TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 W154 2231630-8

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch


W154 2231630-8/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger Afghanistans, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 13.11.2013 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 26.04.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) den Antrag des BF auf internationalen Schutz zur Gänze ab und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Es wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Der BF erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.12.2019 abgewiesen wurde. Das Erkenntnis erwuchs samt Rückkehrentscheidung in Rechtskraft.

3. Da der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam organisierte das Bundesamt seine Abschiebung für den 04.02.2020. Der BF verließ am 03.02.2020 sein Grundversorgungsquartier und tauchte unter. Seine Abschiebung musste aus diesem Grund storniert werden. In weiterer Folge erließ das Bundesamt gemäß § 34 Abs. 3 Z. 1 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG einen Festnahmeauftrag den BF betreffend.

4. Am 13.02.2020 versuchte der BF unrechtmäßig nach Deutschland auszureisen, wobei er von der deutschen Polizei an der Grenze angehalten und ihm die Einreise nach Deutschland verweigert wurde. Am 14.02.2020 wurde der BF nach Österreich zurückgewiesen und hier festgenommen. Im Zuge der Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er an keinen schwerwiegenden Krankheiten leide und keine Medikamente benötige. Er habe weder in Österreich noch in einem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz, verfüge in Österreich weder über Familienangehörige noch über legal aufhältige Personen, bei denen er während des fremdenbehördlichen Verfahrens wohnen könne. An Barmittel verfüge er über EUR 649,50, es gebe keine Personen, bei denen er sich Geld ausleihen könne. Er habe in Deutschland am 13.02.2020 einen Asylantrag gestellt, der jedoch abgelehnt worden sei. Er wolle nunmehr in Österreich bleiben, um hier einen weiteren Asylantrag zu stellen. Nach Afghanistan wolle er nicht zurückkehren, da er dort um sein Leben fürchte.

Im Stande der Anhaltung stellte der BF am 14.02.2020 einen Asylfolgeantrag und gab bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung an, dass seine Fluchtgründe seit dem Jahr 2013 gleichgeblieben seien und er Angst habe, in Afghanistan umgebracht zu werden.

5. Mit Bescheid vom 14.02.2020 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG iVm § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG über den BF Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme an. Der BF erhob gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel.

6. Am 18.02.2020 stellte der BF einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr.

7. Am 24.02.2020 wurde der BF vom Bundesamt im Asylverfahren einvernommen, wobei er im Wesentlichen angab, dass seine im ersten Asylverfahren genannten Fluchtgründe weiterhin aufrecht seien und er weder etwas hinzufügen noch abändern wolle. Er gehe fest davon aus, dass er abgeschoben werde, weshalb seine Ausreise nicht freiwillig sei, da er so oder so abgeschoben werde. Er habe sich für die freiwillige Ausreise angemeldet, da er verzweifelt gewesen sei und keinen Ausweg mehr gesehen habe. Eigentlich wolle er nicht freiwillig ausreisen, allerdings befürchte er abgeschoben zu werden, weshalb er sich für die freiwillige Ausreise angemeldet habe.

8. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 04.03.2020 wurde der dem BF zukommende faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005 – AsylG aufgehoben. Mit Beschluss W241 2128258-2/2E des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.03.2020 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.

9. Am 06.03.2020 wurde der BF einer Delegation der afghanischen Vertretungsbehörde vorgeführt woraufhin am 11.03.2020 ein Heimreisezertifikat für ihn ausgestellt wurde.

10. Die Ausreise des BF aus dem Stande der Schubhaft wurde für den 16.03.2020 vorbereitet, der gebuchte Flug fand jedoch auf Grund der COVID-19-Pandemie nicht statt.

11. Am 25.05.2020 brachte der BF wiederum einen Antrag auf freiwillige Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ein, eine Rückkehr war jedoch wegen der andauernden pandemiebedingten Einschränkungen im internationalen Flugverkehr auf Grund von COVID-19 bisher nicht möglich.

12. Am 04.06.2020 teilte jener Verein, der den BF bei seiner freiwilligen Ausreise unterstützte mit, dass sich der BF umentschieden habe und nicht mehr freiwillig ausreisen wolle.

13. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 05.08.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.02.2020 vollinhaltlich wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde festgestellt, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe und gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde, die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.08.2020 abgewiesen wurde.

14. Das Bundesamt führte am 10.03.2020, 02.04.2020, 30.04.2020 und 26.05.2020 Schubhaftprüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG durch. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnissen vom 15.06.2020, 02.07.2020, 29.07.2020 und 26.08.2020 fest, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

15. Dem BF wurde im Vorfeld der Entscheidung vom 26.08.2020 im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben, woraufhin er im Wege seiner Rechtsvertreterin im Wesentlichen ausführte, dass der maximale Zeitraum seiner Anhaltung im Ausmaß von sechs Monaten bereits überschritten sei und kein Fall des § 80 Abs. 4 FPG vorliege. Bei der dritten amtswegigen Haftprüfung habe das Bundesverwaltungsgericht den Tatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG als erfüllt angesehen. Aus der Regierungsvorlage, mit der die Z 4 in § 80 Abs. 4 FPG eingefügt worden sei, ergebe sich zwar, dass damit Art. 15 Abs. 6 der Rückführungs-RL umgesetzt werden solle, die Bestimmung des § 80 Abs. 4 FPG weiche jedoch erheblich vom Wortlaut des Art. 15 Abs. 6 Rückführungs-RL ab. Aus diesem Grund bedürfe die Auslegung dieser Bestimmung einer höchstgerichtlichen Klärung. Im konkreten Fall stelle sich die Frage, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 80 Abs 4 Z 4 FPG möglich sei und, wenn ja, ob das Verhalten des BF als „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ iSd der RL zu werten sei. Unabhängig von dieser Frage sei im konkreten Fall jedoch § 80 Abs. 4 Z 4 FPG nicht erfüllt, da die Abschiebung des BF seit der Anordnung der Schubhaft nicht am Verhalten des BF gescheitert sei, sondern auf Grund der COVID-19-Pandemie unmöglich sei. Es mangle somit an der Kausalität des Verhaltens des BF an der bisher nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten erfolgten Abschiebung. Auch das Unionsrecht verlange eine Kausalität des zwischen der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen und der nicht erfolgten Abschiebung.

Darüber hinaus läge keine Fluchtgefahr vor und sei der BF bereit, mit der Behörde zu kooperieren. Die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft sei auch unverhältnismäßig, da auf Grund des Verlaufes der COVID-19-Pandemie nicht absehbar sei, innerhalb welchen Zeitraumes eine Abschiebung des BF möglich sei.

Diese Argumente wurden seitens des Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen mit dem Hinweis auf eine bereits erfolgte Vereitelung einer Abschiebung durch den Beschwerdeführer und der realistischen Möglichkeit einer Abschiebung im Rahmen der Anhaltedauer (von 18 Monaten) verworfen.

16. Mit Erkenntnis vom 21.09.2020, W283 2231630-5/4E, stellte das Bundesverwaltungsgericht erneut fest, dass die zur Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist. Begründend wurde ausgeführt, dass weiterhin Fluchtgefahr vorliege und sich die Anhaltung in Schubhaft vor dem Hintergrund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers auch als verhältnismäßig erweise. Dieser Entscheidung wurde eine geplante Abschiebung des Beschwerdeführers im November 2020 zugrunde gelegt.

Gegen diese Entscheidung wurde eine außerordentliche Revision seitens des Beschwerdeführers eingebracht, in der die Auslegung von § 80 Abs. 4 Z 4 FPG im Mittelpunkt steht. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang der Revision keine aufschiebende Wirkung zuerkannt (Beschluss vom 14.10.2020), weil eine „evidente Rechtswidrigkeit“ des Fortsetzungsausspruches eindeutig nicht vorliege.

17. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 07.10.2020 die Akten gemäß §22a Abs. 4 BFA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor. Ausgeführt wurde, dass derzeit keine Linienflüge von Österreich nach Afghanistan bestehen würden. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers sei mit einem Charter für 10.11.- 12.11.2020 in Planung. Die Anmeldung erfolge bei Freigabe dieses Charters.

18. Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben. Dabei verwies das Bundesverwaltungsgericht auch auf die bestehende Möglichkeit einer freiwilligen Rückkehr aufgrund bestehender Flugverbindungen mit Umstieg in Dubai.

Im Wege seiner Rechtsvertreterin führte der Beschwerdeführer – wie bereits im Vorfeld der gerichtlichen Entscheidung vom 26.08.2020 - im Wesentlichen ausführte, dass der maximale Zeitraum seiner Anhaltung im Ausmaß von sechs Monaten bereits überschritten sei und kein Fall des § 80 Abs. 4 FPG vorliege. Bei der dritten amtswegigen Haftprüfung habe das Bundesverwaltungsgericht den Tatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG als erfüllt angesehen. Aus der Regierungsvorlage, mit der die Z. 4 in § 80 Abs. 4 FPG eingefügt worden sei, ergebe sich zwar, dass damit Art. 15 Abs. 6 der Rückführungs-RL umgesetzt werden solle, die Bestimmung des § 80 Abs. 4 FPG weiche jedoch erheblich vom Wortlaut des Art. 15 Abs. 6 Rückführungs-RL ab. Aus diesem Grund bedürfe die Auslegung dieser Bestimmung einer höchstgerichtlichen Klärung. Im konkreten Fall stelle sich die Frage, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 80 Abs 4 Z 4 FPG möglich sei und, wenn ja, ob das Verhalten des BF als „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ iSd der RL zu werten sei. Unabhängig von dieser Frage sei im konkreten Fall jedoch § 80 Abs. 4 Z 4 FPG nicht erfüllt, da die Abschiebung des BF seit der Anordnung der Schubhaft nicht am Verhalten des BF gescheitert sei, sondern auf Grund der COVID-19-Pandemie unmöglich sei. Es mangle somit an der Kausalität des Verhaltens des BF an der bisher nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten erfolgten Abschiebung. Auch das Unionsrecht verlange eine Kausalität des zwischen der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen und der nicht erfolgten Abschiebung.

Darüber hinaus läge keine Fluchtgefahr vor und sei der BF bereit, mit der Behörde zu kooperieren. Die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft sei auch unverhältnismäßig, da auf Grund des Verlaufes der COVID-19-Pandemie nicht absehbar sei, innerhalb welchen Zeitraumes eine Abschiebung des BF möglich sei. Im Übrigen sei die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise im gegenständlichen Schubhaftverfahren nicht relevant und sei diese Möglichkeit aufgrund der Ausführungen des Bundesamtes ohnehin „stark anzuzweifeln“.

19. Mit Erkenntnis W137 2231630-6 vom 19.10.2020 wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war. Im Erkenntnis wurden auch konkrete aktuelle Flugverbindungen von Wien nach Kabul via Dubai und Istanbul dargelegt. Es wurde ein Verfahrenshilfeantrag gestellt, über den mit Beschluss W137 2231630-6/9Z vom 29.10.2020 positiv entschieden wurde.

20. Der BF ist nicht freiwillig ausgereist, sondern wurde die Schubhaft fortgesetzt und mit Vorlage vom 06.11.2020 seitens des BFA zur neuerlichen gerichtliche Schubhaftüberprüfung dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.11.2020, W279 2231630-7/2E, stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die zur Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist.

21. Am 30.11.2020 erfolgte seitens des BFA die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG. Im Rahmen der Aktenvorlage erstattete das BFA eine Stellungnahme. Darin führte das BFA nach Darlegung des maßgeblichen Sachverhaltes im Wesentlichen aus, dass die nächste Charterabschiebung nach Afghanistan für 15.12.2020 geplant sei, wobei diese von Schweden organisiert werde. Österreich beteilige sich an dieser Operation als PMS (Participating Member State). Bisher werde durch Schweden an der Organisation der Charter Operation festgehalten, aufgrund der bestehenden Covid-19 Problematik sei jedoch auch jederzeit eine kurzfristige Stornierung oder Verschiebung möglich. Eine freiwillige Rückkehr des BF sei jedoch jederzeit möglich. Der BF habe sich bereits 2 Mal für eine freiwillige Ausreise angemeldet, diese sei auch immer genehmigt worden, jedoch habe der BF diese immer wieder widerrufen, da er sich umentschieden habe. (1. Antrag 19.02.2020 - Widerruf 08.07.2020, 2. Antrag 26.05.2020 - Widerruf 05.06.2020). Das Gesamtverhalten vor und während der Schubhaft ließe für die Behörde keinen anderen Rückschluss zu, als dass eine erhebliche Fluchtgefahr bestehe.

22. In einer Anfragebeantwortung betreffend einen gleichgelagerten Fall (W283 2234246-5) teilte das BFA am 07.12.2020 dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass die geplante Charter-Abschiebung am 15.12.2020 nach wie vor aufrecht sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang und die Entscheidungsgründe der Vorentscheidungen werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihrer Stellungnahme anlässlich der Aktenvorlage getätigten Ausführungen zur für den 15.12.2020 geplanten Charterabschiebung des BF.

Auf der Tatsachenebene liegt keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellungen zur geplanten Abschiebung des BF am 15.12.2020 ergeben sich aus der Stellungnahme des BFA vom 30.11.2020 sowie der damit in Verbindung stehenden Anfragebeantwortung des BFA vom 07.12.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A. – Fortsetzung der Schubhaft

3.1. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.2. Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf die Vorerkenntnisse zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft keine Änderung ergeben, sodass aufgrund unveränderter Lage auf die dortigen Ausführungen verwiesen und diese auch zur gegenständlichen rechtlichen Beurteilung erhoben werden.

Die Schubhaft ist also weiterhin jedenfalls wegen erheblicher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des BF – siehe Darstellung im Rahmen des Verfahrensganges und der Feststellungen – mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der BF seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt.

3.3. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig. Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann. Die Verhängung der Schubhaft darf stets nur ultima ratio sein.

Zur Dauer der Schubhaft:

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck

der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht
vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13)

widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen
oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

Gegenständlich ist jedenfalls der Tatbestand der Z. 4 verwirklicht. Somit erweist sich die bisherige Anhaltung am soeben angeführten Maßstab als verhältnismäßig, da sie sich immer noch im unteren Rahmen des gesetzlich Erlaubten bewegt.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund, dass sich die Behörde zügig um die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers bemüht hat, auch verhältnismäßig.

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit schließt auch weiterhin die Anordnung gelinderer Mittel aus. Es besteht ein grundsätzliches öffentliches Interesse am effizienten Vollzug des Fremdenrechts. In diesem Sinne hat die Behörde sichergestellt, dass das Abschiebeverfahren (immer noch) zeitnah und zweckmäßig durchgeführt wird, die Abschiebung ist für 15.12.2020 organisiert, Hinweise, dass die Charterabschiebung am 15.12.2020 nicht stattfinden wird, haben sich zum Entscheidungszeitpunkt nicht ergeben.

3.4. Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihren Zukunftsbezug keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Zu Spruchpunkt B. - Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im Zusammenhang mit der in diesem Verfahren zu beurteilenden Schubhaft ist bereits ein außerordentliches Revisionsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Inhaltlich geht es dabei um die Auslegung des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG (auch in Zusammenhang mit der Rückführungs-RL), wozu noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht (was dieser im angeführten Revisionsverfahren auch ausdrücklich bestätigt hat).

Vor diesem Hintergrund ist schon aus Rechtsschutzerwägungen die Revision unter dem angeführten Aspekt zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Ausreisewilligkeit entschiedene Sache Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft öffentliche Interessen Pandemie Rechtsfrage Revision zulässig Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W154.2231630.8.00

Im RIS seit

23.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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