TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/18 Ra 2019/04/0083

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Veröffentlicht am 18.01.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2018
BVergG 2018 §20
BVergG 2018 §274 Abs2 Z1
BVergG 2018 §274 Abs3
BVergG 2018 §342
BVergG 2018 §347
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, über die Revision der W KG in W, vertreten durch die Estermann Pock Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Rennweg 17/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25. April 2019, VGW-123/072/3885/2019-23, VGW-123/V/072/3901/2019, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Partei: K GmbH in M, vertreten durch LTRA Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Die Revisionswerberin (W KG) führte als Sektorenauftraggeberin ein offenes Verfahren im Unterschwellenbereich zur Beschaffung von Papierhandtuchrollen nach dem Billigstbieterprinzip durch. Es wurden drei Angebote abgegeben, wobei die mitbeteiligte Partei (K GmbH) das billigste Angebot und die B GmbH das zweitbilligste Angebot legte.

2        Mit Schreiben vom 7. März 2019 teilte die Auftraggeberin der mitbeteiligten Partei mit, dass ihr Angebot ausgeschieden worden und beabsichtigt sei, den Zuschlag der B GmbH zu erteilen. Das Ausscheiden wurde damit begründet, dass die von der mitbeteiligten Partei angebotenen Papierhandtuchrollen qualitativ nicht gleichwertig zum ausgeschriebenen Artikel seien und die Halterung der angebotenen Papierhandtuchrollen zu locker für das vorhandene Spendersystem sei.

3        Gegen diese Auftraggeberentscheidungen erhob die mitbeteiligte Partei jeweils einen Nachprüfungsantrag, in dem vorgebracht wurde, dass die mitbeteiligte Partei ein (mit dem Leitprodukt) gleichwertiges Produkt angeboten habe und ihr Angebot daher zu Unrecht ausgeschieden worden sei.

4        2. Mit dem am 25. April 2019 mündlich verkündeten und mit gleichem Datum schriftlich ausgefertigten angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien diesen Anträgen statt und erklärte sowohl die Ausscheidensentscheidung als auch die Zuschlagsentscheidung für nichtig. Die Auftraggeberin wurde zum Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren verpflichtet; die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde jeweils für unzulässig erklärt.

5        2.1. Das Verwaltungsgericht hielt zunächst fest, dass in der mündlichen Verhandlung der Versuch durchgeführt worden sei, aus dem bei der Auftraggeberin bereits vorhandenen Spender jeweils ein von der mitbeteiligten Partei bzw. der B GmbH angebotenes Papierhandtuch zu entnehmen, was in beiden Fällen problemlos gelungen sei.

6        Der Gegenstand des Vergabeverfahrens sei in der Ausschreibung wie folgt beschrieben gewesen:

„Papierhandtuchrollen 2-lagig, weiß, Tork Matic Rollenhandtuch Advanced 290067 oder gleichwertig

Passend für die bereits vorhandenen Tork Matic Rollenhandtuchspender Weiß H1 (Art. 55 10 00)“

Weitere Festlegungen zur Papierqualität seien in der Ausschreibung nicht getroffen worden.

7        Auf die Anfrage, ob ein Rollenhandtuch mit der gleichen Rollenbreite und Rollenlänge wie das (in der Ausschreibung angegebene) Leitprodukt als gleichwertig anzusehen sei, habe die Auftraggeberin in der Fragebeantwortung 5 wie folgt geantwortet:

„Ja, dies ist gleichwertig. Die Handtuchrollen müssen aber mit dem Tork-Rollenhandtuchspender gemäß LV kompatibel sein (daher muss der Hersteller der Tücher ident mit dem Spender sein).“

Die mitbeteiligte Partei habe zu der (zuletzt wiedergegebenen) Aussage der Auftraggeberin die Auffassung vertreten, es handle sich dabei um eine bloße Wissenserklärung bzw. Schlussfolgerung, die nicht bestandfest werden könne und die durch den vom Verwaltungsgericht durchgeführten Versuch widerlegt worden sei. Dieser Sichtweise sei die Auftraggeberin entgegengetreten. Das Verwaltungsgericht hielt in diesem Zusammenhang fest, dass alle Bieter die Fragen und Fragebeantwortungen zur Verfügung gestellt bekommen hätten.

8        2.2. Dem - seitens der Auftraggeberin für das Ausscheiden des Angebotes der mitbeteiligten Partei herangezogenen - Argument, die Halterung der angebotenen Papierrollen sei zu locker, trat das Verwaltungsgericht (unter Bezugnahme auf die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Überprüfung der Funktionsweise des Spenders) in seinen rechtlichen Erwägungen mit näherer Begründung entgegen. Den von der Auftraggeberin ebenfalls geäußerten Bedenken hinsichtlich der Papierqualität hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass in der Ausschreibung diesbezüglich keine näheren Festlegungen getroffen worden seien und aus der Papierqualität somit keine Ausschreibungswidrigkeit abgeleitet werden könne.

9        Die Auftraggeberin habe - so das Verwaltungsgericht weiter - zur Begründung der Ausscheidensentscheidung auch auf die Fragebeantwortung 5 verwiesen, in der sie bestandfest festgelegt habe, dass der Hersteller der Handtuchrolle mit demjenigen des Spenders ident sein müsse. Diese Festlegung sei nicht angefochten und daher bestandfest geworden. Das von der mitbeteiligten Partei angebotene Produkt stamme nicht vom Hersteller der Spender und sei daher nach Ansicht der Auftraggeberin auch aus diesem Grund ausschreibungswidrig.

10       Dem hielt das Verwaltungsgericht Folgendes entgegen: Die ausgeschriebenen Papierhandtuchrollen müssten bestimmte Eigenschaften aufweisen, um den funktionalen Anforderungen der Auftraggeberin zu entsprechen. Insbesondere müssten sie eine bestimmte Breite und Befestigungsvorrichtung haben, um in die bereits vorhandenen Handtuchspender eingesetzt werden zu können. Dieses - gerechtfertigte - Merkmal stelle eine technische Spezifikation dar. Auch die Festlegung eines Leitproduktes mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ sei zulässig; ohne diesen Zusatz würde die Ausschreibung aber gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der Bieter verstoßen. Der Festlegung des Leistungsgegenstandes in der Ausschreibung könne nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass nur Papierhandtuchrollen des Herstellers der bereits vorhandenen Spender zugelassen seien. Erst in der Fragebeantwortung 5 habe die Auftraggeberin geschlossen, dass der Hersteller der Papierhandtücher mit demjenigen des Spenders ident sein müsse, damit die Handtuchrollen mit den bereits vorhandenen Spendern kompatibel seien. Dabei handle es sich ebenfalls um eine technische Spezifikation, weil diese Festlegung ein gefordertes Merkmal des ausgeschriebenen Produktes bezeichne. Die Auftraggeberin bringe damit zum Ausdruck, dass ihrer Ansicht nach nur Produkte des Herstellers des Papierhandtuchspenders mit den vorhandenen Spendern kompatibel seien und das Anbieten gleichwertiger Produkte eines anderen Herstellers schon aus diesem Grund nicht als ausschreibungskonform angesehen werde. Dieses Verständnis nehme den Bietern die Möglichkeit, die Gleichwertigkeit eines anderen Produktes nachzuweisen. Anschließend hielt das Verwaltungsgericht wie folgt fest:

„Ein bestandsfester Ausschluss dieses Nachweises ist im Hinblick darauf nicht möglich, dass die Grenzen der Bestandsfestigkeit überschritten werden, wenn durch die Festlegung der Antragsgegnerin Grundprinzipien des Vergaberechts, wie die u.a. in § 274 Abs. 3 BVergG 2018 zum Ausdruck kommenden Grundsätze des freien Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der Bieter, verletzt würden. Dies findet auch in § 274 Abs. 3 BVergG 2018 seinen Niederschlag, zumal nach dieser Bestimmung gleichwertige Produkte nicht rechtswirksam bzw. nicht bestandsfest ausgeschlossen werden können.“

11       Der Nachweis der Gleichwertigkeit hatte gegenständlich durch Vorlage eines Musters zu erfolgen. Der im Nachprüfungsverfahren durchgeführte Versuch habe nicht ergeben, dass die von der mitbeteiligten Partei angebotene Handtuchrolle mit den vorhandenen Spendern nicht funktionieren würde. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die Gleichwertigkeit erfolgreich nachgewiesen worden sei. Da das Angebot der mitbeteiligten Partei somit nicht ausschreibungswidrig gewesen sei, sei die Ausscheidensentscheidung für nichtig zu erklären gewesen. Gleiches gelte - da das Angebot der mitbeteiligten Partei zu Unrecht ausgeschieden worden sei - auch für die Zuschlagsentscheidung.

12       3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Auftraggeberin.

13       Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       4. Die Revisionswerberin wirft dem Verwaltungsgericht in der Zulässigkeitsbegründung vor, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass eine Festlegung in der Ausschreibung dann nicht bestandfest werden könne, wenn sie gegen Grundsätze des Vergaberechts verstoße. Damit weiche das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Verweis auf VwGH 18.8.2017, Ra 2017/04/0077; 21.12.2016, Ra 2016/04/0132; 16.12.2015, Ra 2015/04/0071; 27.6.2007, 2005/04/0234), der zufolge bestandfeste Entscheidungen des Auftraggebers dem weiteren Vergabeverfahren auch dann zu Grunde zu legen seien, wenn diese Entscheidungen fundamentale Bestimmungen des Vergaberechts verletzten.

15       Zu dem vom Verwaltungsgericht begründend herangezogenen § 274 Abs. 3 BVergG 2018 bzw. allgemein zur Frage, ob ein Auftraggeber bestandfest das Anbieten von gleichwertigen Produkten ausschließen könne, gebe es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes normiere § 274 Abs. 3 BVergG 2018 nicht, dass eine Bezugnahme auf Normen oder Spezifikationen ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ nicht bestandfest werden könne.

16       Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig.

17       5. Der vom Verwaltungsgericht begründend herangezogene § 274 des Bundesvergabegesetzes 2018 (BVergG 2018), BGBl. I Nr. 65, lautet auszugsweise:

Technische Spezifikationen

§ 274. (1) Technische Spezifikationen müssen allen Bewerbern und Bietern den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewähren und dürfen den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern.

(2) Unbeschadet verbindlich festgelegter, unionsrechtskonformer nationaler technischer Vorschriften sind technische Spezifikationen auf eine der folgenden Arten festzulegen:

1.   unter Beachtung nachstehender Rangfolge:

a)   nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden,

b)   europäische technische Bewertungen,

c)   gemeinsame technische Spezifikationen,

d)   internationale Normen und andere technische Bezugssysteme, die von den europäischen Normungsgremien erarbeitet wurden, oder

e)   falls solche Normen und Spezifikationen fehlen, nationale Normen, nationale technische Zulassungen oder nationale technische Spezifikationen für die Planung, Berechnung und Ausführung von Bauleistungen und den Einsatz von Waren,

wobei jede Bezugnahme ausnahmslos mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ zu versehen ist, oder

[...]

(3) Werden technische Spezifikationen gemäß Abs. 2 Z 1 festgelegt, so darf der Sektorenauftraggeber ein Angebot nicht mit der Begründung ablehnen, die angebotene Leistung entspräche nicht den von ihm herangezogenen Spezifikationen, sofern der Bieter mit geeigneten Mitteln in seinem Angebot nachweist, dass die von ihm vorgeschlagene Lösung den Anforderungen der technischen Spezifikationen, auf die Bezug genommen wurde, gleichermaßen entspricht. Als geeignete Mittel gelten insbesondere die Nachweise gemäß § 277.

[...]

(5) Soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Herstellung oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmer bereitgestellten Produkte oder Dienstleistungen charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmer oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann. Sie sind ausnahmslos mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ zu versehen.

(6) Erfolgt ausnahmsweise die Ausschreibung eines bestimmten Erzeugnisses mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘, sind in freien Zeilen (Bieterlücken) des Leistungsverzeichnisses nach der entsprechenden Position vom Bieter Angaben über Fabrikat und Type der von ihm gewählten gleichwertigen Produkte und, sofern gefordert, sonstige diese Produkte betreffende Angaben zu verlangen. Die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung der Gleichwertigkeit sind in der Leistungsbeschreibung anzugeben.“

18       6.1. Das Verwaltungsgericht vertritt die Ansicht, ein bestandfester Ausschluss des Nachweises der Gleichwertigkeit des angebotenen Produktes (mit dem in der Ausschreibung genannten Leitprodukt) sei nicht möglich, weil die Grenzen der Bestandfestigkeit überschritten würden, wenn durch eine Festlegung des Auftraggebers Grundprinzipien des Vergaberechts wie die Grundsätze des freien Wettbewerbs und der Gleichbehandlung verletzt würden.

19       Die Revisionswerberin ist demgegenüber der Ansicht, dass es sich bei der am 14. Februar 2019 allen Bietern zur Verfügung gestellten Fragebeantwortung um eine sonstige Entscheidung während der Angebotsfrist gemäß § 2 Z 15 lit. a sublit. aa BVergG 2018 und damit um eine gesondert anfechtbare Entscheidung handle, die mangels Anfechtung bestandfest geworden und demnach dem weiteren Vergabeverfahren zugrunde zu legen sei. Die Bestandskraft könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Entscheidung vergaberechtlichen Grundsätzen widerspreche.

20       6.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers nicht mehr überprüft werden. Ist eine Ausschreibungsbestimmung mangels rechtzeitiger Anfechtung der Ausschreibung bestandfest geworden, ist sie - unabhängig davon, ob sie bei rechtzeitiger Anfechtung für nichtig zu erklären gewesen wäre - der gegenständlichen Auftragsvergabe zugrunde zu legen (siehe VwGH 22.3.2019, Ra 2017/04/0038, Rn. 26; 16.12.2015, Ra 2015/04/0071, jeweils mwN). Auch im Zusammenhang mit dem Vorbringen, wonach eine näher umschriebene Festlegung der Zielsetzung der Entwicklung eines echten Wettbewerbs widerspreche, hat der Verwaltungsgerichtshof darauf verwiesen, dass diese Festlegung bestandfest geworden sei und allfällige Rechtswidrigkeiten einer bestandfesten Entscheidung vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Nachprüfung einer späteren Auftraggeberentscheidung nicht mehr aufgegriffen werden dürften (vgl. VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0132, Rn. 12, mwN; vgl. weiters zur behaupteten Verletzung fundamentaler Bestimmungen des Vergaberechts VwGH 27.6.2007, 2005/04/0234, mwN). Die Fristgebundenheit von Nachprüfungsanträgen würde nämlich unterlaufen und wäre damit sinnlos, könnte ein Verwaltungsgericht eine unanfechtbar gewordene (bestandfeste) Entscheidung des Auftraggebers im Rahmen der Nachprüfung von auf dieser Entscheidung aufbauenden Entscheidungen des Auftraggebers überprüfen (vgl. VwGH 12.6.2013, 2011/04/0169, mwN).

21       Die Bestandfestigkeit einer Auftraggeberentscheidung ist somit von ihrer Rechtmäßigkeit zu unterscheiden. Ausgehend davon ist die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach eine Verletzung der Grundprinzipien des Vergaberechts nicht bestandfest werden könne, unzutreffend und die Nichtigerklärung der gegenständlichen Auftraggeberentscheidungen kann somit nicht darauf gestützt werden.

22       6.3. Daran vermag der seitens des Verwaltungsgerichtes begründend herangezogene § 274 Abs. 3 BVergG 2018 nichts zu ändern.

23       Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes handle es sich bei der Festlegung, wonach der Hersteller der Handtuchrolle mit dem des Spenders ident sein müsse, um eine technische Spezifikation im Sinn des § 274 Abs. 1 BVergG 2018. Aus § 274 Abs. 3 BVergG 2018 ergebe sich, dass das Anbieten gleichwertiger Produkte nicht bestandfest ausgeschlossen werden könne, weil der Bieter immer die Möglichkeit habe(n müsse), mit geeigneten Mitteln nachzuweisen, dass sein Angebot den Anforderungen der technischen Spezifikationen gleichermaßen entspreche.

24       Dem hält die Revisionswerberin entgegen, dass sich Derartiges aus dem Wortlaut des § 274 Abs. 3 BVergG 2018 nicht ableiten lasse. An keiner Stelle werde normiert, dass eine dazu in Widerspruch stehende Ausschreibung nicht bestandfest werden könne bzw. nicht innerhalb der gesetzlich normierten Anfechtungsfrist angefochten werden müsse. Der Standpunkt des Verwaltungsgerichtes liefe darauf hinaus, dass die gesetzlichen Anfechtungsfristen im Ergebnis unbeachtlich wären. Schließlich würde die Auffassung des Verwaltungsgerichtes zu einer Benachteiligung jener Bieter führen, die sich strikt an die allen Bietern zur Kenntnis gebrachte und unangefochten gebliebene Auftraggeberentscheidung gehalten hätten.

25       § 274 Abs. 2 Z 1 BVergG 2018 sieht vor, dass technische Spezifikationen (bei einer konstruktiven Leistungsbeschreibung) unter Beachtung von (näher aufgezählten) Normen festzulegen sind, wobei jede Bezugnahme ausnahmslos mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen ist. Nach § 274 Abs. 3 BVergG 2018 darf - wenn technische Spezifikationen gemäß § 274 Abs. 2 Z 1 BVergG 2018 festgelegt werden - ein Angebot nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es entspreche nicht den vorgeschriebenen Spezifikationen, wenn der Bieter mit geeigneten Mitteln nachweist, dass sein Angebot den Anforderungen der herangezogenen technischen Spezifikationen „gleichermaßen“ entspricht, wobei geeignete Mittel (wie etwa Testberichte oder Zertifizierungen) in § 277 BVergG 2018 näher festgelegt werden. § 274 Abs. 3 BVergG 2018 enthält nähere Regelungen, wie die - in § 274 Abs. 2 Z 1 BVergG 2018 dem Grunde nach vorgesehene - Gleichwertigkeit vom Bieter nachzuweisen bzw. vom Auftraggeber zu prüfen ist („geeignete Mittel“, „im Angebot“), hat allerdings nicht zur Folge, dass ein Bieter ungeachtet einer entgegenstehenden, bestandfest gewordenen Festlegung des Auftraggebers die Gleichwertigkeit des von ihm angebotenen Produktes auch dann nachweisen kann, wenn nach der Ausschreibung ein bestimmtes Produkt ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ angeboten werden muss. § 274 Abs. 3 BVergG 2018 verhindert somit nicht, dass das Abstellen auf eine Spezifikation ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ - ungeachtet der Rechtswidrigkeit einer solchen Festlegung - bestandfest werden kann. Es muss daher nicht weiter darauf eingegangen werden, ob eine - nur in den engen Grenzen des § 274 Abs. 5 und 6 BVergG 2018 zulässige - Bezugnahme auf eine bestimmte Produktion bzw. ein bestimmtes Erzeugnis überhaupt von dem in § 274 Abs. 3 BVergG 2018 erfolgten Abstellen auf die Festlegung technischer Spezifikationen gemäß § 274 Abs. 2 Z 1 BVergG 2018 erfasst wird.

26       7.1. Einzugehen ist allerdings auf folgenden Umstand: Wie sich der Darstellung des Verfahrensgangs im angefochtenen Erkenntnis entnehmen lässt, hat die mitbeteiligte Partei im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren argumentiert, dass es sich bei der hier maßgeblichen Aussage der Auftraggeberin in der Fragebeantwortung 5 nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine Wissenserklärung bzw. Schlussfolgerung handle; die Auftraggeberin habe lediglich ihre Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass nur Handtuchrollen des Herstellers des Spenders mit dessen Spendern kompatibel seien. Diese Auffassung sei aber widerlegbar und im vorliegenden Fall auch widerlegt worden.

27       Das Verwaltungsgericht spricht zwar zunächst ebenfalls davon, die Auftraggeberin „schließt“, dass der Hersteller der Papierhandtücher ident mit demjenigen des Spenders sein müsse, damit die Handtuchrollen mit den bereits vorhandenen Spendern kompatibel seien. Weiters ist von der zum Ausdruck gebrachten „Ansicht“ der Auftraggeberin die Rede, dass nur Produkte des Herstellers der Spender mit diesen kompatibel seien. Auch wenn diese Formulierungen in Richtung des von der mitbeteiligten Partei vertretenen Verständnisses der Fragebeantwortung 5 deuten, begründete das Verwaltungsgericht die fehlende Bestandskraft der Fragebeantwortung in weiterer Folge nicht mit dem fehlenden Erklärungs- bzw. Festlegungswillen, sondern mit der Verletzung der Grundprinzipien des Vergaberechts.

28       7.2. Eine Festlegung auf einen bestimmten Hersteller ohne den Zusatz „oder gleichwertig“ stünde mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz nicht in Einklang (siehe RV 69 BlgNR 26. GP 133). Auch wenn dieser Umstand - wie dargelegt - nicht dazu führt, dass eine dementsprechende Festlegung nicht bestandfest werden kann, ist er doch bei der Auslegung der Erklärung eines Auftraggebers zu berücksichtigen.

29       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Ausschreibungsbestimmungen nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen. Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen (vgl. VwGH 4.7.2016, Ra 2016/04/0015, 0016). Bei einer als auslegungsbedürftig anzusehenden Erklärung ist daher im Zweifel davon auszugehen, dass der Auftraggeber keine vergaberechtswidrige Festlegung treffen wollte.

30       Im vorliegenden Fall hat die Auftraggeberin in der Fragebeantwortung 5 zunächst die Gleichwertigkeit eines Produktes mit gleicher Rollenbreite und Rollenlänge ausdrücklich bejaht und im Anschluss daran - im Zusammenhang mit der Kompatibilität der Handtuchrollen mit dem Spender - in einem Klammerausdruck auf die Identität des Herstellers der Handtücher mit demjenigen der Spender verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu finden, dass damit - nach dem objektiven Erklärungswert dieser Fragebeantwortung - in eindeutiger, keinen Raum für Zweifel offen lassender Weise festgelegt worden sei, dass abweichend von der ursprünglichen Ausschreibung der Hersteller der Handtuchrollen mit dem Hersteller der Spender ident sein müsse, zumal der erste Satz der Fragebeantwortung (der für eine Gleichwertigkeit lediglich die gleiche Breite und Länge verlangt) gegen diese Sichtweise spricht (vgl. zu jeweils fallbezogenen gesetzeskonformen Auslegungen von Ausschreibungsbestimmungen auch VwGH 27.10.2014, 2012/04/0066, Pkt. 6.4.; 12.5.2011, 2008/04/0087). Der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung spricht somit dafür, dass die Auftraggeberin mit dem besagten Klammerausdruck bloß ihre Auffassung zur Kompatibilität zum Ausdruck gebracht, nicht aber die Ausschreibung abgeändert hat.

31       Dabei ist auch Folgendes zu beachten: Die Auftraggeberin hat zwar angegeben, alle Bieter von der Fragebeantwortung verständigt zu haben; eine Bekanntmachung bzw. Veröffentlichung der Fragebeantwortung ist aber weder von ihr behauptet noch vom Verwaltungsgericht festgestellt worden. Eine derartige Bekanntmachung der Fragebeantwortung 5 wäre aber - unter Zugrundelegung des nunmehr von der Auftraggeberin vertretenen Verständnisses - geboten gewesen, weil die ursprünglich bekannt gemachte Ausschreibung keine absolut zwingende Beschränkung auf einen bestimmten Hersteller enthielt und mit einer Festlegung auf ein bestimmtes Erzeugnis die Ausschreibung in einer Weise geändert würde, welche die Ausschreibung auch für andere Bieter interessant machen könnte (vgl. auch die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 16.4.2015 in der Rs C-278/14, SC Enterprise Focused Solutions SRL, Rn. 29, wonach ein Auftraggeber die technischen Spezifikationen nicht - unter Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie gegen die Pflicht zur Transparenz - während des Vergabeverfahrens bzw. nach Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung ändern darf). Nur am Rande sei schließlich darauf hingewiesen, dass auch die Ausscheidensentscheidung selbst nicht auf einen Widerspruch zur Fragebeantwortung 5 gestützt wurde. Soweit die Revisionswerberin noch darauf verweist, dass bei der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung Nachteile für die anderen Bieter, die von einer zwingend gebotenen Herstelleridentität ausgegangen seien, resultieren würden, ist dem entgegenzuhalten, dass bei einer - wie vom Verwaltungsgerichtshof vorliegend angenommenen - unklaren Aussage der Auftraggeberin der gesetzeskonformen Auslegung der Vorzug einzuräumen ist.

32       Aus den dargelegten Erwägungen war die Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung somit im Ergebnis zutreffend, weil der Fragebeantwortung 5 (bzw. des darin enthaltenen Klammerausdrucks) bei gesetzeskonformer Auslegung nicht der Sinn beizumessen war, dass nur Produkte des Herstellers der Spender als ausschreibungskonform anzusehen waren.

33       8. Ausgehend davon war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

34       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Jänner 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019040083.L00

Im RIS seit

31.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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