TE Bvwg Beschluss 2020/11/23 W139 2236731-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

BVergG 2018 §2 Z5
BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §334 Abs2
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W139 2236731-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über den Antrag der XXXX , vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH, Bartensteingasse 2, 1010 Wien, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „Winterdienst Logistikzentren, Pl_1683_TM“ betreffend die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 der Auftraggeberin Österreichische Post AG, Rochusplatz 1, 1030 Wien, vertreten durch Heid & Partner, Kundmanngasse 21, 1030 Wien:

A)

Der Antrag, „das Bundesverwaltungsgericht möge der Österreichischen Post AG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren bei sonstiger Exekution untersagen, den Zuschlag in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 zu erteilen“, wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Vorbringen der Parteien/Verfahrensgang:

1. Mit Schriftsatz vom 09.11.2020, beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tag eingelangt, stellte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, verbunden mit einem Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 betreffend die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 im Vergabeverfahren „Winterdienst Logistikzentren, PI_1683_TM“, einem Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, einem Antrag auf Bestellung eines fachkundigen Sachverständigen zum Nachweis der nicht betriebswirtschaftlichen Erklär- und Nachvollziehbarkeit der Preise der präsumtiven Zuschlagsempfänger, einem Antrag auf Akteneinsicht, sowie einem Antrag auf Gebührenersatz.

Begründend führte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:

Die Auftraggeberin führe ein Vergabeverfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages durch. Ziel des Vergabeverfahrens sei der Abschluss eines Rahmenvertrages für die „Winterdienstleistungen diverser Flächen in Logistikzentren der Österreichischen Post AG“. Die Bekanntmachung des Vergabeverfahrens sei am 25.05.2020 erfolgt. Es handle sich um ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich. Die Vergabe solle in 8 Losen erfolgen, Ziel sei der Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen der Auftraggeberin und dem Billigstbieter je Los. Es würde von der Auftraggeberin aus den eingereichten Angeboten je Los das billigste Angebot ausgewählt und der Auftrag entweder in einzelnen Losen, verbundenen Losen oder gegebenenfalls gesamt vergeben. Dabei würden Mehrfachangebote unter Berücksichtigung von Nachlässen beachtet werden und aufgrund der in der Ausschreibungsunterlage vorgesehenen Zuschlagskriterien entschieden werden. Die Antragstellerin habe rechtzeitig einen Teilnahmeantrag sowie ein Erstangebot und ein Letztangebot eingereicht. Es hätten Verhandlungsgespräche zwischen der Antragstellerin und der Auftraggeberin stattgefunden.

In der Zuschlagsentscheidung vom 16.09.2020 seien für folgende Lose als Partner des Rahmenvertrags folgende Unternehmen von der Auftraggeberin ermittelt worden: Los 1 und Los 2: XXXX , Los 3, Los 4 und Los 5: XXXX , Los 8: XXXX . Diese Zuschlagsentscheidung sei durch die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag im Verfahren W139 2235513-2 vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpft worden, und mit Schreiben der Auftraggeberin vom 01.10.2020 in allen Losen zurückgezogen worden. Die Antragstellerin sei somit während des anhängigen Verfahrens klaglos gestellt worden und habe den Antrag auf Nichtigerklärung mit Schreiben vom 15.10.2020 zurückgezogen.

Am 06.10.2020 sei die Antragstellerin von der Auftraggeberin zur Angebotsabgabe eines Überbrückungsangebotes in den Losen 6 und 7 aufgrund der Verzögerungen im Hauptverfahren aufgefordert worden. Die Auftraggeberin habe sich dabei offengelassen, die Leistungen aus den Überbrückungsangeboten auch über den Überbrückungszeitraum hinaus („voraussichtlich 4-5 Wochen“) abzurufen. Die Antragstellerin habe die Wahl der Direktvergabe mit einem Nachprüfungsantrag im Verfahren W131 2236159-2 am Bundesverwaltungsgericht bekämpft, ihr Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung für den Zeitraum ab Erlassung des Beschlusses bis inklusive 01.12.2020 sei abgewiesen worden, für den Zeitraum ab 01.12.2020 sei der Auftraggeberin die Zuschlagserteilung untersagt worden.

Am 27.10.2020 habe die Auftraggeberin den Zuschlag zu den Überbrückungsangeboten in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 erteilt. Die Auftraggeberin habe der Antragstellerin ein Schreiben hinsichtlich des Abrufes des Überbrückungsangebotes in den Losen 6 und 7 übermittelt, mit welchem die Auftraggeberin bekannt gegeben habe, auf eine nicht im Zuge der Direktvergabe abgefragte Pauschale (nämlich in der Höhe eines Fünftels der Pauschale im Hauptverfahren) zuzuschlagen.

Am 30.10.2020 habe die Auftraggeberin der Antragstellerin die Zuschlagsentscheidung im Hauptvergabeverfahren mitgeteilt, die ident mit der Zuschlagsentscheidung vom 16.09.2020 sei. Die Antragstellerin gehe als Billigstbieterin in den Losen 6 und 7 hervor. In den Losen 1 und 2 sei die XXXX präsumtive Zuschlagsempfängerin. In den Losen 3, 4 und 5 die XXXX , in Los 8 die XXXX .

Der gegenständliche Nachprüfungsantrag richte sich gegen diese Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 betreffend die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8.

Die Antragstellerin habe ein großes Interesse an der Erbringung der verfahrensgegenständlichen Leistung und am Vertragsabschluss mit der Auftraggeberin. Sie habe fristgerecht ein ausschreibungskonformes Erst- sowie Letztangebot im gegenständlichen Vergabeverfahren gelegt. Würde die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin aufrechterhalten werden, hätte die Antragstellerin keine Chance mehr im gegenständlichen Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten, wodurch der Antragstellerin ein großer finanzieller und sonstiger Schaden drohen würde. Da die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen für die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 auszuscheiden wären, wäre die Antragstellerin Billigstbieterin und ihr der Zuschlag zu erteilen. Der Antragstellerin drohe jedenfalls ein finanzieller Schaden zumindest in Höhe des Deckungsbeitrages. Weiters drohe der Antragstellerin ein Schaden in Form des Verlustes eines Referenzprojektes.

Die Antragstellerin sei in ihrem Recht auf Durchführung eines rechtskonformen Vergabeverfahrens verletzt worden, insbesondere in ihren Rechten auf Erteilung des Zuschlages in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8; in ihrem Recht auf gesetzmäßige Prüfung und Bewertung sowie Ausscheiden der Angebote der präsumtiven Zuschlagsempfänger in den genannten Losen; in ihrem Recht auf Gleichbehandlung der Bieter, Transparenz und Einhaltung eines fairen Wettbewerbs; in ihrem Recht auf Widerruf eines zu widerrufenden Vergabeverfahrens und im Recht auf unionsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutz.

Die Antragstellerin gehe davon aus, dass die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit bzw die erforderlichen Kapazitäten verfügen würden, um die ausschreibungskonforme Leistungserbringung gewährleisten zu können.

Für die Antragstellerin sei es objektiv nicht nachvollziehbar, weshalb sie den Zuschlag in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 nicht erhalten habe. Unabhängig davon, liege durch die unzureichenden Angaben in der Zuschlagsentscheidung, jedenfalls ein formaler Mangel vor.

Der Argumentation der Auftraggeberin folgend - der Zeitraum der Überbrückungsbeauftragung sei durch die Verzögerung im Nachprüfungsverfahren de facto aus dem Leistungsbild des Hauptverfahrens herausgenommen - dürften aus der Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 nicht die Preise für das gesamte Los bzw den gesamten Leistungszeitraum hervorgehen. Vielmehr müsse den Bietern der angepasste, tatsächliche Gesamtwert der Lose abzüglich des im Zuge des Überbrückungsangebotes vergebenen Zeitraums zur Kenntnis gebracht werden. Für die Antragstellerin sei es verwunderlich, dass die Auftraggeberin nun ihrer eigenen Argumentation widerspreche und beabsichtige, in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 auf den vollen Leistungszeitraum mit dem vollen Gesamtwert der Lose zuzuschlagen. Dies würde dazu führen, dass aus der Zuschlagsentscheidung nicht eindeutig erkennbar sei, auf welche Preise nach Ablauf der Stillhaltefrist tatsächlich zugeschlagen werden würde.

Die Auftraggeberin habe mit der Direktvergabe der Überbrückungsangebote versucht, das Ergebnis der Zuschlagsentscheidung vom 16.09.2020 wiederherzustellen. Der ausgewiesene Gesamtpreis der gegenständlichen Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 sei jedenfalls nicht korrekt. Die Auftraggeberin würde beabsichtigen, auf ein Angebot zuzuschlagen, das in der ausgeschriebenen und angebotenen Form nicht mehr existiere. Sowohl der Leistungszeitraum als auch der tatsächlichen Auftragswert der Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 habe sich durch die Direktvergabe des Überbrückungsangebotes geändert.

Im Zuge der Verhandlungsrunde vom 05.08.2020 habe die Auftraggeberin gemeinsam mit der Antragstellerin erörtert, wie sie preislich im Verhältnis zu den anderen Bietern gelegen sei. Im Rahmen des Verhandlungsgespräches seien insbesondere die Preise der niedrigsten Angebote der anderen Bieter erörtert worden. Es sei davon auszugehen, dass die Verhandlungsgespräche mit allen Bietern inhaltlich gleich erfolgt seien. Sofern die Auftraggeberin die Preise der Antragstellerin bzw der anderen Bieter, insbesondere die niedrigsten Preise je Los bekannt gegeben habe, habe sie gegen § 200 BVergG 2018 verstoßen. Aus diesem Grund sei das Vergabeverfahren aus Sicht der Antragstellerin zwingend zu widerrufen.

Hätte die Auftraggeberin eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende vertiefte Angebotsprüfung durchgeführt, hätte diese ergeben, dass die Angebote der präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen für die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 betriebswirtschaftlich nicht erklär- und nachvollziehbar seien, weshalb diese Angebote auszuscheiden gewesen wären.

Aus Sicht der Antragstellerin sei es nicht möglich, dass die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen die sehr kurzen Reaktionszeiten zu den Bedingungen in den Ausschreibungsunterlagen einhalten können und die Leistungen tatsächlich ausschreibungskonform angeboten haben, da die Logistikstandorte der gegenständlichen Lose über eine Stunde von den Firmensitzen der präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen entfernt lägen. Die Angebote der präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen in den Losen 2, 3, 4 und 5 wären aus diesem Grund gemäß § 302 Abs 1 Z 5 BVergG 2018 auszuscheiden gewesen. Sofern die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen für die Erbringung der Leistungen in den Losen 2, 3, 4 und 5 mangels Personalressourcen oder mangels der dafür benötigten Geräte einen oder mehrere Subunternehmer einsetzen würden, welche die gesamte Leistung in einem Los erbringen, wäre dies als unzulässige Weitergabe des gesamten Auftrages in diesen Losen zu qualifizieren. Die Antragstellerin vermute weiters, dass die Auftraggeberin nicht angemessen geprüft habe, ob die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe tatsächlich über die erforderliche Anzahl an Mitarbeitern und Geräten je Gebiet verfügt haben und nach wie vor verfügen würden.

Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gab die Antragstellerin zusammengefasst Folgendes an:

Es sei davon auszugehen, dass die Auftraggeberin beabsichtige, den Zuschlag unmittelbar nach Ablauf der Stillhaltefrist am 09.11.2020 zu erteilen. Aus diesem Grund stelle die Antragstellerin gemäß § 350 BVergG 2018 den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt werde, den Zuschlag im gegenständlichen Vergabeverfahren in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 zu erteilen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin für den Zuschlag in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 in Betracht kommen würde, wodurch ihr aufgrund der oben dargestellten Rechtswidrigkeiten der Entgang des Auftrages mitsamt allen damit verbundenen Nachteilen drohen würde. Die unmittelbar drohende Schädigung der Interessen der Antragstellerin ergebe sich auch daraus, dass die Auftraggeberin bei Weiterführung des Vergabeverfahrens unumkehrbare Tatsachen schaffen könne. Würde die Auftraggeberin die angefochtene Entscheidung aufrechterhalten, würde sie das Recht der Antragstellerin auf Teilnahme an einem rechtskonformen Vergabeverfahren verletzen, sowie ihr Recht auf Teilnahme an einer Neuausschreibung. In diesem Fall würde der Antragstellerin ein enormer Schaden entstehen.

Die Interessen der Antragstellerin auf Beseitigung der Vergabeverstöße und somit auf Einhaltung des unionsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes, würden die Interessen der Auftraggeberin oder der Öffentlichkeit bei weitem überwiegen. Eine vermeintliche zeitliche Dringlichkeit wäre jedenfalls von der Auftraggeberin selbst provoziert, indem sie die nötigen Prüfungen nicht rechtzeitig abgeschlossen hätte bzw. weil sie die Verzögerung durch ein Nachprüfungsverfahren nicht berücksichtigt habe. Zwingende öffentliche Gründe würden grundsätzlich nur geltend gemacht werden können, wenn diese von der Auftraggeberin nicht selbst provoziert worden seien. Vorliegend habe die Auftraggeberin die Situation selbst provoziert. Ein Auftraggeber könne auf diese Weise, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung immer verhindern, indem er das Vergabeverfahren so lange hinauszögere, bis bereits eine besondere Dringlichkeit eingetreten sei. Im Übrigen liege nach ständiger Rechtsprechung des VfGH die Sicherstellung an den tatsächlichen Bestbieter im öffentlichen Interesse.

Da die Auftraggeberin bereits auf die Überbrückungsangebote in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 zugeschlagen habe, sei auch nicht ersichtlich, welche öffentlichen Interessen durch den Erlass der gegenständlichen einstweiligen Verfügung beeinträchtigt werden würden. Für jedes gegenständlich angefochtene Los würden die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen nämlich bereits die entsprechenden Winterdienstleistungen durch die direkt vergebenen Überbrückungsangebote erbringen. Eine Gefahr für Leib und Leben drohe daher nicht. Abgesehen davon drohe aber auch deshalb keine Gefahr für Leib und Leben unmittelbar, weil in absehbarer Zeit mit keinem Schneefall an den Standorten der Logistikzentren zu rechnen sei. Darüber hinaus bezweifle die Antragstellerin aus den genannten Gründen, dass die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen in den gegenständlichen Losen in der Lage seien, die Winterdienstleistungen überhaupt ordnungs- und ausschreibungsgemäß erbringen zu können, weswegen erst Recht eine Gefahr für Leib und Leben drohe.

2. Am 11.11.2020 erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren, legte den Vergabeakt vor und gab eine Stellungnahme zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Sie beantragte die Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen abzuweisen in eventu zurückzuweisen.

Die Auftraggeberin führe Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung in 8 Losen zum Abschluss von Rahmenverträgen über Winterdienstleistungen durch. In den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 sei die Antragstellerin nicht für den Zuschlag vorgesehen gewesen und hätte die Zuschlagsentscheidung vom 16.09.2020 bekämpft. Zur Sicherstellung einer möglichst zeitnahen Beauftragung der Winterdienstleistungen hätte die Auftraggeberin die angefochtenen Zuschlagsentscheidungen zurückgezogen und am 30.10.2020 erneut Zuschlagsentscheidungen erlassen. In den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 sei die Antragstellerin nicht für den Zuschlag vorgesehen, in den Losen 6 und 7 sei die Zuschlagsentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin erfolgt. Die Zuschlagsentscheidungen seien den Bietern in allen Losen mit Schreiben vom 30.10.2020 mitgeteilt worden.

Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung führte die Auftraggeberin zusammengefasst aus:

Die Auftraggeberin sei nach Zurückziehen der erfolgten Zuschlagsentscheidungen dazu gezwungen gewesen, die Winterdienstleistungen im Rahmen einer „interimistischen Vergabe“, in der Folge „Überbrückungsverfahren“, zu vergeben, um eine möglichst zeitnahe Beauftragung der Winterdienstleistungen sicherstellen zu können. Dabei habe die Auftraggeberin in den einzelnen Losen jene Unternehmen zur Abgabe eines interimistischen Angebots aufgefordert, die auch im Hauptverfahren für den Zuschlag in dem jeweiligen Los vorgesehen gewesen wären. Die Überbrückungsbeauftragung sei als Notvergabe lediglich für einen äußerst kurzen Zeitraum bis zum 01.12.2020 erfolgt und somit sei kein Unternehmen beauftragt, ab dem 01.12.2020 den ausschreibungsgegenständlichen Winterdienst zu erbringen. Ab diesem Zeitpunkt bestehe eine akute und erhebliche Gefahrensituation.

Die besagte Überbrückungsvergabe sei von der Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag samt Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung bekämpft worden, das Bundesverwaltungsgericht habe dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht vollumfänglich stattgegeben und die Überbrückungsbeauftragung bis zum 01.12.2020, 24.00 Uhr, für zulässig erklärt (W131 2236159-1/3E). Nach Durchführung einer erneuten Prüfung sämtlicher Angebote sei am 30.10.2020 die Zuschlagsentscheidung im Hauptverfahren erfolgt, gegen welche sich der nunmehr dritte Nachprüfungsantrag der Antragstellerin richte.

Da im vorliegenden Fall die identen maßgeblichen Umstände wie im Überbrückungsverfahren vorliegen würden, würde eine Interessensabwägung auch diesfalls zu dem Ergebnis führen, dass der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuweisen sei.

Die Erbringung der ausgeschriebenen Dienstleistungen sei bei entsprechenden Witterungsverhältnissen zwingend notwendig, um den Schutz für Leib und Leben einer größeren Anzahl an Menschen sicherzustellen und den Betrieb und die Funktionsfähigkeit der Logistikzentren aufrecht zu erhalten und die gesamte Postnetzinfrastruktur und damit die Versorgungssicherheit mit der Erbringung von Postdienstleistungen zu gewährleisten. Die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung würde erhebliche nachteilige Folgen mit enormen – in ihrem gesamtwirtschaftlichen Ausmaß noch gar nicht absehbaren – Schäden sowohl für die Auftraggeberin als auch für die Allgemeinheit nach sich ziehen. Die rein wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin bei Fortführung des Verfahrens seien im Vergleich dazu jedenfalls vernachlässigbar.

Mit Blick auf die „situative Winterreifenpflicht“ gemäß § 102 Abs 8a Kraftfahrgesetz 1967, BGBl 267/1967 gehe der Gesetzgeber davon aus, dass im Zeitraum von 1. November bis 15. April (bzw 15. März) mit winterlichen Verhältnissen zu rechnen sei. Dementsprechend sei von der Auftraggeberin im Hauptverfahren ein winterlicher Betreuungszeitraum aller Logistikzentren in diesem Zeitraum für die nächsten drei Wintersaisonen vorgesehen worden. Winterliche Verhältnisse und Temperaturen um den Gefrierpunkt (die zum Teil bereits jetzt vorlägen) würden bei einfacher Straßennässe – insbesondere bei Frost und winterlichem Niederschlag – zu akutem Glatt- und Blitzeis auf den Verkehrsflächen um die Logikzentren führen. In diesem Fall würden Unfälle aufgrund der daraus resultierenden Rutschgefahr sowohl im Zufahrts- als auch Eingangsbereich der Logistikzentren nicht ausgeschlossen werden können. Auch die dadurch erhöhte Rutschgefahr beim Zu- und Abgehen von Personen vom Gelände der Logistikzentren würden eine erhebliche Gefährdung für Leib und – in letzter Konsequenz wohl auch – für das Leben dieser Personen darstellen.

Darüber hinaus bestehe bei den ausschreibungsgegenständlichen Logistikzentren die überwiegend mit Flachdächern ausgestattet seien, ein ausgesprochen hohes Gefährdungspotenzial, was die Einsturzgefahr der Dächer infolge nicht beseitigter Schneelasten betreffe.

Der Auftraggeberin würden gemäß § 93 Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl 159/1960 weiters sogenannte Säuberungspflichten obliegen und darüber hinaus wäre sie gemäß § 1319a Abs 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, BGBl 416/1975 als Wegehalter für den ordnungsgemäßen Zustand eines Weges iSd § 1319a Abs 2 ABGB verantwortlich.

Würde der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung der Antragstellerin stattgegeben, würden bei winterlichen Verhältnissen ab dem 1.12.2020, 24:00 Uhr auch keine Winterdienstleistungen erbracht werden können, um eine Gefahr für Leib und Leben von Mitarbeitern und sonstigen Personen auszuschließen. Die Auftraggeberin wäre daher vollständig und mittels einstweiliger verfügung ind die Wegehalterhaftung gedrängt.

Die Auftraggeberin verwies diesbezüglich auf die rechtliche Beurteilung im Beschluss zum Verfahren W131 2236159-1/3E, wonach ausweislich der §§ 80, 81 und 88 StGB ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe, dass Sterbefälle und Verletzungen (samt Folgeschäden) von Personen durch schuldhafte Fremdverursachung unterbleiben. Die Unversehrtheit der Menschen sei auch unionsprimärrechtlich als Zielsetzung bei der Anwendung bzw Berücksichtigung von Unionsrecht anzustreben. Als besonderes öffentliches Interesse gegenüber der Auftraggeberin habe diese ein funktionierendes Postwesen und die Unversehrtheit ihrer Mitarbeiter und Nutzer der Logistikzentren (gemäß § 93 StVO) zu gewährleisten.

Die Auftraggeberin sei weiters gemäß § 12 Abs 1 Postmarktgesetz BGBl Nr 123/2009 idgF (in der Folge „PMG“) ausdrücklich und ausschließlich mit der Erbringung des bundesweiten Universaldienstes betraut. Die Logistikzentren würden bei der Erfüllung dieser Aufgaben einen wesentlichen Teil der systemerhaltenden Infrastruktur Österreichs bzw der Auftraggeberin darstellen und seien zwingend zu jeder Zeit funktionsfähig zu halten. Würde dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stattgegeben werden, könne die Auftraggeberin die ihr gesetzlich obliegende „Aufrechterhaltung der Grundversorgung“ gemäß PMG schlichtweg nicht mehr gewährleisten. Die Auftraggeberin sei nicht dazu in der Lage bzw nicht dafür aufgestellt, die ausgeschriebenen Leistungen selbst zu erbringen.

Die gegenständliche Erlassung der einstweiligen Verfügungen hätte zur Folge, dass für die von den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 betroffenen Logistikzentren ab dem 1.12.2020, 24:00 Uhr keine Winterdienstleistungen erbracht werden können. Dies würde bei winterlichen Verhältnissen und Temperaturen um den Gefrierpunkt, den Betrieb der Logistikzentren verhindern und es würde innerhalb von 3 bis 5 Tagen das gesamte System der Zustellung von Briefen und Paketen kollabieren. Die Sicherstellung verlässlicher Postdienstleistungen – so auch des Transportes diverser Gefahrengüter aus dem Gesundheitsbereich – stelle einen kritischen Teil der Infrastruktur dar. Der wirtschaftliche Schaden der aus einem derartigen Zusammenbruch resultieren würde sei enorm und würde in seinen volkswirtschaftlichen Auswirkungen weit jenseits von EUR 100 Mio liegen. Eine Betriebsunterbrechung hätte zudem erhebliche Vertragsstrafen für die Auftraggeberin zur Folge, die den geschätzten Auftragswert der gegenständlichen Ausschreibung und damit auch das wirtschaftliche Erfüllungsinteresse der Antragstellerin bei weitem überwiegen würden.

Aus den aufgezeigten Gründen sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedenfalls abzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht könne zudem nur jene Maßnahmen anordnen, welche die Antragstellerin beantragt hat. Gemäß § 350 Abs 2 BVergG 2018 habe der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung daher unter anderem die genaue Bezeichnung der begehrten vorläufigen Maßnahme zu enthalten. Die Antragstellerin habe mit Schriftsatz vom 9.11.2020 entgegen der Bestimmung des § 351 Abs 1 BVergG 2018 die „Untersagung der Zuschlagserteilung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts“ im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren beantragt. Diese Maßnahme sei allerdings – unter Berücksichtigung der, der Antragstellerin bekannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu W131 2236159-1/3E, jedenfalls als überschießend und verfehlt zu qualifizieren. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung zu W131 2236159-1/3E explizit auf der Annahme gegründet, dass das hier gegenständliche Hauptverfahren bis zum 01.12.2020 abgeschlossen sein würde und daher die angeführten Gefahren für Leib und Leben sowie für die kritische Infrastruktur Österreichs, durch Abschluss der gegenständlichen Rahmenverträge bis zu diesem Zeitpunkt, hintangehalten werden müssen. Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wie von der Antragstellerin gegenständlich verfehlt und überschießend beantragt, würde somit dem Beschluss von 27.10.2020 zu W131 2236159-1/3E zur Gänze entziehen. Im Sinne dieser hätte die Antragstellerin den Antrag auf Untersagung der Zuschlagsentscheidung auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken gehabt (zumindest jedenfalls in Form eines Eventualantrags). Im vorliegenden Fall wäre als gelindestes Mittel iSd § 351 Abs 1 BVergG 2018 eine Untersagung einer Zuschlagserteilung ausschließlich für jene Leistungen zu beantragen gewesen, die den Leistungszeitraum nach der rechtskräftigen Entscheidung im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren betreffen. Damit wäre ein Winterdienst über den Zeitraum der Nachprüfungskontrolle möglich und der Interessensabwägung entsprochen. Ein Umdeuten des von vornherein verfehlten Begehrens der Antragstellerin komme unter Berücksichtigung des Antragsprinzips gemäß § 350 Abs 2 Z 5 BVergG 2018 nicht in Betracht und wäre unzulässig.

3. Am 17.11.2020 langte eine ergänzende Stellungnahme der Antragstellerin zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein, in der die Antragstellerin zum Schreiben der Auftraggeberin vom 11.11.2020 Stellung nahm. Zum von der Auftraggeberin behaupteten überschießenden Antrag bzw zum verfehlten Antragsbegehren brachte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen folgendes vor: Es sei ihr nicht ersichtlich, welcher Schaden der Auftraggeberin durch die Erlassung der nun beantragten einstweiligen Verfügung im Hauptvergabeverfahren entstehen könnte bzw welche öffentlichen Interessen dadurch beeinträchtigt seien, da die Auftraggeberin mit 27.10.2020 auf die Überbrückungsangebote der präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 zugeschlagen hätte, und für jedes gegenständlich angefochtene Los die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen ohnehin die entsprechenden Winterdienstleistungen durch die direkt vergebenen Überbrückungsangebote erbringen würden. Eine Gefahr für Leib und Leben drohe aufgrund der Direktvergabe nicht.

Sofern die Auftraggeberin behaupte, die Antragstellerin hätte nicht das gelindeste zum Ziel führende Mittel beantragt und das Antragsbegehren sei im Hinblick auf den beiden Parteien bekannten Beschluss zur GZ W131 2236159-1/3E verfehlt, weil sie die „Untersagung der Zuschlagserteilung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts“ beantragt habe, so sei der Auftraggeberin zu entgegnen, dass sie angesichts des Umfanges der Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 selbst dem Beschluss zur GZ W131 2236159-1/3E und ihren dort vorgebrachten Behauptungen widerspreche. Dies lasse sich beispielsweise daran erkennen, dass die unzulässige Wahl der Direktvergabe für die Überbrückungsleistungen von der Auftraggeberin zunächst damit begründet wurde, dass ein vom Hauptvergabeverfahren sachlich und rechtlich getrenntes Vergabeverfahren vorliege. Dennoch habe die Auftraggeberin offenbar nicht auf die im Rahmen der Überbrückungsvergaben abgefragten Angebote, sondern auf eine nicht abgefragte Pauschale in der Höhe eines Fünftels der Pauschale im Hauptverfahren zugeschlagen, wie aus dem Schreiben der Auftraggeberin vom 27.10.2020 (Beilage./K des Nachprüfungsantrages vom 09.11.2020) hervorgehe.

Weiters habe die Auftraggeberin zunächst behauptet, dass durch die Verzögerung im Nachprüfungsverfahren der Zeitraum der Überbrückungsbeauftragung aus dem Leistungsbild des Hauptverfahrens herausgenommen und deshalb nicht mehr gültiger Gegenstand des Leistungsvertrages des Hauptverfahrens sei. Dennoch umfasse die Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 den vollen Leistungszeitraum bzw. beabsichtige die Auftraggeberin offenbar auf den vollen Gesamtwert der Lose zuzuschlagen, obwohl ein Fünftel dieser Pauschale auf Basis der „Überbrückungsangebote“ abgegolten werde. Gegenständlich werde dieselbe Leistung offenbar „doppelt“ vergeben. Die Auftraggeberin beabsichtige auf ein Angebot zuzuschlagen, das einen Leistungszeitraum umfasst, der bereits im Rahmen der „Überprüfungsvergaben“ vergeben wurde. Damit ändere sich nachträglich die Kalkulationsbasis der Letztangebote und auch der ursprünglich ausgeschriebene Leistungsumfang, weshalb ein Zuschlag auf die Letztangebote im Hauptvergabeverfahren gar nicht mehr möglich sei und das Vergabeverfahren auch aus diesem Grund zwingend zu widerrufen sei.

Die Antragstellerin habe daher die Erlassung einer einstweiligen Verfügung für den gesamten relevanten Zeitraum beantragt. Der Antrag der Antragstellerin sei daher weder überschießend noch verfehlt, zumal es sich laut dem eigenen Vorbringen der Auftraggeberin um zwei sachlich und rechtlich getrennte Vergabeverfahren handle. In eventu werde der Umfang der einstweiligen Verfügung wie im Verfahren zu W131 2236159-1/3E entsprechend einzuschränken sein.

Die Antragstellerin mache von ihrem unionsrechtlich gebotenen Recht auf effektiven Rechtsschutz Gebrauch. Wiederholt sei darauf hinzuweisen, dass es an der Auftraggeberin gelegen wäre, das Vergabeverfahren so rechtzeitig zu beginnen und alle notwendigen Prüfung so rechtzeitig abzuschließen, dass der Zuschlag rechtzeitig erteilt werden hätte können, was offenbar aber nicht erfolgt sei.

4. Mit Stellungnahme vom 19.11.2020 führt die Auftraggeberin ergänzend aus, dass es sich bei dem Hauptverfahren zur Vergabe von Winterdienstleistungen und beim Überbrückungsverfahren zur Vergabe von Winterdienstleistungen um rechtlich selbständige und voneinander völlig unabhängige verfahren handle. Feststehe weiters, dass derzeit kein Auftragnehmer beauftragt sei, ab dem 01.12.2020, 24.00 Uhr, die zwingend erforderlichen Winterdienstleistungen zu erbringen. Die Antragstellerin habe auch mit dem Schriftsatz vom 17.11.2020 keine Eventualanträge gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht sei an den konkreten Antrag der Antragstellerin gebunden und könne auch nur jene Maßnahmen anordnen, die beantragt wurden. Sollte das Bundesverwaltungsgericht daher eine Einschränkung der von der Antragstellerin offenbar bewusst und wiederholten (überschießenden) einstweiligen Verfügung vornehmen, würde eine Maßnahme verhängt werden, di schlichtweg nicht beantragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt (Feststellungen):

Aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen sowie der Bezug nehmenden Beilagen und Unterlagen des Vergabeverfahrens wird im Rahmen des Provisorialverfahrens folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt:

Auftraggeberin (AG) ist die Österreichische Post AG. Sie führt ein Vergabeverfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages: „TA – Winterdienst Logistikzentren, Pl_1683_TM“, durch. Ziel des Vergabeverfahrens ist der Abschluss eines Rahmenvertrages für die Erbringung von Winterdienstleistungen diverser Flächen in Logistikzentren der Österreichischen Post AG. Die Bekanntmachung des Vergabeverfahrens erfolgte am 25.05.2020.

Es handelt sich um ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich.

Die Vergabe soll in 8 Losen erfolgen, Ziel ist der Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen der Auftraggeberin und dem Billigstbieter je Los für den Zeitraum von 1. November bis 15. April (bzw 15. März) für die nächsten drei Wintersaisonen.

Am 16.09.2020 erfolgte eine Zuschlagsentscheidung, in der für folgende Lose als Partner des Rahmenvertrags folgende Unternehmen ermittelt wurden: Los 1 und Los 2: XXXX , Los 3, Los 4 und Los 5: XXXX , Los 8: XXXX . Diese Zuschlagsentscheidung wurde durch die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag im Verfahren W139 2235513-2 vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpft. Mit Schreiben der Auftraggeberin vom 01.10.2020 wurde die Zuschlagsentscheidung in allen Losen zurückgezogen. Ds Nachprüfungsverfahren wurde eingestellt.

Am 06.10.2020 wurden die in den Losen im Hauptverfahren in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerinnen von der Auftraggeberin zur Angebotsabgabe von Überbrückungsangeboten für voraussichtlich vier bis fünf Wochen in sämtlichen Losen aufgrund der Verzögerungen im Hauptverfahren aufgefordert („Überbrückungsvergabe – Winterdienst Logistikzentren“). Die Antragstellerin bekämpfte die Wahl der Direktvergabe betreffen die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 mit einem Nachprüfungsantrag, das Verfahren wird beim Bundesverwaltungsgericht zur GZ W131 2236159 geführt. Mit Beschluss vom 27.10.2020, W131 2236159-1/3E wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung für den Zeitraum ab Erlassung des Beschlusses bis zum Ablauf des 01.12.2020 ab, für den Zeitraum, der über den 01.12.2020 hinausgeht, wurde der Auftraggeberin die Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren „Überbrückungsvergabe – Winterdienst Logistikzentren“ untersagt.

Am 27.10.2020 erteilte die Auftraggeberin den Zuschlag zu den Überbrückungsangeboten in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 bis zum 01.12.2020. Eine Beauftragung über den 01.12.2020, 24.00 Uhr, hinaus erfolgte auf der Grundlage des Überbrückungsverfahrens nicht.

Am 30.10.2020 erließ die Auftraggeberin erneut eine Zuschlagsentscheidung für das Hauptverfahren. Die Antragstellerin ging in den Losen 6 und 7, die XXXX in den Losen 1 und 2, die XXXX in den Losen 3, 4 und 5 und die XXXX im Los 8 als Billigstbieterin hervor.

Die Auftraggeberin verfügt nicht über die erforderlichen personellen Ressourcen und die erforderlichen Betriebsmittel, um die gegenständlich ausgeschriebenen Winterdienstleistungen zu erbringen. Es kann nicht festgestellt werde, dass die in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerinnen zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung nicht imstande wären.

Mit Schriftsatz vom 09.11.2020, beim BVwG am selben Tag eingelangt, brachte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden mit einem Nachprüfungsantrag gegen die Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 betreffend die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 ein.

Der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung der Antragstellerin richtet sich darauf, der Auftraggeberin zu untersagen, den Zuschlag im Vergabeverfahren „TA – Winterdienst Logistikzentren, Pl_1683_TM“ in den Losen 1, 2, 3, 4, 5 und 8 für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens zu erteilen.

Die Antragstellerin entrichtete Pauschalgebühren in entsprechender Höhe.

Es wurde im hier verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren „Winterdienst Logistikzentren, Pl_1683_TM“ weder ein Zuschlag erteilt noch wurde eine Widerrufsentscheidung bekanntgegeben oder der Widerruf erklärt.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt. Seites der Antragstellerin wurde nicht substantiiert bestritten, dass die Auftraggeberin selbst zur Leistungserbringung nicht imstande ist. Anhaltspunkte dafür, dass die ordnungsgemäße Leistungserbringung durch die in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerinnen nicht gewährleistet wäre, haben sich im Provisorialverfahren nicht gezeigt. Das Vorbringen der Antragstellerin gründet auf Vermutungen und erweist sich insofern als widersprüchlich, als sie zum einen argumentiert, dass eine Gefahr für Leib und Leben aufgrund der Direktvergabe der Überbrückungsangebote an die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen nicht drohe und demgegenüber zum anderen argumentiert, dass gerade deshalb erst recht eine Gefahr für Leib und Leben mangels ordnungsgemäßer Leistungserbringung durch die präsumtiven Zuschlagsempfängerinnen drohe.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und Zulässigkeit des Antrages

Gemäß Art 135 Abs 1 B-VG iVm § 2 VwGVG und § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten. Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht über die oben wiedergegebenen Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Somit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 5 BVergG 2018 ist die Österreichische Post AG. Sie ist Sektorenauftraggeberin gemäß § 168 iVm § 173 BVergG 2018. Beim gegenständlichen Auftrag handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag gemäß § 7 iVm § 177 BVergG 2018. Der geschätzte Auftragswert liegt über dem relevanten Schwellenwert des § 185 Abs 1 Z 1 BVergG 2018, sodass es sich um ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich handelt.

Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des BVergG 2018. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 334 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG ist sohin gegeben.

Da darüber hinaus laut Stellungnahme der Auftraggeberin das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 334 Abs 2 BVergG 2018 zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen eines Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.

Von einem in § 350 Abs 1 BVergG 2018 genannten offensichtlichen Fehlen der Antragsvoraussetzungen gemäß § 342 Abs 1 leg.cit. ist vorerst nicht auszugehen.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen. Die Pauschalgebühr wurde in entsprechender Höhe bezahlt (§ 318 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2018 iVm § 1 BVwG-PauschGebV Vergabe). Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Zuschlagsentscheidung vom 30.10.2020 betreffend die Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8. Dabei handelt es sich jedenfalls um eine gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 16 lit a sublit dd BVergG 2018.

3.2. Inhaltliche Beurteilung des Antrages

Gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.

Gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

Vorliegend hat die Antragstellerin die Untersagung der Zuschlagserteilung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens beantragt. Die Verfügung dieser begehrten Sichermaßnahme kommt gegenständlich allerdings aufgrund der nachstehenden Erwägungen nicht in Betracht.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auf den ihr entstehenden Schaden in der Höhe des Deckungsbeitrages, des entgangenen Gewinns, der Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung und überdies des Verlusts eines wichtigen Referenzprojektes sowie auf die Notwendigkeit der Gewährleistung des unionrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes und die Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter als öffentliches Interesse verweist. Eine Verzögerung des Vergabeverfahrens durch ein allfälliges Nachprüfungsverfahren sei bei der zeitlichen Planung der Auftraggeberin zu berücksichtigen. Ein besonderes Interesse der Auftraggeberin oder der Öffentlichkeit würden der Untersagung der Zuschlagserteilung nicht entgegenstehen. Zwingende öffentliche Gründe könnten grundsätzlich nur geltend gemacht werden, wenn diese der Auftraggeber nicht selber provoziert habe.

Am Vorliegen des aufgezeigten drohenden Schadens besteht dem Grunde nach kein Zweifel. Die entsprechende Behauptung ist plausibel. Beim Verlust eines Referenzprojektes handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um einen im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden (Vermögens)Nachteil (VwGH 14.04.2011, 2008/04/0065). Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich des Vorrangs des primären – durch Nichtigerklärung rechtswidriger Auftraggeberentscheidungen zu gewährleistenden – Rechtsschutzes (EuGH 28.10.1999, Rs C-81/98, Alcatel Austria AG ua; 18.06.2002, Rs C-92/00, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH) Bedacht zu nehmen. Die Antragstellerin weist auch zu Recht daraufhin, dass nach ständiger Rechtsprechung in der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter ein öffentliches Interesse liegt (VfGH 25.10.2002, B1369/01; siehe insb. bereits BVA 25.01.2002, N-128/01-45 uvm). Schließlich ist der Antragstellerin auch zuzustimmen, dass nach ständiger Rechtsprechung Auftraggeber angehalten sind, die durch die Einleitung von Vergabekontrollverfahren allenfalls eintretenden zeitlichen Verzögerungen schon bei ihrer Ablaufplanung entsprechend einzukalkulieren und zu berücksichtigen.

Demgegenüber führt die Auftraggeberin angesichts nicht auszuschließender winterlicher Witterungsverhältnisse gegen die Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung maßgeblich das besondere öffentliche Interesse des Schutzes von Leib und Leben und Gesundheit einer großen Anzahl an Menschen, nämlich der Mitarbeiter und Nutzer der Logistikzentren der Auftraggeberin, sowie das besondere öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Betriebs und der Funktionsfähigkeit eines wesentlichen Teils der kritischen Infrastruktur bei Erbringung des bundesweiten Universaldienstes ins Treffen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Beschluss zu W131 2236159-1/3E ausdrücklich festgehalten, dass die Unversehrtheit der Menschen als Zielsetzung auch unionsrechtlich gemäß Art 2und 3 der Europäischen Grundrechtecharta bei der Anwendung bzw der Berücksichtigung von Unionsrecht anzustreben sei.

Wenn die Auftraggeberin sohin vorbringt, dass die von ihr aufgezeigten Interessen den rein wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin am Erhalt des gegenständlichen Auftrages vorgehen würden, so ist vorauszuschicken, dass nach der ständigen Rechtsprechung tatsächlich nur in besonderen Ausnahmefällen von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzusehen ist und das Rechtsschutzinteresse demnach nur vom vorrangigen Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter der Allgemeinheit zurückgedrängt wird (Kahl in Gast [Hrsg], BVergG-Leitsatzkommentar, E 20, 60 zu § 351). Nur ein besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens ist zu berücksichtigen (R. Madl in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht4, Rz 2223). Jedenfalls aber ist der Schutz der körperlichen Sicherheit als das höherwertige Rechtsgut über das rein finanzielle Interesse eines Antragstellers zu stellen (Kahl in Gast [Hrsg], BVergG-Leitsatzkommentar, E 80 zu § 351).

Wie das Ermittlungsverfahren ergeben hat, wurde im Rahmen der Überbrückungsvergabe die Erbringung der Winterdienstleistungen betreffend die hier verfahrensgegenständlichen Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 ausschließlich für den Leistungszeitraum ab 27.10.2020 bis einschließlich 01.12.2020 beauftragt. Das betreffende Überbrückungsvergabeverfahren ist damit beendet. Eine Leistungserbringung auf der Grundlage des Überbrückungsverfahrens kommt damit über den genannten Zeitpunkt hinaus nicht in Betracht. Es ist demnach kein Unternehmen beauftragt, Winterdienstleistungen diverser Flächen betreffend die Postlogistikzentren der Lose 1, 2, 3, 4, 5 und 8 ab dem 02.12.2020 zu erbringen. Die Auftraggeberin hat gemäß eigenem nicht substantiiert bestrittenen Vorbringen derzeit keine dafür vorgesehenen Mitarbeiter, die verfügbar wären, um jene Winterdienstleistungen zu erbringen.

In der österreichischen Rechtsordnung ist in § 102 Abs 8a KFG positiviert, dass der Gesetzgeber ab 01. November bis 15. April (bzw 15. März) davon ausgeht, dass im Kraftfahrbereich zB PKW´s (siehe dazu die Fahrzeugklassen in § 3 KFG) rücksichtlich evtl vorhandener winterlicher Fahrverhältnisse wie Schnee, Eis und Matsch entsprechend bereift sein müssen, um entsprechend dem evidenten Telos der Bestimmung Unfälle und damit Verletzungen und Todesfälle mangels hinreichender Bodenhaftung von Kraftfahrzeugen bei winterlichen Fahrbahnverhältnissen zu vermeiden. Es besteht zufolge der §§ 80, 81 und 88 StGB und der zivilrechtlichen Haftungsvorschriften wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw fahrlässiger Tötung gemäß der Rechtsordnung ein besonderes öffentliches Interesse daran, dass Sterbefälle und Verletzungen (samt Folgeschäden) von Personen durch schuldhafte Fremdverursachung unterbleiben, womit sich jedermann bei sonstiger Rechtswidrigkeit objektiv sorgfältig gegenüber dem Leben und der Gesundheit eines anderen Menschen zu verhalten hat (BVwG 27.10.2020, W131 22236159-1/3E). In diesem Sinne erfordert etwa auch § 93 StVO, auf welchen die Auftraggeberin verweist, sogenannte Säuberungspflichten, um wiederum jegliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit hintanzuhalten. Zu Recht weist die Auftraggeberin ua in der vorliegenden Konstellation überdies auf die sie gemäß § 1319a ABGB treffenden Verkehrssicherungspflichten als Wegehalter hin.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem das Überbrückungsverfahren betreffenden Beschluss vom 27.10.2020 zudem ausdrücklich festgehalten, dass die Unversehrtheit der Menschen als Zielsetzung auch unionsprimärrechtlich gemäß Art 2 und 3 der Europäischen Grundrechtecharta (= GRC) bei der Anwendung bzw Berücksichtigung von Unionsrecht anzustreben ist.

Da entgegen der Annahme der Antragstellerin die Erbringung der betreffenden Winterdienstleistungen mangels entsprechender Auftragserteilung für den Zeitraum ab dem 02.12.2020 nicht sichergestellt ist, ist eine drohende Beeinträchtigung von Leib und Leben von Menschen als Folge winterlicher Geh- du Fahrverhältnisse bzw durch Dachlawinen uä auf dem Gelände der Postlogistikzentren und in deren Umgebung aktuell und für die Dauer des Vergabekontrollverfahrens – wofür die Antragstellerin selbst auch die Beiziehung eines Sachverständigen beantragt hat – keinesfalls auszuschließen. Insoweit ist, so das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss zu W131 2236159-1 weiter, ein besonderes öffentliches Interesse gegenüber der Auftraggeberin festzustellen, dass diese dafür Sorge trägt, dass auf ihrem Betriebsgelände bzw in ihrem rechtlichen Verantwortungsbereich insbesondere gemäß § 93 StVO ihre Mitarbeiter oder sonstige Nutzer ihrer Logistikzentren (samt Anrainerflächen mit Betreuungspflichten der Auftraggeberin gemäß § 93 StVO) nicht zu Schaden an Leib und Leben kommen. Daher hat die Auftraggeberin für entsprechende Schnee- und Matschräumung bzw durch Bestreuung Vorsorge zu treffen.

Soweit die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 09.11.2020 ohne sachverständig-meteorologisch garantierte Untermauerung vorbringt, es liege keine Gefahr für Leib und Leben unmittelbar vor, weil in absehbarer Zeit mit keinem Schneefall an den Standorten der Logistikzentren zu rechnen sei, ist sie der insbesondere aus § 102 Abs 8a KFG abzuleitenden Grundrisikobewertung eines Wintereinbruchs nicht substantiiert entgegengetreten.

Soweit die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 09.11.2020 weiters vorbringt, dass eine Gefahr für Leib und Leben erst recht bei Beauftragung der in Aussicht genommenen Zuschlagsempfängerinnen drohe, da diese die Leistungen nicht ordnungsgemäß erbringen könnten, ist darauf zu verweisen, dass im Rahmen des Provisorialverfahrens auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür zu erkennen waren.

Stellt man die möglicherweise geschädigten Interessen der Antragstellerin, der sonstigen Bieter und der Auftraggeberin, ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie das öffentliche Interesses an einer vergaberechtsrichtigen Entscheidung gegenüber, so gelangt das Bundesverwaltungsgericht zu der Ansicht, dass bereits das besondere öffentliche Interesse, jegliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit hintanzuhalten, die im Wesentlichen rein wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin als höherwertig überwiegt.

Dieses dargestellte besondere öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen ist noch dadurch verstärkt, dass in Zeiten der Corona-Pandemie das Medizinsystem und insbesondere die Spitalskapazitäten nicht abseits von Covid-19 noch zusätzlichen mitunter vermeidbaren Systembelastungsrisiken (iZm bei den Logistikzentren der AG durch winterliche Schnee-, Matsch- und Eisverhältnisse verunfallenden Mitarbeitern oder sonstigen Nutzern dieser Logistikzentren) ausgesetzt werden sollen.

Gegen die Erlassung eines Zuschlagsverbots spricht auch die besondere Stellung der Auftraggeberin in der Rechtsordnung, die gemäß Postmarktgesetz als vergaberechtsgebundene Sektorenauftraggeberin mit dem Postwesen eine historisch staatliche Infrastrukturaufgabe wahrnimmt und als Universaldiensteanbieter die ihr gesetzlich obliegende Aufrechterhaltung der Grundversorgung mit Postdiensten sicherzustellen hat (§ 1 Abs 1 lit a PMG), welche nicht durch das Fehlen entsprechender Winterdienstleistungen erschwert oder gar vereitelt werden soll, zumal jahreszeitlich bedingt aktuell derartige Winterdienstleistungserfordernisse durchaus auftreten können und nicht gegenteilig als abseits jedweder Lebenserfahrung dargestellt werden können (BVwG 27.20.2020, W131 2236159-1/3E).

Zusammenfassend gelangt das Bundeverwaltungsgericht zu der Auffassung, dass die aufgezeigten besonderen öffentlichen Interessen an der möglichsten Vermeidung einer Gefahr für Leib und Leben einer großen Anzahl an Menschen, nämlich der Mitarbeiter der Auftraggeberin und der Nutzer der Postlogistikzentren, einerseits und an der Aufrechterhaltung einer kritischen Infrastruktur durch die Auftraggeberin und damit eines funktionierenden Postwesens gemäß dem PMG gemeinsam mit dem Interesse der Auftraggeberin, Folgekomplikationen aufgrund fehlender Winterdienstleistungen bei winterlichen Witterungsverhältnissen hintan zu halten, die vorgebrachten Interessen der Antragstellerin an einer Untersagung der Zuschlagserteilung in den sechs streitigen Losen überwiegen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Soweit die Antragstellerin im Antrag vom 09.11.2020 sowie in der Stellungnahme vom 17.11.2020 vorbringt, dass ein Auftraggeber den vergaberechtlichen Rechtschutz immer dadurch aushebeln könne, indem er das Vergabeverfahren zu spät beginne, ist der Antragstellerin zwar grundsätzlich beizupflichten, allerdings vermag dies, wie im gegenständlichen Fall, nicht zu verhindern, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall erfordert, von der Erlassung von Sicherungsmaßnahmen Abstand zu nehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass die Antragstellerin im Falle der Zuschlagserteilung an die beabsichtigten Zuschlagsempfängerinnen mit ihren Ansprüchen auf die Inanspruchnahme eines Feststellungsverfahrens und eines daran anschließenden Schadenersatzverfahrens vor den Zivilgerichten beschränkt wäre und dies ungeachtet des Umstandes, dass auf Grundlage der Erkenntnisse im Rahmen des Provisorialverfahrens der nunmehr entstandene zeitliche Druck durch Versäumnisse der Auftraggeberin in der zeitlichen Ablaufplanung zumindest mitversursacht wurde. Die anzustellende Interessenabwägung erfordert es im vorliegenden Fall aber, wie aufgezeigt, von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Zuschlagserteilung Abstand zu nehmen. Eine teilweise Stattgabe war insofern nicht zu verfügen, als diese einen in dieser Form nicht möglichen Eingriff in die Privatautonomie der Auftraggeberin, welche die Erbringung der Winterdienstleistungen für drei Wintersaisonen ausgeschriebenen hat, bedeuten und in weiterer Folge unter Verletzung des Transparenzgrundsatzes einen anderen, und daher allenfalls auch einen anderen Bieterkreis ansprechenden, Ausschreibungsgegenstand darstellen würde. Allerdings wird seitens der Auftraggeberin für den Fall, dass sich die Zuschlagserteilungen als rechtswidrig erweisen sollten, ein Abruf lediglich bezüglich der diesjährigen Wintersaison und eine allfällige vorzeitige Beendigung des jeweiligen Vertrages ins Auge zu fassen sein.

Über den Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ausschreibung Dienstleistungsauftrag Direktvergabe Dringlichkeit einstweilige Verfügung Gefahr für Leib und Leben Gefährdung der Sicherheit Gesundheitsrisiko Gesundheitsschädigung gesundhitliche Gründe Interessenabwägung Kalkulation Nachprüfungsantrag Nachprüfungsverfahren Nachvollziehbarkeit öffentliche Interessen Preisvergleich Provisorialverfahren Rahmenvertrag Schaden Schadenersatz spekulativer Preis Untersagung der Zuschlagserteilung Vergabeverfahren Verhandlungsverfahren Vermögensnachteil (vertiefte) Preisprüfung wirtschaftlicher Nachteil Zuschlagsverbot für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens zwingendes öffentliches Interesse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W139.2236731.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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