TE Bvwg Beschluss 2020/12/1 W237 1403876-3

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Veröffentlicht am 01.12.2020
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Entscheidungsdatum

01.12.2020

Norm

FPG §53
VwGG §25a Abs2 Z1
VwGG §30 Abs2

Spruch


W237 1403876-3/25E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Martin WERNER über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , der gegen das am 12.02.2020 mündlich verkündete und am 23.03.2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W237 1403876-3/12E, erhobenen außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

Der Revision wird gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.


Text


BEGRÜNDUNG:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte mit Bescheid vom 11.11.2019 dem Revisionswerber den mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27.08.2009 zuerkannten Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.); weiters erteilte es keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V.), legte die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.) und erließ ihm gegenüber schließlich ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

Der gegen das Einreiseverbot erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insoweit statt, als die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG auf drei Jahre herabgesetzt wurde; unter einem erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2. Mit Beschluss vom 22.09.2020, E 1705/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

3. Am 24.11.2020 brachte der Revisionswerber eine außerordentliche Revision gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ein, in der er im Wesentlichen moniert, dass er den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2019 nicht nur hinsichtlich des Einreiseverbots, sondern vollinhaltlich in Beschwerde gezogen habe. Der Revisionswerber verband die Revision mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, den er damit begründet, dass er sich seit 2007 rechtmäßig in Österreich aufhalte und in regelmäßigem Kontakt mit seinen beiden Kindern sowie seinem Bruder stehe. Sein Lebensmittelpunkt befinde sich in Österreich, wo er soziale Beziehungen habe; in der Russischen Föderation habe er hingegen keine Bezugspunkte. Der Revisionswerber sei zudem psychisch krank und gerate in seinem Herkunftsstaat in eine ausweglose Situation; eine Abschiebung sei nicht durchführbar. Der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet stelle keine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar, zumal er sich seit seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung wohlverhalten habe, bei seinem Bruder in Salzburg wohnen könne und insofern von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen sei. Angesichts dessen trete „das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen bzw. einer sofortigen Außerlandesbringung in den Hintergrund“.

4. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde mit Schriftsatz vom 25.11.2020 die Möglichkeit gegeben, zu dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung innerhalb einer Frist von drei Werktagen Stellung zu nehmen und dabei insbesondere mitzuteilen, inwiefern das angefochtene Erkenntnis einem Vollzug zugänglich ist und ob öffentliche Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen.

In seiner am 01.12.2020 am Bundesverwaltungsgericht eingelangten Stellungnahme geht das Bundesamt von der Vollzugstauglichkeit des angefochtenen Erkenntnisses aus, weil „an die Anhängigkeit des Verfahrens vor dem VwGH für den Revisionswerber günstige Rechtsfolgen geknüpft“ seien. Als öffentliche Interessen „am raschen Vollzug der angefochtenen Entscheidung“ macht die Behörde geltend, dass sich der Revisionswerber seit einem Jahr illegal in Österreich aufhalte und sich beharrlich weigere, das Land zu verlassen. Er sei sowohl strafgerichtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich mehrfach in Erscheinung getreten, wobei er nach wie vor kein Interesse an der Herstellung des rechtskonformen Zustands durch seine Ausreise habe. Die rasche Außerlandesbringung delinquenter Fremder sei als hohes Gut zu gewichten, weshalb insgesamt ein überwiegendes öffentliches Interesse am raschen Vollzug bestehe.

5. Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Gemäß § 30a Abs. 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht ist nach der Rechtsprechung des VwGH sowohl bei einer ordentlichen Revision auch im Fall einer außerordentlichen Revision bis zur Vorlage der Revision an den VwGH zur Entscheidung über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Revision zuständig und zur Entscheidung verpflichtet (VwGH 05.11.2019, Ra 2019/20/0470).

5.1. Das mit dem angefochtenen Erkenntnis erlassene Einreiseverbot bedeutet für den Revisionswerber die Anweisung, für den festgelegten Zeitraum von drei Jahren nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2017/19/0532). Diese Verpflichtung ist damit bereits für sich genommen – ohne Berücksichtigung einer Rückkehrentscheidung und/oder Zulässigkeit der Abschiebung in einen Zielstaat – einem Vollzug zugänglich, weil der Revisionswerber damit für drei Jahre gehindert ist, in das Land seines bisherigen Lebensmittelpunkts zurückzukehren und hier sein Familienleben mit den beiden in Österreich wohnhaften Kindern fortzusetzen bzw. wiederaufzunehmen. Dies bedeutete für den Revisionswerber insoweit einen unverhältnismäßigen Nachteil, als das Einreiseverbot mit drei Jahren festgelegt wurde und damit über den Zeitraum von 18 Monaten ab Ausreise hinausgeht, in dem gemäß § 12a Abs. 6 AsylG 2005 bereits eine Rückkehrentscheidung (auch ohne ein daran knüpfendes Einreiseverbot) aufrecht bliebe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl machte in seiner Stellungnahme in dieser Hinsicht keine zwingenden oder zumindest überwiegenden öffentlichen Interessen geltend, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstünden.

Bereits aus diesen Erwägungen ist dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattzugeben.

5.2. Soweit in der Revision bzw. dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses in der Abschiebung des Revisionswerbers erblickt wird, ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht auf Basis der Beschwerde lediglich gegen Spruchpunkt VII. nur mehr über das Einreiseverbot absprach und – dieser Auffassung entsprechend – die Statusaberkennung, die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, die Rückkehrentscheidung, die festgestellte Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation sowie die ausgesprochene Frist für die freiwillige Ausreise mit Ablauf der Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2019 in Rechtskraft erwuchsen. Eine den Revisionswerber treffende Ausreiseverpflichtung oder seine Abschiebung bilden folglich nicht den Vollzug der angefochtenen Entscheidung, deren Gegenstand nur mehr das Einreiseverbot bildete (zur Rechtsprechung, wonach einem Antragsteller durch eine aufschiebende Wirkung keine Rechtsposition vermittelt werden kann, die er auch bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nicht hätte, vgl. VwGH 21.07.2003, AW 2003/10/0011; 23.02.2004, AW 2003/10/0061).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt allerdings nicht, dass in der Revision gerade das Verständnis des Umfangs der Beschwerde vom 26.11.2019 releviert wird. Das Verständnis des Beschwerdeumfangs durch das Bundesverwaltungsgericht bildete für dieses die Grundlage dafür, nur über das Einreiseverbot abzusprechen. Insofern erschöpft sich – mit Blick auf die nunmehr zu treffende Beurteilung des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung – der normative Gehalt des angefochtenen Erkenntnisses nicht allein in der Entscheidung über das Einreiseverbot, sondern auch in der dieser zugrundeliegenden Aussage, dass die Spruchpunkte I. bis VI. des Bescheids vom 11.11.2019 nicht in Beschwerde gezogen worden und deshalb bereits nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen diesen Bescheid in Rechtskraft erwachsen waren. Soweit die Fremdenpolizeibehörde auf Basis dessen mit der Abschiebung des Revisionswerbers eine fremdenpolizeiliche Vollzugsmaßnahme setzen würde, bedeutete dies den Vollzug (zumindest auch) des angefochtenen Erkenntnisses (vgl. in diesem Sinne auch VwGH 19.09.1996, AW 96/17/0315, wonach zu prüfen sei, ob in einem Versagungsbescheid „nicht noch mehr an rechtlichen Wirkungen steckt als die bloße Nicht-Gewährung der angestrebten Erlaubnis oder Begünstigung“).

Dieser Vollzug, nämlich die Abschiebung des Revisionswerbers, wäre jedenfalls mit einem unverhältnismäßigen Nachteil für ihn verbunden, weil damit sein langjähriger Aufenthalt in Österreich beendet und die Trennung von seinen in Österreich lebenden Kindern bewirkt werden würde (vgl. VwGH 19.07.2017, Ra 2017/20/0234; 11.05.2018, Ra 2018/18/0252, 18.01.2019, Ra 2018/14/0325). Auch unter Berücksichtigung der strafgerichtlichen Verurteilungen und Verwaltungsübertretungen des Revisionswerbers ist nicht ersichtlich, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in diesem Sinne zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstünden, zumal die letzte gerichtliche Verurteilung über vier Jahre in der Vergangenheit liegt und wegen einer – zumindest im Sinne der vorliegend zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen – minderschweren Deliktshandlung erfolgte (unterbliebene Unterhaltszahlungen an seine Kinder). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weist zwar zu Recht auf eine Vielzahl von Verwaltungsübertretungen des Revisionswerbers im Zuge seines gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet hin, zeigt aber nicht auf, inwiefern dadurch nunmehr die öffentlichen Interessen an seiner beabsichtigten Außerlandesbringung die Interessen des Revisionswerbers an seinem Verbleib im Bundesgebiet zumindest bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtshöflichen Verfahrens überwiegen sollen. Zwar ist zutreffend, dass der Revisionswerber (nach dem – mit der Revision angefochtenen – Verständnis des Beschwerdeumfangs) seit einem Jahr zur Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verpflichtet wäre, doch hielt das Bundesverwaltungsgericht bereits im angefochtenen Erkenntnis fest, dass der Verbleib des Revisionswerbers bis zur Entscheidung über seine Beschwerde „nicht überwiegend zu seinen Ungunsten gewertet werden“ dürfe (vgl. Pkt. II.3.2.5.); dasselbe gilt im gegenständlichen Zusammenhang für den nachfolgenden Verbleib bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes und bis zur Erhebung der nunmehrigen Revision. Damit lässt sich aus dem Umstand des Verbleibs des Revisionswerbers in Österreich bis zum jetzigen Zeitpunkt auch kein Überwiegen der vorliegend zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen ableiten.

5.3. Aus diesen Erwägungen war dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG stattzugeben.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung außerordentliche Revision Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W237.1403876.3.01

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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