TE Vfgh Beschluss 1995/6/29 G30/95

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Veröffentlicht am 29.06.1995
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AlVG §1 Abs2 litc
Arbeitsmarktpolitik-FinanzierungsG §5
ASVG §69

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der AlVG-Nov 1993 betreffend die Aufhebung der Ausnahme bestimmter Dienstnehmer in unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnissen zu Gebietskörperschaften von der Arbeitslosenversicherungspflicht mangels Legitimation; Verwaltungsweg über die Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge zumutbar

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragsteller begehren mit ihrem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge ArtI Z2 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 und das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz geändert werden, in eventu den ersten Satz des ArtI Z2 leg.cit. als verfassungswidrig aufheben.

2. Mit ArtI des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993 wurde das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert. Z2 dieses Artikels lautet:

"§1 Abs2 litc wird aufgehoben. Die bisherigen litd und e erhalten die Bezeichnung litc und d."

Diese Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Dezember 1994 in Kraft (§80 Abs3 AlVG idF des ArtI Z22 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993).

Der durch die angefochtene Bestimmung aufgehobene §1 Abs2 litc AlVG nahm einen dort näher umschriebenen Personenkreis von der nach §1 Abs1 AlVG an sich bestehenden Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung aus. Er lautete:

"(2) Ausgenommen von der Arbeitslosenversicherungspflicht sind

...

c) Dienstnehmer, die in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund, zu einem Bundesland, einem Bezirk oder einer Gemeinde sowie zu einem von diesen Körperschaften verwalteten Betrieb, einer solchen Unternehmung, Anstalt, Stiftung oder einem solchen Fonds stehen, wenn ihnen aus diesem Dienstverhältnis Anwartschaft auf Ruhegenuß (Provision) zusteht, sowie Dienstnehmer, die in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen, wenn ihnen aus diesem Dienstverhältnis Anwartschaft auf Ruhegenuß (Provision) zusteht, sofern in gesetzlichen Vorschriften oder in den dienstrechtlichen Vorschriften ein Anspruch auf eine Ersatzleistung für den Fall der Arbeitslosigkeit und ein Anspruch auf eine Ersatzleistung für Karenzurlaubsgeld (§§26 bis 31) in einem diesem Bundesgesetz gleichwertigen Ausmaß vorgesehen sind;

..."

3. Die Antragsteller sind nach ihrem eigenen Vorbringen Dienstnehmer der Versorgungsbetriebe der Grazer Stadtwerke AG, gemäß §5 des Kollektivvertrages für die Dienstnehmer der Versorgungsbetriebe und des zentralen Bereiches der Grazer Stadtwerke AG definitiv gestellt und bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse krankenversichert.

§101a dieses Kollektivvertrages räume ihnen bei Auflösung ihres Dienstverhältnisses - unbeschadet der sich aus gesetzlichen Bestimmungen und dem Kollektivvertrag ergebenden Rechtsfolgen der Auflösung - für den Fall der Arbeitslosigkeit gegenüber der Grazer Stadtwerke AG einen Anspruch auf eine Ersatzleistung in einem dem Arbeitslosenversicherungsgesetz in der jeweils geltenden Fassung gleichwertigen Ausmaß ein. Bis zum Außerkrafttreten des §1 Abs2 litc AlVG seien sie von der Arbeitslosenversicherungspflicht nicht erfaßt gewesen, da nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwSlg. 8289 A/1972) Dienstverhältnisse von der Arbeitslosenversicherungspflicht befreit gewesen seien, wenn kollektivvertraglich eine Ersatzleistung vorgesehen sei.

Die durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 817/1993 geschaffene Neufassung des §1 Abs1 AlVG greife in das Eigentumsrecht der Antragsteller ein, weil sie ab 1. Jänner 1995 verpflichtet seien, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten. Dieser Eingriff sei nach Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt und bedürfe keiner weiteren Konkretisierung; sie hätten nunmehr Dienstnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten. Der Eingriff sei demnach unmittelbar. Es stehe ihnen auch kein zumutbarer Umweg zur Bekämpfung des für verfassungswidrig erachteten Eingriffes zur Verfügung. Eine rechtswidrige Nichtentrichtung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge sei keine zumutbare Vorgangsweise, um einen Bescheid zu provozieren.

Die Antragsteller halten ihre durch die Aufhebung des §1 Abs2 litc bewirkte Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums für verfassungswidrig.

II. Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10481/1985, 11684/1988).

2. An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall.

Gemäß §4 Abs1 des Arbeitsmarktpolitikfinanzierungsgesetzes - AMPFG, BGBl. 315/1994, gilt die Regelung des §60 ASVG, wonach der Arbeitgeber berechtigt ist, den auf den Versicherten entfallenden Beitragsanteil vom Entgelt in barem abzuziehen, auch für den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Nach §5 erster Satz AMPFG hat die Einhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung gemeinsam mit dem Beitrag zur Krankenversicherung zu erfolgen. Der zweite Satz dieser Bestimmung ordnet unter anderem an, daß die Vorschrift des §69 ASVG (betreffend die "Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge") auch auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung Anwendung findet.

In dieser durch §5 AMPFG iVm §69 ASVG den Antragstellern eingeräumten Möglichkeit, die Rückzahlung zu Ungebühr entrichteter Beiträge (mit der Begründung, die Beitragsentrichtung erweise sich im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit ihrer durch Aufhebung des §1 Abs2 litc AlVG bewirkten Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung als unrichtig) zu beantragen, ist ein zumutbarer Weg, der die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes mittels Individualantrag ausschließt, zu erblicken (vgl. etwa den die Lohnsteuer betreffenden Beschluß VfSlg. 8241/1978 sowie die Selbstbemessungsabgaben betreffenden Beschlüsse VfSlg. 9868/1983, 13103/1992, 13474/1993, VfGH 20.6.1994, V59/94, und 27.2.1995, V106/94).

3. Der Antrag ist sohin mangels Legitimation in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG).

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G30.1995

Dokumentnummer

JFT_10049371_95G00030_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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