TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W150 2163633-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W150 2163631-1/27E

W150 2163635-1/20E
W150 2163633-1/20E
W150 2163637-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) Frau XXXX , geb. XXXX .1978, 2.) der mj. XXXX , geb. XXXX 2004, vertreten durch Frau XXXX als Mutter und gesetzliche Vertreterin, 3.) der mj. XXXX , geb. XXXX 2007, vertreten durch Frau XXXX als Mutter und gesetzliche Vertreterin und 4.) dem mj. XXXX , geb. XXXX .2013, vertreten durch Frau XXXX als Mutter und gesetzliche Vertreterin, alle StA. Syrien, alle vertreten durch den MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX, ZVR-Zahl 086506993, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 06.06.2017, 1.) Zl. XXXX , 2.) Zl. XXXX , 3.) Zl. XXXX und 4.) Zl. XXXX , nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 15.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der jeweils angefochtenen Bescheide werden alle als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge auch: „BF1“), eine Staatsangehörige Syriens, reiste mit ihren Kindern, den Zweit-, Dritt- und Vierbeschwerdeführern (in der Folge auch: „BF2“, „BF3“ und „BF4“) zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet, eigenen Angaben zufolge über Slowenien, in das Bundesgebiet ein, wurde durch Organwalter des Stadtpolizeikommandos XXXX am 31.10.2015 in XXXX festgenommen und stellte dort gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge dieser Amtshandlung wurden dabei die syrischen Pässe der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“) sichergestellt.

2.       Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.11.2015 gab sie begründend dazu an, sie stamme aus XXXX in Syrien und habe dieses Land wegen des Bürgerkrieges verlassen. Ihr Mann sei dabei erschossen und ihr Haus bombardiert worden. Es habe keine Sicherheit für sie und ihre Familie gegeben, sie habe große Angst gehabt, dass auch ihr und ihren Kindern etwas geschehe oder dass sie sogar getötet würden. Bei einer Rückkehr fürchte sie um ihr Leben und um das ihrer Kinder. Die BF1 erklärte, auch im Namen ihrer Kinder Asylanträge zu stellen.

3.       Am 25.04.2017 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen. legte die BF1 einen syrischen Personalausweis und einen nationalen Führerschein sowie Unterlagen zur Integration vor (Prüfungszeugnis A1 und Schulbesuchsbestätigungen und Schulnachrichten betreffend ihre Kinder). Sie gab an, ihr Ehemann sei Ende 2013 in XXXX erschossen worden, als er Essen holen gegangen sei. Sie habe einen Bruder und eine Schwester in Österreich; das Bundesamt merkte in der Niederschrift an, dass die beiden asylberechtigt seien. Die BF1 schilderte ihre Lebensumstände in XXXX , sie habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und in XXXX in einer XXXX gearbeitet. Ihre Eltern und zwei Brüder lebten noch in XXXX , es gehe ihnen gut. Sie selbst habe Syrien verlassen, weil ihr Ehemann umgebracht worden sei. Wer ihn getötet habe, wisse sie nicht. Auch sie selbst sei mit dem Umbringen bedroht worden. Das Leben in XXXX sei nicht mehr möglich gewesen. Damit habe sie alle Fluchtgründe genannt. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Syrien habe sie vermutlich im Oktober 2015 verlassen, und zwar von XXXX aus über mehrere Dörfer bis in die Türkei.

Wer sie in Syrien mit dem Umbringen bedroht habe, wisse sie nicht. Sie habe Mitteilungen auf ihr Mobiltelefon erhalten. Auf „der“ Mitteilung (es bleibt offen, ob in einer oder in allen) sei gestanden, dass „sie“ sie und ihre Kinder genauso wie ihren Mann umbringen würden. Wann sie die erste Mitteilung bekommen habe, daran könne sie sich nicht erinnern. Sie sei damals bei ihrem Vater in seinem Dorf außerhalb XXXX gewesen. Insgesamt habe sie drei Mitteilungen dieser Art bekommen. Nach der dritten habe ihr Vater gemeint, dass sie gemeinsam mit ihren Kindern das Land verlassen müsse. Persönlich habe sie niemand kontaktiert; sie sei im Dorf immer zu Hause geblieben und habe Angst gehabt, hinauszugehen. Das Dorf sei etwa zehn Autominuten entfernt von XXXX gewesen.

Ihr Mann sei im Dezember 2013 erschossen worden. Es sei nicht festgestellt worden, wer ihn erschossen habe. In der Erstbefragung habe sie „davon“ (gemeint ist möglicherweise nicht der Tod ihres Mannes, von dem sie in der Befragung berichtet hatte, sondern die Drohungen gegen sie selbst) nichts gesagt, weil sie damals sehr müde und psychisch nicht in der Lage gewesen sei, alle Fragen richtig zu beantworten. Auf die Frage, ob sie in Syrien bedroht oder verfolgt worden sei, weil sie eine Frau sei, gab sie an, sie sei nach dem Tod ihres Mannes „schlecht angesehen“ worden. Es sei ihr gesagt worden, dass sie einen anderen Mann heiraten müsse. Sie sei aber nicht verletzt, entführt oder in anderer Weise geschädigt worden. Auf die Frage, wann sie die erste Mitteilung erhalten habe, gab sie an, sie glaube, dass dies Ende 2014 gewesen sei. Sie habe nicht versucht, herauszufinden, von wem diese Mitteilungen stammten, weil es schwierig gewesen sei und es andere Probleme gegeben habe. Zwischen den Mitteilungen seien etwa zwei bis vier Wochen gelegen. Auf die Frage, ob es außer diesen Schwierigkeiten Probleme mit den Behörden gegeben habe, erzählte die BF1, es habe, als sie die Pässe beantragt habe, ein Problem wegen des Führungszeugnisses gegeben. Sie habe denselben Namen wie eine XXXX gehabt, die in Syrien Probleme gehabt habe. Schlussendlich habe sie beweisen können, dass sie zurzeit, da diese XXXX diese Probleme gehabt habe, im Krankenhaus gewesen sei, um ihre Tochter zur Welt zu bringen.

4.       Das BFA wies mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden vom 06.06.2017 die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) ab. Der BF1 wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005, den BF2 bis BF4 wurde gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, (Spruchpunkt II) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt (Spruchpunkt III).

Im angefochtenen Bescheid werden zunächst die Niederschriften der Befragung und der Einvernahme wiedergegeben. Das Bundesamt stellt fest, die BF1 habe Syrien wegen des Bürgerkrieges und der Sorge um ihre Kinder verlassen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie wegen ihres verstorbenen Ehegatten einer individuellen und konkreten Bedrohung oder Verfolgung in Syrien ausgesetzt gewesen sei. Sie sei in Syrien auch auf Grund ihrer Stellung als Frau weder bedroht noch verfolgt worden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass sie „staatlicherseits“ oder auf Grund ihrer Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit bedroht oder verfolgt werde. Sodann trifft das Bundesamt Feststellungen zur Situation in Syrien, die es auf näher genannte Quellen stützt. Beweiswürdigend heißt es u.a., die BF1 habe bei ihrer Einvernahme am 25.04.2017 ihr Vorbringen vom 01.11.2015 wiederholt, habe jedoch ihr Fluchtvorbringen „gesteigert“, indem sie angegeben habe, dass sie auch Drohmitteilungen auf ihr Mobiltelefon erhalten habe. Dies sei nicht glaubhaft. Wäre dies der Fall gewesen und hätte sie deswegen ihr Land verlassen, dann wäre doch davon auszugehen, dass sie dies bereits in der Erstbefragung angegeben hätte. Auf die Frage, warum sie dies nicht getan habe, habe sie entgegnet, dass sie damals schon sehr müde gewesen sei. Für das Bundesamt sei es nachvollziehbar, dass man nach einer langen und beschwerlichen Flucht einerseits erleichtert und andererseits sehr müde gewesen sein müsse. Nicht nachvollziehbar sei aber, warum die BF1 eine auf sie konkret und individuell ausgerichtete Bedrohung oder Verfolgung nicht angegeben habe. Es sei nicht nachvollziehbar bzw. die BF1 habe nicht plausibel darstellen können, warum man sie mittels Mitteilungen auf ihr Mobiltelefon ein Jahr nach dem Ableben ihres Mannes hätte bedrohen sollen. Es wäre doch anzunehmen, so das Bundesamt, dass derjenige, der ihren Mann umgebracht habe, die BF1, wenn er etwas gegen sie gehabt hätte, unmittelbar danach und nicht ein Jahr später bedroht hätte. Eine darüber hinausgehende persönliche Bedrohung oder Verfolgung habe die BF1 jedoch selbst ausgeschlossen, indem sie angegeben habe, dass sie sich während dieser Zeit immer bei ihrem Vater in dessen Heimatdorf aufgehalten habe. Das Bundesamt deute diese Aussage dahin, dass sie sich somit in ihrem Elternhaus bei ihrem Vater in Sicherheit befunden habe. Nicht nachvollziehbar sei es daher, dass ein „rationell“ (gemeint: rational) denkender Mensch gerade dieses sichere Umfeld verlassen hätte, um nach XXXX zu fahren, um sich Reisepässe ausstellen zu lassen. Wäre die BF1 tatsächlich mit dem Umbringen bedroht worden, dann wäre, so das Bundesamt, wohl eher anzunehmen, dass sie unmittelbar vom Elternhaus aus die Flucht ergriffen hätte und nicht die „waghalsige“ Fahrt nach XXXX unternommen hätte, um in den Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu gelangen. – Die BF1 habe angegeben, dass sie die erste Mitteilung Ende 2014 und „ca. alle 2 – 4 Wochen die nächsten beiden Mitteilungen“ erhalten habe, weiters, dass sie erst im Oktober 2015 ihr Land verlassen habe. Somit ergebe sich zwischen dem Erhalt der letzten Mitteilung bis zum Verlassen ihres Heimatlandes ein Zeitraum von etwa neun bis zehn Monaten. Gerade dieser lange Zeitraum sei wiederum ein Indiz dafür, dass die BF1 entweder keiner individuellen und konkreten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei oder dass sie selbst die erwähnten Drohmitteilungen nicht ernst genommen habe. Wäre sie tatsächlich individuell und konkret bedroht oder verfolgt worden, dann wäre doch anzunehmen, dass sie schon früher ihr Heimatland verlassen und nicht noch neun bis zehn Monate zugewartet hätte.

Rechtlich folgerte das Bundesamt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Es kam jedoch zum Ergebnis, dass den BF auf Grund des innerstaatlichen Konfliktes in ihrer Heimat subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Abschließend begründet es seine Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Dieser Bescheid wurde den BF am 19.06.2018 persönlich zugestellt.

5.       Am 03.07.2017 erhoben die BF fristgerecht jeweils gegen Spruchpunkt I. der sie betreffenden Bescheide Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides erwuchsen hingegen in Rechtskraft. In der Beschwerde brachte die BF1 im Wesentlichen vor, dass die BF Angehörige einer besonders vulnerablen Gruppe, der alleinstehenden verwitweten Frauen bzw. der Risikogruppe der Kinder angehöre. Die Behebung der Spruchpunkte I. der Bescheide und die Zuerkennung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, in eventu die Zurückverweisung an das BFA, jedenfalls die Durchführung von mündlichen Verhandlungen wurden beantragt.

6.        Am 04.07.2017 legte das BFA die gegenständlichen Beschwerden – ohne von der Möglichkeit von Beschwerdevorentscheidungen Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7.       Mit Beschlüssen des BVwG vom 31.07.2019, GZln. W 150 2163631-1/13E, W 150 2163635-1/8E, W 150 2163633-1/8E und W 150 2163637-1/8E wurden die verfahrensgegenständlichen Bescheide jeweils gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

8. Aufgrund der daraufhin durch das BFA eingebrachten Amtsrevisionen wurden diese Beschlüsse durch Erkenntnis des VwGH vom 30.03.2020, Ra 2019/14/0580-4, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben

9.       Am 15.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch in Anwesenheit der BF sowie ihres rechtsfreundlichen Vertreters statt, in welcher die BF ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

Die BF1 und BF2 erklärten, dass sie gesund und verhandlungsfähig seien. Zu dem in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichtsmaterial gaben weder die BF noch ihr Vertreter eine Stellungnahme ab.

Im weiteren Verlauf gestaltete sich die Befragung sich wie folgt:

„RI: Führen Sie Ihren Namen seit Ihrer Geburt?

BF1: Ich habe meinen Namen von Geburt an.

RI: Trifft das auch für Ihre drei Kinder zu?

BF1: Ja, auch bei den Kindern hat sich nichts geändert.

RI: Wo sind Sie geboren?

BF1: In XXXX in der Stadt, in Syrien.

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Syrien unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie in anderen Ländern, einschließlich Österreich, unter anderen Namen bzw. Identitäten in Erscheinung getreten?

BF1: Nein.

RI: Wo sind Ihre Kinder geboren?

BF1: In XXXX .

RI: Haben Sie irgendwelche Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) die ihre Person oder Familienangehörige betreffen, die noch nicht im Akt enthalten sind, die sie mir heute vorweisen wollen?

BF1: Nein, ich habe keine.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF1: Ich bin Moslem, Sunnit. Ich bin kein Mitglied in einem Verein oder einer Moschee.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können Außenstehende erkennen, dass sie sunnitischer Moslem sind?

BF1: Ich bete ganz normal, ohne irgendwas zu verändern an meiner Erziehung.

RI: Tritt Ihr Glaube nur durch das Beten in Erscheinung oder auch anders?

BF1: Was kann man mehr machen als beten?

RI: Sie haben in Ramadan nicht gefastet oder doch?

BF1: Natürlich ja.

RI: Kann man sonst noch irgendwie erkennen, dass Sie sunnitische Moslima sind?

BF1: Ich falte die Hände nach sunnitischem Brauch.

RI: Halten Sie irgendwelche Bekleidungsregeln ein?

BF1: Ich habe eine Ganzkörperbedeckung mit Kopftuch (Hijab).

RI: Haben Sie sich so auch in Syrien gekleidet oder auch in Österreich?

BF1: Die gleiche Gebetart, die ich in Syrien praktizierte als auch in Österreich.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF1: Ich bin Araberin.

RI: Schildern Sie konkret wo Sie in Syrien bis zu Ihrer Flucht gelebt haben. Genaue Angaben der Stadt, Provinz, Distrikt.

BF: Ich habe in XXXX , XXXX , gelebt.

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Syrien?

BF1: In Syrien in XXXX leben noch folgende Verwandte Vater, Mutter und zwei Brüder.

RI: Haben Sie noch Verwandte in Österreich oder anderen Ländern?

BF1: Einen Bruder und eine Schwester, in XXXX wohnt der Bruder und die Schwester in XXXX und meine drei Kinder habe ich.

RI: Sie haben vorhin gerade gesagt, dass Ihr Vater auch in XXXX wohnt?

BF1: In XXXX .

RI: Vorhin haben Sie gesagt XXXX , aber bei der Einvernahme vor dem BFA am 25.4.2017 sagten Sie, dass er außerhalb von XXXX wohnt.

BF1: Ich meinte damals auch XXXX .

RI: Das bedeutet XXXX wie bei uns XXXX .

BF1: XXXX habe ich damals gesagt.

RI: Und wie heißt XXXX ?

BF1: Das XXXX .

RI: Liegt das nördlich oder südlich von XXXX ?

BF1: Westlich von XXXX , Richtung XXXX . Es liegt auf der westlichen Seite von XXXX .

RI: Kann es sein, dass es auch anders aufgeschrieben wird als XXXX ?

D: Ja, ich habe es anders übersetzt.

BF1: In XXXX lebt der Vater.

RI: Ist das im Zentrum von XXXX ?

BF1: Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass der Ort XXXX heißt, ich kenne mich in den Orten nicht aus.

RI: Aber dort wohnt ja Ihr Vater?

BF1: Dort wohnt mein Vater, ja.

RI: Wissen Sie, welches der nächstgelegene Ort ist?

BF1: Ein Ort namens XXXX .

RI: Wenn Sie müde sind und eine Pause benötigen, sagen Sie es bitte. Ich mache gerne eine kurze Pause.

BF1: Danke.

RI: Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden oder in einer eingetragenen Partnerschaft?

BF1: Ich bin verwitwet.

RI: Haben Sie außer den anwesenden Kindern noch weitere Kinder?

BF1: Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF1: Ich bin 12 Jahre in die Grund- und Hauptschule gegangen, habe jedoch die Matura nicht abgeschlossen.

RI: Welchem Beruf sind Sie vor ihrer Flucht nachgegangen?

BF1: Bevor ich Syrien verließ, bin ich keiner Tätigkeit nachgegangen, aber davor war ich als XXXX tätig bzw. arbeitete in einer XXXX .

RI: In weichem Stadtteil befand sich diese XXXX ?

BF1: In XXXX .

RI: Wo liegt das genau, im Zentrum oder außerhalb?

BF1: Im Zentrum, dort ist die XXXX gelegen wahrscheinlich und die XXXX .

RI: War das in der Nähe der XXXX ?

BF1: Die befindet sich in XXXX .

RI: Befindet sich die XXXX ?

BF1: Es gibt XXXX , da gibt es die XXXX da gibt es die Moschee XXXX .

RI: Kann das sein, dass zwischen XXXX und XXXX auch noch XXXX ?

BF1: Das liegt nahe an dem Ort, wo ich gearbeitet habe.

RI: Befindet sich in der anderen Richtung XXXX ?

BF1: Es gibt XXXX .

RI: Ich versuche nur festzustellen, wo genau diese XXXX lag, in XXXX .

BF1: Die XXXX war genau angelegt an XXXX .

RI: Aber da ist wirklich nahe am XXXX .

BF1: Ja, das stimmt.

RI: Haben Sie in Syrien einer Miliz oder bewaffneten Gruppe angehört oder eine Kampfausbildung erhalten?

BF1: Nein.

RI: Sie wurden durch das BFA am 25.04.2017 ausführlich zu Ihren Erlebnissen, Lebensumständen und Fluchtgründen befragt. Waren ihre damaligen Angaben zutreffend?

BF1: Ich weiß nicht 100%ig, was ich damals gesagt habe, aber was ich gesagt habe, entsprach der Wahrheit.

RI: Wie sind Sie von Syrien nach Österreich gelangt?

BF1: Von XXXX nach XXXX .

RI: Meinen Sie damit XXXX , wo Ihr Vater gewohnt hat?

BF1: Ja. Ca. zwei Wochen…

RI: Was war zwei Wochen? Hat Ihr Vater oder haben Sie dort zwei Wochen gewohnt?

BF1: Nein, bei ihm konnte ich nicht wegen der Kinder bleiben, ich hatte eine eigene Wohnung. Natürlich, wie ich nach XXXX gefahren bin, blieb ich selbstverständlich bei meinem Vater.

RI: Wie ging es dann weiter?

BF1: Mit Hilfe eines Schleppers konnte ich dann mit meinen Kindern nach Richtung Grenze zur Türkei gelangen. Zu Fuß überquerten wir die Grenze namens XXXX . Den ganzen Weg war ich mit Hilfe des Schleppers unterwegs, die Ortschaften weiß ich nicht.

RI: Wie sind Sie über die Grenze, war dort ein Fluss, war es flach, wie geht man da?

BF1: Wir waren zuerst auf einem Hügel oder Berg, wir sind den Berg hinuntergegangen und wir überquerten einen Fluss und marschierten eine Zeitlang, bis wir einen Berg hinaufgestiegen sind. Dort wurden wir versammelt und von dort aus ging die Reise weiter.

RI: Die Reise ging weiter, wohin?

BF1: Mit Autos wurden wir eskortiert, in eine Wohnung, diese war mir unbekannt. Bis die Sicherheit gewährleistet wurde und dann sind wir weitergefahren mit Pkws.

RI: Wo sind Sie dann gelandet?

BF1: Zur offenen See, zum Meer, an der Küste und von der Türkei dann nach Griechenland und über das Meer sind wir dann auf eine Insel gelangt namens Kos.

RI: Dann weiter?

BF1: Vier Tage sind wir auf der Insel Kos geblieben, in einem Schiff wurden wir dann nach Athen gebracht. Insgesamt dauerte die ganze Reise von Syrien nach Österreich zwei Wochen-

RI: Von Syrien in die Türkei aus sind Sie legal oder illegal?

BF1: Illegal.

RI: Was genau meinen Sie mit „illegal“? Hatten Sie z.B. kein Reisedokument, war dieses ungültig, war die Grenze geschlossen?

BF1: Nein, ich besaß einen Reisepass, aber ich bin mit Hilfe von Schleppern illegal über die Grenze.

RI: Was haben Sie dafür bezahlt?

BF1: Ganz genau weiß ich es nicht, es waren 700 oder 800 Dollar, ich war mit meiner Schwester und Bruder unterwegs und den Kindern. Ich weiß nicht mehr ganz genau, was ich gezahlt habe.

RI: Muss ich jetzt die 700 oder 800 Dollar mit der Anzahl der Personen multiplizieren?

BF1: Für die Erwachsenen 700 bis 800 Dollar, ca. 200 bis 300 Dollar für die Kinder.

RI: Also ca. 1.300 Dollar insgesamt, ist das richtig?

BF1: Ja, möglich.

RI: Sie haben vorhin erwähnt, dass Ihre Kinder XXXX gewohnt haben, sie haben eine Wohnung gehabt, wo lag diese Wohnung?

BF1: In XXXX .

RI: Können Sie mir genau sagen, wo das liegt, in welchem Bereich?

BF1: In der Nähe von XXXX .

RI: War das in dem Bereich, der damals von Regierungstruppen kontrolliert war?

BF1: Ja.

RI: Haben Sie und Ihre Kinder die ganze Zeit dort gewohnt oder haben Sie auch an einem anderen Ort gewohnt?

BF1: Nur dort.

RI: Wann haben Sie aufgehört, in der XXXX zu arbeiten?

BF1: Ca. Ende 2004.

RI: Hatten Sie dann einen anderen Beruf oder waren Sie Hausfrau?

BF1: Ich habe zwei Monate in XXXX gearbeitet, dann habe ich aufgehört.

[…]

RI: Warum sind Sie aus Syrien geflüchtet?

BF1: Ich verließ Syrien wegen des Krieges, ich wohnte in XXXX . Es war sehr beängstigend, die Situation in Syrien damals und die Lebensmodalitäten waren dermaßen unterwürdig, es gab nichts zum Überleben, das Leben war schwer.

RI: Gibt es sonst noch Gründe, warum Sie aus Syrien geflüchtet sind?

BF1: Ich wohnte in XXXX , als die Miliz einmarschierte. Als die Miliz einmarschierte, ging ich mit meinen Kindern nach XXXX . Damals mein Mann, ich und die Kinder.

RI: Wann war das?

BF1: Entweder 2011 oder 2012.

RI: War Ihr Sohn XXXX damals schon geboren?

BF1: Ja.

RI: Er wurde aber 2013 im Sommer geboren.

BF1: Er ist tatsächlich 2011 geboren, er wurde um zwei Jahre älter gemacht, fälschlicherweise, deshalb ist er auf dem Papier um zwei Jahre älter.

RI: Wann wurde er um zwei Jahre älter gemacht?

BF1: Mein verstorbener Mann wollte nicht persönlich unseren Sohn registrieren lassen, er hat jemanden beauftragt, dieser ging zu den Behörden und dort wurde der Eintragungsfehler gemacht.

RI: Wie alt ist Ihr Sohn jetzt wirklich?

BF1: Ca. achteinhalb Jahre müsste er sein. Geboren ist er demnach am XXXX 2011.

RI: Warum haben Sie das bis jetzt noch nie bei der Behörde angegeben in Österreich?

BF1: Mir wurde diese Frage nicht gestellt, ich war im vergangenen Jahr bei der Diakonie und erörterte das Geburtsdatum meines Sohnes, ich wollte es verändern lassen. Ich bat, mir in dieser Hinsicht Hilfe zu leisten. Nachdem ich nicht versichert war, konnte man mir nicht helfen, dass eine Altersfeststellung bei meinem Sohn durchgeführt worden wäre.

RI an RV: Wussten Sie das?

RV: Es ist nicht zur Sprache gekommen. Ich habe es nicht gewusst.

RI: Sie haben dann seit 2011 immer XXXX gewohnt, dort wie Sie es vorhin angegeben haben, ist das richtig?

BF1: Nach 2011 lebte ich in XXXX .

RI: Nach 2011?

BF1: Ich habe mein ganzes Leben in XXXX gelebt, dann bin ich übersiedelt nach XXXX und dann bin ich wieder nach XXXX gegangen.

RI: Ich wüsste jetzt gerne, wann haben Sie in XXXX gewohnt?

BF1: 2012 sind wir in XXXX gezogen.

RI: Wie lange haben Sie dort in XXXX gewohnt?

BF1: Drei oder vier Jahre. Drei Jahre.

RI: Haben Sie dann mit Ihren Kindern bei Ihrem Vater gewohnt?

BF1: Nein.

RI: Sondern?

BF1: Bevor ich Syrien endgültig verließ, fuhr ich nach XXXX zu meinem Vater und von dort aus verließ ich meine Heimat.

RI: Zwischen 2011/2012 bis 2015 XXXX und dem Zeitpunkt, zu dem Sie zu Ihrem Vater gezogen sind, haben Sie da noch irgendwo anders gewohnt?

BF1: Nein.

RI: Haben Sie Ihren Vater während dieser drei Jahre besucht? Öfters, selten, nie?

BF1: Jeden zweiten, dritten Monat für ein paar Tage, alle drei, vier Monate besuchte ich meinen Vater. Bis 2014 habe ich meinen Vater nicht besucht, ab 2014/2015, bevor ich Syrien endgültig verließ, besuchte ich meinen Vater alle paar Monate oder zwei, drei Monate für ein paar Tage in XXXX .

RI: Vorhalt: Sie haben damals bei der Vernehmung beim BFA am 25.4.2017 ausgesagt, dass Sie Syrien verlassen hätten, weil Ihr Ehemann umgebracht worden sei. Das haben Sie mir vorhin nicht gesagt. Was ist nun richtig?

BF1: Mir war die genaue Frage nicht klar, dass ich das so beantworten muss.

RI: Dann wiederhole ich das, was wir vorhin gemeinsam besprochen haben:

„RI: Warum sind Sie aus Syrien geflüchtet?

BF1: Ich verließ Syrien wegen des Krieges, ich wohnte in XXXX . Es war sehr beängstigend, die Situation in Syrien damals und die Lebensmodalitäten waren dermaßen unterwürdig, es gab nichts zum Überleben, das Leben war schwer.

RI: Gibt es sonst noch Gründe, warum Sie aus Syrien geflüchtet sind?

BF1: Ich wohnte in XXXX , als die Miliz einmarschierte. Als die Miliz einmarschierte, ging ich mit meinen Kindern nach XXXX . Damals mein Mann, ich und die Kinder“.

RI: Gibt es sonst noch weitere Gründe, warum Sie aus Syrien geflüchtet sind?

BF1: Die Stadt wurde zwischen der Miliz und der regulären Armee geteilt und in dem Ort, wo wir damals lebten, waren wir lebensmittelmäßig unterversorgt. Jemand musste immer auf die andere Seite der Stadt gehen, um Lebensmittel zu besorgen. Als mein Mann eines Tages ging, um Lebensmittel zu holen, wurde er von Kugeln getroffen und verstarb. Aber von welcher Seite er getroffen wurde, das weiß ich nicht. Faktum ist, dass er nie wieder gekommen ist.

RI: Wann wurde Ihr Mann getötet?

BF1: Am 21.12.2013.

BF1 erscheint aufgewühlt und weint und ersucht um eine weitere Pause.

RI: Selbstverständlich, gerne.

[…]

RI: Gibt es noch weitere Gründe, warum Sie aus Syrien geflüchtet sind?

BF1: Nein, ich kann mich nicht erinnern.

RI: Vorhalt: Sie haben am 25.4.2017 vor dem BFA angegeben, dass Sie mit dem Umbringen bedroht worden seien, was sagen Sie dazu?

BF1: Ich wurde bedroht, jedoch bei der letzten Einvernahme beim BFA wurde ich gefragt, ob ich das beweisen kann und ich antwortete: „Ich hatte alle Bedrohungen auf meinem Handy und ich habe es im Mittelmeer verloren“.

RI: Wer hat Sie bedroht und wann war das?

BF1: Vielleicht 2014, aber wer mich bedroht hat, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, von wem die Bedrohung kam.

RI: Womit hat diese Person gedroht?

BF1: Es stand geschrieben auf einer Nachricht: „Verlass das Land, ansonsten wirst du auch getötet“.

RI: Wurde nur per SMS gedroht oder wurden Sie auch angerufen?

BF1: Es gab damals diese Art von Kommunikation in Syrien, man konnte jemanden oder einem Dritten eine Nachricht senden, ohne, dass die Nummer aufscheint.

RI: Wie oft wurden Sie bedroht?

BF1: Zweimal oder dreimal, soweit ich mich erinnern kann.

RI: War das alles am gleichen Tag?

BF1: Manchmal so versteckt. Es war einmal in XXXX , zwei Monate später, bei meinem Vater in XXXX , wurde ich zweimal bedroht.

RI: War das alles am gleichen Tag?

BF1: Nein, unterschiedlich.

RI: Was bedeutet unterschiedlich, dreimal an drei Tagen hintereinander, wie soll ich es verstehen?

BF1: Einmalige Nachricht, zwei Monate später als ich bei meinem Vater war wieder einmal und bevor ich Syrien verließ bekam ich die letzte Bedrohung, zwei oder vier Monate vor meiner Ausreise.

RI: Wenn ich die zweite und die dritte Bedrohung jetzt hernehme, diese Bedrohungen, die in XXXX gewesen sind, wie viel Zeit war zwischen diesen Bedrohungen?

BF1: Ich habe es vergessen, ich weiß es nicht.

RI: War der Inhalt der Bedrohung immer der gleiche oder waren es unterschiedliche Arten der Bedrohung?

BF1: Es waren immer die gleichen Worte.

RI: Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer das war?

BF1: Nein.

RI: Haben Sie irgendeine Vermutung, warum Sie bedroht wurden?

BF1: Letzte Zeit, als ich mit Freunden über die Politik des Landes und die Situation im Allgemeinen gesprochen habe und auch meine Meinung dazu geäußert habe, das könnte vielleicht damit zusammenhängen.

RI: Welche Zeit meinen Sie damit?

BF1: Zwischen 2014 und 2015, bevor ich das Land verlassen habe.

RI: Wann haben Sie sich dazu entschlossen, Syrien zu verlassen?

BF1: Als ich das letzte Mal zu meinem Vater gezogen bin, das war im Oktober 2014. Da habe ich versucht, die ganzen Dokumente ausstellen zu lassen. Hauptsächlich bin ich wegen meiner Kinder aus Syrien weg und ich wollte deshalb die Dokumente ausstellen lassen, damit ich beweisen kann, dass das meine Kinder sind und sie sie mir nicht wegnehmen können.

RI: Ihr Vater hat in einem von Rebellen kontrollierten Bereich gewohnt, ist das richtig?

BF1: Ja.

RI: Wann haben Sie die Dokumente besorgt, war das bevor oder nachdem Sie zu Ihrem Vater gezogen sind?

BF1: Bevor ich zu meinem Vater fuhr, damit ich Syrien verlassen kann.

RI: Vorhalt: Auf Ihrem Pass steht das Ausstellungsdatum XXXX .2014.

BF1: Ja, das stimmt.

RI: Aber Sie haben vorhin gesagt, Sie sind im Oktober zu Ihrem Vater gezogen, das war ein Monat vorher.

BF1: In Syrien geht es mit der Ausstellung der persönlichen Dokumente, Reisepass und co, sehr langsam, es sei denn, man bezahlt vor Ort das verlangte Geld, dann geht es etwas schneller. Ich beantragte die ganzen Dokumente zuvor. Ganz genau weiß ich nicht mehr, in welchem Monat ich den Antrag gestellt habe.

RV: Ich glaube, sie hat sich in der Jahreszahl geirrt bei der Frage, nach dem Entschluss zur Flucht.

RI: Stimmt das?

BF1: Bestimmt habe ich mich mit dem Datum geirrt, weil es liegt so lange zurück und ich bringe alles durcheinander.

RI: Sie haben mit Ihren Kindern bei Ihrem Vater zuletzt gewohnt, ist das richtig?

BF1: Bevor ich Syrien verließ, verbrachte ich die letzten zwei Wochen bei meinem Vater, ca. 10 Tage.

RI: Das bedeutet nun, dass Sie die Dokumente schon ca. ein halbes Jahr vorher besorgt haben, ist das richtig?

BF1: Ja.

RI: Haben Sie zum Besorgen der Dokumente hin- und herfahren müssen zwischen XXXX und XXXX ?

BF1: Faktum ist, dass ich zu meinem Vater gezogen bin, samt den Dokumenten, ich hatte schon vorher die Dokumente ausgestellt.

RI: Sie haben vorhin Ihre Fluchtgründe aufgezählt, das waren im Wesentlichen der Krieg, die schlechte Versorgungslage, der Tod Ihres Ehemannes, die Drohungen gegen Ihre Person. Außerdem haben Sie mir gesagt, vor allem wegen der Kinder. Ist das richtig?

BF1: Ja.

RI: Was meinen Sie damit, vor allem wegen der Kinder? Können Sie mir das genauer erklären?

BF1: Ich wollte das Leben meiner Kinder in Sicherheit bringen, es wurde überall bombardiert, ich hatte Angst, dass sie entführt, umgebracht werden oder durch Bomben getötet werden. Es hätte sein können, dass man ihnen etwas antut, ich hatte Angst um meine Kinder.

RI: Was meinen Sie mit der Befürchtung, dass die Kinder entführt werden könnten. Können Sie mir das genauer erklären?

BF1: Ich kann es nicht so beantworten, ich hatte Angst, ich hatte allerlei Gedanken in mir, dass jemand die Kinder entführt, umbringt oder sonst was macht. Es war Krieg, es war beängstigend.

RI: Vorhalt: Sie haben in Ihrer Beschwerde ausgeführt, Sie hätten auch die Zwangsrekrutierung Ihrer Kinder befürchtet, ist das richtig?

BF1: Damit meinte ich, dass sie entführt werden für diesen Zweck.

RI: Das haben Sie aber vorhin nicht gesagt.

BF1: Das waren meine Ängste, dass sie die Kinder entführen und zu Kriegshandlungen zwingen werden. Es wurden viele Kinder damals, auch minderjährige, entführt und in den Krieg geschickt und ich war ohne Mann, es war eine sehr schwierige Lage für mich allein Herr über meine Kinder zu sein.

RI: Ihr Sohn war damals zwei Jahre alt bzw. wenn wir den Eintragungsfehler berücksichtigen, vier Jahre alt, wieso hätten Sie da eine Zwangsrekrutierung befürchtet? Er war doch noch ein Kleinkind.

BF1: Es wurden viele Kinder entführt und verkauft. Es gab viele Familien, die Geld dafür bezahlten, dass sie entführte Kinder zu sich nehmen. Es sind insgesamt alle Ängste, die ich hatte.

RI: Was genau befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr?

BF1: Man wird mich festnehmen und mich befragen, weshalb ich und wann und mit wessen Hilfe ich das Land verließ und ob ich diese Befragung dann lebend verlasse, kann ich hier nicht beantworten.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle Ihrer Rückkehr befürchten?

BF1: Das sind die primären Ängste, dass ich im Gefängnis lande und vom Geheimdienst gefoltert werde und meine Kinder ohne Mutter großwerden.

RI: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

BF1: Nein.

RI: Waren Sie persönlich sonst in irgendeiner Weise politisch aktiv??

BF: Nein, aber ich habe in meiner Umgebung sehr wohl meinen Unmut über die Soldaten, den Krieg und die ganzen Umstände geäußert. Das kann mir zum Verhängnis werden.

RI: Wurden Sie in Syrien wegen Straftaten verurteilt?

BF1: Als ich die Unbescholtenheitsdokumente ausstellen ließ und ich fuhr zur Behörde, wurde ich lange befragt, weil es eine Namensverwechslung gegeben hat, man hielt mich für einige Stunden fest und befragte mich, es kam aber zu keiner Verurteilung.

RI: Bekamen Sie die Dokumente?

BF1: Nein, ich musste dafür bezahlen, damit ich die Dokumente ausgehändigt bekam. Es waren horrende Summen, die ich bezahlen musste, normalerweise hätte ich normale Gebühren bezahlen müssen, in meinem Fall musste ich eine höhere Summe zahlen.

RI: Haben Sie in XXXX und im Umkreis von XXXX Checkpoints passieren müssen, während der Zeit, in der Sie dort gelebt haben?

BF1: Ja, jedes Mal, wenn ich die Seiten passierte, wurde ich befragt, wohin ich gehe, was ich dort mache, was ich zu tun habe, ob ich ein Spion bin. Das gleiche auf der Gegenseite.

RI: Wurden Sie in Syrien einmal verhaftet?

BF1: Nein, es war nur das einzige Mal mit der Befragung wegen der Dokumente.

RI: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen Staat wegen Straftaten verurteilt?

BF1: Wegen eines Körperdeliktes stand ich vor Gericht, jemand hat mir im Lager auf die Hand geschlagen. Deshalb habe ich ihn angezeigt und wurde als Zeuge vernommen.

verbringen Sie in Österreich normalerweise den Tag?

BF1: Bis zu Corona 19 hatte ich Deutschkurse bis zu B1-Stufe belegt, seit der Corona-Zeit blieb ich zu Hause mit meinen Kindern und verbringe ich damit die Zeit. Wir gehen selbstverständlich auch spazieren, ich führe ein ganz normales Leben.

RI: Sie haben eine Zeitlang in XXXX gelebt und dort gingen Ihre Kinder zur Schule, ist das richtig?

BF1: Ja, stimmt.

RI: Wie hat es Ihnen in XXXX gefallen?

BF1: Es war sehr schön, es hat mir gut gefallen.

Ohne D:

RI: Was hat Ihnen zB in XXXX gut gefallen?

BF: Ich war in eine Hotel gewohnt, dort heißt XXXX , das ich wohnt ein Jahr. Mit meine Kinder waren immer auf See und meine Kinder schwimmen und ich hatte viele Freunde in XXXX , bis jetzt wir schreiben auf Whats App und ich habe viele Freunde auf Facebook auch und die Natur sehr frisch. Die Luft sehr frisch.

RI: Können Sie sich noch an irgendein besonderes Gebäude in XXXX erinnern?

BF1: Was meinen Sie mit Gebäude?

RI an D: Bitte übersetzen Sie die Bedeutung des Wortes Gebäude. (D übersetzt den Begriff Gebäude).

BF1: Schloss, den Namen des Schlosses habe ich vergessen.

Weiter mit D

RI: Ich habe weiters keine Fragen an Sie. RI fragt RV, ob er Fragen stellen möchte.

RV: Eine Frage möchte ich stellen: Können Sie vielleicht noch ein bisschen genauer erklären, inwiefern Sie Unmut über die Soldaten und die Umstände geäußert haben?

BF1: Ich äußerte meinen Unmut über das Töten im Allgemeinen und dass es eigentlich ein Mord am Volk ist, egal von welcher Seite und für mich stand fest, dass es keine Armee oder keine Militärmacht, sondern Mörder sind, die das Volk töten, es waren unmenschliche Handlungen und Gräueltaten, die am Volk verübt wurden.

[…]

RI: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

BF2: Ich nehme nur Medikamente für meine Haut.

RI: Ist das etwas Ernstes?

BF2: Wegen Akne.

[…]

RI: Wie alt waren Sie, als Sie aus Syrien mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern geflüchtet sind?

BF2: Ich war ca. 11 oder 12 Jahre alt.

RI: Sie haben gehört, was Ihre Mutter darüber berichtet hat. Können Sie sich noch an diese Details erinnern oder kennen Sie sie nur von Erzählungen?

BF2: Ich kann mich nicht so gut erinnern, hauptsächlich aus Erzählungen.

RI: Möchten Sie uns noch etwas mitteilen zum Verfahren?

BF2: Nein.

RI an RV: Haben Sie Fragen?

RV: Nein.“

Die Verhandlungsschrift wurde den BF rückübersetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge – des der BF1 und des durch diese erhobenen Antrages der BF2, BF3 und BF4 im Rahmen eines Familienverfahrens - auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme der BF1 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der weiteren durch das BFA erfolgten Befragung, der Beschwerden der BF gegen die Bescheide des BFA vom 06.06.2017, der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.06.2020, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakten der BF, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Es wird von den Darlegungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang und Vorbringen ausgegangen.

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die BF tragen die im Spruch jeweils angeführten Namen und sind zum dort angegebenen Datum geboren. Ihre Identität steht fest. Die BF sind ist syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens, gehören der arabischen Volksgruppe an und stammen aus XXXX .

Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen ledigen BF2, BF3 und BF4 und lebt mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt.

Die BF verließen ca. Mitte Oktober 2015 Syrien mit gültigen Reisepässen in die Türkei, es finden sich aber keine Aus- oder Einreisestempel darin.

Mit Spruchpunkt II. der durch die BF angefochtenen Bescheide wurde den BF der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf deren Heimatstaat Syrien wegen der realen Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens aufgrund der instabilen Sicherheitslage und des innerstaatlichen Konfliktes in Syrien zuerkannt.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das ursprüngliche Vorbringen der BF1, sie habe Syrien nach dem Tod ihres Mannes mit ihren Kindern aufgrund des Bürgerkrieges verlassen, ist glaubhaft und wird der Beurteilung zugrunde gelegt. Weiters wird festgestellt, dass das danach jeweils mehrfach gesteigerte Vorbringen, sie sei mittels SMS-Nachrichten bedroht worden (anlässlich der Befragung vor dem BFA), sie sei als alleinstehende Frau Angehörige einer besonders vulnerablen Gruppe (in der gegenständlichen Beschwerde), die Kinder seien der Gefahr von Zwangsrekrutierungen ausgesetzt gewesen (in der gegenständlichen Beschwerde) und sie seien wegen ihrer zeitweiligen Arbeit in einer XXXX der Gruppe regimekritischer Personen zuzurechnen und deshalb von staatlicher Seite verfolgt, wird aus nachfolgend näher erläuterten Gründen als nicht zutreffend festgestellt.

Eine drohende asylrelevante Verfolgung ist daher aus dem festgestellten Vorbringen nicht hervorgekommen. Die BF1 war nicht politisch tätig und auch kein Mitglied in einer politischen Partei. Die BF wurden zu keinem Zeitpunkt aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt. Aus den vorgängigen Angaben lässt sich keine individuelle Verfolgungssituation im Sinne der GFK ableiten.

Die BF2 hat keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, weder durch ihre gesetzliche Vertreterin, noch im Rahmen ihrer Befragung vor dem BVwG, noch kamen sonst welche hervor.

Auch die BF3 und BF4 haben keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, noch kamen sonst welche hervor.

1.3. Zur Lage im Herkunftsland der Beschwerdeführerin (Syrien):

Zur Lage in Syrien wird festgestellt (entnommen aus: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 13.05.2019)

Politische Lage

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 13.3.2019). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2018).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016).

Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert (AA 13.11.2018; vgl. MPG 2018).

Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der „Nationalen Einheit“ 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als „Farce“. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016).

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 13.3.2019), wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde (WKO 11.2018). Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer „Farce“ (Haaretz 4.6.2014).

Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).

Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort (AA 13.11.2018).

Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert (MPG 2018). Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen (SWP 7.2018). Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018b). 2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front” in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (BFA 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen „Rojava“ bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018b). Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung (KAS 4.12.2018b; vgl. MPG 2018).

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen (KAS 4.12.2018b).

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 13.3.2019). Die zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und Vertretern der syrischen Regierung im Sommer 2018 und Anfang 2019 geführten Gespräche brachten auf Grund unvereinbarer Positionen betreffend die Einräumung einer (verfassungsgemäß festzuschreibenden) Autonomie, insbesondere für die kurdisch kontrollierten Gebiete sowie hinsichtlich der Eingliederung/Kontrolle der SDF, keine Ergebnisse (ÖB 7.2019). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).

Quellen:

-        AA – Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

-        BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Syria.pdf, Zugriff 12.12.2018

-        BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018

-        DS – Der Standard (15.10.2019): "Schmerzhafter Kompromiss" für Kurden in Nordsyrien, USA verhängen Sanktionen, https://www.derstandard.at/story/2000109839161/erdogan-kuendigt-ausweitung-der-offensive-in-syrien-an, Zugriff 16.10.2019

-        DSO – Der Spiegel Online (10.8.2016): Die Fakten zum Krieg in Syrien, https://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1, Zugriff 9.4.2019

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Syria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria, Zugriff 10.12.2018

-        France24 (17.4.2016): Assad’s Party wins majority in Syrian election, https://www.france24.com/en/20160417-syria-bashar-assad-baath-party-wins-majority-parliamentary-vote, Zugriff 10.12.2018

-        Haaretz (4.6.2014): Landslide Win for Assad in Syria’s Presidential Elections, http://www.haaretz.com/middle-east-news/1.597052, Zugriff 10.12.2018

-        IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (10.2018): Factsheet Syrien No. 70, 14. August 2018 – 2.10.2018, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syr_70_deu.pdf, Zugriff 1.3.2019

-        KAS – Konrad Adenauer Stiftung [Nils Wörmer] (4.12.2018a): Assads afghanische Söldner, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner, Zugriff 15.1.2019

-        KAS – Konrad Adenauer Stiftung [Gülistan Gürbey] (4.12.2018b): Zwischen den Fronten – Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1, Zugriff 15.1.2019

-        MPG – Max-Planck-Gesellschaft (2018): Familienrecht im Nahen Osten – Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsordnung und des Familienrechts in Syrien [Stand Herbst 2018], https://www.familienrecht-in-nahost.de/11318/Syrien-Rechtslage, Zugriff 17.1.2019

-        ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf, Zugriff 19.8.2019

-        Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume, http://https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-idUSKCN0XA2C5, Zugriff 10.12.2018

-        SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 31.1.2019

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des “Islamischen Staates”, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf, Zugriff 9.1.2018

-        USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom (26.4.2017): United States Commission on International Religious Freedom 2017 Annual Report; 2017 Country Reports: USCIRF Recommended Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1399549/5250_1494489917_syria-2017.pdf, Zugriff 10.12.2018

-        USDOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 12.12.2018

-        USDOS – United States Depart

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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