TE Vwgh Beschluss 2021/2/11 Ra 2021/20/0026

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Veröffentlicht am 11.02.2021
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Index

E3L E19103000
E3L E19103010
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs1
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/20/0027
Ra 2021/20/0028
Ra 2021/20/0029

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Revisionssache von 1. M A, 2. M M, 3. S M, und 4. S M, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2019, 1. W156 2209281-1/11E, 2. W156 2209284-1/12E, 3. W156 2209287-1/11E und 4. W156 2209291-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die aus Afghanistan stammenden revisionswerbenden Parteien, ein Ehepaar sowie dessen zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige Söhne, stellten am 29. Jänner 2016 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit den Bescheiden je vom 4. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen (in einem gemeinsamen Schriftsatz) erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 24. November 2020, E 52-55/2020-10, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe den revisionswerbenden Parteien im Hinblick auf die „westliche Orientierung“ der Erstrevisionswerberin den Status von Asylberechtigten zu Unrecht nicht zuerkannt.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs führt nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. etwa VwGH 20.4.2020, Ra 2020/20/0110 bis 0113, mwN).

10       Der Verwaltungsgerichtshof ist - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.9.2020, Ra 2020/20/0336, mwN).

11       Dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach eine „westliche Orientierung“ der Erstrevisionswerberin nicht vorliege, auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung beruhte oder mit der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht in Einklang stünde, zeigt die Revision nicht auf.

12       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbenden Parteien günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0384, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarstellung lässt die Revision vermissen.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung weiters dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239, mwN).

14       Den Richtlinien des UNHCR ist besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“). Die Verpflichtung zur Beachtung der von UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht (vgl. dazu VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Die Asylbehörden sind jedoch nicht an entsprechende Empfehlungen von UNHCR und EASO gebunden (vgl. VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0457, mwN).

15       Wenn sich die revisionswerbenden Parteien gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den afghanischen Städten Mazar-e Sharif und Herat wenden und darauf verweisen, dass nach den „UNHCR-Richtlinien“ und den „EASO-Guidelines“ eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan lediglich alleinstehenden, gesunden und arbeitsfähigen Männern, nicht aber Familien „mit Frau und Kindern“ offenstehe, wird eine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt. Zum einen trifft die in der Revision aufgestellte Behauptung in dieser Allgemeinheit nicht zu. Zum anderen ist der Zulässigkeitsbegründung nicht zu entnehmen, welchen konkreten Aspekten das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht ausreichend Beachtung geschenkt hätte.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200026.L00

Im RIS seit

16.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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