TE OGH 2021/1/27 7Ob148/20w

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Veröffentlicht am 27.01.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Lederer Hoff & Apfelbacher Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 350.127,25 EUR, 156.300 CHF, 553.331,38 GBP und 1.305.428,42 USD sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Mai 2020, GZ 5 R 118/19p-46, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Juni 2019, GZ 20 Cg 22/15m-40, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die mit der Revision vorgelegten Urkunden (Trust Agreement und Mandate Contract betreffend andere Investoren sowie Ladung zur Disziplinarverhandlung) werden zurückgewiesen.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.648,28 EUR (darin 901,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Zwischen der klagenden Rechtsanwalts-GmbH und dem beklagten Versicherer besteht ein – unstrittig österreichischem Recht unterliegender – Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden, Fassung 1999 („AVBV“), und die „Besonderen Bedingungen zur Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung für Rechtsanwälte“, Fassung 1. 5. 2011 („Besondere Bedingungen“), zugrunde liegen.

[2]       Die AVBV lauten auszugsweise:

I. Der Versicherungsschutz (Art 1 bis 4)
Art 1
Gegenstand der Versicherung

1.1 Der Versicherer gewährt dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, dass er wegen eines bei der Ausübung der in der Polizze angegebenen beruflichen Tätigkeit von ihm selbst oder einer Person, für die er nach dem Gesetz einzutreten hat, begangenen Verstoßes von einem anderen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden [...] verantwortlich gemacht wird

[...]

Art 4
Ausschlüsse

I. Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche:

[...]

3. wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung;

[…]

4. […]; aus der entgeltlichen und unentgeltlichen Vermittlung, Empfehlung oder der kaufmännischen Durchführung von wirtschaftlichen Geschäften, insbesondere von Geld-, Bank-, Lagerhaus- und Grundstückgeschäften;

[…]

6. wegen Schäden welche durch Fehlbeträge bei der Kassenführung, durch Verstöße beim Zahlungsakt, durch Veruntreuung des Personals des Versicherten oder anderer Personen, deren er sich bedient, entstehen;

[...]

[3]       Die Besonderen Bedingungen lauten auszugsweise:

B Besondere Bedingungen

[...]

3. Versichertes Risiko

3.1 Berufliche Tätigkeit: Versichert ist die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus der beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt sowie aus allen mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verbundenen erlaubten Tätigkeiten insbesondere als

[...]

-

Treuhänder, soweit die Tätigkeit im Rahmen eines Anwaltsmandates erfolgt,

[...]

3.2 Feststellung der versicherten Tätigkeit: Sofern der Umfang der versicherten Tätigkeit strittig ist, ist im Zweifel eine Entscheidung der zuständigen Rechtsanwaltskammer verbindlich, ob eine einem Haftpflichtanspruch zugrunde liegende Tätigkeit unter das versicherte Risiko fällt.

[…]

3.4 Anderkontendeckung: Versicherungsschutz wird auch für den Fall gewährt, dass der Versicherungsnehmer wegen einer fahrlässigen Verfügung über Beträge, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit auf ein (Sammel-)Anderkonto eingezahlt sind, von dem Berechtigten in Anspruch genommen wird. Das gleiche gilt für die Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers aus fahrlässigen Verfügungen über fremde Gelder, die zur alsbaldigen Anlage auf ein (Sammel-)Anderkonto in Verwahrung genommen und ordnungsgemäß verbucht sind. Der Teil der Ausschlüsse des Art 4 I Ziffer 6 AVBV 'durch Verstöße beim Zahlungsakt' gilt nicht für diese Erweiterung des Versicherungsschutzes.

[...]

7. Versicherungsschutz bei wissentlicher Pflichtverletzung

7.1 Art 4.1.3 AVBV wird ersetzt durch folgenden Wortlaut: Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Haftpflichtansprüche Dritter infolge wissentlichen Abweichens von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers.

7.2 Der Ausschluss des Art 4.1.3 AVBV kommt nicht zur Anwendung

[...]

-

wenn der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten eingetreten wäre (rechtmäßiges Alternativverhalten)

-

[...]

8. Versicherungsschutz bei wirtschaftlicher Tätigkeit

[...]

8.3 Versicherungsschutz bei Treuhandschaften:

Unter Ausschluss von Art 4.1.4 AVBV ist die wirtschaftliche Tätigkeit als Treuhänder mitversichert, sofern die Tätigkeit im Rahmen eines Anwaltsmandates erfolgt und es sich um Tätigkeiten bei 'Abwicklungstreuhandschaften' im Zuge von Liegenschaftstransaktionen (auch als Treuhänder nach Bauträgervertragsgesetz) sowie Treuhandschaften im Zug von M & A-Prozessen handelt.

Nicht versichert sind wirtschaftliche Tätigkeiten als Treuhänder im Zusammenhang mit Kapital-
anlagemodellen/Vermögensanlagemodellen beziehungsweise rein geschäftsführende Treuhandschaften.

[…]“

[4]       Die Versicherungsbedingungen wurden von der Beklagten vorgelegt und nicht einzeln ausgehandelt.

[5]       Dr. J***** B***** („Rechtsanwalt“) ist seit Gründung der Klägerin im Jahr 2006 deren alleinvertretungsbefugter Geschäftsführer und in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung bei der Beklagten mitversichert.

[6]            P***** C***** von H***** („PCvH“) gab vor, ein Geschäftsmodell zu betreiben, bei dem in Luxemburg registrierte sociétés d'investissement à capital variable (SICAV; rechtliche Strukturen für den Betrieb von Investmentfonds) an interessierte Investoren verkauft werden sollten. Tatsächlich bot PCvH aber einen SICAV – konkret einen angeblichen Sub-Fund des Umbrella-Funds G***** Fund I – zum Verkauf an, der gar nicht existierte. Käufer des SICAV sollten die von PCvH akquirierte und durch A***** H***** vertretene Treugeberin, eine Gesellschaft aus Texas, USA, sein.

[7]            PCvH kontaktierte den Rechtsanwalt am 12. 1. 2012 mit E-Mail und führte aus, ein großer Investmentfund wolle einen seiner SICAVs übernehmen, weshalb er einen Treuhänder („Escrow Anwalt“) benötige, um erste Zahlungen für den SICAV zu sammeln, bis der Fund umgeschrieben sei. Der Rechtsanwalt sollte ausschließlich als Treuhänder einschreiten und war damit auch einverstanden. Daraufhin schloss die Klägerin mit PCvH einen Mandatsvertrag, mit dem die Bedingungen für ihre anwaltliche Dienstleistung festgelegt werden sollten.

[8]            Als Grundlage für das Investitionsvorhaben wurde am 22./25. 5. 2012 ein Mandatsvertrag zwischen PCvH und der Treugeberin unterzeichnet, der eine Übertragung eines Sub-Funds des G***** Fund I von PCvH an die Treugeberin um 5 Mio USD vorsah und dessen Inhalt von PCvH und der Treugeberin direkt ausverhandelt und unter Mithilfe von C***** H***** ausformuliert wurde. Der Kaufpreis sollte laut diesem Mandatsvertrag auf ein Treuhandkonto des Rechtsanwalts bezahlt werden, wobei die Treugeberin einer Auszahlung zustimmte, sobald der Sub-Funds errichtet ist. Als Auftraggeber wurde im Vertrag die Treugeberin, vertreten durch A***** H*****, und als Auftragnehmer PCvH bezeichnet. Der Rechtsanwalt kannte den Inhalt dieses Mandatsvertrags bis ins Detail.

[9]            Zur Durchführung der Transaktion wurde zwischen der Treugeberin und der Klägerin am 1. 6. 2012 ein vom Rechtsanwalt entworfenes „Trust Agreement“ abgeschlossen. Unter Pkt 3 wurden darin die Rechte der Klägerin als Treuhänderin unter anderem dahin geregelt, dass „der Treuhänder keine Treuhandgelder an jegliche dritte Person ohne die vorherige Zustimmung des Treugebers oder seines Bevollmächtigten zu zahlen hat [...] Der Treugeber oder sein Bevollmächtigter hat solche Anweisungen persönlich in schriftlicher Form zu erteilen und sie mittels Fax oder E-Mails zu übermitteln“. Unter Pkt 5 dieses „Trust Agreement“ zwischen dem Rechtsanwalt und der Treugeberin wurde ausgeführt: „Der Treugeber bestätigt, dass er vom Treuhänder von den auf diesen Vertrag anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen in Kenntnis gesetzt wurde.“

[10]           Am 4. 6. 2012 wurde von der Treugeberin ein Betrag in Höhe von 4,7 Mio USD (nach Abzug der Bankspesen: 4.693.814,19 USD) auf ein Konto der Klägerin überwiesen, wovon der Rechtsanwalt 2 % (umgerechnet: 74.685,53 EUR) als Honorar für die Abwicklung des Treuhandgeschäfts einbehielt. Der Rechtsanwalt veranlasste in der Folge über Auftrag des PCvH, der jenen mit E-Mail vom 14. 6. 2012 dazu aufgefordert hatte, die Überweisung von 4,1 Mio USD zur Aktivierung des SICAV und zur Durchführung des Leveraging auf ein Konto der Bank P***** in Genf.

[11]           Vor dieser Überweisung hielt der Rechtsanwalt
– entgegen Pkt 3 des „Trust Agreement“ und ohne direkte Bekanntgabe eines dafür Bevollmächtigten durch den Treugeber – keinerlei Rücksprache mit A***** H***** von der Treugeberin. Der Rechtsanwalt war allein aufgrund des Mandatsvertrags zwischen der Treugeberin und PCvH von einer Bevollmächtigung des PCvH ausgegangen. Dazu kam, dass er wusste, dass der SICAV – entgegen den ihm bekannten Vorgaben im Mandatsvertrag – noch nicht errichtet und aktiviert worden war und ihm auch keine entsprechenden Nachweise vorgelegen waren.

[12]     Es kam auch in weiterer Folge weder zu einem Leveraging noch zur Übertragung eines Sub-Funds.

[13]           Der Rechtsanwalt, dem schließlich die betrügerischen Handlungen des PCvH erstmals offenkundig wurden, erklärte gegenüber PCvH mit Schreiben vom 16. 10. 2012, die Geschäftsbeziehung mit ihm aus dem Mandatsvertrag vom 13. 4. 2012 mit sofortiger Wirkung zu beenden. Anschließend erstattete der Rechtsanwalt Strafanzeige gegen PCvH an das Landeskriminalamt ***** wegen Anlagebetrugs.

[14]           Am 25. 11. 2013 erstattete der Rechtsanwalt eine Schadensmeldung zum gegenständlichen Vorfall, dessen Deckung von der Beklagten abgelehnt wurde.

[15]           Die Treugeberin erhob in der Folge beim ICC gegen den Rechtsanwalt eine Klage auf Zahlung von 4,7 Mio USD samt Anhang. Die Treugeberin behauptete, dass der Rechtsanwalt seine Verpflichtung aus dem „Trust Agreement“ verletzt habe. Das Schiedsverfahren wurde in weiterer Folge auf einen Betrag von 1.297.752,44 USD samt Zinsen eingeschränkt, weil der Treugeberin aus dem von den schweizer Strafvollzugsbehörden bei der Bank P***** beschlagnahmten Konto ein Betrag von 3.402.247,56 USD ausgezahlt wurde. Mit Schiedsspruch vom 29. 3. 2016 wurden der Treugeberin schließlich 700.331,60 USD zugesprochen.

[16]           Die Klägerin macht Ansprüche in Bezug auf die Handlungen des Rechtsanwalts in Höhe von umgerechnet rund 2,3 Mio EUR geltend. Die Treugeberin habe sie vor dem Schiedsgericht in Anspruch genommen und eine Zahlung von 700.331,60 USD samt Zinsen erwirkt; insgesamt habe die Klägerin aufgrund des Schiedsverfahrens den Klagsbetrag aufzuwenden gehabt. Es seien alle Tätigkeiten versichert, die ein Rechtsanwalt ausüben dürfe; daher sei auch die Tätigkeit als Treuhänder versichert. Die Klägerin und der Rechtsanwalt seien mit anwaltlichen Beratungsleistungen beauftragt gewesen. Dieser habe keine wissentliche Pflichtverletzung zu verantworten. Die AVB sähen Versicherungsschutz selbst für den Fall fahrlässiger Verfügung über fremde Gelder vor. Die Treuhandschaft hätte nicht über die Treuhandeinrichtung der RAK ***** abgewickelt werden müssen.

[17]           Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, sie sei leistungsfrei. Die übernommene Treuhandschaft falle nicht unter den Versicherungsschutz, weil wirtschaftliche Tätigkeiten als Treuhänder im Zusammenhang mit Kapital-
und Vermögensanlagemodellen und rein geschäftsführenden Treuhandschaften nicht versichert und auch weder rechtsfreundliche Vertretungen noch rechtsberatende Tätigkeiten übernommen worden seien. Der Rechtsanwalt habe gewusst, dass PCvH kein Bevollmächtigter der Treugeberin gewesen sei und dass der Kaufpreis nach den Bedingungen des Mandatsvertrags erst nach Aktivierung des SICAV zu überweisen gewesen wäre; der Rechtsanwalt habe gegen die Treuhandbedingungen wissentlich verstoßen.

[18]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Verhältnis zwischen Klägerin und Treugeberin liege keine versicherte Tätigkeit iSd Art B.8.3 Besondere Bedingungen vor.

[19]           Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Die Auszahlung von Treuhandgeldern an Dritte hätte nur über persönliche schriftliche Anweisung der Treugeberin mittels Fax oder E-Mail erfolgen dürfen und sei nicht an andere Bedingungen geknüpft gewesen. Damit habe der Rechtsanwalt keine anwaltstypischen Leistungen für die Treugeberin zu erbringen gehabt und auch keine Überprüfung des Eintritts bestimmter Treuhandbedingungen vor Weiterleitung der Treuhandgelder geschuldet. Er sei daher zu einer rechtlichen Interessenwahrnehmung für die Treugeberin nicht verpflichtet gewesen, sodass gemäß Art B.3 Besondere Bedingungen kein Versicherungsschutz bestehe.

[20]           Ein wissentlicher Verstoß gegen den Treuhandauftrag sei dem Rechtsanwalt nicht vorzuwerfen, weil er – wenn auch irrtümlich – davon ausgegangen sei, die Anweisung von einer von der Treugeberin bevollmächtigten Person erhalten zu haben. Die nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht gesetzmäßig bekämpfte Feststellung, der Rechtsanwalt habe gewusst, dass der SICAV – entgegen den ihm bekannten Vorgaben im Mandatsvertrag – noch nicht errichtet und aktiviert worden wäre und ihm auch keine entsprechenden Nachweise vorgelegen wären, schade der Klägerin nicht; ergänzender Feststellungen zu Wissensstand und Überprüfungsmöglichkeiten des Rechtsanwalts bedürfe es nicht.

[21]           Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[22]     Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[23]     Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Zu I.:

[24]     Die im Rahmen der Revision erfolgte Urkundenvorlage verstößt gegen das Neuerungsverbot.

Zu II.:

[25]           1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen, dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahme-
tatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[26]           2. Der Fachsenat hat sich mit dem Risikoausschluss nach Art 4.I.6 AVBV bereits befasst. Demnach erfüllt eine vom Auftraggeber gebilligte Zurückhaltung der Zahlung ebenso wenig den Begriff des Verstoßes beim Zahlungsakt wie die Auszahlung der Darlehensvaluta an den Darlehensnehmer durch den Rechtsanwalt als Treuhänder ohne die mit dem Darlehensgeber vereinbarte grundbücherliche Sicherstellung in einem bestimmten Rang; sehr wohl wäre ein solcher Verstoß aber etwa dann anzunehmen, wenn der Schaden durch Überweisung eines Geldbetrags an eine andere als an die berechtigte Person oder auf ein anderes als auf das vereinbarte Konto eingetreten wäre, wenn sie also nicht aufgrund juristischer Erwägungen, sondern aufgrund einer Nachlässigkeit welcher Art auch immer erfolgt (7 Ob 27/94 mwN).

[27]            3. Der Fachsenat hat vor dem Hintergrund eines ähnlichen Sachverhalts zwischen denselben Parteien und zu denselben Allgemeinen Versicherungsbedingungen zusammengefasst bereits das Folgende grundsätzlich dargelegt (7 Ob 161/19f):

[28]           3.1. Ein rechtsanwaltliches Disziplinarerkenntnis beschäftigt sich nicht damit, ob eine einem Haftpflichtanspruch zugrunde liegende Tätigkeit unter das versicherte Risiko fällt, sodass auch deshalb keine Entscheidung im Sinne der Klausel Art B.3.2 Besondere Bedingungen vorliegt. Danach ist, sofern der Umfang der versicherten Tätigkeit strittig ist, im Zweifel eine Entscheidung der zuständigen Rechtsanwaltskammer verbindlich, ob eine einem Haftpflichtanspruch zugrunde liegende Tätigkeit unter das versicherte Risiko fällt. Mit dieser Klausel hat sich schon nach ihrem Wortlaut die Beklagte auch nicht vertraglich einer Bindung an ein Disziplinarerkenntnis unterworfen. Auf die Frage, ob der Rechtsanwalt disziplinär zur Verantwortung gezogen wurde oder nicht, kommt es daher nicht an.

[29]           3.2. Die Versicherungsbedingungen umschreiben in Art 1.1 AVBV das versicherte Risiko durch Bezugnahme auf die „berufliche Tätigkeit“ des Rechtsanwalts als Versicherungsnehmer sowie in Art B.3.1 Besondere Bedingungen durch die weitere Formulierung, wonach auch alle mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verbundenen erlaubten Tätigkeiten, insbesondere als Treuhänder, soweit die Tätigkeit im Rahmen eines Anwaltsmandats erfolgt, als versichert gelten.

[30]     Nicht von anwaltlicher Berufsausübung kann man sprechen, wenn der Rechtsanwalt zwar als solcher erkennbar, jedoch nicht mit der Erbringung anwaltlicher Leistung bei der Besorgung fremder Angelegenheiten tätig ist. Nach dem klaren Wortlaut von Art B.3.1 Besondere Bedingungen steht nicht jede von einem Rechtsanwalt übernommene Treuhand unter Versicherungsschutz, sondern nur unter der Voraussetzung eines verbindenden Zusammenhangs zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Ein verständiger Versicherungsnehmer aus dem angesprochenen Adressatenkreis versteht Art B.3.1 Besondere Bedingungen dahin, dass eine Treuhandtätigkeit im Rahmen eines Anwaltsmandats nur dann vorliegt, wenn zwischen der Treuhandschaft und der berufsmäßigen Besorgung fremder Angelegenheiten ein enger innerer Zusammenhang besteht. Jedenfalls dann, wenn ein Anwalt treuhändig Geld entgegennimmt, um es nach bestimmten Bedingungen an Dritte weiterzuleiten, beinhaltet dies in der Regel eine Interessenwahrungspflicht insoweit, als der Rechtsanwalt auch die rechtlichen Interessen des Auftraggebers wahrzunehmen hat, sind doch derartige Treuhandaufträge dem Kernbereich anwaltlicher Vertrauensanforderungen zuzurechnen.

[31]            4.1. Hier liegt zwischen der Treuhandschaft und der berufsmäßigen Besorgung fremder Angelegenheiten schon deshalb ein innerer Zusammenhang vor, weil die Klägerin die Treugeberin nach der Treuhandvereinbarung von den auf diesen Vertrag anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen in Kenntnis gesetzt hatte und damit eine beratende Tätigkeit ausgeübt hat. Zudem steht die der Klägerin obliegende Prüfung, ob eine Person als Bevollmächtigter des Treugebers berechtigt ist, die Auszahlung des Treuhanderlags anzuordnen, ebenfalls in einem verbindenden Zusammenhang zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft.

[32]            4.2. Zusammengefasst liegt – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten – eine grundsätzlich unter den Versicherungsschutz fallende berufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts vor.

[33]            4.3. Die in der Revision in diesem Zusammenhang behaupteten Mängeln des Berufungsverfahrens oder rechtlichen Feststellungsmängeln ermangelt es daher der rechtlichen Relevanz.

[34]           5.1. Nach Art 4.I.3 AVBV iVm Art B.7.1 Besondere Bedingungen bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenersatzforderungen infolge wissentlichen Abweichens vom Gesetz, Vorschriften, Anweisung oder Bedingungen des Machtgebers.

[35]           Für den Verstoß genügt es, dass der Versicherungsnehmer seine Pflichtverletzung(en) positiv gekannt hat und der Pflichtverstoß für den Schaden ursächlich war, wofür bedingter Vorsatz genügt: Das Wort „wissentlich“ erstreckt sich nur auf das Abweichen unter anderem von den Anweisungen oder Bedingungen des Auftraggebers und muss nicht auch die Schadensfolgen umfassen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Versicherungsnehmer die Verbotsvorschrift in ihrem genauen Wortlaut oder ihrem genauen Umfang kannte; wesentlich ist allein das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise (7 Ob 161/19f mwN).

[36]           5.2. Der Begriff der Treuhand ist im österreichischen Recht nicht geregelt, sein Inhalt wird allgemein von der Lehre bestimmt und richtet sich im Einzelnen nach den Parteienvereinbarungen. Inhalt und Umfang von Treuhandverträgen sind jeweils im Einzelfall anhand der getroffenen Vertragsbestimmungen zu prüfen (RS0010444 [insbes T4]). Der Treuhänder ist nach außen hin unbeschränkt Verfügungsberechtigter, jedoch im Innenverhältnis dem Treugeber obligatorisch verpflichtet, das ihm übertragene Recht im Interesse des Treugebers auszuüben, also von seiner äußeren Rechtsstellung des voll Verfügungsberechtigten nur einen dem inneren Zweck entsprechenden Gebrauch zu machen. Das zu treuen Handen übertragene Recht scheidet zwar rechtlich, nicht aber wirtschaftlich aus dem Vermögen des Treugebers aus. Die Verpflichtung des Treuhänders von dem obligatorischen Recht nur innerhalb der vertraglichen Schranken Gebrauch zu machen, ist Inhalt der dem Treugeber verbliebenen, auf obligatorischer Grundlage beruhenden Vermögensrechte (RS0010482). Allgemein sind auf das Vertragsverhältnis zwischen Treugeber und Rechtsanwalt als Treunehmer die Bestimmungen der §§ 1002 ff ABGB entsprechend anzuwenden. Zu den Pflichten des Geschäftsbesorgers gehört es nach § 1009 ABGB unter anderem, das Geschäft, seinem Versprechen und der erhaltenen Vollmacht gemäß, emsig und redlich zu besorgen und allen aus dem Geschäft entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen. Die Herausgabepflicht umfasst auch das, was dem Geschäftsbesorger zum Zwecke oder in Zusammenhang mit der Geschäftsbesorgung überlassen wurde wie Geld und Urkunden. Zum in § 1009 erster Satz ABGB genannten Vorteil zählt auch der einem Rechtsanwalt treuhändig übergebene Geldbetrag (Ob 230/14w mwN). Allen Formen von Treuhandschaften ist somit gemein, dass der Treuhänder im Interesse des Treugebers und nicht im eigenen Interesse zu handeln verpflichtet ist. Die Treuhandschaft ist geprägt von Uneigennützigkeit und Vertrauenswürdigkeit bei der Wahrnehmung fremder Interessen (vgl 20 Ds 2/19b). Die Abwicklung von Treuhandschaften ist jenem zentralen Kernbereich anwaltlichen Wirkens zuzuordnen, der geradezu begriffsessenziell und unabdingbar von ungetrübtem allgemeinem Vertrauen in die absolute Verlässlichkeit, Korrektheit und Konsequenz der solcherart qualifiziert erwarteten Wahrnehmung sämtlicher Treugeberinteressen abhängt (vgl RS0115041 [T2], RS0123724). Der Treuhänder hat gegebenenfalls die Treuhandschaften niederzulegen, wenn sich ein Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Pflichten ergibt und diese Interessenkollision nicht behoben werden kann. Welche Interessen der Treuhänder gegenüber einem bestimmten Treugeber zu wahren hat, bestimmt sich in erster Linie nach Inhalt und Zweck des ihm erteilten Treuhandauftrags (vgl 7 Ob 111/08m mwN).

[37]           6.1. Hier steht fest, dass der Rechtsanwalt allein aufgrund des ihm – bis ins Detail bekannten – Mandatsvertrags zwischen der Treugeberin und PCvH von einer Bevollmächtigung des PCvH ausging, er aber auch wusste, dass in diesem Vertrag die Errichtung eines SICAV vorgesehen war, dieser aber noch nicht errichtet und aktiviert war und ihm auch keine entsprechenden Nachweise vorlagen. Im Mandatsvertrag war auch vermerkt, dass die Treugeberin durch A***** H***** vertreten wird. Der Zusatz in der Treuhandvereinbarung „oder seinen Bevollmächtigten“ kann sich in diesem Zusammenhang nur auf A***** H***** beziehen, der zudem auch die Treuhandvereinbarung als Vertreter der Treugeberin unterfertigte und daher vom Treugeber als Vertreter bekanntgegeben worden war.

[38]           6.2. Wie auch die Revision selbst erkennt, beinhaltet die Kardinalaufgabe des Rechtsanwalts die Wahrung der Rechte der Treugeberin, im hier gegebenen Zusammenhang die Pflicht, die Berechtigung einer für die Treugeberin einschreitenden Person und insbesondere eine allfällige Bevollmächtigung einer dritten Person zu überprüfen; dies war zudem hier der einzige dem Rechtsanwalt ausdrücklich schriftlich erteilte Treuhandauftrag.

[39]           Der Rechtsanwalt hat sich aber damit begnügt, aus dem Mandatsvertrag zwischen der Treugeberin und deren Gläubiger eine Bevollmächtigung des Gläubigers durch die Treuhänderin abzuleiten, ohne irgendeine Überprüfungs-
handlung (Rückfrage bei der Treugeberin oder ihres Vertreters) zu setzen. Der Rechtsanwalt ließ es bei seinem durch nichts unterstütztem Verständnis bewenden, obwohl ein solches Verständnis des Mandatsvertrags – wie die Revisionsbeantwortung der Beklagten insofern zutreffend aufzeigt – schon rein formal den der Klägerin erteilten Treuhandauftrag zur Wahrung der Interessen der Treugeberin und Käuferin von vornherein obsolet gemacht hätte.

[40]           Der Treuhandvertrag kann aber nur so verstanden werden, dass dann, wenn sich die Treugeberin die schriftliche Zustimmung zur Auszahlung vorbehält, auch eine Bevollmächtigung schriftlich nachzuweisen ist; ein solcher Nachweis kann durch einen Vertrag des Gläubigers mit der
– gerade vor diesem zu schützenden – Treugeberin nicht ersetzt werden. Zudem wusste der Rechtsanwalt nach den Feststellungen, dass der SICAV entgegen den Vereinbarungen zwischen Treugeberin und Gläubigerin nicht errichtet worden war; er zahlte dennoch ohne Rücksprache das Entgelt aus. Auch wenn die Überprüfung der Errichtung dieses SICAV im Verhältnis zwischen Treugeberin und Klägerin nicht als Auszahlungsbedingung ausdrücklich erörtert wurde (vgl dagegen den zu 7 Ob 161/19f zu beurteilenden Sachverhalt), gehört es doch zur sich auch aus den festgestellten Gesamtumständen ergebenden auf dem Gesetz fußende Interessenwahrungspflicht des Treuhänders, den Treuhandzweck nicht dadurch zu unterlaufen, dass er Zahlungen an den Gläubiger leistet, obwohl er weiß, dass die im Verhältnis zwischen Treugeberin und Gläubiger vereinbarten Bedingungen nicht eingetreten sind.

[41]           6.3. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen schließt die Feststellung, dass der Rechtsanwalt allein aufgrund des Mandatsvertrags von einer Bevollmächtigung von PCvH durch den Treugeber ausging, eine wissentliche Pflichtverletzung im Sinn von Art 4.I.3 AVBV iVm Art B.7.1 Besondere Bedingungen nicht aus. Das Wissen muss sich
– wie ausgeführt – nur auf das Abweichen von einer Anweisung des Treugebers oder einer gesetzlichen Verpflichtung beziehen. Dieses ergibt sich daraus, dass der Rechtsanwalt vor Auszahlung der Treuhandgelder entgegen des Treuhandauftrags keine schriftliche Vollmacht des Treugebers oder dessen bereits bekannten Bevollmächtigten an den begünstigten Gläubiger verlangte, ja nicht einmal eine Überprüfung der angenommenen, die Treuhand selbst aber konterkarierenden Bevollmächtigung vornahm, und daraus, dass der Rechtsanwalt bewusst gegen seine Interessenwahrungspflicht dadurch verstoßen hat, dass er ohne Rücksprache eine Auszahlung an den begünstigten Gläubiger vornahm, obwohl er wusste, dass die Auszahlungsbedingungen laut Mandatsvertrag zwischen begünstigtem Gläubiger und Treugeber noch nicht eingetreten waren. Damit ist das Vorliegen des Risikoausschlusses nach Art 4.I.3 AVBV iVm Art B.7.1 Besondere Bedingungen – ebenso wie im Verfahren zu 7 Ob 161/19f – zu bejahen.

[42]            7. Die Vorinstanzen haben daher die Eintrittspflicht der Beklagten im Ergebnis zu Recht verneint. Der Revision der Klägerin gegen die Abweisung ihres Klagebegehrens war nicht Folge zu geben.

[43]           8. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO. Da die Beklagte ihren Sitz in der BRD hat, ist lediglich die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer (19 %) zuzusprechen (RS0114955 [T12]).

Textnummer

E130689

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00148.20W.0127.000

Im RIS seit

18.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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