TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/11 97/21/0013

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Veröffentlicht am 11.06.1997
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art103 Abs4;
FrG 1993 §29;
FrG 1993 §65 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/21/1044 E 10. Juni 1999

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers RegRat Dr. Hanel, über die Beschwerde der I in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 18. November 1996, Zl. Frb-4250c-21/96, betreffend Feststellung des Aufenthaltsrechtes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 21. Mai 1996 begehrte die Beschwerdeführerin von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz die behördliche Feststellung, daß sie nach den Bestimmungen des Beschlusses vom 19. September 1980, Nr. 1/80, des gemäß Art. 6 des Abkommens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates (ARB Nr. 1/80) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. Die Beschwerdeführerin unterliege nicht dem Aufenthaltsgesetz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 10. September 1996 "aufgrund der Verordnung des Landeshauptmanns LGBl. Nr. 32/1993" gemäß §§ 1, 3, 4, 6 Abs. 2 und 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß die Beschwerdeführerin gemäß § 1 Abs. 1 AufG zur Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Österreich eine Bewilligung nach diesem Gesetz brauche; Umstände, die eine Ausnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 AufG begründeten, hätten nicht festgestellt werden können, weil die Beschwerdeführerin nicht unter die Bestimmungen des nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei ergangenen Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 falle. Ein - von der Behörde erster Instanz in ihrem Begehren offensichtlich ebenfalls erblickter - Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz werde - angesichts des rechtswidrigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin - gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sowie - weil er gemäß § 6 Abs. 2 AufG vom Ausland aus zu stellen gewesen wäre - gemäß § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin eine - an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg gerichtete - Berufung, welche sie unter Hinweis auf verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofes im wesentlichen damit begründete, daß sie als Ehegattin eines "voll assoziationsintegrierten türkischen Staatsbürgers jedenfalls gleichfalls aufenthaltsberechtigt ist, andernfalls die Gewährleistung der Freizügigkeit nach Art. 48 EGV und den dazu ergangenen sekundären Normen bloß theoretischen Charakter hätte". Selbst für den Fall, daß auf innerstaatliche Vorschriften zurückzugreifen wäre, ergebe sich als die weitaus nächstliegende analog heranzuziehende Vorschrift "geradezu selbstverständlich § 29 Fremdengesetz mit seiner Familienzuzugsregelung für Drittstaatsangehörige als Familienangehörige von EWR-Bürgern".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin "gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1991 als unzulässig zurückgewiesen". Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG außer in dem im Abs. 2 leg. cit. erwähnten Fall in der Sache selbst zu entscheiden habe. Gemäß § 70 Abs. 2 FrG sei gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes eine Berufung nicht zulässig. Zunächst sei festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrages nicht vorlägen. Feststellungsanträge seien nur dann zulässig, wenn eine gesetzliche Ermächtigung bestünde oder ein rechtliches Interesse vorliege, welches anders nicht geklärt werden könne. Eine "gesetzliche Ermächtigung für die Erlassung eines Feststellungsantrages" bestehe nicht. Ob die Beschwerdeführerin in Österreich aufenthaltsberechtigt sei, könne durch ein Verfahren nach dem Fremdengesetz oder nach dem Aufenthaltsgesetz abgeklärt werden. Der Feststellungsantrag sei "somit mangels Feststellungsinteresses zurückzuweisen". Die Beschwerdeführerin sei mittels eines Touristensichtvermerkes nach Österreich eingereist; ihr sei nur ein zeitlich befristeter Besuch bei ihrem Ehegatten bewilligt worden. Da ihr somit nicht erlaubt worden sei, zu ihrem in Österreich bereits aufhältigen Ehegatten zu ziehen, erfülle die Beschwerdeführerin nicht die Voraussetzungen gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80. Würde man der Ansicht der Beschwerdeführerin folgen, daß ihr ein Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz zu erteilen wäre, so wäre gemäß § 70 Abs. 2 FrG gegen die Versagung eines Sichtvermerkes eine Berufung nicht zulässig. Wäre jedoch eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, so liege keine Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde, sondern eine solche des Bundesministers für Inneres vor. § 29 FrG betreffe lediglich Angehörige von EWR-Bürgern und sei auf türkische Staatsangehörige, die Angehörige von Türken seien, nicht anzuwenden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sie sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Fall hat die Behörde erster Instanz mit der Formulierung, daß sie "aufgrund der Verordnung des Landeshauptmanns LGBl. Nr. 32/1993" entscheide, zum Ausdruck gebracht, daß sie aufgrund einer gemäß § 6 Abs. 4 AufG erfolgten Ermächtigung des Landeshauptmannes von Vorarlberg in dessen Namen aufgrund des Aufenthaltsgesetzes in mittelbarer Bundesverwaltung tätig wurde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es für die Beurteilung des administrativen Instanzenzuges nicht maßgebend, in welchem Behördenbereich der unterinstanzliche Bescheid gesetzmäßigerweise erlassen hätte werden sollen, sondern in welchem Behördenbereich er tatsächlich erlassen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 1988, Zl. 88/04/0067). Es wäre daher nicht die Sicherheitsdirektion, sondern gemäß Art. 103 Abs. 4 B-VG der Bundesminister für Inneres die zuständige Berufungsbehörde gewesen.

Die Berufung der Beschwerdeführerin bezüglich ihres Antrages auf Feststellung, daß sie nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei, wurde von der belangten Behörde zwar zurückgewiesen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält jedoch Ausführungen zur Sache des Bescheides erster Instanz, nämlich dazu, daß die Erlassung eines Feststellungsbescheides nicht in Betracht komme. Die Berufung wurde insoferne nach ihrer gesamten Bedeutung nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen. Hiezu besaß die belangte Behörde aber keine Zuständigkeit.

Soweit mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung gegen die Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz oder eines Sichtvermerkes zurückgewiesen wurde, war die belangte Behörde zur Zurückweisung einer Berufung ebenfalls nicht berechtigt. In allen Fällen hätte daher eine Weiterleitung der Berufung an den Bundesminister als zuständige Berufungsbehörde in Angelegenheiten des Aufenthaltsgesetzes erfolgen müssen (vgl. auch das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370).

Der angefochtene Bescheid leidet daher an Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3 Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Feststellungsbescheid Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997210013.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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