TE Vfgh Erkenntnis 2020/11/26 E957/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2020
beobachten
merken

Index

62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1
StGG Art2
AlVG §26
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Bezug von Weiterbildungsgeld nach dem ArbeitslosenversicherungsG für die lehrveranstaltungsfreien Sommermonate mangels Prüfung des erbrachten Studienerfolgs

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin befand sich vom 2. Juli 2019 bis zum 30. September 2019 in Bildungskarenz und stellte für diesen Zeitraum einen Antrag auf Gewährung von Weiterbildungsgeld beim Arbeitsmarktservice Wien (Wagramer Straße). Mit Bescheid vom 8. Juli 2019 wies die belangte Behörde diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführerin keinen Nachweis über die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme von 20 bzw 16 Wochenstunden erbringen habe können und dass die Bildungskarenz nicht zumindest zwei Monate in der Lehrveranstaltungszeit liege.

2. Die gegen diesen Bescheid – in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 4. September 2019 – erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10. Februar 2020 als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Beschwerdeführerin seit 1. März 2017 für das Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Johannes Kepler Universität Linz inskribiert sei und dass der Zeitraum Juli bis September vorlesungsfreie Zeit sei. Einen Nachweis gemäß §26 Abs1 Z1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl 609/1977, idF BGBl I 53/2016 über das Stundenausmaß für die erforderlichen Lern- und Übungszeiten habe die Beschwerdeführerin nicht erbringen können. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Gewährung von Weiterbildungsgeld in verhältnismäßig kurzen Zeiten, in denen keine Weiterbildungsmaßnahme besucht werde, unter bestimmten Umständen gerechtfertigt. Die Beschwerdeführerin habe ausschließlich für die drei Monate der Sommerferien, in denen keine Lehrveranstaltungen stattgefunden hätten, die Gewährung von Weiterbildungsgeld beantragt. Es könne sohin nicht von einer verhältnismäßig kurzen Zeit gesprochen werden.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach Art7 B-VG bzw Art2 StGG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

§26 Abs1 AlVG idF BGBl I 53/2016 lautet:

"Abschnitt 2

Leistungen zur Beschäftigungsförderung

Weiterbildungsgeld

§26. (1) Personen, die eine Bildungskarenz gemäß §11 oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 AVRAG in Anspruch nehmen und die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen, gebührt für die vereinbarte Dauer ein Weiterbildungsgeld in der Höhe des Arbeitslosengeldes, mindestens jedoch in der Höhe von 14,53 Euro täglich, bei Erfüllung der nachstehenden Voraussetzungen:

    1. Bei einer Bildungskarenz gemäß §11 AVRAG muss die Teilnahme an einer im Wesentlichen der Dauer der Bildungskarenz entsprechenden Weiterbildungsmaßnahme nachgewiesen werden. Das Ausmaß der Weiterbildungsmaßnahme muss mindestens 20 Wochenstunden, bei Personen mit Betreuungsverpflichtungen für Kinder bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr, für die keine längere Betreuungsmöglichkeit besteht, mindestens 16 Wochenstunden betragen. Umfasst die Weiterbildungsmaßnahme nur eine geringere Wochenstundenanzahl, so ist nachzuweisen, dass zur Erreichung des Ausbildungszieles zusätzliche Lern- und Übungszeiten in einem Ausmaß erforderlich sind, dass insgesamt eine vergleichbare zeitliche Belastung besteht. Eine praktische Ausbildung darf nicht beim karenzierenden Arbeitgeber stattfinden, es sei denn, dass die Ausbildung nur dort möglich ist.

    2. Bei einer Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes gemäß §12 AVRAG muss die Einstellung einer nicht nur geringfügig beschäftigten Ersatzarbeitskraft, die zuvor Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen hat, nachgewiesen werden.

    3. Innerhalb einer Rahmenfrist von vier Jahren kann, unabhängig davon ob eine Bildungskarenz oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgelts vorliegt, insgesamt längstens ein Jahr Weiterbildungsgeld bezogen werden. Wenn die Weiterbildungsmaßnahme in Teilen stattfindet, kann das Weiterbildungsgeld innerhalb einer Rahmenfrist von vier Jahren fortbezogen werden. Wurde innerhalb der Rahmenfrist bereits Bildungsteilzeitgeld (§26a) bezogen, so ist der Zeitraum, in dem Bildungsteilzeitgeld bezogen wurde, zur Hälfte auf die Bezugsdauer für Weiterbildungsgeld anzurechnen. Bruchteile von Tagen bleiben außer Betracht. Die Anwartschaft ist nur bei der ersten Inanspruchnahme von Weiterbildungsgeld oder Bildungsteilzeitgeld innerhalb des Vierjahreszeitraumes zu erbringen. Wurde innerhalb der Rahmenfrist zuerst Bildungsteilzeitgeld bezogen, so ist das Weiterbildungsgeld zum Zeitpunkt der ersten Geltendmachung des Weiterbildungsgeldes innerhalb des Vierjahreszeitraumes zu bemessen.

    4. Vor Inanspruchnahme der Bildungskarenz muss die karenzierte Person aus dem nunmehr karenzierten Arbeitsverhältnis ununterbrochen sechs Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein; bei einem befristeten Arbeitsverhältnis in einem Saisonbetrieb muss sie ununterbrochen drei Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Zeiten, die gemäß §14 Abs4 und 5 auf die Anwartschaft anzurechnen sind, sind wie Zeiten arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung zu werten.

    5. Erfolgt die Weiterbildung in Form eines Studiums an einer im §3 des Studienförderungsgesetzes 1992 (StudFG), BGBl Nr 305/1992, genannten Einrichtung, so ist nach jeweils sechs Monaten (nach jedem Semester) ein Nachweis über die Ablegung von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern im Gesamtumfang von vier Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von acht ECTS-Punkten oder ein anderer geeigneter Erfolgsnachweis (wie beispielsweise Ablegung der Diplomprüfung oder des Rigorosums oder Bestätigung des Fortschrittes und zu erwartenden positiven Abschlusses einer Diplomarbeit oder sonstigen Abschlussarbeit) zu erbringen. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im §3 StudFG genannten Einrichtungen zu erbringen. Wer den Nachweis nicht erbringt, verliert den Anspruch auf Weiterbildungsgeld für die weitere mögliche Bezugsdauer innerhalb der Rahmenfrist gemäß Z3. Das Arbeitsmarktservice hat nach Anhörung des Regionalbeirates den Anspruchsverlust nachzusehen, wenn berücksichtigungswürdige Gründe für die Nichterbringung der erforderlichen Nachweise vorliegen, insbesondere wenn diese auf unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse oder Umstände zurückzuführen sind."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. §26 Abs1 Z1 AlVG sieht vor, dass für den Bezug von Weiterbildungsgeld die Teilnahme an einer im Wesentlichen der Dauer der Bildungskarenz entsprechenden Weiterbildungsmaßnahme im Ausmaß von mindestens 20 bzw 16 Wochenstunden bei Personen mit Betreuungsverpflichtungen für Kinder bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr nachgewiesen werden muss. Erfolgt die Weiterbildung aber in Form eines Studiums, so ist gemäß §26 Abs1 Z5 AlVG nach jeweils sechs Monaten ein Nachweis über die Ablegung von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern im Gesamtumfang von vier Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von acht ECTS-Punkten zu erbringen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dafür nicht die Teilnahme an Lehrveranstaltungen, sondern der Erfolg durch die positive Ablegung von Prüfungen oder anderweitige Bestätigungen nachzuweisen (VwGH 14.9.2016, Ra 2015/08/0210).

3.2. Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an einer Universität inskribiert sei. In weiterer Folge hat es die Erfüllung der Voraussetzungen nach §26 Abs1 Z1 AlVG geprüft und diese mangels eines von der Beschwerdeführerin vorgelegten Nachweises über das Stundenausmaß für erforderliche Lern- und Übungszeiten verneint. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht aber, dass Z5 leg.cit. für den Fall, dass die Weiterbildung in Form eines Studiums erfolgt, spezielle Voraussetzungen enthält. Nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Weiterbildung in Form eines Studiums nicht (wie nach Z1 leg.cit.) die Teilnahme an Lehrveranstaltungen, sondern der Erfolg durch positive Ablegung von Prüfungen oder anderweitige Bestätigungen nachzuweisen (vgl auch die Erläut zur RV des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2013, 2150 BlgNR 24. GP, 14). Indem das Bundesverwaltungsgericht lediglich die allgemeinen Voraussetzungen nach Z1 leg.cit. für den Bezug von Weiterbildungsgeld geprüft und verneint, §26 Abs1 Z5 AlVG aber unberücksichtigt gelassen hat, hat es insoweit den Inhalt des §26 Abs1 AlVG verkannt und die Bestimmung denkunmöglich angewandt.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher mit Willkür behaftet und somit aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Da die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt, ist der Ersatz der Eingabengebühr nicht zuzusprechen.

Schlagworte

Ausbildung, Arbeitslosenversicherung, Studienbeihilfen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E957.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten