten nicht einwandfrei und schlüssig begründet. Der Sachverständige verharre zudem in der Position, dass es sich bei dem vorgelegten Patientenbrief des XXXX um ein Privatgutachten handle, das als solches „die Anliegen des Antragstellers“ vertrete. Dies sei eine vollkommen unzutreffende Aussage, welche nicht annähernd als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit klarer wissenschaftlich begründeter Analyse zu qualifizieren sei. Nach der zu diesem Punkt vom Sachverständigen zum Ausdruck gebrachten Meinung, würde jedem anderen Gutachten als „Privatgutachten“ jegliche Relevanz abgesprochen werden. Das Ausmaß der Traumatisierungen vor der Heimzeit würden von den beiden Fachärzten unterschiedlich bewertet. Dabei stelle der Sachverständige der belangten Behörde fest, dass bereits vor der Heimaufnahme eine Traumatisierung in der Familie stattgefunden habe. Es sei jedoch nicht ersichtlich, wie der Sachverständige zu dieser Feststellung gelange. Den Feststellungen des Patientenbriefes des XXXX zufolge seien vor der Heimunterbringung keine maßgeblichen traumatischen Erlebnisse feststellbar gewesen. Dabei würde es sich um eine Frage des Sachverhaltes und nicht um eine Schlussfolgerung aus dem Sachverhalt handeln. Der Sachverständige hätte im Detail offenlegen müssen, wie er zu der für ihn offenbar so wichtigen faktischen Feststellung gelangt sei, welche konkreten Traumatisierungen vor der Heimzeit vorgelegen haben. Weiters hätte begründet werden müssen, warum familiäre Verhältnisse wie Abwesenheit des Vaters, ablehnendes Verhalten des Stiefvaters und Wohnortwechsel ähnlich schwer (oder gar schwerer) wiegen solle, als vier Jahre XXXX . Auf das vorgelegte Gutachten vom 29.04.1969 sei der Sachverständige gar nicht eingegangen. Die Frage, warum seitens des Sachverständigen den Umständen nach der Heimunterbringung ein so hohes Gewicht beigemessen würde, beantworte dieser lediglich mit dem Hinweis auf „seine langjährige klinische Erfahrung“. Die Behörde werde zu würdigen haben, dass in auffälligerweise regelmäßig die Vorkommnisse vor und nach dem Heim vom Sachverständigen weit stärker bewertet würden als die Zeiten im Heim, was umso weniger nachvollziehbarer sei, je länger und einschneidender die Erlebnisse im Heim gewesen seien. Am Beschwerdeführer seien Verbrechen im Sinne des § 92 StGB verübt worden und deren Kausalität für den Verdienstentgang insbesondere nach dem 31.01.2001 (Verlust der Stelle an der XXXX ) evident.

Mit Eingabe vom 30.01.2017 legte der Beschwerdeführer ein Gutachten des Univ.-Prof. Dr. XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, welcher in der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie tätig ist, vor. Dr. XXXX wurde vom Beschwerdeführer mit der Beantwortung der Fragen „1. Finden sich Krankheitsbilder oder Störungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit den Heimaufenthalten zwischen 1996 und 1976 stehen?“ und „2. Wie sind die Auswirkungen der Heimaufenthalte, bzw. der aus diesen resultierenden Störungsbilder auf den Lebensweg einzuschätzen?“ in seinem Gutachten beauftragt und führte Dr. XXXX im November 2016 eine persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers durch. In seinem Gutachten beschreibt Dr. XXXX unter anderem, dass sich Extremsituationen, die auf eine frühkindliche Traumatisierung schon im Vorfeld der Heimaufenthalte hinweisen könnten, nicht finden würden. Nach Zusammenfassung der Biographie des Beschwerdeführers, seiner Heim- und Schulaufenthalte, seiner Arbeitsverhältnisse, der Vorgutachten und Vorbefunde und Erhebung seines eigenen Befundes kam der Facharzt zum Ergebnis, dass sich beim Beschwerdeführer als Folge der Traumatisierung durch die Heimaufenthalte schrittweise aus einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung entwickelt habe. Dem Gutachten vom 10.04.2014 müsse deutlich widersprochen werden. Keineswegs seien Erziehungsmethoden, wie die zuvor beschriebenen in dieser Zeit außerhalb von Heimen in sogenannten normalen Familien die Norm. Auch seien die von der Sachverständigen postulierten Auffälligkeiten in der Kindheit nicht als Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung zu werten, die im Übrigen erst ab dem 18. Lebensjahr zu diagnostizieren sei, sondern seien Teil der Sympomatik eines ADHS. Dazu tätigte der Facharzt die Vorüberlegung, dass sich in den vorliegenden Unterlagen des Beschwerdeführers Hinweise auf eine ADHS im Kindesalter finden würden. Naturgemäß sei diese Störung in den 1960er Jahren nicht diagnostiziert und behandelt worden, da diese damals noch nicht bekannt gewesen sei. Die paranoide Grundhaltung sei Bestandteil der anhaltenden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung und sei nicht als eigene Persönlichkeitsstörung zu werten. Dass es einen Zusammenhang zwischen Psoriasis und negativen Erfahrungen gäbe, könne in jedem Lehrbuch für Psychoimmunologie nachgelesen werden. Dazu zitierte der Facharzt: „PTSD Erkrankte haben im Vergleich zu psychisch Kranken ohne PTSD ein doppelt so hohes Risiko an einer Autoimmunerkrankung wie Psoriasis zu erkranken. Aufgrund dieser Erkenntnisse werden Autoimmunkrankheiten und PTSD in der Fachliteratur auch unter dem gemeinsamen Label der stressassoziierten Erkrankungen subsumiert (Schubert 2015).“ Als Diagnosen hielt der Facharzt eine Andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (F62.0), eine Rezidivierende depressive Störung, ggw. remittiert (F33.4) und eine Psoriasis-Arthrophathie (L40.5) fest. Die an ihn gestellten Fragen beantwortete er wie folgt: „1. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen den traumatischen Erfahrungen im Heim und der Andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Die nach wie vor vorhandenen Intrusionen und Albträume beziehen sich ausschließlich auf die Ereignisse im Heim, nicht aber auf familiäre Erlebnisse oder auf Lebensereignisse nach den Heimaufenthalten. 2. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass diese Ergebnisse den Lebensweg des Begutachteten erheblich beeinflusst haben.“

Seitens der belangten Behörde wurde der Sachverständige für Neurologie und Psychiatrie mit der Erstellung eines weiteren Ergänzungsgutachtens beauftragt, und führte er in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 03.04.2017 wie folgt aus:

„Im Folgenden beziehe ich Stellung zum Gutachten Univ. Prof. Dr. XXXX […]:

1.) Unter Abl. 550-551Biographie:

Die problematischen Familienverhältnisse werden beschrieben (gewalttätiger, liebloser, abwertender Stiefvater, ambivalente, überforderte Mutter, Heimaufnahme, wegen Gefahr in Verzug, etc.) weshalb die Aussage „…Extremsituationen, die auf eine frühkindliche Traumatisierung schon im Vorfeld hinweisen könnten, finden sich nicht.“…, insofern hinterfragt werden muss, was dann als Extremsituation für ein Kind angesehen wird, wenn nicht das Zerbrechen der Familie, lieblose Behandlung, Bedrohung und Heimaufnahme, was sich in der weiteren Abfolge des Gutachtens […] betätigt (…der erste wesentliche Einbruch in seinem Leben wäre die Überstellung ins Kinderheim gewesen…, …er habe den Eindruck gehabt, dass ihn seine Mutter im Stich gelassen hätte und sich nicht ausreichend um ihn gekümmert hätte…).

2.) Unter […] Diagnostische Überlegungen wird eine Diagnose (ADHS) diskutiert, die in sämtlichen fachärztlichen Befunden nicht aufscheint und mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. 50 Jahren gestellt wird, deren Ursache unbekannt ist und deren Bedeutung für die weitere psychische Entwicklung eines Kindes vollkommen unklar ist.

3.) Die Aussage „...Als Folge der Traumatisierung durch die Heimaufenthalte entwickelte sich schrittweise aus einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung“ ist missverständlich:

a) Die Erklärung der Diagnose(n) ist von Wikipedia (Linkkopie) übernommen, was nicht angegeben wurde, und deckt sich im Wortlaut nicht mit der offiziellen Definition der ICD-10.

b) Der Begriff „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ scheint in der ICD-10 Nomenklatur nicht auf, wird aber für die Diagnose F62.0 – Andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung synonym verwendet!

c) Es werden im Gutachten keine Angaben gemacht, wann die „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ aufgetreten sein soll und wann sie in eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung übergegangen sein soll. Eine solche Abgrenzung ist bei synonym verwendeten Begriffen auch nicht möglich.

d) Sollte die paranoide Erlebnisverarbeitung, wie bei Herrn R. beobachtet, subsumiert werden als „feindlich oder misstrauische Haltung“, so muss darauf verwiesen werden, dass die paranoide Erlebnisverarbeitung das dominierende Persönlichkeitsmerkmal im gegenständlichen Fall darstellt, wie von mehreren Fachärzten bestätigt und deshalb die Diagnose „paranoide Persönlichkeitsstörung“ korrekt ist.

4.) Der Zusammenhang „PTSD und Auftreten von Psoriasis“ ist nach dem derzeitigen Wissen rein spekulativ und keineswegs bewiesen. (Der zitierte Autor konnte in Medline unter „Psoriasis, PTSD und Schubert“ nicht aufgefunden werden.)

5.) Die Aussage „Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen den traumatischen Erfahrungen im Heim und der Andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung“ (Abl.567) ist missverständlich, insofern, als das nicht klar erkenntlich ist, ob hierbei die Heimaufnahme an sich oder das Verbrechen gemeint ist.

Die als „Beweis“ für diese Ansage angeführten Intrusionen sind rein subjektive Angaben und können in keinster Weise objektiviert werden.

6.) Die Aussage „Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass diese Ergebnisse (sic!) den Lebensweg des Begutachteten erheblich beeinflusst haben.“ greift zu kurz, weil wesentliche Punkte der jüngeren Biographie (Krebserkrankung, Konkurs, wirtschaftliche Verhältnisse etc.) nicht berücksichtigt wurden.

Zusammenfassend wird von meiner Seite festgehalten:

Unter Berücksichtigung des Gutachtens Univ. Prof. Dr. XXXX ergibt sich keine Neubewertung des Gutachtens vom 22.1.2016 und des Ergänzungsgutachtens vom 6.7.2016.“

In seiner Stellungnahme vom 25.08.2017 replizierte Dr. XXXX nochmalig zum Ergänzungsgutachten vom 03.04.2017.

Mit gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 21.09.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 28.06.2013 auf Ersatz des Verdienstentganges abgewiesen. Dabei wurden beim Beschwerdeführer unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens vom 22.01.2016 die Gesundheitsschädigungen Dysthymie und Paranoide Persönlichkeitsstörung festgestellt und ein Kausalzusammenhang mit den festgestellten Misshandlungen in den Kinderheimen verneint. Demnach könne ein verbrechenskausaler Verdienstentgang im fiktiven schadensfreien Verlauf nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner rechtlichen Vertretung vom 12.11.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte das Sachverständigengutachten vom 22.01.2016, sowie die Ergänzungsgutachten vom 06.07.2016 und vom 03.04.2017 in gleicher Weise wie in seiner Stellungnahme im Wege des Parteiengehörs vom 11.05.2016. Der Sachverständige sei nicht auf den Prozess seiner Diagnosestellung eingegangen. Eine Begründung für die mangelnde Kausalität lasse das Gutachten vollumfänglich vermissen. Er habe sich nicht mit der Analyse von Dr. XXXX auseinandergesetzt. Zudem sei die Schlussfolgerung von Dr. XXXX , dass aufgrund der ADHS tatsächlich keine eigenständige Persönlichkeitsstörung sondern eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung vorliege, plausibel. Es könne bei der Beurteilung eines Kausalzusammenhangs in Bezug auf die Heimaufenthalte keinesfalls ausschlaggebend sein, welche Erlebnisse der Beschwerdeführer nach den Heimunterbringungen gehabt hätte. Außerdem erscheine es offenkundig, dass der Zusammenhang zwischen PTSD und Psorasis bestehen könne und dieser somit definitiv nicht „rein spekulativ“ und „keineswegs bewiesen“ sei. Die von der Behörde vorgenommene Kausalitätsbewertung sei mangelhaft, da diese zu generell gehalten und auf die Spezialität des hier vorliegenden Einzelfalls nicht ausreichend Bedacht genommen worden sei. Der Beschwerdeführer habe durch seine Heimerlebnisse berufliche Aufstiegschancen verpasst. Weiters habe er verbrechenskausal bedingte Verdiensteinbußen, da er aufgrund der aufzuarbeitenden Erlebnisse nicht mehr fähig sei zu arbeiten. Der Beschwerdeführer sei während seines Berufslebens nicht nur wegen seiner psychischen Beeinträchtigungen eingeschränkt gewesen, sondern auch aufgrund seiner körperlichen Beschwerden, für welche die Verbrechen ursächlich erscheinen. Es werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer einvernommen werden solle.

Der Beschwerde angehängt wurde ein zusätzlicher Clearingbericht vom 28.11.2016, ein Schreiben des Weißen Rings vom Mai 2017 betreffend eine weitere Entschädigungszahlung, sowie ein Abschlussbericht zum Thema Langzeitfolgen von Gewalt und Missbrauch in Institutionen der Wiener Jugendwohlfahrt „Die Wiener Heimstudie“.

Aus dem zusätzlichen Clearingbericht vom 28.11.2016 geht hervor, dass der Beschwerdeführer im Heim XXXX Übergriffe anderer Buben und Forderungen nach Oralverkehr abwehren habe müssen. Für ihn selbst sei es nicht problematisch gewesen, er habe jedoch sehr darunter gelitten, dass andere Buben dies nicht abwehren hätten können und als so genannte „Schmauchelsklaven“ missbraucht worden seien. Dass er diesen nicht helfen habe können, weil die Täter ihn verprügelt hätten, wenn er sich dem Raum genähert habe, habe ihn belastet. Ein bis zwei Mal sei ihm bei Misshandlungen durch mehrere stärkere Buben ein Besenstiel oder der Stiel eines Saughektors durch die Hose hin durch in den Anus gesteckt worden und das Gummiteil ins Gesicht geschlagen.

Der Weiße Ring erhöhte die Entschädigungssumme aufgrund des neuen Clearingberichts um weitere EUR 6.800,-.

Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 13.11.2018 vorgelegt und langte hg. am 20.11.2018 ein.

Der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, die belangte Behörde, sowie der im Verfahren beigezogene Facharzt für Neurologie und Psychiatrie - welcher den Beschwerdeführer auch persönlich untersucht hat - als Sachverständiger, wurden mit Schriftsatz vom 27.07.2020 zu einer öffentlichen mündlichen Verhandlung geladen. Dem Sachverständigen wurden alle bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Gutachten und medizinischen Beweismittel zur Einsichtnahme und Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung übermittelt.

Mit Schriftsatz vom 17.08.2020 beantragte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer, Prof. Dr. XXXX und Prof. Dr. XXXX als Zeugen zum Nachweis dafür zu laden, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Heimzeit ein psychisches Leiden aufweise.

Die beantragten Zeugen wurden mit Schriftsatz vom 11.09.2020 zur mündlichen Verhandlung am 16.10.2020 geladen.

Mit Schreiben vom 09.10.2020 teilten die geladenen Zeugen mit, dass sie an der Verhandlung auf Grund einer Operation mit anschließendem Krankenstand bzw. auf Grund der Verschlechterung einer chronischen Erkrankung nicht an der Verhandlung teilnehmen können und sich entschuldigen, oder um Terminverschiebung ersuchen.

Die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fand am 16.10.2020 im Beisein des Beschwerdeführers, seines Rechtsanwaltes, eines Vertreters der belangten Behörde sowie des fachärztlichen Sachverständigen statt.

Der Beschwerdeführer wurde im Zuge der Verhandlung umfassend zum Sachverhalt befragt, und wurde ihm bzw. seinem Rechtsanwalt Gelegenheit gegeben, sich zu äußern bzw. Stellung zu nehmen, und die Gutachten mit dem fachärztlichen Sachverständigen zu erörtern. Ebenso hatte der Vertreter der belangten Behörde ausreichend Möglichkeit zur Fragestellung an den Beschwerdeführer und zur Stellungnahme.

Seitens des Beschwerdeführers wurde in der mündlichen Verhandlung ein Befundbericht des Psychotherapeuten vom 02.09.2019, und ein eineinhalbseitiger Bericht über eine Studie zum Thema „Stress - ein unterschätzter Auslöser von Psoriasis“, PSO Magazin, Juni 2016, vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger, und stellte am 28.06.2013 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Ersatz des Verdienstentganges.

Der Beschwerdeführer lebte bis zum Tod seiner Großmutter im Jahr 1967, und bis zum Tod seiner Tante im Jahr 1969, abwechselnd bei der Großmutter, der Tante und der Mutter.

Im Zeitraum von 1967 bis 1970 war der Beschwerdeführer auch für zwei - einige Wochen dauernde Aufenthalte - in der KÜST untergebracht, und wurde in der Zeit von 1970 bis 1974 auf Grund von Überlastung der Mutter des Beschwerdeführers im Kinderheim XXXX untergebracht. Der leibliche Vater ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Der Stiefvater des Beschwerdeführers - ein türkischer Staatsangehöriger den die Mutter im Jahr 1968 geheiratet hat - verhielt sich lieblos und ablehnend gegenüber dem Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer hat mehrere Halbgeschwister.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist mittlerweile verstorben, der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seinen Halbgeschwistern.

Der Beschwerdeführer wurde während seines Aufenthaltes im Heim XXXX Opfer von physischer und psychischer Gewalt, welche er in Form von Schlägen mit Händen oder Gegenständen erlebt hat. Der Beschwerdeführer musste sich auch selbst auf den Mund schlagen und wurde an den Haaren sowie Ohren gerissen. Er wurde beschimpft und gedemütigt, indem er mit den Händen an der Hosennaht stundenlang stehen musste, oder mit ausgestreckten Armen - teilweise mit Büchern beschwert - stehen musste. Der Beschwerdeführer musste auch auf Beton oder Schotter knien, stundenlang Schuhe putzen, und Rundgänge im Hof unter strenger Schweigepflicht absolvieren. Einmal wurde der Beschwerdeführer Opfer eines „Gruppendipplers“ wo er von einer Gruppe anderer Zöglingen gehetzt und geschlagen wurde.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Dysthymie F 32.1 und einer Paranoiden Persönlichkeitsstörung F 60.0 laut ICD 10.

Die beim Beschwerdeführer vorliegenden psychischen Gesundheitsschädigungen sind akausal und nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die Erlebnisse im Heim zurückzuführen.

Die beim Beschwerdeführer vorliegenden physischen Gesundheitsschädigungen Morbus Hodgkin mit nachfolgender Psoriasis sind akausal.

Eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kann beim Beschwerdeführer nicht diagnostiziert werden.

Der Beschwerdeführer war in der Zeit von 24.09.2015 bis 27.03.2019 in Psychotherapie, aktuell nimmt der Beschwerdeführer keine Psychotherapie in Anspruch und ist auch nicht in nervenärztlicher Behandlung. Die im April 2011 gewährten 40 Therapiestunden wurden vom Beschwerdeführer nicht in Anspruch genommen.

Der Beschwerdeführer erhielt von der Stiftung Opferschutz eine Opferentschädigung im Ausmaß von insgesamt Euro 25.000-, (Euro 15.000, Euro 6.800, und Therapieeinheiten im Ausmaß von 40 Stunden die in der Höhe von EUR 3.200,- als Barabgeltung ausbezahlt wurden). Der Beschwerdeführer bezieht eine Heimopferrente.

Der Beschwerdeführer hat eine Lehre als XXXX erfolgreich abgeschlossen und war in den Jahren 1975 bis 2002 - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit in den Jahren zwischen 1990 bis 1992 sowie zwischen 1995 und 1997, der selbständigen Tätigkeit zwischen 1993 und 1995, und des Zivildienstes von 1980 bis 1981 - bei verschiedenen Firmen als Angestellter tätig. Zuletzt war der Beschwerdeführer bis Ende des Jahres 2002 als XXXX tätig, und stand danach in keinem Beschäftigungsverhältnis mehr. Ab März 2007 bezog der Beschwerdeführer eine befristete Berufsunfähigkeitspension.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit Jänner 2011 aufgrund der akausalen psychischen Gesundheitsschädigung „Anhalten paranoid wahnhafte Störung“ in dauernder Berufsunfähigkeitspension.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsbürgerschaft und zur Antragseinbringung ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zu den Heimaufenthalten und den Misshandlungen, sowie zu den beruflichen Tätigkeiten ergeben sich ebenfalls aus dem Akteninhalt und dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den psychischen Gesundheitsschädigungen und zur Arbeitsunfähigkeit ergeben sich aus den Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 10.04.2014, und eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 22.01.2016, jeweils basierend auf persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers, sowie aus den nervenfachärztlichen ergänzenden Aktengutachten vom 06.07.2016 und vom 03.04.2017, welche unter Zugrundelegung vorliegender medizinischer Beweismittel und Einbeziehung fachärztlicher Sachverständigengutachten - erstellt wurden, sowie den diesbezüglichen Erörterungen des fachärztlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 16.10.2020.

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hat die vorsitzende Richterin den Verfahrensgang zusammengefasst dargelegt und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, dazu Fragen zu stellen. Der Beschwerdeführer gab an, dazu keine Fragen zu haben. In weiterer Folge hat der Beschwerdeführer, zu den von ihm angeführten Elementen des angefochtenen Bescheides, welche seiner Ansicht nach nicht der Wahrheit entsprechen würden, Stellung genommen. Der Beschwerdeführer wies insbesondere darauf hin, dass die im Clearingbericht vom 29.11.2010 angeführte Aussage, „er sei von seiner Mutter gequält worden“ nicht von ihm, sondern von einem Mitarbeiter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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