TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/25 B614/94

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Veröffentlicht am 25.09.1995
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art133 Z4
StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AVG §45 Abs2
AVG §66 Abs4
Bgld JagdG 1988 §123
Bgld JagdG 1988 §130

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Eigentumsrecht durch Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz für Wildschäden durch die Landeskommission für Jagd- und Wildschäden, mangels anderer Beweismittel gestützt auf die im ersten Rechtsgang vor der örtlichen Schiedskommission aufgenommenen Beweismittel; kein Beweisverwertungsverbot im Fall einer unrichtigen Zusammensetzung der örtlichen Schiedskommission

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Partei ist eine Jagdgesellschaft iS des §36 des Bgld. Jagdgesetzes 1988, LGBl. 11/1989 idF der Novelle LGBl. 59/1993. Sie war im Jahre 1989 Pächterin des Genossenschaftsjagdgebietes Apetlon I. Zu diesem Gebiet gehören u. a. Weingärten, die im Eigentum des Beteiligten dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens stehen.

Der Beteiligte meldete am 29. Mai 1989 einen in der Zeit zwischen 20. und 25. Mai 1989 in diesen Weingärten entstandenen Wildschaden gegenüber dem Revierjäger (den er als Bevollmächtigten der beschwerdeführenden Gesellschaft betrachtete) an. Die örtliche Schiedskommission Apetlon entschied darüber mit Schiedsspruch vom 14. August 1989. Diesen Schiedsspruch bekämpfte die beschwerdeführende (bf.) Gesellschaft bei der Bezirksschiedskommission bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl. Diese Behörde änderte zwar mit Bescheid vom 7. Mai 1990 den Schiedsspruch ab; auch sie verpflichtete aber die bf. Partei zur Leistung von Schadenersatz in bestimmter Höhe. Die Bezirkskommission stützte sich hiebei auf ein vom Bezirksreferat der Burgenländischen Landwirtschaftskammer erstattetes Gutachten vom 21. Dezember 1989, das sich seinerseits auf einen im Zuge des Verfahrens von der örtlichen Schiedskommission aufgenommenen Befund vom 9. August 1989 bezog.

Die Landesschiedskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der Burgenländischen Landesregierung hob über Berufung der bf. Gesellschaft mit Bescheid vom 26. Juni 1991 den Bescheid der Bezirkskommission vom 7. Mai 1990 wegen unrichtiger Zusammensetzung der örtlichen Schiedskommission auf und verwies die Angelegenheit an diese Behörde zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.

Ein am 18. März 1992 von der örtlichen Schiedskommission durchgeführter Lokalaugenschein ergab, daß durch Wildverbiß verursachter Schaden in den Weingärten des Beteiligten nicht (mehr) festgestellt werden konnte. Die Schiedskommission verpflichtete mit Schiedsspruch vom 30. März 1992 die bf. Gesellschaft zur Bezahlung eines bestimmten Betrages an den Beteiligten. Die Bezirksschiedskommission gab mit Bescheid vom 9. Juni 1992 der von der bf. Gesellschaft erhobenen Berufung keine Folge. Letztendlich entschied die Landeskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der Burgenländischen Landesregierung (im folgenden kurz: Landeskommission) mit Bescheid vom 18. Feber 1994 in dieser Angelegenheit; sie wies die Berufung der bf. Gesellschaft gegen den Bescheid der Bezirksschiedskommission als unbegründet ab.

2. Gegen diesen (im zweiten Rechtsgang erflossenen) Bescheid der Landeskommission wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.

3. Die Landeskommission als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das subjektive Recht auf den Ersatz von Jagd- und Wildschäden beruht auf Zivilrecht iS des österreichischen Rechtssystems; derartige Ansprüche und Verpflichtungen sind folglich auch solche iS des Art6 EMRK; die letztlich zuständige Behörde muß also ein "Tribunal" sein, d.h. sie hat den organisatorischen Anforderungen dieser Konventionsnorm zu genügen und muß aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen die Sachentscheidung fällen (vgl. zB VfSlg. 11646/1988 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

Mit dem eben genannten Erkenntnis hob der Verfassungsgerichtshof den dritten und vierten Satz des §123 Abs2 des Bgld. JagdG 1970 als verfassungswidrig auf, weil die durch diese Bestimmungen eingerichtete (letztinstanzliche) Bezirksschiedskommission nicht den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK entsprach. Die nunmehr durch §130 Bgld. JagdG 1988 konstituierte Landeskommission erfüllt hingegen alle von Art6 Abs1 EMRK geforderten Voraussetzungen. Sie ist ein "Tribunal" iS dieser Konventionsnorm und außerdem eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iS des Art133 Z4 B-VG.

Die einschlägige Bestimmung des Bgld. JagdG 1988 lautet:

"§130

Landeskommission für Jagd- und Wildschäden

(1) Die Landeskommission für Jagd- und Wildschäden, im folgenden Landeskommission genannt, ist beim Amte der Landesregierung zu bilden. Sie besteht aus einem vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien über Vorschlag der Landesregierung zu bestellenden Richter als Vorsitzenden sowie aus folgenden von der Landesregierung zu bestellenden Mitgliedern:

a) einem rechtskundigen Beamten des Amtes der Landesregierung als Berichterstatter;

b) zwei auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft sachkundigen Personen, auf Vorschlag der Burgenländischen Landwirtschaftskammer;

c) zwei auf dem Gebiete des Jagdwesens sachkundigen Personen, auf Vorschlag des Burgenländischen Landesjagdverbandes.

Für jedes Mitglied ist ein Ersatzmitglied zu bestellen.

(2) Sämtliche Mitglieder (Ersatzmitglieder) werden auf die Dauer von fünf Jahren bestellt. Scheidet ein Mitglied (Ersatzmitglied) während der Amtsperiode aus, so ist für den Rest der Periode ein neues Mitglied (Ersatzmitglied) zu bestellen.

(3) Die Mitglieder (Ersatzmitglieder) haben bei Antritt ihres Amtes dem Vorsitzenden mit Handschlag die gewissenhafte und unparteiische Ausübung ihres Amtes zu geloben. Sie bleiben bis zur Neubestellung der Landeskommission im Amt.

(4) (Verfassungsbestimmung) Die Mitglieder der Landeskommission sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisung gebunden.

(5) .....

(6) Eine Berufung gegen die Entscheidung der Landeskommission ist nicht zulässig. Die Entscheidung unterliegt nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege."

2.a) Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).

Das genannte Grundrecht wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10022/1984, 11350/1987, VfGH 14.6.1994 B1307/93).

b) Im vorliegenden Fall hat die zuständige Kollegialbehörde in gesetzmäßiger Zusammensetzung eine Sachentscheidung getroffen.

Das erwähnte Grundrecht wurde also durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt.

3.a) Mit dem bekämpften Bescheid wird die bf. Gesellschaft zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet. Der Bescheid greift sohin in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

b)aa) Da unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, könnte die bf. Gesellschaft im zuletzt erwähnten Recht nur durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein. Derartiges macht sie geltend:

Im angefochtenen (im zweiten Rechtsgang erlassenen) Bescheid wird die Tatsache des eingetretenen Wildschadens und dessen Höhe aufgrund eines im ersten Rechtsgang anläßlich des Verfahrens vor der örtlichen Schiedskommission im Jahre 1989 kurz nach Eintritt des behaupteten Schadens erstatteten Befundes und eines darauf aufbauenden Gutachtens festgestellt. Bei der Besichtigung der Grundstücke im Jahre 1992 hätte - so meint die Landeskommission - natürlich kein Schaden mehr festgestellt werden können. Die Heranziehung der Ergebnisse des im ersten Rechtsgang durchgeführten Verfahrens sei zulässig und insbesondere dort geboten, wo nunmehr entsprechende Beweismittel nicht mehr vorhanden seien.

Die bf. Gesellschaft erachtet es als grob verfehlt, daß die Landeskommission auf Beweise zurückgegriffen habe, die von einer gesetzwidrig zusammengesetzten Behörde erhoben wurden. (Nach den von der Landeskommission getroffenen Feststellungen war die örtliche Schiedskommission im ersten Rechtsgang unrichtig beschickt).

bb) Gemäß §66 Abs4 AVG hat die Berufungsbehörde grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Dem §45 Abs2 AVG zufolge hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Aus §123 Bgld. JagdG 1988, der die Vornahme eines Lokalaugenscheines durch die örtliche Schiedskommission vorschreibt, ergibt sich kein Beweisverwertungsverbot für den Fall, daß sich in der Folge die unrichtige Zusammensetzung der Schiedskommission herausstellt.

Unter diesen Umständen kann der Landeskommission nicht der Vorwurf einer denkunmöglichen Handhabung des Gesetzes gemacht werden, wenn sie sich mangels anderer Beweismittel auf die erwähnten, im ersten Rechtsgang aufgenommenen Beweismittel (Befund und Gutachten) gestützt hat.

Gleiches gilt für die von der bf. Gesellschaft aufgeworfene Frage, ob der Wildschaden seinerzeit - dem §121 Abs1 Bgld. JagdG 1988 entsprechend - beim Jagdausübungsberechtigten oder dessen Bevollmächtigten geltend gemacht wurde.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die bf. Gesellschaft in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Der obsiegenden Partei waren die begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil der Behörde keine nach §88 VerfGG ersatzfähigen Kosten erwachsen sind.

6. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VerfGG).

Schlagworte

Jagdrecht, Jagdschaden, Wildschaden, Verwaltungsverfahren, Tribunal, Ermittlungsverfahren, Beweise, Berufung, Behördenzusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B614.1994

Dokumentnummer

JFT_10049075_94B00614_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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