RS Vfgh 2020/10/7 E2176/2020

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §9 Abs1, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine hinreichende Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) geht aus folgenden Gründen davon aus, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, die es dem Beschwerdeführer dennoch ermöglichen würden, nach Afghanistan zurückzukehren: Zwar habe der Beschwerdeführer keine soziale Unterstützung in jenen Städten, die als Rückkehrorte für den Beschwerdeführer in Frage kämen. Der Beschwerdeführer sei jedoch volljährig, jung und arbeitsfähig; er habe eine Ausbildung und Berufserfahrung vorzuweisen, leide an keinen körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder sonstiger Vulnerabilität und sei damit leistungsfähig. Auch habe der Beschwerdeführer nunmehr in Österreich gelernt, soziale Kontakte von sich aus zu knüpfen; nunmehr sei der Beschwerdeführer - anders als noch bei seiner Ankunft in Österreich - selbständig. Eine drohende Verletzung seiner Rechte könne vor dem Hintergrund dieser Umstände nicht mehr bejaht werden.

Damit verkennt aber das BVwG die Bedeutung der hier maßgeblichen Kriterien in einer qualifizierten, in die Verfassungssphäre reichenden Weise. Diese Kriterien dienen dazu zu ermitteln, ob in der konkreten Situation des Beschwerdeführers besondere Umstände vorliegen, die es ihm, obwohl er sein nahezu gesamtes bisheriges Leben außerhalb Afghanistans verbracht hat, zumutbar erscheinen lassen, am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme seine grundlegenden existenziellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Solche besonderen Umstände können demzufolge in einem insbesondere familiären Unterstützungsnetzwerk oder in sonstigen besonderen Verbindungen ebenso liegen wie in einer entsprechenden Ausbildung oder Berufserfahrung, die, weil sie auch außerhalb Afghanistans gegeben wäre, auf eine entsprechende Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers schließen lässt. Die Tatsache alleine, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden, jungen Mann im erwerbsfähigen Alter handelt, der, weil er in einer afghanischen Familie aufgewachsen ist, mit den afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut ist, reicht als einschlägiges Personenprofil, im Unterschied zu alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Männern, die in Afghanistan aufgewachsen sind, für Personen wie den Beschwerdeführer nicht aus.

Nun verfügt der Beschwerdeführer über kein einschlägiges Unterstützungsnetzwerk in oder sonstige besondere Verbindungen zu Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat sieben Jahre die Schule in Pakistan besucht; er verfügt nach seinen Angaben über keine Schreibkompetenzen in seiner Muttersprache. Als Berufserfahrung liegen schließlich insbesondere Tätigkeiten als ungelernter Hilfsarbeiter und als Lehrling vor (wobei die Tätigkeiten des Beschwerdeführers in Pakistan und im Iran in einem Alter unter 15 Jahren erfolgten). Das BVwG unterlässt es diesbezüglich zu prüfen, inwieweit der Beschwerdeführer damit über eine solche Ausbildung bzw Berufserfahrung verfügt, die begründet vermuten lässt, dass er sich in seiner konkreten Rückkehrsituation selbst erhalten kann.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E2176.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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