TE Vwgh Beschluss 2021/2/11 Ra 2020/08/0103

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Veröffentlicht am 11.02.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977
AlVG 1977 §25 Abs1
AlVG 1977 §25 Abs3
B-VG Art18 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., in der Revisionssache des Dr. D B in W, vertreten durch Mag. Gerhard Walzl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2020, Zl. W198 2226202-1/3E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Dresdner Straße), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheids bzw. der Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht (im Folgenden: AMS) ausgesprochen, dass die Notstandshilfe des Revisionswerbers für den Zeitraum vom 1. Jänner bis 31. Dezember 2016 gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und der Revisionswerber zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe von € 12.634,32 gemäß § 25 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG verpflichtet werde. Der Revisionswerber habe in seinen Anträgen auf Zuerkennung von Notstandshilfe die Frage, ob er eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe, verneint. Erst am 15. Mai 2018 habe er dem AMS mitgeteilt, dass er seit 1. April 2006 eine selbständige Tätigkeit als Laborant ausübe. Nach einer Vorsprache beim AMS vom 13. Juni 2018 sei er auf eigenen Wunsch vom AMS abgemeldet worden. Auf einer bei dieser Gelegenheit ausgestellten Bezugsbescheinigung finde sich der Vermerk:

„Abgemeldet ab 14.06.2018 auf Wunsch des [Revisionswerbers]. Ab 14.06.2018 gibt es für den [Revisionswerber] dem AMS gegenüber keine Verpflichtungen mehr. Somit wird die Zusammenarbeit mit dem AMS ewig ruhen.“

5        Laut rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid vom 6. Juni 2019 für das Jahr 2016 habe der Revisionswerber Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von € 18.632,76 erzielt. Sein Einkommen betrage (nach Abzug des Pauschbetrages für Sonderausgaben) € 18.572,76, womit das monatliche Einkommen in Höhe von € 1.547,73 die damalige monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreite. Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs. 1 AlVG habe nicht vorgelegen. Die Notstandshilfe sei nicht zugestanden. In Anbetracht der unwahren Angaben und des Einkommensteuerbescheides seien die Rückforderungstatbestände des § 25 Abs. 1 Satz 1 und 3 AlVG erfüllt. Verjährung sei in Anbetracht der Nichtvorlage der erforderlichen Nachweise innerhalb der dreijährigen Frist nicht eingetreten. Das öffentliche Recht kenne keine (der Rückforderung entgegenstehende) Vereinbarung des „ewigen Ruhens“.

6        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, er habe mit dem AMS am 13. Juni 2018 eine „Gesamtbereinigung“ vereinbart. Die Ruhensvereinbarung stelle einen wechselseitigen Verzicht auf eine Verfahrensfortsetzung dar, womit auch eine „nicht förmliche Wiederaufnahme nach § 24 oder § 25 AlVG“ ausgeschlossen sei. Zur Frage der Zulässigkeit einer Gesamtbereinigung mit dem AMS fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

7        Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass es - auf dem Boden des Rechtsstaatsprinzips (Art. 18 Abs. 1 B-VG) - im AlVG keine Rechtsnorm gibt, mit welcher der Gesetzgeber es dem AMS freigestellt hätte, in Einzelvereinbarungen mit Versicherten zu deren Vorteil, aber auch zum Nachteil der übrigen Versicherten und der Allgemeinheit mit rechtlich verbindlicher Wirkung auf gesetzliche Ansprüche zu verzichten oder darüber - etwa durch im Vorhinein gegebene Zusagen - zu disponieren (vgl. idS - zum ASVG - VwGH 17.10.2012, 2012/08/0200, mwN).

8        Ergänzend wird festgehalten, dass bei Verwirklichung der Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG der Empfänger der Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten „ist“. Demgegenüber sieht § 25 Abs. 3 AlVG vor, dass eine dritte Person - bei Vorliegen definierter Voraussetzungen - zum Ersatz verpflichtet werden „kann“. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Wortwahl innerhalb ein- und desselben Paragraphen verschiedene Regelungsinhalte zum Ausdruck bringen wollte (vgl. VwGH 8.7.2013, 2011/08/0170, mwN). Daraus erschließt sich, dass nach § 25 Abs. 1 AlVG die Heranziehung des Leistungsbeziehers zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen - anders als nach § 25 Abs. 3 AlVG - nicht im Ermessen des AMS steht (vgl. VwGH 23.4.2003, 2000/08/0153).

9        In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. Februar 2021

Schlagworte

Ermessen VwRallg8 Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020080103.L00

Im RIS seit

27.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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