TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/18 Ra 2020/03/0134

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Veröffentlicht am 18.01.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/13 Sonstiges allgemeines Privatrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §59 Abs1
EisbEG 1954 §44 Abs1
EisbEG 1954 §7 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §27
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen die Kostenentscheidung im Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 16. Juli 2020, Zlen. VGW-101/014/15960/2019-10, VGW-101/V/014/15961/2019, betreffend eine Angelegenheit nach dem Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. W KG in W, vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, 2. Mag. W B und 3. Univ.-Prof. Dr. E B, beide vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als es den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien (weitere) EUR 500,-- an Kostenersatz für die rechtsfreundliche Vertretung im Enteignungsverfahren zugesprochen hat, wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben;

II. den Beschluss gefasst:

Die Revisionsbeantwortung der erstmitbeteiligten Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 24. Oktober 2019 ordnete der Landeshauptmann von Wien im Zuge des Wiener U-Bahn-Baus (unter anderem) gegenüber den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien die Enteignung einer in deren Miteigentum stehenden Liegenschaft durch Einräumung einer näher bezeichneten Dienstbarkeit und Duldung von bautechnischen Hilfsmaßnahmen an. Gleichzeitig setzte er eine Entschädigung für die zwangsweise Einräumung der genannten Servitute in Höhe von EUR 1.861,-- für den Zweitmitbeteiligten und von EUR 519,-- für die Drittmitbeteiligte fest.

2        Dagegen erhoben die zweit- und drittmitbeteiligten Parteien Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, in der sie sich gegen die Enteignung als solche, aber auch dagegen wandten, dass die Behörde über ihren Antrag auf Zuerkennung einer Pauschalvergütung gemäß § 7 Abs. 3 letzter Satz EisbEG nicht entschieden habe. Hilfsweise stellten sie den Antrag, das Verwaltungsgericht möge über diesen noch offenen Antrag gemäß § 7 Abs. 3 EisbEG entscheiden.

3        Mit Bescheid vom 29. November 2019 trug der Landeshauptmann von Wien der W KG (erstmitbeteiligte Partei) als Enteignungswerberin gemäß § 7 Abs. 3 EisbEG auf, die mit insgesamt EUR 500,-- bestimmten Kosten der anwaltlich vertretenen Enteignungsgegner (zweit- und drittmitbeteiligte Parteien) zu ersetzen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der zweit- und drittmitbeteiligten Parteien gegen den Ausspruch der Enteignung als unbegründet ab, verpflichtete die erstmitbeteiligte Partei aber gemäß § 7 Abs. 3 EisbEG, den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien weitere EUR 500,-- an Kostenersatz für die rechtsfreundliche Vertretung im Enteignungsverfahren zu ersetzen. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        Die Kostenentscheidung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass jeder Enteignungsgegner auch im Falle einer Enteignung Anspruch auf Kostenersatz für seine rechtsfreundliche Vertretung im Enteignungsverfahren habe, der fallbezogen jeweils EUR 500,-- ausmache. Davon sei den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien mit dem - zulässigen - gesonderten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. November 2019 bereits (rechtskräftig) die Hälfte der Pauschvergütung zuerkannt worden. Der Restbetrag sei vom Verwaltungsgericht zuzusprechen, weil durch die Verpflichtung zur Erledigung der Hauptsache auch die akzessorische Kostenentscheidung mit zu erledigen sei (Hinweis auf VwGH 29.11.2016, Ra 2016/06/0066).

6        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend macht, das Verwaltungsgericht habe mit seiner Kostenentscheidung den Prüfungsumfang gemäß § 27 VwGVG überschritten bzw. unzulässig in die Rechtskraft der Kostenentscheidung mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. November 2019 eingegriffen. Den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien wäre deshalb kein weiterer Kostenersatz zuzuerkennen gewesen.

7        Die zweit- und drittmitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung und hilfsweise die Abweisung der Amtsrevision beantragten.

8        Die erstmitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Amtsrevision argumentativ unterstützte und beantragte, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9        Die Revision ist zulässig und begründet.

10       Gemäß § 7 Abs. 3 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz, BGBl. 
Nr. 71/1954 idF BGBl. I Nr. 111/2010 (EisbEG), hat der Enteignungsgegner im Enteignungsverfahren Anspruch auf Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten seiner rechtsfreundlichen Vertretung und sachverständigen Beratung. Dem Enteignungsgegner gebührt voller Kostenersatz, soweit der Enteignungsantrag ab- oder zurückgewiesen oder in einem nicht nur geringfügigen Umfang zurückgezogen wird. In allen anderen Fällen gebührt dem Enteignungsgegner eine Pauschalvergütung in Höhe von 1,5 vH der festgesetzten Enteignungsentschädigung, mindestens aber EUR 500,-- und höchstens EUR 7.500,--.

11       Mit dieser gesetzlichen Regelung wurde dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1998, G 372/97 u.a., VfSlg. Nr. 15190, Rechnung getragen, wonach die bis dahin geltende Rechtslage unsachlich gewesen sei, weil der obsiegende Enteignungsgegner in einem Enteignungsverfahren keinen Kostenersatz erhalten hatte, während der Enteignete eine Pauschalvergütung nach § 7 Abs. 3 EisbEG hatte beanspruchen können.

12       § 7 Abs. 3 EisbEG in der seit der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 geltenden Fassung unterscheidet nun in Bezug auf den Kostenersatz für den Enteignungsgegner zwei Fälle:

13       Soweit der Enteignungsantrag ab- oder zurückgewiesen oder in einem nicht nur geringfügigen Umfang zurückgezogen wird, gebührt dem Enteignungsgegner voller Kostenersatz für die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten seiner rechtsfreundlichen Vertretung und sachverständigen Beratung. In allen anderen Fällen, also insbesondere bei Anordnung der Enteignung, gebührt dem Enteignungsgegner eine Pauschalvergütung in näher genannter Höhe. Für diese Kosten hat grundsätzlich gemäß § 44 Abs. 1 EisbEG das Eisenbahnunternehmen einzustehen.

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit dem Enteignungsverfahren erkannt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich vom Modell einer gleichzeitigen Entscheidung der Hauptsache und der Kosten in einem Bescheid ausgegangen sei. Dies schließe eine gesonderte Entscheidung über die Kosten jedoch nicht aus, mache sie der Behörde aber grundsätzlich vor der Erledigung in der Sache selbst nicht zur Pflicht (VwGH 26.1.1995, 94/06/0181). Die Zulässigkeit einer gesonderten Kostenentscheidung im Enteignungsverfahren bestätigte der Verwaltungsgerichtshof auch in seiner weiteren einschlägigen Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 24.10.2000, 2000/05/0139).

15       Im vorliegenden Fall hat die Verwaltungsbehörde eine Enteignung angeordnet, ohne (zumindest) gleichzeitig über den Antrag der Enteignungsgegner auf Zuerkennung der Pauschalvergütung nach § 7 Abs. 3 letzter Satz EisbEG zu entscheiden. Diese Säumnis (welche von den Enteignungsgegnern in der Beschwerde an das Verwaltungsgericht auch gerügt worden ist) wurde durch die nachträgliche Erlassung des Bescheides vom 29. November 2019 beseitigt.

16       Mit diesem Bescheid wurde den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien eine pauschale Kostenvergütung gemäß § 7 Abs. 3 letzter Satz EisbEG in Höhe von insgesamt EUR 500,-- zugesprochen. Der Bescheid wurde nicht angefochten und erwuchs unbestritten in Rechtskraft.

17       Ungeachtet dessen sah sich das Verwaltungsgericht, das die Beschwerde der zweit- und drittbeteiligten Parteien gegen den Ausspruch der Enteignung als unbegründet abwies, als berechtigt und verpflichtet an, die zuvor genannte Kostenentscheidung inhaltlich zu korrigieren, indem es den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien weitere EUR 500,-- als Pauschalkostenersatz zuerkannte.

18       Diese Vorgangsweise stützte das Verwaltungsgericht auf die Rechtsansicht, es habe wegen der Entscheidung in der Hauptsache auch den akzessorischen Kostenersatz mit zu erledigen. Mit anderen Worten vertrat das Verwaltungsgericht die Auffassung, die Zuerkennung von EUR 500,-- durch die Verwaltungsbehörde sei zwar in Rechtskraft erwachsen. Dies hindere das Verwaltungsgericht aber nicht, im Zuge seiner Erledigung der Beschwerde in der Hauptsache den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien auch weitere Kosten zuzuerkennen.

19       Das zum Beleg für diese Rechtsansicht zitierte höchstgerichtliche Erkenntnis (VwGH 29.11.2016, Ra 2016/06/0066) erweist sich freilich als nicht einschlägig: Anders als hier lag dem genannten Erkenntnis kein Fall zugrunde, in dem die Verwaltungsbehörde über den Antrag auf Zuerkennung einer Pauschalvergütung nach § 7 Abs. 3 letzter Fall EisbEG bereits gesondert und rechtskräftig entschieden hatte. Dementsprechend ist die dort getätigte Aussage, dass die Kostenentscheidung zur Erledigung der Hauptsache akzessorisch sei und das Verwaltungsgericht durch die Verpflichtung zur Erledigung der Hauptsache auch die akzessorische Kostenentscheidung mit zu erledigen habe, vor dem Hintergrund des damals entschiedenen Falles zu sehen.

20       Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon - wie bereits erwähnt - dadurch, dass die Verwaltungsbehörde den Antrag der zweit- und drittmitbeteiligten Parteien auf Zuerkennung einer Pauschalvergütung gemäß § 7 Abs. 3 letzter Satz EisbEG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits rechtskräftig entschieden hatte. Selbst wenn diese Entscheidung inhaltlich falsch gewesen sein sollte, konnte sie vom Verwaltungsgericht nicht mehr korrigiert werden. Sie war weder vom Prüfungsumfang der Beschwerde gemäß § 27 VwGVG umfasst noch durfte in die Rechtskraft der behördlichen Entscheidung über die Pauschalvergütung eingegriffen werden. Das Verwaltungsgericht hat eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Kosten in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam.

21       Hätte das Verwaltungsgericht hingegen der Beschwerde in der Hauptsache stattgegeben und den Enteignungsantrag ab- oder zurückgewiesen, so wäre es auch berechtigt und verpflichtet gewesen, über den akzessorischen Kostenersatz neu zu entscheiden und - unter Bedachtnahme auf den mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. November 2019 bereits zuerkannten Kostenersatzbetrag - den zweit- und drittmitbeteiligten Parteien vollen Kostenersatz im Sinne des § 7 Abs. 3 erster und zweiter Satz EisbEG zuzusprechen. Diese Voraussetzungen lagen fallbezogen aber nicht vor.

22       Das angefochtene Erkenntnis war daher im Anfechtungsumfang (Kostenentscheidung) vorrangig wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

23       Die Revisionsbeantwortung der erstmitbeteiligten Partei war zurückzuweisen, weil das VwGG keinen Eintritt als mitbeteiligte Partei auf Seiten der revisionswerbenden Partei kennt, um deren Argumente zu ergänzen. Die „Revisionsbeantwortung“ der erstmitbeteiligten Partei war daher der Sache nach als Revision anzusehen, die jedoch verspätet erhoben worden ist (vgl. dazu etwa VwGH 8.4.2019, Ro 2018/03/0058, mwN).

Wien, am 18. Jänner 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020030134.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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