TE Vwgh Beschluss 2021/1/20 Ra 2020/19/0299

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Veröffentlicht am 20.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Revision des M A alias A in W, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2020, W195 2224929-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 30. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, aufgrund seiner politischen Aktivität bei der Bangladesh Nationalist Party (BNP) verfolgt worden zu sein.

2        Mit Bescheid vom 18. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe in Bangladesch keine Funktion in der BNP oder einer Unterorganisation innegehabt und es sei keine Anzeige gegen ihn erhoben oder ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden. Es werde auch nicht festgestellt, dass der Revisionswerber in Bangladesch von der Polizei gesucht worden sei bzw. werde oder von Anhängern der Awami League oder einer Unterorganisation verfolgt werde. Der Revisionswerber sei somit in seinem Herkunftsland keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt gewesen und es drohe ihm auch keine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dass der Revisionswerber im Falle der Rückkehr Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, habe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden können. Dem Revisionswerber sei es auch nicht gelungen darzulegen, inwieweit er durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zudem handle es sich bei dem Revisionswerber um einen arbeitsfähigen und gesunden Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Er habe die überwiegende Zeit seines Lebens in Bangladesch verbracht, sei dort sozialisiert worden und habe dort die Schule besucht. Überdies verfüge er auch über familiäre Anknüpfungspunkte, wodurch im Falle einer Rückkehr auch eine ausreichende soziale und wirtschaftliche Unterstützung gewährleistet sei.

5        In offener Revisionsfrist beantragte der Revisionswerber die Gewährung von Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision.

6        Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 7. September 2020 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Verfahrenshilfe abgewiesen.

7        Am 27. Oktober 2020 brachte der Revisionswerber, vertreten durch einen Rechtsanwalt, beim BVwG im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des BVwG ein.

8        Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 2020 wurde dem Revisionswerber aufgetragen, den Tag, an dem ihm der die Verfahrenshilfe abweisende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. September 2020 zugestellt wurde, anzugeben.

9        In seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 2020 führte der Revisionswerber aus, dass dieser Beschluss am 14. September 2020 zugestellt worden sei. Unter einem stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

10       Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

11       Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet.

12       Laut Stellungnahme des Revisionswerbers wurde der die Verfahrenshilfe abweisende Beschluss vom 7. September 2020 diesen am 14. September 2020 zugestellt. Die sechswöchige Revisionsfrist endete somit - aufgrund des Feiertags am 26. Oktober 2020 - am 27. Oktober 2020. Die am 27. Oktober 2020 im Weg des ERV eingebrachte Revision war somit rechtzeitig.

13       Mangels Fristversäumnis erweist sich der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung daher als unzulässig und war aus diesen Erwägungen gemäß § 46 Abs. 4 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (vgl. VwGH 29.10.2014, Ro 2014/01/0032).

14       Zur Revision:

15       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18       Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG und bringt dazu zusammengefasst vor, der Revisionswerber habe die ihm konkret drohende Gefahr im Rahmen seiner Möglichkeiten dargelegt. Dabei sei zu bedenken, dass der Revisionswerber nach seiner Flucht in Österreich nur über beschränkte Möglichkeiten verfüge, aus seinem Heimatland Urkunden und Beweismittel beizuschaffen. Das BVwG habe dies nicht beachtet, sondern ein „viel zu hohes Maß an Bescheinigungsverpflichtung dem Revisionswerber auferlegt“. Im gesamten Verfahren sei nicht herausgearbeitet worden, warum der vom Revisionswerber vorgebrachten politischen Verfolgung kein Glaube geschenkt worden sei, sondern pauschal darauf verwiesen worden, dass der Inhalt der vorgelegten Übersetzungen nicht mit den Angaben des Revisionswerbers übereinstimmten. Auch das Parteiengehör des Revisionswerbers sei verletzt worden, weil von seiner Unglaubwürdigkeit ausgegangen worden sei, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dem Revisionswerber sei es gelungen, seine Verfolgung glaubhaft zu machen und er befürchte eine Verfolgung durch bengalische Behörden, weil gegen ihn weitere Anzeigen anhängig gemacht werden könnten. Demnach drohe dem Revisionswerber strafrechtliche Verfolgung und damit eine lange Haft unter unmenschlichen Bedingungen. Mit der durch das BVwG vorgenommenen Beweiswürdigung, dass es sich bei der Anzeige um eine Fälschung handle, sei dem Revisionswerber auch die Möglichkeit genommen worden, darzulegen, dass die angeblich begangenen Delikte in einem Zusammenhang mit seiner politischen Gesinnung stünden. Eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach er im Falle seiner Rückkehr mit weiteren ungerechtfertigten strafrechtlichen Verfolgungen konfrontiert sein werde, sei nicht erfolgt, sondern damit begründet worden, dass er keine besondere Stellung in der BNP bzw. einer Unterorganisation eingenommen habe. Die Aufgabe der Staatendokumentation sei es aber, den realen Hintergrund der Situation im Herkunftsstaat, anhand dessen nach der Rechtsprechung die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen zu messen sei, einzelfallunabhängig bereitzustellen. Es liege in diesem Sinne eine Verletzung von Verfahrensvorschriften insoweit vor, als eine antizipierende Beweiswürdigung über ein vermutetes Ergebnis von noch nicht aufgenommenen Beweisen vorgenommen worden sei.

19       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0258, mwN).

20       Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, in einer auf den Einzelfall Bedacht nehmenden Beweiswürdigung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht auseinandergesetzt und die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen als nicht glaubwürdig erachtet. Seine Beweiswürdigung stützte es dabei auf diverse Widersprüche und Ungereimtheiten in den Ausführungen des Revisionswerbers. Mit den vom Revisionswerber vorgelegten Schriftstücken setzte sich das BVwG im Rahmen seiner Beweiswürdigung ebenfalls auseinander und führte aus, diese änderten nichts an der aufgrund der obigen Ausführungen festgestellten mangelnden Glaubwürdigkeit der die Flucht begründenden Angaben, sondern verstärkten vielmehr den Eindruck der Unglaubwürdigkeit. Dass diese Erwägungen an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit litten, vermag die Revision mit ihrem Vorbringen nicht darzutun.

21       Hinsichtlich des Vorbringens in der Revision, es hätte nicht von der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgegangen werden dürfen, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach sich das Recht auf Parteiengehör nur auf den vom BVwG festzustellenden maßgeblichen Sachverhalt bezieht. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG zählt aber nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Es besteht zudem keine Verpflichtung des BVwG, dem Asylwerber im Wege eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. erneut VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0258, mwN).

22       Soweit die Revision mangelnde Ermittlungen und damit einhergehend eine antizipierende Beweiswürdigung rügt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 25.11.2020, Ra 2020/19/0071, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision mit dem unsubstantiierten Vorbringen, es sei eine antizipierende Beweiswürdigung über ein vermutetes Ergebnis von noch nicht aufgenommenen Beweisen vorgenommen worden, nicht gerecht.

23       Zur Zulässigkeit der Revision wird darüber hinaus vorgebracht, dass sich das BVwG im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt habe, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr mit Strafanzeigen konfrontiert sein werde, welche ausschließlich auf einer politischen Falschanzeige beruhten und somit nach wie vor Auswirkungen auf seine Lebenssituation hätten.

24       Mit diesem Vorbringen wird aber schon deswegen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil sich die Revision damit vom festgestellten Sachverhalt entfernt, wonach der Revisionswerber in Bangladesch keine Funktion in der BNP oder einer Unterorganisation innegehabt habe, keine Anzeige gegen ihn erhoben oder ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden sei und er nicht von der Polizei gesucht worden sei bzw. von Anhängern der Awami League oder einer Unterorganisation verfolgt werde.

25       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190299.L01

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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