TE Lvwg Erkenntnis 2020/12/11 VGW-112/024/1066/2020

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Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
L82009 Bauordnung Wien

Norm

VwGVG §28 Abs3
BauO Wr §129 Abs4
BauO Wr §129 Abs10

Text

Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seine Richterin Dr. Fekete-Wimmer über die Beschwerde der Frau A. B. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, Baupolizei - …, Bauinspektion, vom 18.12.2019, Zl. MA37/...-2018-1, betreffend Bauordnung für Wien (BO) den

BESCHLUSS

I. Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG wird der Bescheid aufgehoben und das Verfahren an die Magistratsabteilung 37, Baupolizei – …, Bauinspektion zurückverwiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Begründung

1.   Verfahrensgang

Mit Schreiben von 28.8.2018 übermittelte ein Einschreiter eine Eingabe an die belangte Behörde, in der er folgenden Sachverhalt darstellte: Er bewohne ein Wohnhaus in der C.-gasse 19, Wien (in der Folge: ON 19). Auf der Nachbarliegenschaft C.-gasse 17 (in der Folge: ON 17), Wien, sei in den Jahren 1996 - 2004 in gekuppelter Bauweise ein Wohnhaus errichtet worden. Er selbst habe sein Wohnhaus ON 19 im Jahr 2014 erworben, welches in den vierziger und fünfziger Jahren wiederaufgebaut worden sei. Bis zum Jahr 2017 sei das Wohnhaus ON 17 praktisch unbewohnt gewesen. Im Jahr 2017 sei eine Familie in das Haus eingezogen; seither machten sich häufig starker und detailliert hörbarer Körperschall und Erschütterungen in seinem Wohnhaus ON 19 bemerkbar, welche aus dem Wohnhaus ON 17 stammten. Er führe dies auf die fehlende Ausführung einer Gebäudetrennfuge (auch „Dehnfuge“ genannt) zurück. Auch sei in einem im Zuge eines Zivilprozesses erstellten Gutachten aus dem Jahre 1999 angeführt, dass eine Gebäudetrennfuge nicht ausgeführt worden sei. Im Anhang dieses Anbringens übermittelt der Einschreiter das Gutachten eines allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen vom 11.02.1999, welches in Befund und Gutachten gegliedert ist. Die Befundaufnahme fand laut Gutachten auf der Liegenschaft ON 19 statt. Gegenstand des an die Befundaufnahme anschließenden Gutachtens ist die Frage, ob die am Wohnhaus ON 19 entstandenen Schäden mittlerweile saniert sind und ob diese durch Setzungserscheinungen im Zuge und nach der Bauführung auf dem Nachbargrundstück ON 17 verursacht wurden. Auf Seite 7 des Gutachtens wird als Teil des Befunds lapidar und ohne Bezugnahme auf eine Ordnungsnummer ausgeführt, dass eine Gebäudetrennfuge zwischen den beiden Wohnhäusern nicht ausgeführt wurde. Im Zuge der Befundaufnahme sind laut dem Gutachten 9 Lichtbilddokumente angefertigt worden, die nicht Bestandteil des Behördenakts sind.

Mit Schreiben vom 29.10.2018 beraumte die belangte Behörde an der Adresse ON 17 eine mündliche Verhandlung in Verbindung mit einem Ortsaugenschein an. Im Zuge dieses Ortsaugenscheins wurde vom Werkmeister eine starke Lärmentwicklung durch Aufstampfen am Fußboden sowie das stärkere Schließen von Türen festgestellt. Diese Lärmentwicklung sei im Wohnhaus ON 19 hörbar.

Die Behörde räumte der Beschwerdeführerin, die Eigentümerin der Liegenschaft ON 17 ist, diesbezüglich Parteiengehör ein und erließ in der Folge am 27.3.2019 den Bescheid mit der Zahl MA37/...-2018-1, in welchem der Beschwerdeführerin der Auftrag erteilt wurde, über das vermutete Baugebrechen hinsichtlich der akustischen Lärmentwicklung „durch vermutlich einer fehlenden Trennfuge zwischen den beiden Gebäuden C.-gasse ON 17 und C.-gasse ON 19“ gemäß § 129 Abs. 5 Wr. BauO den Befund eines Sachverständigen vorzulegen.

Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, welches mit Erkenntnis vom 26.09.2019, GZ VGW-211/005/RP23/5817/019-2, der Beschwerde stattgab und den angefochtenen Bescheid behob. Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien im Wesentlichen aus, dass es sich bei einer fehlenden Gebäudetrennfuge, zumal diese bereits im Gutachten aus 1999 dokumentiert sei, um eine Vorschriftswidrigkeit nach § 129 Abs. 10 Wr. BauO, nicht aber um ein Baugebrechen im Sinne des § 129 Abs. 4 Wr. BauO handle.

In weiterer Folge erteilte die belangte Behörde ohne weiteres Ermittlungsverfahren der Beschwerdeführerin gemäß § 129 Abs. 10 und 11 Wr. BauO den Bauauftrag, die fehlende Dehnfuge fachgerecht herstellen zu lassen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, das Verwaltungsgericht Wien habe in seinem Erkenntnis festgestellt, dass es sich bei der Lärmentwicklung nicht um ein Baugebrechen iSd § 129 Abs. 4 Wr. BauO, sondern um einen vorschriftswidrigen Zustand (§ 129 Abs. 10 Wr. BauO) der fehlenden Dehnfuge zwischen den beiden Gebäuden handle.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde, in welcher sie die Frage aufwirft, ob nach der Rechtslage im Genehmigungszeitpunkt des Wohnhauses Ordnungsnummer 17 eine Gebäudetrennfuge zwingend anzubringen gewesen sei. Mit Schreiben vom 19.11.2020 forderte das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerdeführerin auf, bekanntzugeben, ob sie weiterhin – wie im Verfahren zum Bescheid vom 27.3.2019, Zl. MA37/...-2018-1 - auf dem Standpunkt stehe, das Fehlen einer Dehnfuge sei nicht erwiesen. Die Beschwerdeführerin beantwortete dieses Schreiben fristgereicht bejahend.

2.   Feststellungen

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der Liegenschaft ON 17.

Es kann nicht festgestellt werden, dass keine Gebäudetrennfuge vorhanden ist.

Die belangte Behörde hat zwar eigene Ermittlungen über die Lärmentwicklung zwischen der C.-gasse ON 17 und ON 19 durchgeführt, nicht jedoch über die Ursache dieser Lärmentwicklung. Auch ein von der Beschwerdeführerin beauftragtes Gutachten (§ 129 Abs. 10 vorletzter und letzter Satz Wr. BauO) darüber, ob die vermutete Abweichung (Fehlen einer Gebäudetrennfuge) vorliegt oder nicht, liegt nicht vor.

3.   Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 129 Abs. 4 Wr. BauO hat die Behörde nötigenfalls die Behebung von Baugebrechen unter Gewährung einer angemessenen Frist anzuordnen. Lässt der Zustand eines Bauwerkes das Vorliegen eines Baugebrechens vermuten, hat der Eigentümer den Befund eines Sachverständigen einzuholen. Lassen sich Art und Umfang eines vermuteten Baugebrechens nicht durch bloßen Augenschein feststellen, ist er über Auftrag der Behörde verpflichtet, über das Vorliegen des vermuteten Baugebrechens und gegebenenfalls über dessen Art und Umfang den Befund eines Sachverständigen vorzulegen (§ 129 Abs. 4 Wr. BauO).

Gemäß 129 Abs. 10 Wr. BauO ist jede Abweichung von den Bauvorschriften zu beheben. Gegebenenfalls kann die Behörde diesbezügliche Aufträge erteilen, die an den Eigentümer des Bauwerks zu richten sind. Lassen sich Art und Umfang von vermuteten Abweichungen von den Bauvorschriften nicht durch bloßen Augenschein feststellen, ist der Eigentümer eines Bauwerks verpflichtet, über das Vorliegen der vermuteten Abweichungen und gegebenenfalls über deren Art und Umfang den Befund eines Sachverständigen vorzulegen (leg. cit.).

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Während die belangte Behörde im ersten angefochtenen Bescheid noch davon ausging, dass das Fehlen einer Dehnfuge bloß vermutet werden kann, jedoch nicht feststeht, weshalb der Beschwerdeführerin mit dem ersten angefochtenen Bescheid aufgetragen wurde, ein diesbezügliches Gutachten erstellen zu lassen, legte die belangte Behörde dem beschwerdegegenständlichen Bescheid zu Grunde, dass feststehe, dass eine Dehnfuge nicht vorhanden ist. Ein Ermittlungsverfahren wurde zwischenzeitlich nicht durchgeführt; auch hat die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich kein diesbezügliches Gutachten im Sinne des § 129 Abs. 10 letzter und vorletzter Satz Wr. BauO erstellen lassen. Die Begründung des angefochtenen Bescheids lässt darauf schließen, dass die belangte Behörde sich (auch) in Bezug auf das Festsehen des Fehlens einer Gebäudetrennfuge an das vorangegangene Erkenntnis des VGW vom 26.09.2019, GZ VGW-211/005/RP23/5817/019-2, gebunden erachtete.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien ist zwar zutreffend, dass verwaltungsgerichtliche Erkenntnisse für die Behörde im fortgesetzten Behördenverfahren Bindungswirkung entfalten (VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0185). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf Strafurteile entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung jedoch nur hinsichtlich jener Feststellungen, auf denen der Schuldspruch beruht (VwGH 29.03.2017, Ra 2016/15/0023). Dies gilt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien auch für Erkenntnisse eines Verwaltungsgerichts in Administrativsachen. Der Spruch des Erkenntnisses des VGW vom 26.09.2019, GZ VGW-211/005/RP23/5817/019-2, beruht jedoch auf der Rechtsfrage, dass das Fehlen einer Dehnfuge nicht als Baugebrechen im Sinne des § 129 Abs. 4 Wr. BauO, sondern als Vorschriftswidrigkeit im Sinne des § 129 Abs. 10 Wr. BauO zu qualifizieren ist. Das Verwaltungsgericht Wien wäre in dem genannten Erkenntnis somit auch dann zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zu beheben ist, wenn das Fehlen einer Dehnfuge nicht feststeht.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien besteht daher keinerlei Bindungswirkung des Erkenntnisses des VGW vom 26.09.2019, GZ VGW-211/005/RP23/5817/019-2 dahingehend, dass eine Dehnfuge fehlt. Es kann daher ohne weitere Ermittlungen nicht vom Fehlen einer Dehnfuge und somit einer Vorschriftswidrigkeit ausgegangen werden. Allein auf Grundlage des einen anderen Untersuchungsgegenstand betreffenden Gutachtens dem Jahr 1999 (zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Verwertung eines Gutachtens aus einem anderen Verfahren als Beweismittel im Sinne des § 46 AVG siehe VwGH 13.9.1989, 89/18/0075), dessen Lichtbilder im Übrigen nicht Bestandteil des Behördenaktes sind, kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien nicht vom Fehlen einer Dehnfuge ausgegangen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Von einer mündlichen Verhandlung konnte im Sinne des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG (ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids) abgesehen werden.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Baupolizeilicher Auftrag; Baugebrechen; Gutachten; Ermittlungsverfahren; Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.112.024.1066.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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