TE Vwgh Erkenntnis 2021/2/15 Ra 2019/17/0018

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Veröffentlicht am 15.02.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §6 Abs1
AVG §60
BFGG 2014 §1 Abs3 Z2
BFGG 2014 §24 Abs1
B-VG Art131 Abs3
VwGG §41
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der G GmbH in K, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 17. Dezember 2018, RM/4100007/2018, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde in Angelegenheiten nach dem Glücksspielgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Am 13. September 2018 fand in einem Lokal der revisionswerbenden Partei eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz - GSpG statt.

2        Die revisionswerbende Partei erhob mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2018 Maßnahmenbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG), in der sie sich gegen die Hinzuziehung eines Reporterteams und die Durchführung einer Hausdurchsuchung bei dieser Kontrolle jeweils durch Organe der Landespolizeidirektion Kärnten (LPD) wandte.

3        Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 teilte die LPD dem LVwG mit, sie sei an der Kontrolle vom 13. September 2018 „lediglich assistenzmäßig“ unter der „Gesamtleitung der Finanzpolizei“ beteiligt gewesen. Die Kontrolle sei „weder durch die LPD Kärnten in Auftrag gegeben noch von der LPD Kärnten geleitet“ worden. Sämtliche Entscheidungen und Anordnungen zum Ablauf vor Ort seien von der Finanzpolizei bzw. dem Gesamteinsatzleiter getroffen worden.

4        Mit Verfügung vom 7. Dezember 2018 leitete das LVwG die Maßnahmenbeschwerde gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG zuständigkeitshalber an das Bundesfinanzgericht (BFG) weiter.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BFG die Maßnahmenbeschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als verspätet zurück. Weiters sprach das BFG aus, dass ein Kostenausspruch unterbleibe und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das BFG nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, die revisionswerbende Partei habe am 13. September 2018 Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt erhalten. Die Maßnahmenbeschwerde sei am letzten Tag der sich daran anschließenden sechswöchigen Beschwerdefrist, dem 25. Oktober 2018, eingebracht und vom LVwG am 7. Dezember 2018 an das BFG weitergeleitet worden. Die am 13. Dezember 2018 beim BFG eingelangte Maßnahmenbeschwerde sei daher als verspätet zurückzuweisen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG könne eine beantragte mündliche Verhandlung entfallen, wenn die Beschwerde zurückzuweisen sei.

7        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision u.a. vor, das BFG habe es im Revisionsfall unterlassen, seine eigene Zuständigkeit zu prüfen.

9        Bereits mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und auch als begründet.

10       Die Verwaltungsgerichte erkennen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.

11       Gemäß Art. 131 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte der Länder über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 B-VG, soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt.

12       Das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen erkennt gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 bis 3 B-VG in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.

13       Dem Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen (Bundesfinanzgericht - BFG) obliegen gemäß § 1 Abs. 1 Bundesfinanzgerichtsgesetz - BFGG Entscheidungen über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 bis 3 B-VG in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.

14       Zu den sonstigen Angelegenheiten iSd § 1 Abs. 1 BFGG gehören gemäß § 1 Abs. 3 Z 2 BFGG (idF vor BGBl. I Nr. 104/2019) Entscheidungen über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gegen Abgabenbehörden des Bundes, soweit nicht Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (Abs. 1) oder der Beiträge (Z 1) betroffen sind.

15       Für Maßnahmenbeschwerden gegen Amtshandlungen von Abgabenbehörden des Bundes ist daher gemäß § 1 Abs. 3 Z 2 BFGG das BFG zuständig. Nach den Materialien (RV 360 BlgNR 25. GP 24) soll damit sichergestellt werden, dass das BFG über Maßnahmenbeschwerden gegen Amtshandlungen von Abgabenbehörden in Angelegenheiten finanzpolizeilicher Befugnisse auch dann entscheidet, wenn die Angelegenheit keine Abgabe, sondern ordnungspolitische Maßnahmen betrifft (vgl. VwGH 22.11.2017, Ro 2016/17/0003).

16       Das Verfahren vor dem BFG ist grundsätzlich in der BAO, für Beschwerden nach § 1 Abs. 3 Z 2 BFGG jedoch im VwGVG geregelt (§ 24 Abs. 1 BFGG).

17       Nach § 17 VwGVG sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG u.a. die Bestimmungen des AVG anzuwenden, soweit nicht anderes bestimmt ist.

18       Die Behörde hat gemäß § 6 Abs. 1 AVG ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

19       Im vorliegenden Fall hat das LVwG die Maßnahmenbeschwerde an das BFG zuständigkeitshalber formlos weitergeleitet. Die Weiterleitung nach § 6 AVG war nicht bindend. Sie hatte zur Folge, dass mit dem Einlangen der abgetretenen Maßnahmenbeschwerde das BFG zunächst eine Entscheidungspflicht traf, und zwar unabhängig davon, ob die Weiterleitung zu Recht erfolgt ist (vgl. etwa VwGH 17.2.2015, Ra 2015/01/0022, mwN).

20       Dieser Entscheidungspflicht ist das BFG auch nachgekommen. Mit der Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde wegen Verspätung hat es zwar implizit seine eigene Zuständigkeit bejaht, ohne dies jedoch in nachvollziehbarer Weise zu begründen. Das BFG hat sich im angefochtenen Beschluss auf die Wiedergabe des Verfahrensganges und der gesetzlichen Grundlagen sowie die Prüfung der Rechtzeitigkeit beschränkt. Damit ist aber dem Verwaltungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle der Zuständigkeitsentscheidung des BFG nicht möglich. Das BFG hätte jedenfalls eigene Feststellungen treffen müssen, aus denen sich ergibt, welche der mit Maßnahmenbeschwerde bekämpften Handlungen der Finanzpolizei zuzurechnen sind. Weiters hätte offengelegt werden müssen, auf welche Umstände sich nach Ansicht des BFG diese Zurechnung gründet. Der bloße (im Rahmen der Wiedergabe des Verfahrensganges) gegebene Hinweis, wonach „im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Kärnten ... festgestellt [wurde], dass die [...] Glücksspielkontrolle unter der Gesamtleitung der Finanzpolizei und mit Unterstützung der Landespolizeidirektion Kärnten durchgeführt worden ist“, vermag solche Feststellungen nicht zu ersetzen, zumal das Verfahren vor dem LVwG nicht durch einen förmlichen Beschluss beendet wurde. Auch der Umstand, dass das LVwG die Maßnahmenbeschwerde zuständigkeitshalber an das BFG weitergeleitetet hatte, vermochte das BFG nicht davon zu entbinden, seine eigene Zuständigkeit auf der Grundlage entsprechender Feststellungen zu begründen.

21       Der angefochtene Beschluss ist daher mit einem Feststellungsmangel hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Frage der Zuständigkeit behaftet (vgl. beispielsweise VwGH 16.12.2015, Ra 2014/04/0045) und erweist sich somit schon aus diesem Grund als rechtswidrig. Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

22       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019170018.L00

Im RIS seit

07.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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