TE Vwgh Beschluss 2021/2/15 Ra 2021/01/0011

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Veröffentlicht am 15.02.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103010
E6J
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
EURallg
FlKonv Art1 AbschnD
32011L0095 Status-RL Art12
32011L0095 Status-RL Art12 Abs1 lita
32011L0095 Status-RL Art12 Abs1 litb
32011L0095 Status-RL Art12 Abs2
32011L0095 Status-RL Art12 Abs3
62011CJ0364 Abed El Karem El Kott VORAB
62019CJ0507 Bundesrepublik Deutschland VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des S A in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das am 3. November 2020 verkündete und am 1. Dezember 2020 ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. I409 2198352-1/29E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Antrag des Revisionswerbers, eines aus Syrien stammenden staatenlosen Palästinensers, auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Ägypten zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.

2        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in Syrien registriert gewesen, habe Syrien im Jahr 2006 verlassen und freiwillig auf den Beistand von UNRWA verzichtet. Der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthalts (nach 2006) sei Ägypten. Der Revisionswerber sei im Besitz eines Reisepasses, den er den österreichischen Behörden vorenthalte, um seine Reisebewegungen, seine Auslandsaufenthalte und die ihm erteilten Aufenthaltsbewilligungen zu verschleiern und seine Abschiebung zu erschweren oder zu verhindern. Er habe unrichtige Angaben über den Aufenthalt seiner Familienangehörigen gemacht. Der Revisionswerber werde im Fall seiner Rückkehr nach Ägypten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

3        In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, eine ipso facto Anerkennung als Flüchtling (anders als im Fall des in Österreich lebenden Bruders des Revisionswerbers) komme vorliegend nicht in Betracht, weil der Revisionswerber freiwillig und ohne Zwang auf den Beistand des UNRWA verzichtet habe. Zu Ägypten, dem Staat, von dem die belangte Behörde nachvollziehbar annehme, dass der Revisionswerber dort seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, habe der Revisionswerber keine Fluchtgründe vorgebracht. Durch eine Rückführung des Revisionswerbers nach Ägypten werde (nach näherer Begründung) die (hohe) Eingriffsschwelle der Art. 2 und 3 EMRK nicht überschritten.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 20.12.2019, Ra 2019/01/0431 - 0433, mwN).

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.12.2019, Ra 2019/01/0465, mwN).

10       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN).

11       Vorliegend wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die zur Feststellung von Ägypten als Herkunftsstaat führende Beweiswürdigung.

12       Entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Richtlinie 2011/95/EU und der eindeutigen österreichischen Rechtslage (§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005) erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass „Herkunftsstaat“ jener Staat ist, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthalts zurückgegriffen (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2016/18/0062 - 0064, mwN).

13       Mit der Behauptung, das BVwG habe sich nicht mit der Möglichkeit des Revisionswerbers, nach Ägypten zurückkehren zu können, beschäftigt, wird keine krasse Fehlbeurteilung des BVwG in dieser Frage aufgezeigt (vgl. zur Überprüfung der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof weiter oben).

14       Darüber hinaus bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „zu einer freiwilligen Schutzaufgabe durch Wegzug aus dem Mandatsgebiet“ (gemeint: des UNRWA).

15       In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof auf Grundlage der Bestimmungen des § 3 AsylG 2005, der GFK und der Richtlinie 2011/95/EU bereits geklärt, dass Voraussetzungen für den „ipso-facto Schutz“ lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden sind, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/95/EU vorliegt. Für die Frage der Zuerkennung des „ipso facto-Schutzes“ ist weiter maßgeblich, ob der Schutz bzw. Beistand von UNRWA als weggefallen im Sinn der Richtlinie 2011/95/EU anzusehen ist. Für die zur Klärung dieser Frage erforderliche Feststellung, ob dieser Beistand tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. zu allem VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0273, mwN, unter anderem auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61).

16       Jüngst hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 13. Jänner 2021 in der Rechtssache C-507/19, Bundesrepublik Deutschland gegen XT, ECLI:EU:C:2021:3, eingehend mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU und der unionsrechtlichen Situation eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft, der das Einsatzgebiet des UNRWA verlassen hat, auseinandergesetzt. Dabei hat der EuGH grundsätzlich (Rn. 49f) festgehalten:

„Wegen dieses in den genannten Gebieten des Nahen Ostens eingeführten speziellen Flüchtlingsstatus für Palästinenser ist es nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95, der Art. 1 Abschnitt D Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, für die beim UNRWA registrierten Personen grundsätzlich ausgeschlossen, in der Union als Flüchtling anerkannt zu werden ... . Allerdings folgt aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95, der Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, dass dieser Ausschluss nicht mehr greift, wenn das UNRWA der Person, die internationalen Schutz in der Union beantragt, keinen Schutz oder Beistand mehr gewährt.“

17       Es liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die grundsätzliche Rechtsfrage bereits durch Rechtsprechung des EuGH beantwortet wurde (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ro 2019/01/0012 - 0013, mwN; vgl. im Übrigen zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz der Richtlinie 2011/95/EU VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0274, mwN).

18       Die Revision bringt vor, es könne nicht darauf abgestellt werden, ob der Revisionswerber im Jahre 2006 Syrien verlassen und damit nicht mehr den Schutz des UNRWA in Anspruch genommen habe, sondern ob er im Jahre 2020 nach Syrien oder in ein anderes Mandatsgebiet zurückkehren könne, und verweist auf die derzeitige Bürgerkriegslage in Syrien.

19       Zu diesem Vorbringen ist auf die Rechtsprechung des EuGH im genannten Urteil vom 13. Jänner 2021 (Rn. 59 und 63; Unterstreichungen hinzugefügt) hinzuweisen, nach der

„die Asylbehörde und das Gericht, bei dem ein Rechtsbehelf gegen deren Entscheidung anhängig ist, alle maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts berücksichtigen“ [müssen], „die Aufschluss über die Frage geben können, ob der betreffende Staatenlose palästinensischer Herkunft in dem Zeitpunkt, in dem er aus dem Einsatzgebiet des UNRWA ausreiste, die konkrete Möglichkeit hatte, in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets des UNRWA einzureisen, um dort den Schutz oder Beistand dieser Organisation in Anspruch zu nehmen [...] Ergibt sich aus der Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts, zu denen insbesondere die in den Rn. 59 bis 62 des vorliegenden Urteils genannten Umstände zählen, dass der betreffende Staatenlose palästinensischer Herkunft eine konkrete Möglichkeit hatte, in das Gebiet eines der Operationsgebiete des Einsatzgebiets des UNRWA, in denen diese Organisation imstande war, ihm ihren Schutz oder Beistand anzubieten, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 nicht länger gewährt wird“.

20       Ausgehend von dieser Rechtsprechung des EuGH durfte das BVwG zur Verneinung des Status des Asylberechtigten zu Recht davon ausgehen, dass der Revisionswerber das Einsatzgebiet des UNRWA bereits im Jahre 2006 freiwillig verlassen hat.

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Februar 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62011CJ0364 Abed El Karem El Kott VORAB
EuGH 62019CJ0507 Bundesrepublik Deutschland VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010011.L00

Im RIS seit

31.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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