TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/4 Ra 2020/18/0406

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Veröffentlicht am 04.01.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §59 Abs1
VwGVG 2014 §17

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/01/0380 E 09.02.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 2020, G305 2188858-1/29E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A A, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein irakischer Staatsangehöriger aus Babel, stellte am 31. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2        Die revisionswerbende Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Februar 2018 zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

4        Der Verfassungsgerichtshof gab einer gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde mit seinem Erkenntnis vom 26. Februar 2019, E 4766/2018-14, hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der rechtlich darauf aufbauenden Spruchpunkte statt und behob das Erkenntnis des BVwG in diesem Umfang. Im übrigen Anfechtungsumfang (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) lehnte er die Behandlung der Beschwerde mangels spezifisch verfassungsrechtlicher Fragen ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, das BVwG habe es unterlassen, sich widerspruchsfrei mit der aktuellen Lage in den genannten Regionen auseinanderzusetzen und diese in der Begründung seines Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Mitbeteiligten in Beziehung zu setzen, und insofern Willkür geübt. Das BVwG habe pauschale Aussagen zum Bestehen von Fluchtalternativen getroffen, die sich vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis selbst dargestellten Berichtslage und widersprüchlichen Feststellungen als unzureichend erwiesen, weil sie Feststellungen vermissen ließen, ob dem Mitbeteiligten eine Rückkehr in jene Region, aus der er stamme, möglich sei bzw. ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative bestehe, die ihm eine Einreise und einen Aufenthalt in einer Weise, die den Anforderungen des Art. 3 EMRK Rechnung trägt, ermögliche. Eine Auseinandersetzung mit der Sicherheits- und Versorgungslage in der als Fluchtalternative genannten Provinz Diyala und der Situation, in der sich der Mitbeteiligte dort wiederfinden würde, lasse das Erkenntnis vermissen. Eine solche wäre jedoch angezeigt gewesen, zumal zuvor im Rahmen der Feststellungen festgehalten werde, dass Diyala „weiterhin eine der instabilsten Provinzen“ im Irak sei. Mit den Möglichkeiten des Mitbeteiligten, in diese Provinz zu gelangen, habe sich das BVwG nicht auseinander gesetzt. Vielmehr habe es im Widerspruch zur zuvor getroffenen Feststellung, wonach eine „Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion [...] aktuell nur auf dem Landweg möglich“ sei, darauf abgestellt, dass der Mitbeteiligte „problemlos“ über den Luftweg nach Erbil gelangen könne. Die Erwägungen zur Möglichkeit der Rückkehr in den Heimatbezirk des Mitbeteiligten, die Provinz Babel, erschöpften sich im Verweis auf den dort befindlichen landwirtschaftlichen Besitz der Familie. Erwägungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in diesem Gebiet und der Situation, in der er sich in der Herkunftsprovinz konkret wiederfinden würde, fehlten. Im Gegensatz dazu habe das BVwG vielmehr festgestellt, dass es aktuellen Reisewarnungen zufolge in dieser Provinz „besonders gefährlich“ sei. Zur Fluchtalternative Bagdad beschränkten sich die Ausführungen des BVwG auf den schlichten Hinweis, es stünde ihm frei, sich in den sunnitisch besiedelten Stadtteilen Bagdads niederzulassen. Eine nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen, die eine Person wie der Mitbeteiligte dort vorfinden würde, lasse das Erkenntnis vermissen. Dies obwohl in den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die Tatsache Erwähnung finde, dass es für eine Niederlassungsbewilligung, von der auch die Möglichkeit Arbeit zu finden abhängig sei, notwendig sein könne, einen Bürgen vorzuweisen.

6        In dem nunmehr angefochtenen, verfahrensgegenständlichen Erkenntnis sprach das BVwG daraufhin Folgendes aus: „Der Bescheid vom 02.02.2018, Zl. 1080459709-150984267, wird in dem mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 26.02.2019, Zl. E 4766/2018-14, aufgezeigten Umfang aufgehoben und die darin vertretene Rechtsansicht hergestellt“ (Spruchpunkt A.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

7        In seiner Begründung traf das BVwG lediglich allgemeine Feststellungen zum Mitbeteiligten, seiner persönlichen Situation im Herkunftsstaat und zu seinem Leben in Österreich und verwies dazu beweiswürdigend auf den Behörden- und Gerichtsakt, während Feststellungen zur aktuellen Lage in den im Erkenntnis vom 19. Oktober 2018 genannten Regionen im Irak fehlen. Die rechtlichen Erwägungen des BVwG erschöpfen sich in einer Kritik an dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2019. Dabei stütze „sich das Höchstgericht auf angebliche Fehler, die dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen wären und unterstellt dem Bundesverwaltungsgericht, sein vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenes Erkenntnis ‚mit Willkür behaftet‘ zu haben. Zudem unterstellte der Verfassungsgerichtshof, dass das erlassene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBI. Nr. 390/1973, stehe. [...] eine Begründung, worin nun der Verstoß gegen das zitierte Bundesverfassungsgesetz besteht bzw. wie und worin die (fremden) Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Vergleich mit anderen Fremden verletzt worden sein sollen, bleibt er allerdings schuldig.“ Ungeachtet der „dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes anhaftenden Fehler“ werde jedoch nicht verkannt, dass „selbst Erkenntnisse dieser Art vom Verwaltungsgericht umzusetzen“ seien. Aus diesem Grund sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

8        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die mit näherer Begründung geltend macht, der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses sei unklar. Anhand des Spruches lasse sich die dem Mitbeteiligten zukommende Rechtsposition bzw. die dem BFA zukommende Verpflichtung nicht bestimmen. Auch durch einen Rückgriff auf die Begründung des Erkenntnisses gelinge es nicht, den Spruch auszulegen, da in dieser lediglich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kritisiert werde, ohne sich mit der anhängigen Rechtssache zu beschäftigen.

9        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der außerordentlichen Revision begehrte.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Gemäß § 59 Abs. 1 AVG, der nach § 17 VwGVG im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sinngemäß anzuwenden ist, hat der Spruch (eines Erkenntnisses) die in Verhandlung stehende Angelegenheit in möglichst gedrängter deutlicher Fassung zu erledigen. Die Entscheidung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit entsprechen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit des Spruchs dürfen aber nicht überspannt werden und es darf neben dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut des Spruchs auch die Begründung der Entscheidung als Auslegungshilfe herangezogen werden (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0484, mwN).

13       Gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG hat das BVwG jedenfalls „in der Sache selbst“ zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 stattgegeben hat. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtssache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/09/0211, mwN).

14       Die Amtsrevision zeigt zu Recht auf, dass schon der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit nicht entspricht und sich auch in einer Zusammenschau von Spruch und Begründung der Entscheidung nicht eruieren lässt, welche Rechtsposition das BVwG dem Mitbeteiligten zusprechen bzw. welche Verpflichtung es dem BFA auferlegen wollte. Dabei besteht der Spruch des vorliegenden Erkenntnisses fallgegenständlich aus zwei Elementen, nämlich einerseits der „Aufhebung“ und andererseits der „Herstellung der vom Verfassungsgerichtshof vertretenen Rechtsansicht“, die letztlich beide unbestimmt sind.

15       Insofern das BVwG die „Aufhebung“ des verfahrensgegenständlichen Bescheides verfügt hat, lässt sich aus der Diktion des Spruches nicht entnehmen, ob es sich um eine ersatzlose Behebung oder eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Erlassung eines neuen Bescheides im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG handeln soll. Auch aus den Entscheidungsgründen ergeben sich weder in die eine noch in die andere Richtung Anhaltspunkte. Eine ersatzlose Behebung würde im vorliegenden Fall freilich bedeuten, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unerledigt bliebe.

16       Völlig unklar bleibt schließlich auch, was das BVwG mit der im Spruch vorgenommenen Verfügung aussprechen wollte, es werde die vom Verfassungsgerichtshof „vertretene Rechtsansicht hergestellt“. Der Verfassungsgerichtshof behob das in Rede stehende Erkenntnis nämlich wegen Begründungsmängeln. Seiner Rechtsansicht konnte sohin durch eine bloße Behebung des Bescheides nicht Genüge getan werden. Dem klaren Auftrag des Verfassungsgerichtshofs, sich widerspruchsfrei mit der aktuellen Lage in den genannten Regionen auseinanderzusetzen und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Mitbeteiligten in Beziehung zu setzen, ist das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis hingegen erneut nicht nachgekommen.

17       Warum das BVwG angesichts der vom Verfassungsgerichtshof eindeutig benannten Verfahrensfehler nicht erkennen konnte (bzw. wollte), „wie und worin“ in dem von ihm erlassenen Erkenntnis ein willkürliches Verhalten gelegen sein soll, ist dem Verwaltungsgerichtshof nicht erschließbar.

18       Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof dem BVwG nicht „unterstellt“, sein Erkenntnis „mit Willkür behaftet“ zu haben, sondern hat dies rechtlich verbindlich ausgesprochen. Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG daher unter Bindung an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 26. Februar 2019, E 4766/2018-14, die genannten Begründungsmängel zu beheben und neuerlich zu erkennen haben.

19       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 4. Jänner 2021

Schlagworte

Inhalt des Spruches Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180406.L00

Im RIS seit

16.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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