TE Vwgh Beschluss 2021/1/22 Ra 2019/01/0360

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2021
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §68 Abs2
AVG §68 Abs3
AVG §68 Abs4
AVG §68 Abs7
B-VG Art130
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des S M in V, vertreten durch Keller Kranebitter Rechtsanwälte GmbH in 6900 Bregenz, Rathausstraße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 10. Jänner 2019, Zl. 405-11/93/1/2-2019, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber wurde am 20. Jänner 1979 als außerehelicher Sohn der A I B, Staatsangehörige Liechtensteins, geboren. Am 24. Juni 1980 anerkannte F S M, österreichischer Staatsbürger, vor dem Bezirksgericht Salzburg die Vaterschaft zum Revisionswerber an. Am 9. September 1980 schlossen die Eltern des Revisionswerbers vor dem Standesamt Salzburg die Ehe.

2        Mit Bescheid vom 24. Juli 1981 stellte die Salzburger Landesregierung (belangte Behörde) auf Grund des Antrags des Revisionswerbers vom 20. Mai 1981 gemäß §§ 39 und 42 Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 (StbG 1965) fest, dass der Revisionswerber gemäß § 7 Abs. 4 StbG 1965 seit 9. September 1980 - in Folge Legitimation durch Heirat seiner Eltern - die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

3        Dagegen erhob der Revisionswerber beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid sowie § 7 Abs. 4 StbG 1965 in der damals geltenden Fassung mit Wirkung vom 9. September 1980 als verfassungswidrig aufzuheben. Der Revisionswerber machte ausschließlich geltend, dass er gegen seinen Willen und jenem seiner Eltern gemäß § 7 Abs. 4 StbG 1965 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben und dadurch auf Grund des Art. 5 des liechtensteinischen Gesetzes GBl. 50/1974 die Staatsangehörigkeit Liechtensteins verloren habe und § 7 Abs. 4 StbG 1965 gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße.

4        Nach amtswegiger Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 4 StbG 1965 hob der Verfassungsgerichtshof diese Gesetzesbestimmung mit Erkenntnis vom 12. Juni 1984, G 54/82, VfSlg. 10.036, als verfassungswidrig auf. Mit weiterem Erkenntnis vom 3. Oktober 1984, B 367/81, VfSlg. 10.171, hob der Verfassungsgerichtshof in der Folge den Bescheid der belangten Behörde vom 24. Juli 1984 wegen Verletzung des Revisionswerbers in seinen Rechten durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm auf.

5        Daraufhin stellte die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. Jänner 1985 gemäß § 39 StbG 1965 iVm § 87 Abs. 2 VfGG fest, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht durch Legitimation erworben hat. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

6        Mit Bescheid vom 7. Juni 2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom 13. Dezember 2017 auf ersatzlose Behebung des Feststellungsbescheides vom 24. Jänner 1985 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück.

7        Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

8        Begründend legte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen dar, der rechtskräftige Feststellungsbescheid (vom 24. Jänner 1985) spreche sowohl für die belangte Behörde als auch für den Revisionswerber bindend über den Nichterwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Legitimation ab. Es habe sich seit Erlassung des Feststellungsbescheides weder die Sach- noch die vorliegend anwendbare Rechtslage geändert. Die belangte Behörde sei daher zutreffend vom Vorliegen einer entschiedenen Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG ausgegangen.

Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers in der Beschwerde, die belangte Behörde hätte den Feststellungsbescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufzuheben gehabt, weil ihm aus diesem Bescheid kein Recht erwachsen sei, komme gemäß § 68 Abs. 7 AVG niemandem ein Anspruch auf Ausübung des in § 68 Abs. 2 AVG normierten behördlichen Abänderungs- und Behebungsrechtes zu, weshalb durch die Nichtausübung dieses Rechts keine Rechtsverletzung stattfinden könne und demjenigen, der ein solches Recht geltend mache, die Beschwerdelegitimation fehle. Eine Überprüfung durch das Verwaltungsgericht käme nur in Betracht, wenn die Behörde von dem ihr in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Recht Gebrauch mache und dadurch in subjektive Rechte der Partei eingegriffen würde.

Der Verfassungsgerichtshof habe § 7 Abs. 4 StbG 1965, welcher den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft von unehelich geborenen, legitimierten Kindern geregelt habe, mit Wirkung vom 31. Mai 1985 als verfassungswidrig aufgehoben. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Feststellungsbescheides vom 24. Jänner 1985 sei zwar § 7 Abs. 4 StbG 1965 noch in Geltung gestanden, jedoch gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG als Anlassfall auf das Verfahren des Revisionswerbers nicht mehr anzuwenden gewesen. Von der mit 31. Juli 1985 in Kraft getretenen Nachfolgeregelung des § 7a Abs. 1 StbG 1965 bzw. später in Kraft getretenen Novellierungen sei der vorliegende Sachverhalt nicht erfasst. Eine Aufhebung des Feststellungsbescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG finde daher in den einschlägigen Regelungen des StbG keine Deckung.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen zur unrechtmäßigen und rechtsgrundlosen Erlassung des Feststellungsbescheides vom 24. Jänner 1985 sei die belangte Behörde bei der Erlassung dieses Bescheides einerseits angesichts des noch offenen Feststellungsantrags des Revisionswerbers gemäß § 73 Abs. 1 AVG ihrer Entscheidungspflicht und andererseits ihrer Verpflichtung gemäß § 87 Abs. 2 VfGG, mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, nachgekommen. Unabhängig davon diene das vorliegende Verfahren nicht der Überprüfung des durch den Bescheid vom 24. Jänner 1985 rechtskräftig abgeschlossenen Feststellungsverfahrens.

Schließlich sei der belangten Behörde auch darin zu folgen, dass weder der Umstand, wonach der Revisionswerber über einen 1984 ausgestellten österreichischen Reisepass verfügt habe, noch ein allfälliger Eintrag in der österreichischen Wählerevidenz geeignet seien, den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu begründen.

9        Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die angefochtene Entscheidung im Einklang mit der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 AVG stehe und im Übrigen die Auslegung des Feststellungsbescheides vom 24. Jänner 1985 eine einzelfallbezogene Rechtsfrage darstelle. Schließlich bestehe kein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes, weshalb eine Partei durch die Ablehnung ihres darauf gerichteten Begehrens nicht in ihren Rechten verletzt sein könne.

10       Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 741/2019-5, die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

11       In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.

12       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

14       Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15       Die Revision begründet ihre Zulässigkeit zunächst damit, es bestünden „gewichtige Stimmen in der Literatur“ gegen die Rechtsprechung, wonach kein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Rechts zustehe und eine Partei durch Ablehnung ihres Begehrens nicht in ihren Rechten verletzt sein könne. Folgte man dieser Rechtsprechung, würde dadurch eine Kategorie von „freiem“ Ermessen geschaffen, das zum „Belieben“ der Behörde mutiere und im Ergebnis zu einer Unüberprüfbarkeit durch die Höchstgerichte führe. Ohne Möglichkeit für einen Betroffenen, gegen eine Weigerung der Behörde mit Rechtsmitteln vorzugehen, bleibe, auch wenn die gebotene Interessensabwägung zu einem anderen Ergebnis führe oder die Behörde die Abwägung überhaupt unterlassen habe, das „ermessensfehlerhafte Vorgehen“ ohne Konsequenz. Das führe zum eigenartigen Ergebnis, dass „die Partei die Nichtausübung der Befugnisse gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG, auch wenn die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen entgegen Art. 130 Abs. 2 B-VG nicht ‚im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat‘, einen in Wahrheit rechtswidrigen Bescheid akzeptieren muss“. Insbesondere sei Ermessen stets im Sinne des Gesetzes auszuüben. Soweit die Rechtsprechung unterstelle, dass eine Entscheidung nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG im „freien“ Ermessen der Behörde liege, sei fraglich, ob dies mit den „rechtstaatlichen Verfassungsvorgaben“ konformgehe.

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs. 7 AVG, dass niemandem ein Rechtsanspruch auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumten Abänderungs- und Behebungsrechtes zusteht. Die Ausübung des Aufsichtsrechtes kann zwar angeregt, nicht aber erzwungen werden. Die Nichtausübung der Befugnisse nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG ist vollständig der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (dh auch hinsichtlich der Gründe, warum die Behörden nicht von der ihnen eingeräumten Möglichkeit der Aufhebung bzw. Abänderung Gebrauch machen) entzogen (vgl. zu alledem zuletzt VwGH 30.1.2019, Ra 2018/12/0057, Rn. 17, sowie VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0152, Rn. 14, jeweils mwN). Dass die Wahrnehmung dieser Aufsichts-Befugnisse nicht im „Belieben“ der Behörde steht, sondern ihr dabei Ermessen zukommt, vermag daran nichts zu ändern (vgl. etwa VwGH 28.2.2012, 2012/05/0017; 8.10.2018, Ra 2018/11/0164, Rn. 10; 15.5.2019, Ra 2018/01/0152, Rn. 14, jeweils mwN).

17       Die Revision zeigt in ihrer Zulässigkeitsbegründung keine hinreichenden Argumente auf, von der dargelegten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzugehen.

18       Mangels Beschwerdelegitimation des Revisionswerbers kommt den übrigen im Zulässigkeitsvorbringen näher dargelegten Rechtsfragen zur Auslegung des Begriffs „Anlassfall“ iSd Art. 140 Abs. 7 B-VG, der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 StbG 1965 gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG in Bezug auf den Revisionswerber, der behaupteten Unvertretbarkeit und des die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Auslegungsergebnisses des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Feststellungsbescheides vom 24. Jänner 1985 sowie der behaupteten Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts durch das angefochtene Erkenntnis keine rechtliche Relevanz zu. Der Verwaltungsgerichtshof ist, wenn er zur Erkenntnis gelangt, dass der Revisionswerber durch die angefochtene Entscheidung unabhängig von der Frage ihrer Gesetzmäßigkeit in seinem Recht nicht verletzt sein kann, zur Lösung bloß abstrakter Rechtsfragen nicht berufen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/01/0105, Rn. 6, mwN).

19       Schließlich ist der in den Zulässigkeitsausführungen behaupteten „Unionsrechtswidrigkeit“ entgegen zu halten, dass entgegen den beiden Urteilen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 2. März 2010 in der Rechtssache C-135/08, Rottmann, sowie vom 12. März 2019 in der Rechtssache C-221/17, Tjebbes ua, dem Revisionswerber vorliegend durch den rechtskräftigen Feststellungsbescheid vom 24. Jänner 1985 und die Nichtausübung des der belangten Behörde nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts die österreichische Staatsbürgerschaft und damit verbunden der Unionsbürgerstatus weder entzogen wurde, noch sonst verloren ging, sondern weit vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit rechtskräftigem Bescheid festgestellt wurde, dass der Revisionswerber diese nicht erworben hat. Ausgehend davon besteht weder eine Grundlage für die angeregte Befassung des EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, noch wird in diesem Zusammenhang eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage dargetan.

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Jänner 2021

Schlagworte

Ermessen VwRallg8 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019010360.L00

Im RIS seit

16.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten