TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/19 95/20/0793

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der K in P, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. November 1995, Zl. 4.277.854/3-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige und reiste am 7. September 1995 legal mit Touristenvisum in das Bundesgebiet ein. Am 14. September 1995 beantragte sie schriftlich, ihr Asyl zu gewähren und begründete dies wie folgt:

"Ich bin kurdischer Abstammung, und zwar aus der Osttürkei, politischer Bezirk Erzincan.

Im August 1994 habe ich meinen Ehegatten Nevzat geheiratet, welcher sich im gesamten schon sechs Jahre in Österreich aufhält und zwar im wesentlichen unter der umseits angeführten Adresse und auch regelmäßig in einem Arbeitsverhältnis steht.

Als Kurdin bin ich nach dem Glauben Alevitin und schon damit ein Repressalien grundsätzlicherart ausgesetzt. Im konkreten ist es so, daß durch mein tägliches Lesen der kurdischen Zeitung offenbar ein Auffälligkeitswert gegenüber den türkischen Behörden bestanden hat, sodaß jedenfalls die Polizei uns mehrfach wegen möglicher Terroristentätigkeit durchsucht hat. Es ist so, daß es defacto monatlich zu Hausdurchsuchungen kommt und schon das Einschalten des kurdischen Fernsehgerätes Probleme aufbringt.

Es ist bekannt, daß die Türkei offenbar nicht in der Lage ist, dies schon seit Jahrzehnten, den kurdischen Minderheiten entsprechende gleiche Rechte wie den anderen Staatsbürgern zu gewähren.

Ich fühle mich subjektiv nicht in der Lage als verheiratete Frau, welche alleine gelebt hat, diese Belästigungen auf die Dauer durchzustehen."

Anläßlich ihrer daraufhin am 13. Oktober 1995 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen folgendes an:

"Ich stamme aus dem Dorf A in der Ausnahmeprovinz Erzincan. Dort wird ständig zwischen der PKK und den Regierungstruppen gekämpft. Ich bin Kurdin. Die Regierungssoldaten kamen jeden Tag ins Dorf und forderten mich auf, wegzuziehen, um sicherzugehen, daß ich nicht die PKK unterstütze. Das gilt aber für alle Dorfbewohner. Das Dorf hat 500 bis 600 Einwohner. Im November 1994 fand die Polizei in meinem Haus kurdische Zeitungen, Kassetten und eine große Menge von Lebensmittel. Sie glaubten, daß ich mit den Lebensmitteln die PKK unterstütze, was aber nicht stimmt. Ich wurde dann zwei Tage lang festgehalten, verhört und geschlagen. Damit meine ich, daß ich geohrfeigt und mit der Hand geschlagen wurde. Außerdem wurde ich ordinär beschimpft. Dann wollten sie, daß ich als Spitzel arbeite. Ich weigerte mich, dies zu tun. Die Polizisten sagten mir, daß ich dann vergewaltigt werde. Zum Glück kam es nie dazu. Ich wohnte alleine im Haus meines Schwiegervaters. Ich schrieb dann meinem Ehegatten in Österreich und schilderte ihm meine Situation. Ich bat ihn, mich nach Österreich zu bringen.

Als ich damals verhaftet wurde, kam mein Vater nach dem ersten Tag meiner Festnahme zur Polizeistation und wollte meine Freilassung erwirken. Er sagte, daß sie mich in Ruhe lassen sollen und ich mit der Sache nichts zu tun habe. Es kam dann zu einem Handgemenge. Dabei wurde mein Vater geschlagen und wurde dann sogar zweimal angeschossen. Er erlitt je einen Durchschuß auf dem linken und rechten Unterarm. Aufgrund dessen ging er dann nach Hause. Die Nachbarn haben ihn dann ins Spital gebracht und er bekam auf beiden Armen einen Gips.

Im übrigen dürften kurdische Bewohner ihres Dorfes von seiten der Behörden im Winter nicht dort wohnen, sondern müßten in die Stadt ziehen. In der Stadt lebten aber viele türkische Nationalisten, die "keine Ruhe gaben".

Mit Bescheid vom 13. Oktober 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin ab. Es begründete diese Entscheidung nach Darstellung des Vorbringens der Beschwerdeführerin und Feststellungen zur allgemeinen Verfassungs-, politischen und Menschenrechtslage in der Türkei rechtlich dahingehend, der von der Beschwerdeführerin geschilderte Vorfall im November 1994 stünde mit ihrer Ausreise in keinem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mehr.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung bestritt die Beschwerdeführerin zwar die Richtigkeit der vom Bundesasylamt vertretenen Rechtsansicht, verwies auf eine angeblich von den Behörden geübte Praxis hinsichtlich kriegsflüchtender Bosnier, machte aber abweichende bzw. über die Angaben in erster Instanz hinausgehende Umstände nicht geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab, wobei sie nicht nur die Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, sondern im wesentlichen auch deren rechtliche Beurteilung des von ihr festgestellten Sachverhaltes übernahm. Die belangte Behörde ergänzte diese Ausführungen lediglich dahingehend, es hätten sich auch keinerlei Gründe ergeben, die die Annahme nahelegen würden, die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände, die sich ausschließlich aus der Topographie ihres Heimatortes (bürgerkriegsähnliche Zustände in diesem Gebiet) ergäben, hätten sich auf das gesamte Gebiet ihres Heimatstaates bezogen, weswegen die Beschwerdeführerin Schutz vor etwaigen Fährnissen in einem anderen, befriedeten Teil der Türkei hätte finden können bzw. sogar schon während ihres Aufenthaltes in Istanbul gefunden habe. Es sei ihr jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zu Gebote gestanden. Nichts deute auch darauf hin, daß sie bei einer eventuellen Rückkehr in ihre Heimat aus Konventionsgründen und von staatlicher Seite Beeinträchtigungen von derartiger Intensität ausgesetzt wäre, daß im Hinblick darauf von einer "Verfolgung" im Sinne des § 1 AsylG 1991 gesprochen werden könnte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin geht zunächst davon aus, die allgemeine Situation für Kurden in der Türkei und das Unvermögen dieses Staates, Verfolgungen dieser Volksgruppe durch andere zu verhindern, sei geeignet, begründete Furcht vor Verfolgung zu erwecken. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes allgemeine Beeinträchtigungen allein nicht ausreichen, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Anderes kann aus den in der Beschwerde zitierten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes, die nicht die Frage der Zumutbarkeit und Intensität einer "Verfolgung", sondern die Zurechenbarkeit einer solchen zum Gegenstand hatten, nicht entnommen werden.

Insoweit die Beschwerde - unter Bezugnahme auf

zwei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahre 1989 - weiters meint, die zeitliche Diskrepanz sei "hier insoferne nicht beachtlich, als ständig sich zu Ungunsten der Kurden zwischenweilige Veränderungen der Verhältnisse ergeben, welche auch beachtlich sind", ist zu bemerken, daß die belangte Behörde bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden hatte, nach dessen § 20 Abs. 1 die Berufungsbehörde der Sachentscheidung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hat, es sei denn, es läge einer der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. vor, in denen eine Wiederholung oder Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre. Die belangte Behörde hatte keine Veranlassung, im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. vorzugehen, da in der Berufung Verfahrensmängel nicht gerügt und ein anderes Sachvorbringen, das allenfalls das Vorliegen von einfachen Verfahrensmängeln hätte indizieren können, nicht erstattet worden war. Auch aus der Beschwerde und aus dem Akt sind solche Mängel nicht zu entnehmen. Es kann daher keine Rechtswidrigkeit darin erblickt werden, daß die belangte Behörde vom Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz ausgegangen ist und dieses ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt hat. Der lediglich pauschale Vorwurf der "unsachlichen Differenzierung" im Vergleich zur "großzügigen Auslegung" des Asylgesetzes hinsichtlich der "etwa 100.000 Bosnier bzw. deren Familien" zum Nachteil der "relativ wenigen Kurden" eignet sich nicht zu einer sachlichen Behandlung, da im vorliegenden Beschwerdeverfahren ausschließlich die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Fluchtgründe auf ihre asylrechtliche Relevanz zu überprüfen waren. Insoweit die Beschwerdeführerin abschließend meint, es käme auf die "subjektive Einschätzungsmöglichkeit der Gefahr auf Verfolgung" (gemeint: vor Verfolgung) an, ist ihr zu entgegnen, daß es nicht auf ihre subjektive Einschätzung, sondern darauf ankommt, ob nach objektiven Kriterien aus den von ihr vorgetragenen Umständen die Gefahr einer Verfolgung glaubhaft gemacht wurde.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200793.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten