TE Lvwg Erkenntnis 2021/2/3 VGW-151/081/13213/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2021
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Entscheidungsdatum

03.02.2021

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

NAG §11 Abs2 Z1
NAG §11 Abs4
NAG §21a
NAG §47 Abs3 Z3
StGB §73
StGB §75

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr. Szep über die Beschwerde des Herrn A. B., geb.: 1956, StA: Türkei, C., …, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 08.09.2020, Zahl …, mit welchem der Antrag vom 25.07.2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 2 - NAG (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) idgF iVm § 47 Abs. 3 FRG, § 8 Abs. 3 Z 2 iVm § 10 Abs. 2 Z 3 FrG, § 21a Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG idgF und § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG idgF abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

II. Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz - B-VG an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

                                                                 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. September 2020, Zahl …, wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 25. Juli 2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger“ abgewiesen.

Begründend führte die Behörde zusammengefasst sinngemäß aus, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger seiner Tochter, Frau D. B., nach Österreich kommen möchte. Besondere Erteilungsvoraussetzung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung-Angehöriger“ sei, dass der Fremde bereits im Herkunftsland vom Zusammenführenden Unterhalt bezogen hat. Bis dato wäre jedoch der Nachweis der finanziellen Unterstützung bzw. des Abhängigkeitsverhältnisses nicht erbracht worden. Des Weiteren habe der Rechtsmittelwerber bislang keinen Nachweis über Kenntnisse der deutschen Sprache auf Niveau A1 erbracht und auch keinen Zusatzantrag gemäß § 21a NAG eingebracht. Letztlich habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass der Beschwerdeführer … 1976 gemeinsam mit einem Verwandten in Berlin einen „Ehrenmord“ begangen habe. Danach habe sich der Rechtsmittelwerber an unterschiedlichen Orten bis zu seiner Verhaftung am 5. November 1996 versteckt gehalten, um die Verjährung der Straftat abzuwarten. In den Jahren seiner Flucht habe er unter falscher Identität gelebt und bei seinem Aufgriff durch die Polizei in Istanbul im November 1996 einen gefälschten Ausweis benutzt. Auf Grund der Art und Schwere der begangenen Straftat und unter Berücksichtigung aller Umstände könne eine Gefährdung von öffentlichen Interessen als gegeben angenommen werden. Daraus ergebe sich, dass der Aufenthalt des Einschreiters öffentlichen Interessen widerstreitet.

In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen Nachstehendes aus:

„Der angefochtene Bescheid wird seinem gesamten Inhalt und Umfang nach angefochten und die Beschwerde wie folgt ausgeführt:

I.         Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (in Folge als „Bf" bezeichnet) ist türkischer Staatsbürger, 1956 geboren. Seine Ehegattin sowie die gemeinsame Tochter leben beide seit Jahrzehnten in Wien, die Tochter ist österreichische Staatsbürgerin und als Filialleiterin erwerbstätig und die Ehegattin zum Daueraufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und nunmehr pensioniert.

Der Bf wurde wegen eines 1976 - also 44 Jahre vor Antragsstellung - als Jugendstraftat begangenen Mordes von einem türkischen Strafgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Verbüßung einer achtjährigen Strafhaft wurde der Bf wegen guter Führung und in Ermangelung einer von ihm ausgehenden Gefahr frühzeitig entlassen.

Am 25.7.2019 stellte der Bf einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Angehöriger" nach dem § 47 NAG. Mitte Juli 2020 verständigte die belangte Behörde den Bf vom Ergebnis der Beweisaufnahme und teilte - unter der Verkennung der Rechtslage - mit, dass der Antrag entsprechend dem bisher ermittelten Sachverhalt nicht positiv erledigt werden kann. Der Bf replizierte mit Stellungnahme vom 2.9.2020. Die belangte Behörde hat daraufhin am 9.9.2020 den Antrag des Bf bescheidmäßig abgewiesen ohne sich inhaltlich mit dem Vorbringen aus der Stellungnahme auseinanderzusetzen.

Die Beschwerde richtet sich gegen zuvor genannten Bescheid.

II.       Beschwerdegründe

Der gegenständliche Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten.

III.      Rechtswidrigkeit des Inhalts

Der Inhalt des angefochtenen Bescheids steht aus folgenden Gründen im Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen:

Die belangte Behörde begründet die bescheidmäßig erlassene Abweisung des Antrags des Bf wie folgt:

-   Der Bf sei kein Angehöriger von Österreicher/EWR-Bürger/Schweizer Bürger;

-   Der erforderliche Nachweis von Kenntnissen der deutschen Sprache auf Niveau Al des europäischen Referenzrahmens wurde nicht erbracht;

-   Der Aufenthalt des Bf zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen könnte und öffentlichen Interessen widerstreitet.

Einleitend wird festgehalten, dass die Behörde hierdurch die anzuwendenden Rechtsgrundsätze offenbar missachtet.

Der Bf ist türkischer Staatsbürger. Für Familienzusammenführungen bei denen der Zusammenführende österreichischer Staatsbürger und der Nachziehende türkischer Staatsbürger ist, ist zu beachten, dass nicht zwangsläufig die Regelungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Anwendung kommen. Seit der Entscheidung des EuGH 15.11.2011, C-256/11, Dereci wurde klargestellt, dass türkische Staatsangehörige aufgrund des Assoziierungsabkommen EWG-Türkei und der darauf aufbauenden Rechtsquellen (Assoziationsbeschlüsse) im Ergebnis in diversen Fallkonstellationen - wie dem hier gegenständlichen - anders als die übrigen Drittstaatsangehörigen behandelt werden müssen.

In Österreich trat das Assoziierungsabkommen samt seinen Zusatzprotokollen und Beschlüssen mit 1.1.1995 in Kraft als Österreich Teil der Europäischen Union wurde. Art 41 Abs 1 des ZP vom 23.11.1970 sowie in Art 13 des Beschlusses des Assoziierungsrates Nr 1/80 vom 19.9.1980, enthalten sogenannte „Stillhalteklauseln". Diese Stillhalteklauseln haben den Zweck, den Rechtszustand, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Assoziierungsabkommens gültig war, beizubehalten bzw nicht zu verschlechtern

Es sind daher im Falle, dass im Hinblick auf die Stillhalteklauseln einer Verschlechterung durch das NAG eingetreten ist, jene Bestimmungen der FrG 1997 maßgeblich, sofern diese günstiger als die derzeit geltende Rechtslage waren (VwGH 23.5.2012, 2011/22/0216 mwN). Jedenfalls ist die Behörde bei Familienzusammenführungssachverhalten von türkischen Staatsbürgern zu österreichischen Zusammenführenden verpflichtet zu prüfen inwiefern dem Antragssteller (als türkischer Staatsangehöriger) die Stillhalteklauseln zugutekommen (VwGH 13.11.2012, 2010/22/0080).

Der Bf hat als nachziehender Angehöriger die Absicht in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und hat diesbezüglich eine ganz spezifische Arbeitsstelle in Aussicht samt Vorvertrag. Es handelt sich hierbei um einen aktenkundigen Umstand, welcher in vorangegangen Verfahren bereits bestanden hat und gegenwärtig weiterhin besteht. Zum Beweis hierzu wird eine entsprechende Bestätigung beigelegt.

Insofern verläuft sich auch die Argumentation der belangten Behörde ins Leere, „es muss daher davon ausgegangen werden, dass Sie [Anm: der Bf] Ihre Angaben bezüglich Erwerbsabsicht lediglich änderten um in den Genuss der erleichterten Zuwanderungsbestimmungen, welche das Assoziationsabkommen mit sich bringt, zu kommen.". Diesbezüglich ist bereits unklar von welchem Antrag vom 28.9.2019 die Rede sein sollen, ferner gab der Bf auch nicht an keine Erwerbsabsicht in Österreich zu haben. Die Argumentation der belangten Behörde ist für sich genommen jedoch bereits fehlgeleitet. Es steht jedem türkischen Staatsbürger nämlich frei eine Erwerbsabsicht im Bundesgebiet zu begründen um in den Genuss der erleichterten Zuwanderungsbestimmungen zu gelangen. Genau deswegen besteht das Assoziationsabkommen. Der Bf hat aber ohnehin seine Absicht nicht geändert, sondern wollte er von Anfang einer ganz spezifischen Tätigkeit nachgehen. Dieser Umstand ist der Behörde seit Jahren bekannt (!).

Auch verläuft die Argumentation der Behörde „Hinzu kommt, dass der von Ihnen beantragte Aufenthaltszweck „Angehöriger" keinen Zugang zum Arbeitsmarkt beinhaltet" ins Leere. Vorranginge Voraussetzung der Anwendbarkeit des Assoziationsabkommen ist lediglich die Absicht einer Erwerbstätigkeit des nachziehenden Angehörigen in Österreich. Auch wenn die „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, ist doch gerade im § 47 Abs 4 NAG der Zugang zum Arbeitsmarkt für diejenigen Angehörigen geregelt, welche bereits eine „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" besitzen. Die Stillhalteklauseln kommen daher gegenständlich dem Bf sehr wohl zu Gute.

Demnach gelangen unter anderem einige der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen wie Deutschkenntnisse bei Erstantragsstellung, ausreichende Unterhaltsmittel, Krankenversicherung, ortsübliche Unterkunft nicht zur Anwendung.

Zur Angehörigeneigenschaft

Einleitend wird festgehalten, dass aufgrund der Anwendbarkeit der Stillhalteklauseln die Erteilungsvoraussetzung ausreichender Unterhaltsmittel nicht zur Anwendung gelangt.

Ferner ergibt sich bereits aus der Begründung der belangten Behörde, dass eine falsche rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Angehörigeneigenschaft vorgenommen wurde und der erlassene Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet ist. Die belangte Behörde gelangt zur rechtsirrigen Ansicht „Anzumerken ist weiters, dass Ihre Ehegattin und nicht Ihre Tochter für Sie unterhaltspflichtig ist“. Abstruser erscheint diese rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, da im angefochtenen Bescheid die klarstellende Rechtsprechung des VwGH zitiert wird, nämlich dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 47 Abs 3 beabsichtigt hat, nur jenen Angehörigen die Möglichkeit des Familiennachzuges einzuräumen bei denen ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Zusammenführenden und Nachziehenden gegeben ist. Genau ein solches Verhältnis ist gegenständlich gegeben, da der Bf auf die finanziellen Unterstützungen durch seine zusammenführende Tochter angewiesen ist.

Der Bf ist im Verhältnis zur zusammenführenden Tochter ein Verwandter in gerader aufsteigender Linie iSd § 47 Abs 3 Z 1 NAG. Insofern verbleibt es völlig im Dunkeln weshalb die belangte Behörde in Ihrer Begründung auf

-     den Umstand der häuslichen Gemeinschaft iSd § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG;

-     Unterhalt beziehende Angehörige iSd § 47 Abs 3 Z 3 NAG; sowie

-     auf die Unterhaltsgewährung an Verwandte absteigender Linie iSd 47 Abs 3 FrG

Bezug nimmt. Somit handelt es sich letztendlich um ein Gemenge von gegenständlich nicht relevanter Rechtsprechung des VwGH welches die gebotene rechtlichen Subsumption nicht zu ersetzen vermag.

Bei rechtsrichtiger Anwendung der gegenständlich relevanten Bestimmungen, hätte die belangte Behörde - wie bereits in der Stellungnahme des Bf vom 2.9.2020 vorgebracht - berücksichtigen müssen, dass die Tochter des Bf, Frau D. B., geb 1978, wohnhaft in E.-straße, Wien, diesen unmittelbar vor Antragstellung (als auch zuvor) finanziell unterstützt(e). Diese Leistungen sollten und sind ausschließlich dem Bf zugutegekommen. Der Bf ist aufgrund seiner finanziellen Situation auf diese regelmäßigen Zahlungen angewiesen und stellen diese einen maßgeblichen Beitrag zur Bestreitung seines Unterhaltes dar. Der Bf war und ist somit bis zuletzt auf Unterhaltsleistungen der zusammenführenden Tochter angewiesen. Die finanziellen Unterstützungsleistungen erfolgten durch regelmäßige Geldübergaben im Herkunftsland im Rahmen von Besuchen durch die Tochter/Ehegattin, als auch durch den Schwager des Bf, F. G. welcher dem Bf im Namen der Tochter die Geldbeträge übergab. Als Beweis hierzu werden entsprechende Bestätigungen beigelegt Es handelt sich hierbei um einen durchschnittlichen Jahresbetrag von EUR 4.000,00.

Der Bf ist somit Angehöriger iSd § 47 Abs 3 NAG der zusammenführenden Tochter.

Ferner hervorgehoben wird, dass eine Beweismittelbeschränkung auf urkundliche Vorlage von Zahlungs- oder Kontobelegen im Zusammenhang mit dem Bezug von Unterhalt dem Gesetz nicht zu entnommen werden kann (Hinweis E 24. Juni 2010, 2008/21/0051 und 0052). Grundsätzlich können alle im Verwaltungsverfahren in Betracht kommende Beweismittel verwertet werden (VwGH 17.11.2015, Ro 2015/22/0005).

Zum Nachweis der Deutschkenntnisse

Entsprechend den einleitenden Ausführungen zur gegenständlichen Anwendbarkeit der Stillhalteklauseln bedarf der Bf keines Sprachzertifikats.

Zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung

Die belangte Behörde hat die Erwägungen aus der Stellungnahme des Bf im Hinblick auf die nicht weiter fortbestehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Bf nicht berücksichtigt, sondern diese schlichtweg ohne weitere Erörterung lediglich wiedergegeben.

Ferner begnügt sich die belangte Behörde mit der Paraphrasierung von Gesetzestexten und der Bezugnahme auf vorangegangene aufenthaltsrechtliche Verfahren ohne die gebotene rechtliche Abwägung vorzunehmen. Die Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist einzelfallbezogen in Form einer Prognose ausgehend vom Gesamtverhalten für jede Person eigenständig zu prüfen ist. Ferner ist gegenständlich insbesondere auf die seit Begehung der Straftat verstrichene Zeit Bedacht zu nehmen. Seit den vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind zwischenzeitig mehrere Jahre vergangen, insofern wurde seitens der Behörde hinsichtlich der Frage der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, durch den bloßen Verweis auf ein Jahre zurückliegendes Erkenntnis, gerade eben dieser Faktor offenkundig nicht berücksichtigt. Insofern vernachlässigt die belangte Behörde auch die Ansicht des VwGH in seinem zuvor ergangenen Erkenntnis, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des gegenständlichen Falles nicht ausgeschlossen werden kann, dass nach einem derart langen Zeitablauf nunmehr eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Bf verneint werden kann.

Des Weiteren entspricht es schlichtweg nicht der wahren Sachlage, es sei Ansicht des Bf, dass „auch aktuell die Aufrechterhaltung der Ehre eine Mordtat rechtfertigen könne und dass das Thema der Blutrache außerhalb der Türkei etwas „problematisch" sei, weil Außenstehende die Gepflogenheiten und Mentalität seiner Heimat nicht verstehen würden.“

Der Bf wollte zum Ausdruck bringen, dass er zum Zeitpunkt der Tatbegehung als 19-Jähriger in Ermangelung seiner damaligen altersbedingten Einsichtsfähigkeit von gewissen „Gepflogenheiten" und einer gewissen „Mentalität" mitbeeinflusst war, welche hierzulande als „problematisch" erachtet werden. Keinesfalls diente dies der Rechtfertigung oder gar Bereitschaft eine derartige (oder sonstige) Straftat zu verüben. Auch sollte hierdurch keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, dass der Bf die Verübung von Straftaten für gerechtfertigt hält, weder die von ihm begangene Straftat noch eine sonstige. Der Bf ist 1956 geboren und gegenwärtig 63 Jahre alt. Die Straftat wurde 1976 begangen, zu diesem Zeitpunkt war der Bf 19 Jahre alt. Viel eher entspricht es der Wahrheit, dass der Bf den Versuch unternommen hat zu erläutern, welche Beweggründe zur damaligen Zeit ursächlich waren. Keinesfalls sollte daraus der Rückschluss gezogen werden, dass der Bf gegenwärtig - sprich nach 44 Jahren - als 63-jähriger Mensch weiterhin von der gleichen Gesinnung geprägt ist wie damals als 19-Jähriger. Dies liegt insbesondere auch daran, dass sich der Bf intensiv mit den Folgen der Tat auseinandergesetzt hat und diese zutiefst bereut. Eine derartige Auseinandersetzung setzt eben auch eine Analyse voraus aus welchem Grund der Bf gewisse Fehler begangen hat. Genau dies sollte zum Ausdruck gebracht werden.

Ferner reiste der Bf im Jahre 2016 im Hinblick auf seine Einvernahme nach Österreich ein. Er wurde bei der Einreise - aufgrund eines zwischenzeitig inhaltlich längst obsoleten Haftbefehls - verhaftet. Seitens der Staatsanwaltschaft Berlin wurde im April 2017 auch bestätigt, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Bf eingestellt worden ist. Der Bf war somit unberechtigter Weise in Haft. Hinzu kommt, dass die vom Bf im Rahmen der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben von Kommunikationsschwierigkeiten mit dem gerichtlich bestellten Dolmetscher begleitet waren.

Ferner befanden sich am Tag der mündlichen Verhandlung überraschenderweise Medienvertreter vor und im Verhandlungssaal, welche durch ihre ungehaltene und penetrante Art den Bf einschüchterten und ihn unter Druck setzten.

Zur mündlichen Verhandlung war überdies ein Dolmetscher für die türkische Sprache geladen, welcher - in nachvollziehbarer Weise - in einem Hochtürkisch mit dem Bf kommunizierte. Der Bf ist jedoch der türkischen Sprachen in ihrer literarischen Hochform nicht insofern mächtig als dass er sich präzise ausdrücken könnte, da er im ländlichen Gebiet aufgewachsen ist und dementsprechend einen eigenen Dialekt spricht.

In Zusammenschau all dieser Faktoren, nämlich dass der Bf schon anlässlich seiner Einreise in das Bundesgebiet zur Einvernahme ungerechtfertigter Weise behördlich angehalten worden ist, dass er weder den Dolmetscher noch der Dolmetscher ihn aufgrund von verschiedenen sprachlichen Dialekten gänzlich verstanden hat und sich daraus Kommunikationsschwierigkeiten ergaben, einer Präsenz von rücksichtslosen Medienvertretern im Verhandlungssaal, welche den Bf ferner unter Druck setzte, einer arteriellen Hypertonie des Bfs sowie dem Umstand dass es um die Regelung einer Frage von immanenter Bedeutung, nämlich das zukünftige Familienleben ging, erscheint es geradezu nachvollziehbar, dass es im Rahmen der Verhandlung aufgrund dieser Faktoren zu Missverständnissen gekommen ist.

Faktum ist, dass der Bf keinesfalls einen „Ehrenmord" für gerechtfertigt hält und sich sehr wohl mit den Folgen seiner Tat hinreichend auseinandergesetzt hat. Dies trifft auf den jetzigen als auch auf den Zeitpunkt der vorangegangenen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien zu.

Gegenständlich ist somit, wie bereits vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.11.2015 zu Zl. Ra 2015/22/0087, ausgeführt zu berücksichtigen, dass die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Versagung eines Aufenthaltstitel im Einzelfall zu beurteilen ist. Die Prüfung ist fallbezogen in Form einer Gefährdungsprognose ausgehend vom Gesamtverhalten des Fremden vorzunehmen. Insbesondere ist hierbei - auch hier wie vom Verwaltungsgerichtshof ausgeführt - zu beachten, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des gegenständlichen Falles nicht ausgeschlossen werden kann, dass nach einem derart langen Zeitablauf nunmehr eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Bf verneint werden kann.

Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Die Ansicht, dass bei Vorliegen des Versagungsgrundes des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG 2005 dem öffentlichen Interesse jedenfalls ein so großes Gewicht zukommt, dass die Abwägung unabhängig vom Gewicht des persönlichen Interesses des Fremden immer zu dessen Lasten ausgehen muss, wird vom VwGH nicht geteilt, würde doch im Fall des Fehlens einer Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 NAG 2005 die vom Gesetzgeber nach § 11 Abs. 3 NAG 2005 für alle Fälle des Abs. 2 getroffene Anordnung einer Abwägung ins Leere gehen (vgl. E 25. Februar 2010, 2007/21/0153).

Ferner kommt der Bindung eines Fremden an einer österreichischen Tochter und einer im Inland zum Daueraufenthalt berechtigten Ehegattin im Rahmen der Abwägung nach Art 8 EMRK große Bedeutung zu (Erkenntnisse vom 9. November 2010, 2009/21/0031, und vom 21. Februar 2012, 2011/23/0275).

-   Zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

Gemäß § 11 Abs 3 NAG sind die zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art 8 EMRK zu beachten. Art 8 EMRK verbietet nach der stRspr des EGMR nicht nur ungerechtfertigte Eingriffe in das Privat- und Familienleben durch eine Ausweisung, sondern enthält auch positive Verpflichtungen zur Gestattung der Einreise und des Aufenthalts. Aus Art 8 EMRK kann selbst ein Anspruch auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung abgeleitet werden. Dies ist insbesondere der Fall - wie hier gegenständlich - wenn bereits länger aufenthaltsberechtigte Familienmitglieder ihre im Herkunftsland verbliebenen Angehörigen nachholen wollen (EGMR 8.11.2016, 56971/10, El Ghatet/CH; mwN).

Ob im konkreten Fall die Erteilung eines Aufenthaltstitels durch Art 8 EMRK geboten ist, ergibt sich aus einer Abwägung der für die Versagung sprechenden öffentlichen Interessen gegen die Interessen des Antragstellers an einem Aufenthalt in Österreich. Es bedarf hier im Sinne der stRSpr des EGMR jedenfalls eines gerechten Ausgleichs zwischen den öffentlichen Interessen und den Individualinteressen des Antragstellers.

Hervorgehoben wird, dass die belangte Behörde mit keinem Wort auf die zwingend gebotene Abwägung eingeht.

Eine Versagung des Aufenthaltstitels würde gegenständlich einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens begründen, womit anders als der Wortlaut der „Kann-Bestimmung" es zu suggerieren vermag, in Ermangelung eines Raums für ein Ermessen der Behörde, gegenständlich ein Aufenthaltstitel erteilt werden muss.

Daher hat die Behörde selbst bei der Annahme des Fehlens einer Erteilungsvoraussetzung gegenständlich einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind nicht nur die Interessen des Antragstellers, sondern auch die Interessen der übrigen Familienmitglieder auf Achtung des Familienlebens zu beachten. Der Antragsteller hat seine gesamte Kernfamilie im Bundesgebiet. Seine Ehegattin ist türkische Staatsbürgerin, ging in Wien einer Beschäftigung nach und ist nunmehr pensioniert und ist zum Daueraufenthalt berechtigt. Die Tochter des Antragstellers geht ebenso einer Beschäftigung nach und ist zwischenzeitig österreichische Staatsbürgerin. Die aufrechte Ehe zwischen Mann und Frau ist stets geschütztes Familienleben. Dies gilt selbst dann, wenn die Ehegatten (noch) nicht Zusammenleben (VfGH 29.6.2013, U 2430/2011; VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0129). Ohnehin kann ein Familienleben nicht in Abrede gestellt werden, wenn - wie hier gegenständlich der Fall - das beabsichtigte Zusammenleben wegen einwanderungsrechtlichen Vorschriften nicht realisiert werden konnte. Auch endet die Familienbeziehung zwischen Eltern und Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit der Kinder. Insbesondere wohnen die Tochter und Ehegattin des Antragstellers zusammen in Wohngemeinschaft und unterstützen den Antragsteller finanziell als auch persönlich durch regelmäßige Besuche. Ebenso wie sich der Antragsteller nach einer Fortführung des Familienlebens mit seiner Ehegattin und seiner Tochter sehnt, trifft dies spiegelbildlich genauso jeweils auf die Tochter und die Ehegattin zu.

Hinsichtlich der gemäß § 11 Abs 3 Z 6 NAG mit zu berücksichtigender strafgerichtlicher Unbescholtenheit sind jedenfalls die gesamte Zeitspanne der strafbaren Aktivitäten, die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit sowie das Alter bei Tatbegehung zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der Zeitspanne der strafbaren Aktivität muss festgehalten werden, dass sich das strafbare Verhalten des Antragstellers in einer einmaligen und einzigen Deliktsbegehung manifestiert hat.

Hat eine junger Erwachsener nach Begehung einer schweren Jugendstraftat einen ordentlichen Lebenswandel an den Tag gelegt und sich um seine Resozialisierung bemüht, so müssen gravierende Gründe für die Annahme sprechen, er stelle weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar (EGMR 20.9.2011, 8000/08, A.A/GB). Ein bloßer Hinweis seitens der Behörde, dass ein Mord verübt worden ist und somit eine Abwägung jedenfalls zum Nachteil des Antragstellers gereichen muss, kann daher nicht ausreichend für die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels sein.

Ferner ist das Verhalten des Antragstellers seit seiner Verurteilung und Haftentlassung zu berücksichtigen, weil hieraus Rückschlüsse hinsichtlich der Prognose getroffen werden können, mit welcher Wahrscheinlichkeit die betroffene Person erneut straffällig werden wird. Der Antragsteller hat als 19-Jähriger eine Straftat begangen. Es sind nunmehr 44 Jahre vergangen (!). Darüber hinaus wurde der Antragsteller frühzeitig aus der Haft entlassen, dies unter Berücksichtigung general- und spezialpräventiver Erwägungen, insbesondere dass keine weitere Gefährdung durch den Antragsteller anzunehmen ist. Hieraus ergibt sich auch ein offenkundiger Wertungswiderspruch, wenn der Antragsteller in Ermangelung des Fortbestehens einer von ihm ausgehenden Gefährdung frühzeitig aus der Haft entlassen wird um in weiterer Folge eine solche Gefährdung ihm behördlicherseits beigemessen wird. Aufgrund der außerordentlichen und beträchtlichen bereits verstrichenen Zeitspanne ist die Berücksichtigung des Verhaltens des Antragstellers seit der Tatbegehung umso mehr geboten. Ferner kann gegenständlich schlichtweg nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei dem Antragsteller um 63-jährigen Menschen handelt, welcher bereits an körperlichen Gebrechen wie Hypertonie und sonstigen altersüblichen körperlichen Beschränkungen leidet. Für eine 44-jährige Nachwirkung einer Jugendstraftat besteht gegenständlich keinerlei Grundlage im Sinne des Bestehens gravierender Gründe für eine Versagung - wie dies vom EGMR in solchen Fällen als notwendig erachtet wird.

Zu bedenken ist überdies, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet zwingendermaßen ebenso die Achtung des Familienlebens der in Österreich lebenden Kernfamilie miteinhergeht.

Entsprechend der Evaluierung des Bundesministeriums für Europäische und internationale Angelegenheiten gilt gegenwärtig pandemiebedingt für die gesamte Türkei die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung). Vor Reisen in die Türkei wird aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt. Die zukünftige Entwicklung ist naheliegender Weise momentan nicht vorhersehbar. Insofern besteht auch für die Kernfamilie des Antragstellers gegenwärtig keinerlei sichere Möglichkeit den Antragsteller zu besuchen.

Aus sämtlichen oben dargestellten Gründen ergibt sich, dass der Aufenthalt des Bf im Bundesgebiet weder die öffentliche Ordnung noch Sicherheit gefährdet. Selbst wenn die Behörde zu einem solchen Ergebnis kommen würde, muss die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung mit der Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK zugunsten des Bf ausfallen.

Bei rechtsrichtiger Abwägung aller zuvor genannten Faktoren, insbesondere unter Berücksichtigung, dass seit Begehung der Straftat fast ein halbes Jahrhundert verstrichen ist und Jugendstraftaten grundsätzlich geringeres Gewicht beizumessen ist, hätte die belangte Behörde zum Ergebnis kommen müssen, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu bewilligen gewesen wäre.

IV.       Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften

Die belangte Behörde hat im Übrigen folgende Verfahrensvorschriften verletzt:

    -     Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts

Die belangte Behörde hat sich hinsichtlich der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts vordergründig auf mehrere Jahre zurückliegende verwaltungsrechtliche Verfahren gestützt und das Vorbringen des Bf hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts nicht hinreichend beachtet.

Insbesondere hinsichtlich der finanziellen Abhängigkeit des Bf von seiner Tochter stützt sich die belangte Behörde auf Angaben aus dem Jahre 2016. Abgesehen davon, dass die Feststellungen der Behörde nicht den gegenwärtigen Fakten entsprechen, hätte die belangte Behörde ohnehin den maßgeblichen Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung von Amts wegen feststellen müssen. Entsprechende aktuelle Angaben des Bf wurden jedoch dahingehend ignoriert und stattdessen schlichtweg der Sachverhalt aus Jahre zurück liegenden Verfahren herangezogen. Bei entsprechender Beachtung der Verfahrensvorschriften hätte die belangte Behörde zum Ergebnis gelangen müssen, dass zwischen dem Bf und seiner im Bundesgebiet lebenden Tochter sehr wohl ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht. Dieser Umstand ist insbesondere für die Eigenschaft als „Angehöriger" iSd § 47 Abs 3 NAG relevant.

Der Bf bezieht momentan eine Pension in der Höhe von ca EUR 150,00/Monat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Unterstützungsleistungen durch Angehörige in wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern (sowie Österreich) an im Ausland lebende Verwandte aufgrund der unterschiedlichen Wertschöpfung eine massive Unterstützungsleistung darstellen. Vereinfacht gesagt die durchschnittlichen EUR 4000,00/Jahr welche die Tochter des Bf ihm zukommen lässt, haben in den Türkei einen viel höheren Wert als hierzulande und ist der Bf auf diese angewiesen, da sonst sein Lebensunterhalt nicht hinreichend gesichert wäre. Bei entsprechender Einhaltung der Verfahrensvorschriften wäre die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass der Bf sehr wohl auf finanzielle Unterhaltsleistungen durch seine Tochter angewiesen ist.

Mangelhafte Begründung und Beweiswürdigung

Hinsichtlich des Bestehens einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begnügt sich die belangte Behörde mit der Wiedergabe von Jahre zurückliegenden Umständen. Insbesondere im Hinblick auf die im gegenständlichen Fall eminente Bedeutung der seit Strafbegehung verstrichenen Zeit, kann die deckungsgleiche Paraphrasierung von Begründungen in vorangegangenen Verfahren nur als Missachtung des zu berücksichtigenden Zeitfaktors verstanden werden. Offenkundig wird dies durch die paraphrasierte Begründung der Behörde „Die Behörde verkennt nicht, dass die von Ihnen begangene Straftat bereits 40 Jahre zurück liegt." Genau diesen Umstand verkennt die Behörde jedoch ironischerweise durch eben diese Aussage. Die gegenständliche Straftat liegt nämlich nicht 40 Jahre zurück, sondern 44 Jahre.

Schwer nachvollziehbar ist ferner die behördliche Aussage: „Sie verwiesen infolge auf ihr junges Alter zum Tatzeitpunkt und ist zwar durchaus zuzustehen, dass dieses im Bereich der Strafdrohung Berücksichtigung finden kann, jedoch ist die von Ihnen verübte Straftat, nicht eine solche, die typischerweise von Jugendlichen bzw. jugendlichen Erwachsenen (gemeint wohl junge Erwachsene) aus Leichtsinn oder im Affekt begangen wird." Diese Aussage ist aus mehreren Perspektiven schlichtweg verfehlt. Erstens, entspricht es der Systematik des Jugendstrafrechts aufgrund einer dem Alter immanenten fehlenden Reife und Leichtsinn, für Jugendstraftäter eine Herabsetzung des Strafrahmens zu regeln. Dies gilt für sämtliche Delikte und nicht bloß „für solche, die typischerweise von Jugendlichen[...] aus Leichtsinn oder im Affekt begangen wird“. Dies ergibt sich schon aus systematischer Betrachtung, insbesondere unter Heranziehung der Bestimmungen des JGG, und dem Umstand, dass in Ermangelung einer altersbedingten Reife, dass gesetzgeberische Ziel in der Sicherung des Fortkommens straffällig gewordener junger Menschen liegt. Ferner stellt der Leichtsinn und Affekt im Strafrechtssystem einen Milderungsgrund für sämtliche Delikte unabhängig vom Alter dar; das Vorliegen derartiger Umstände ist nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts. Das Alter ist bei Tatbegehung insofern relevant, als Jugendstraftaten grundsätzlich geringeres Gewicht beizumessen ist (und zwar für sämtliche Delikte).

Hat eine junger Erwachsener eine Jugendstraftat begangen, so müssen gravierende Gründe für die Annahme sprechen, er stelle weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar (EGMR 20.9.2011, 8000/08, A.A/GB). In Zusammenschau der bereits verstrichenen 44 Jahre seit Strafbegehung und dem Umstand, dass es sich gegenständlich um eine Jugendstraftat handelt, hat es die belangte Behörde verabsäumt derartige erforderliche gravierende Gründe anzuführen.

Mit den Verfahrensvorschriften ist es ferner unvereinbar, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Bf aus der Stellungnahme vom 2.9.2020 in der Begründung lediglich wiedergibt und mit keinem Wort darauf inhaltlich eingeht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher vollumfänglich auf die aktenkundige Stellungnahme des Bf vom 2.9.2020 verwiesen. Diese Fehler betreffen entscheidungswesentliche Punkte. Bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte die belangte Behörde aus den erwähnten Gründen zu einem anderen Ergebnis kommen können.

V.         Anträge

Aus den angeführten Gründen stellt der Beschwerdeführer die

ANTRÄGE

das angerufene Verwaltungsgericht möge

-   eine mündliche Verhandlung durchführen,

-   in der Sache selbst erkennen und den angefochtenen Bescheid des Landeshauptmann Wien, Magistratsabteilung 35 vom 9.9.2020 zu … dahingehend abändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" nach § 47 Abs 3 NAG stattgegeben wird; in eventu

-   den angefochtenen Bescheid aufheben und die Verwaltungssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.“

Auf Grund dieses Vorbringens und zur Abklärung des tatbestandsrelevanten Sachverhaltes wurde am 21. Jänner 2021 vor dem Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu welcher neben dem Beschwerdeführer seine Tochter, D. B., seine Ehegattin, Herr F. G. und Herr J. H. als Zeugen geladen waren. Der Landeshauptmann von Wien verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Der Beschwerdeführer nahm an der mündlichen Verhandlung nicht persönlich teil, sondern ließ sich anwaltlich vertreten.

Eingangs brachte der Beschwerdeführervertreter Nachstehendes vor:

„A1 Zeugnis kann ich nicht vorlegen. Diesbezüglich und bezüglich der Krankenversicherung berufe ich mich auf das ARB 1/80. Ich beantrage die persönliche Einvernahme des BF. Bei der letzten Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien stand er unter Druck, auch aufgrund der Anwesenheit der Medienvertreter. Er hatte auch Verständigungsprobleme, da er nicht hochtürkisch spricht. Es ist fälschlicherweise so rübergekommen, dass er noch immer zu dem Mord stehen würde.“

Frau D. B. legte im Zuge ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme Folgendes dar:

„Ich bin ca. 1986 nach Österreich eingereist. Meine Mutter lebt seit ca. 1985 in Österreich. Mein Vater hat vor meiner Geburt in Österreich gelebt. Dann war er erst wieder 2016 in Österreich. Seitdem war er nicht mehr in Österreich. Vor 46 Jahren hatte er einmal einen Aufenthaltstitel. Er hat fünf oder sechs Jahre lang in Österreich gearbeitet. Ich wurde in der Türkei geboren. Ich habe zuerst mit meiner Mutter in der Türkei gelebt, dann lebte ich ein Jahr bei meiner Großmutter und dann kam ich zu meiner Mutter nach Österreich. Meinen Vater habe ich nur bei meinen Urlauben in der Türkei gesehen. Mein Vater war lange auf der Flucht. Von seinen Straftaten habe ich erst jetzt als Erwachsener etwas mitbekommen.

Ich arbeite beim K. und verdiene ca. 2.300,-- Euro netto monatlich. Die Miete meiner Wohnung beläuft sich auf ca. 470,-- Euro. Für Gas und Strom zahlen wir ca. 110,-- Euro im Monat. Ich zahle ca. 360,-- Euro an Kredit zurück. Es sind noch 21.000,-- Euro an Schulden offen. Für die Kfz Versicherung zahle ich 120,-- Euro im Monat. Für die Garage zahle ich 80,-- Euro im Monat. Für Telefon und Internet zahle ich ca. 40,-- Euro im Monat. Meine Wohnung ist 80m² groß, dort wohne ich mit meiner Mutter. Mein Vater soll zu uns ziehen. Meine Mutter ist Pensionistin und bekommt 1.025,-- Euro im Monat. Ich bin Einzelkind.

Mein Vater leidet an hohen Blutdruck. Mein Vater ist auch in Pension. Er hat keine Ausbildung. Er hat in der Landwirtschaft gearbeitet. In Österreich hat er als Schweißer gearbeitet. Meines Wissens besitzt er in der Türkei ein Grundstück. Meine Mutter besitzt drei Wohnungen in der Türkei. In einer Wohnung wohnt der BF, die anderen zwei Wohnungen sind vermietet. Die Mieteinnahme bekommt mein Vater. Mein Vater lebt durch meine Unterstützung, seiner Pension und die Mieteinnahmen. Die Pension beläuft sich auf ca. 1.400,-- türkische Lira. Die Mieteinnahmen belaufen sich auf ca. 1.900,-- türkische Lira. Wenn ich oder meine Mutter in die Türkei fliegen, gebe ich meinem Vater ca. 2.000,-- bis 3.000,-- Euro. Das ist ca. einmal im Jahr. Manchmal schicke ich ihm auch Kleinigkeiten, wenn Verwandte in die Türkei fliegen. Das letzte Mal hat er im August 2020 Geld von mir bekommen. Damals flog meine Mutter in die Türkei und brachte ihm 2.000,-- Euro. Im Jahr 2019 habe ich ihm zweimal 2.000,-- Euro geschickt, einmal mit meiner Mutter und einmal mit meinem Onkel, dem Zeugen G.. Ende März 2019 hat meine Mutter ihm 2.000,-- Euro gebracht. Im Sommer hat mein Onkel ihm 2.000,-- Euro gebracht. Ich weiß nicht mehr, ob ich das Geld im Sommer 2020 abgehoben habe oder zu Hause liegen hatte. Ich habe immer 3.000,-- bis 4.000,-- Euro zu Hause liegen, weil meine Mutter Analphabetin ist. Mein Mutter geht nie auf die Bank. Wir haben beide eigene Konten, meine Mutter kann von meinem Konto abheben. Wir überweisen das Geld nicht, weil wir sonst Gebühren zahlen müssten. Ich packe den Koffer für meine Mutter und richte das Geld zusammen mit ihrem Reisepass her. Meine Mutter hat eine Tasche im Gewand und da steckt sie dann das Geld hinein. Im Sommer habe ich 2.000,-- Euro meinem Onkel vorbeigebracht. Er wohnt in der L.-gasse um die Ecke von mir. Ich gebe ihm das Geld bar auf die Hand und er zählt es immer ab. Im Jahr 2020 war meine Mutter von Ende August bis Anfang November in der Türkei. In der Türkei lebt sie von den Mieteinnahmen und ich gebe ihr ein zusätzliches Geld mit für sich selbst. Ich bringe meiner Mutter jedes Monat 500,-- Euro von der Bank von ihrem eigenen Konto. Mit diesem Geld kommt sie aus. Was sie sich erspart, nimmt sie mit in die Türkei. Befragt danach, warum ich immer wieder Gutschriften von M. G. bekomme, gebe ich an, dass diese keine eigene Kreditkarte hat und meine benutzt und mir dann das Geld zurückgibt. Ich unterstütze meinen Vater schon seit vielen Jahren mit 2.000,-- bis 4.000,-- Euro pro Jahr. Das war auch 2016 schon so. Befragt danach, warum ich in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien im Jahr 2016 gesagt habe, dass ich ihm gemeinsam mit meiner Mutter alle zwei Monate mit einem Betrag von 300,-- Euro unterstütze, gebe ich an, dass es unterschiedlich ist. In den letzten Jahren habe ich ihm mehr Geld gegeben. Befragt danach, warum meine Mutter bei der Verhandlung gesagt hat, dass sie ihn mit 500,-- Euro pro Monat unterstütze, gebe ich an, dass wir ihm gemeinsam Geld schicken. Ich schreibe mir das nicht auf was ich ihm gebe. Wenn andere Verwandte in die Türkei fahren, gebe ich kleinere Beträge mit. Mit Verwandten meine ich meine Tanten oder Cousinen oder auch Bekannte. Ich habe sehr viele Cousinen. Befragt nach Namen von den Cousinen, gebe ich an, dass ich sehr viele Cousinen habe und es keine bestimmte Cousine ist. 2020 war nur meine Mutter unten. 2019 hat er die 4.000,-- Euro bekommen von meiner Mutter und meinem Onkel. Dann flog noch meine Cousine hinunter und brachte ihm 400,-- Euro. Die Cousine heißt N. G. und ist die Tochter von F. G.. Sie war nochmal alleine in der Türkei im Sommer 2019 und hat dieses Geld meinem Vater gebracht. Ich habe mit meinem Vater über Telefon Kontakt, meine Mutter auch. Mein Vater würde dann bei mir wohnen und hat sich bei einem Fischgeschäft beworben. Er würde uns so finanziell unterstützen. Ich meine, das wäre aufgrund seines Alters nicht notwendig. Er hat einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Mein Vater hat den Arbeitsvertrag nicht unterschrieben, weil er nicht hier ist. Aber der Arbeitgeber würde ihn nehmen, ich war bei ihm und habe ihn extra gefragt. Ich weiß nicht was er verdienen würde, aber er würde für 30 Stunden arbeiten. Ich weiß nicht, warum mein Vater geschrieben hat, dass er keine Erwerbsabsichten hat.

Wenn mir die Erklärung meines Vaters vorgehalten wird, gebe ich an, dass er diese irrtümlich unterschrieben hat. Ich habe eine andere Erklärung für ihn vorbereitet gehabt.

In Österreich leben ich (seine Tochter), seine Ehegattin und sein Bruder sowie Nichten und Neffen. Meine Mutter hat einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Zwei Brüder meines Vaters leben in der Türkei und eine Schwester. Er hat auch Freunde in Österreich, die von unserer Ortschaft in der Türkei kommen. Mein Vater kann nicht Deutsch sprechen, aber er versteht, wenn wir Deutsch reden. Mein Vater hat keine Schulden.

Auf die Frage, wie der letzte Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ablief, gebe ich an, dass er zuerst … inhaftiert war. Das war, weil er noch irrtümlich zur Fahndung ausgeschrieben war. Die erste Verhandlung fand daher ohne ihn statt. Bei der zweiten Verhandlung war er müde und nervös. Er stand unter Druck, weil die Medien anwesend waren und ihn auch von hinten fotografiert haben. Des Weiteren hat er Probleme die Dolmetscherin zu verstehen, weil er kein hochtürkisch spricht.“

Herr F. G. legte im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Einvernahme Folgendes dar:

„Ich sehe den Beschwerdeführer 1-2 Mal im Jahr, wenn ich in die Türkei hinunterfliege. Er hat eine Wohnung in C.. Er hat die Grundschule fertig gemacht. Zurzeit ist er Pensionsbezieher. Er hat in der Türkei als Schweißer gearbeitet in einer Autowerkstatt. Er hat ca. 1971 bis 1976 in Österreich gelebt. Er hatte damals einen Aufenthaltstitel. Er hat dann Österreich verlassen und in der Türkei gearbeitet. Ich habe davon gehört, dass er eine Straftat begangen hat. Der BF lebt von Mieteinnahmen und von Geld, das wir ihm bringen. Wenn seine Tochter, seine Gattin oder ich in die Türkei fliegen, wir bringen ihm ca. 1.500,-- bis 2.000,-- Euro mit. Ich habe ihm im Jahr 2019 1.500,-- Euro gebracht, das war im Juli 2019. D. hat mir das Geld bar auf die Hand gegeben und ich habe ihm das einfach gebracht. Seine Tochter gewährleistet ihm seine Pflege und Lebenserhaltung. Jedes Mal wenn ich in die Türkei fliege, frage ich seine Tochter ob ich etwas mitbringen soll. Sie sagt mir dann, ich soll dem BF ein Geld mitnehmen. Sie übergibt mir dann ein Kuvert mit dem Geld und schreibt dann noch eine Notiz für ihn auf das Kuvert. Ich wohne in der L.-gasse und sie kommt dann zu mir und bringt mir das Geld. Die Tochter sagt mir wieviel Geld drinnen ist und ich zähle das dann noch einmal ab. 2020 war ich Corona bedingt nicht in der Türkei. Das Geld, das ich mitnehme, stammt von D.. Auf die Frage, wer dem Beschwerdeführer aller Geld bringt, gebe ich an, dass das außer mir, die Tochter und ihre Mutter sind. Die Mutter sagt ihm dann, dass dieses Geld von der Tochter ist. Ich habe drei Töchter und einen Sohn. Meine Kinder bringen dem BF kein Geld. D. gibt meinen Kindern kein Geld für den Beschwerdeführer. Ich verstehe die Dolmetscherin sehr gut. Bei meiner Schwester muss man türkisch langsamer sprechen damit sie es versteht. Der Beschwerdeführer hat sehr wenige Deutschkenntnisse, aber hochtürkisch versteht er schon. Auf die Frage, was der Beschwerdeführer in Österreich machen würde, gebe ich an, dass er einfach mit seiner Familie Zeit verbringen will. Er leidet unter Rückenschmerzen und Bluthochdruck. Ein Mensch hat eine Lebenserwartung von 60-70 Jahre. Ich habe dem auch 2017 und 2018 Geld mitgebracht. Das war meistens im Sommer. Ich habe ihm 2016 oder 2017 2.000,-- Euro in einem dieser Jahre gebracht. 2018 habe ich ihm 1.500,-- Euro gebracht, genau wie 2019.

Auf die Frage, ob ich mit meinen Kindern zusammenwohne in Wien, gebe ich an, dass ich mit meiner Gattin und zwei Töchtern in der Wohnung wohne. Alle Kinder wohnen in Wien. Bei mir in der Wohnung wohnen N. und M.. Meine älteste Tochter heißt Q.. Ich verstehe die Dolmetscherin gut.“

Frau P. B. brachte im Zuge ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme Folgendes vor:

„Ich lebe seit Februar 1985 in Österreich. Auf die Frage, warum ich nicht Deutsch spreche, gebe ich an, dass ich hier türkische Freunde habe und keine Deutschkurse besucht habe. Mein Gatte war 2016 in Österreich. Er war 1973 in Österreich, wo wir geheiratet haben. Wir waren hier bis zum Jahr 1975. Auf die Frage was 1976 passiert ist, gebe ich an, dass da nichts passiert ist. In einem Moment wo er alkoholisiert war hat man ihm eine Verleumdung vorgeworfen. Er war mit einem Freund in einem Lokal und sie haben getrunken. Es gab dann eine Auseinandersetzung, aber es ist nichts passiert. Er war dann 20 Jahre lang auf der Flucht. Er wurde dann verhaftet und nachher hat er seine Strafe verbüßt und wurde entlassen. Der BF hat die Volksschule abgeschlossen. Er hat drei Jahre in Österreich bei einer Metallfirma gearbeitet. In der Türkei hat er in der Landwirtschaft gearbeitet. Meine Tochter und ich sorgen für seinen Unterhalt. Er bekommt von uns regelmäßig Geld, manchmal monatlich, manchmal alle zwei oder drei Monate. Er wohnt in der Türkei in einer Eigentumswohnung von mir. Ich habe noch Mieteinnahmen von zwei Wohnungen in der Türkei von insgesamt 1.700,-- bis 1.800,-- türkische Lira. Dann bekommt er noch eine Pension von ca. 1.300,-- türkische Lira. Befragt nach den Unterhaltsleistungen von mir und meiner Tochter, gebe ich an, dass er eine Gehilfin hat die für ihn putzt und kocht und wir ihm das bezahlen. Jedes Mal, wenn ich in die Türkei fliege, zweimal pro Jahr, nehme ich 2.000,-- bis 2.500,-- Euro mit. Ich habe keinen großen Anteil an diesem Geld, das meiste kommt von meiner Tochter. Meine Tochter schaut auf ihren Vater. Näher befragt, gebe ich an, dass das meiste von meiner Tochter stammt. Ich nehme nur einen kleinen Teil von meiner Pension und stecke es in meine Tasche im Gewand und gebe dann das in der Türkei auch für uns aus. Ich war letztes Jahr von August bis November in der Türkei. Ich habe ihm damals 2.000,-- Euro von meiner Tochter und 1.500,-- Euro von mir mitgebracht. Meine Pension beträgt ca. 1.000,-- Euro. Sie gibt es in ein Kuvert, schreibt seinen Namen darauf und ich gebe es dann in mein Gewand. Auf die Frage, ob sie dieses Geld zu Hause hatte, gebe ich nach mehrmals Nachfragen an, dass sich auch immer Bargeld für dringende Fällen in der Wohnung befindet. Bevor wir zum Flughafen fahren gibt sie mir das Geld in einem Kuvert. Auf die Frage, ob noch jemand anderer dem Beschwerdeführer Geld mitbringt, gebe ich an, dass das mein Bruder oder die Frau meines Bruders tut. Vor ca. 1 ½ Jahren hat er ihm 2.500,-- Euro gebracht. Dieses Geld hat ihm meine Tochter gegeben. An dem Tag als mein Bruder in die Türkei flog hat ihm meine Tochter das Geld in die Wohnung gebracht. Ich war damals dabei. Sie hat ihm Geld in einem Kuvert gegeben mit dem Namen des BF darauf. Er hat das Geld gezählt und dann das Kuvert verschlossen. Auch ich habe meinem Mann 2019 Geld gebracht. Das waren 1.500,-- Euro. Außer mir, meiner Tochter und meinem Bruder bringt ihm noch die Frau meines Bruders Geld. Ich glaube, sie hat ihm das letzte Mal im September 2018 Geld gebracht. Wieviel Geld er pro Jahr von meiner Tochter bekommt, weiß ich nicht. Wir zählen das Geld nicht. Es ist auf jeden Fall ein Betrag von 2.000,-- oder 3.000,-- Euro. Meine Tochter unterstützt meinen Mann seit ca. 25 Jahren. Auf die Frage, ob er die letzten fünf Jahre immer einen Betrag von mindestens 2.000,-- bis 3.000,-- Euro von meiner Tochter bekommen hat, gebe ich an, dass sie ihm dann noch mehr gegeben hat, damit es ihm gut geht. Auf die Frage, warum ich bei der Verhandlung 2016 gesagt habe, dass ich ihm jedes Monat 500,-- Euro gebe, gebe ich an, dass ich das gesagt habe, weil er in meiner Wohnung in der Türkei gewohnt hat. Über Vorhalt, dass meine Tochter damals angegeben hat, dass wir ihn mit 300,-- Euro alle zwei Monate unterstützen, gebe ich an, dass ich mich an den genauen Betrag nicht mehr erinnern kann. Meine Tochter hat damals auch mich unterstützt, weil ich eine geringe Pension hatte.

Ich habe einen Kredit von 100,-- bis 150,-- Euro pro Monat für eine Schlafzimmerausstattung. Der Kredit läuft noch zwei Jahre. Die Miete zahlen wir zusammen. Meine Tochter geht auf die Bank und zahlt das. Zusätzliche Ausgaben habe ich nicht.

Der Beschwerdeführer leidet unter Ohrenproblemen und Bluthochdruck.

In Österreich würde er Geschirr waschen. Er kann auch spazieren gehen, er ist nicht bettlägerig. Er möchte auch arbeiten. Er hat einen Herrn kennengelernt, der ihn bei sich arbeiten lassen würde. Er heißt J. H.. Er kann 10 bis 30 Stunden arbeiten in der Woche. Das hängt von der Firma ab. Ich weiß nicht, wie viel er verdienen würde. Ich denke, er würde 300,-- bis 400,-- Euro verdienen.“

Herr J. H. gab im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Einvernahme Nachstehendes an:

„Ich kenne den Beschwerdeführer, weil er vor 4-5 Jahren zu mir in mein Restaurant kam und mich angesprochen hat, ob er arbeiten kann. Er wollte bei mir arbeiten, wenn er einen Aufenthaltstitel hat. Ich habe 11 Dienstnehmer. Im Moment habe ich natürlich geschlossen wegen Corona. Die Firma war im Ausgleich, aber mittlerweile hat sich das erholt. Wir werden sehen wie das weitergeht. Ich würde den BF trotzdem beschäftigen, wenn er einen Aufenthaltstitel hat. Er wäre eine Aushilfe. Wir haben lediglich ein Gespräch geführt. Eine Arbeitsprobe habe ich nicht gesehen. Ich habe ihn dann nie wiedergesehen. Vor ein paar Monaten war dann seine Tochter bei mir und hat mich gefragt, ob der Arbeitsvorvertrag noch aufrecht ist, wenn er jetzt einen Aufenthaltstitel bekommt. Er könnte 30-40 Wochenstunden arbeiten. 30 Stunden habe ich jetzt in den Vertrag geschrieben. Er würde ca. 1.100,-- Euro verdienen nach Kollektivvertrag. Er würde eingeteilt werden zwischen 11:00 Uhr und 22:00 Uhr. Ich weiß nicht wie alt der BF ist. Damals, vor fünf Jahren, war er 54 oder 55 Jahre alt. Wenn mir gesagt wird, dass der BF dieses Jahr 65 Jahre alt wird, gebe ich an, dass mir das lieber ist, weil reifere Personen besser mit den Gästen zurechtkommen und verlässlicher sind. Körperlich ist er gut beieinander. Von Gebrechen oder Krankheiten des Beschwerdeführers, weiß ich nichts. Jüngere Angestellte sind nicht so verlässlich. Der Beschwerdeführer kommt aus derselben Stadt. Er hat behauptet, er hat Erfahrung in Fischrestaurants bzw. mit Fischen. Ich würde ihn in der Küche beschäftigen, weil er nicht Deutsch kann. Mein Restaurant hat eine Schauküche, die Gäste würden also den Beschwerdeführer sehen. Mittlerweile kenne ich seine Tochter und Ehefrau. Besser kenne ich sie aber nicht. Mittlerweile habe ich sieben Angestellte. Meine Frau und ich arbeiten auch in dem Restaurant. Mein Restaurant ist ganzjährig offen. Beim Dienstvertrag gibt es ein Probemonat, aber sonst ist er unbefristet.“

Schließlich beantragte der Beschwerdeführervertreter die Einvernahme der Zeugin N. G., um zu bescheinigen, dass sie auch gelegentlich dem Beschwerdeführer Geld von seiner Tochter überbracht hat.

In seinen Schlussausführungen gab der Beschwerdeführervertreter Nachstehendes an:

„Die Behörde ging zu Unrecht von einer negativen Gefährdungsprognose bezüglich des Beschwerdeführers aus. Sie hat diese gar nicht durchgeführt, sondern alte Entscheidungen kopiert. Der Mord ist mittlerweile 44 Jahre her und muss dem Beschwerdeführer ein Gesinnungswandel zugestanden werden. Ich verweise auch auf das Erkenntnis des VwGH, wonach eine Gefährdungsprognose auch positiv ausfallen könnte. Auch ist der Zeitfaktor hier sehr entscheidend. Der im Jahr 1996 begangene Meineid ist im Zusammenhang mit der Flucht zu sehen. Er ist daher bei der Gefährdungsprognose auch dem Mord zuzuordnen. Auch verweise ich auf Art. 8 EMRK und Art. 20 betreffend den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Auch ersetzen Besuche und Telefonate kein Familienleben.“

Nach mündlicher Verkündung des verfahrensabschließenden Erkenntnisses wurde die Niederschrift dem Landeshauptmann von Wien und dem Bundesministerium für Inneres mit Schreiben vom 21. Jänner 2021 gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG zugestellt und darauf hingewiesen, dass den Parteien das Recht zukommt, binnen zwei Wochen nach Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung der Entscheidung zu verlangen, wobei dies eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt. Mit Eingabe vom 1. Februar 2021 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

Nach Durchführung des Beweisverfahrens ergibt sich folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt, der als erwiesen angenommen wird:

Mit Eingabe vom 25. Juli 2019 brachte der 1956 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung-Angehöriger“ gemäß § 47 Abs. 3 NAG ein.

Der Beschwerdeführer ist mit der türkischen Staatsbürgerin P. B., geboren 1956, verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter, die 1978 geborene D. B., ist österreichische Staatsbürgerin. Der Beschwerdeführer möchte sein Aufenthaltsrecht in Österreich von Frau D. B. ableiten.

Frau

Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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