TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/17 Ra 2019/15/0161

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §39 Abs2
EURallg
GSpG 1989 §52
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der N GmbH, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 (4. OG), gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 8. Mai 2019, Zl. VGW-002/011/6756/2018-18, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 16. April 2018 wurde der handelsrechtliche Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 4. Fall Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt. Es wurden über ihn zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils 15.000 € sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils sieben Tagen verhängt.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien wurde die dagegen erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet abgewiesen und das Straferkenntnis bestätigt. Der revisionswerbenden Partei wurde ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Die revisionswerbende Partei erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 24. September 2019, E 2292/2019-8, lehnte dieser die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

4        In der Folge erhob die revisionswerbende Partei vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstatte nach Einleitung des Vorverfahrens keine Revisionsbeantwortung.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6        Die vorliegende Revision erweist sich schon mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verstoßen, indem es keine Überprüfung der Vereinbarkeit der nationalen Glücksspielbestimmungen mit Unionsrecht sowie insbesondere keine Kohärenzprüfung vorgenommen habe, als zulässig und begründet.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt klargestellt, dass ein Verwaltungsgericht in glücksspielrechtlichen Angelegenheiten zur Ermöglichung der Beurteilung, ob Unionsrecht unmittelbar anwendbar ist, Feststellungen dazu zu treffen hat, ob die Monopolregelung den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht (vgl. dazu insbesondere VwGH 11.7.2018, Ra 2018/17/0048 bis 0049).

8        Derartige Feststellungen bzw. weitere rechtliche Auseinandersetzungen fehlen im angefochtenen Erkenntnis. Durch den bloßen Hinweis des Verwaltungsgerichts, es sei nicht Angelegenheit des Gerichts „aus einer Unzahl von sichtlich wahllos zusammengestellten Urkunden allenfalls eine juristische Folge [...] abzuleiten, die von der anwaltlichen Vertretung nicht im Mindesten ausgeführt und begründet wurde“, verkennt das Verwaltungsgericht, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von Amts wegen entsprechende Beweise aufzunehmen und Feststellungen zu treffen hat, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Glücksspielrechts bestehen sollten (vgl. dazu VwGH 11.7.2018, Ra 2018/17/0048 bis 0049).

9        Die revisionswerbende Partei hat mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2018 Vorbringen zu einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols, insbesondere zur Durchführung einer Kohärenzprüfung, Spielerschutz und Kriminalitätsbekämpfung, Werbemaßnahmen der Konzessionäre, Online Glücksspiel und dem Erfordernis der Sitzerrichtung gemäß § 14 Abs. 3 GSpG, erstattet sowie einen Antrag auf Aussetzung gemäß § 17 iVm § 38 und § 38a AVG bis zur Entscheidung näher genannter Vorabentscheidungsverfahren gestellt. Ein Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl.VwGH 11.7.2018, Ra 2018/17/0048 bis 0049). Dieses Parteienvorbringen war jedenfalls geeignet, diesbezügliche Ermittlungsschritte beim Verwaltungsgericht auszulösen.

10       Indem das Verwaltungsgericht nicht die erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen hat, um die Vereinbarkeit der anzuwendenden Bestimmungen mit dem Unionsrecht zu beurteilen, hat es das angefochtene Erkenntnis schon dadurch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

11       Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass im fortzusetzenden Verfahren nähere Feststellungen zum vorgeworfenen Tatbild der unternehmerischen Beteiligung an verbotenen Ausspielungen zu treffen sind.

12       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt hat, ist mit dem vierten Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG eine Person gemeint, die nicht Veranstalter ist, sondern sich nur in irgendeiner Weise an der Veranstaltung unternehmerisch im Sinn des § 2 Abs. 2 GSpG beteiligt.

13       Das entgeltliche Überlassen von Räumlichkeiten kann das vierte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG erfüllen. Dies setzt aber insbesondere entsprechende Feststellungen zur subjektiven Tatseite der die Räumlichkeiten überlassenden Person voraus.

14       Um dies beurteilen zu können, sind Feststellungen zum Kenntnisstand der sich unternehmerisch beteiligenden Person betreffend die Tätigkeit der Person erforderlich, die unmittelbar zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder es bedarf der Feststellung anderer Anhaltspunkte - etwa aus der Ausgestaltung der (Unter)Mietverhältnisse - für eine subjektiv vorwerfbare unternehmerische Beteiligung iSd vierten Tatbildes des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG. Subjektiv vorwerfbar ist die Nutzung des von der sich unternehmerisch beteiligenden Person überlassenen Objektes bei einer entgeltlichen Überlassung von Räumlichkeiten nicht ohne besondere Indizienlage (vgl. VwGH 25.6.2020, Ra 2019/15/0144).

15       Im Revisionsfall stellte das Verwaltungsgericht fest, die revisionswerbende Partei habe sich am illegalen Glücksspiel in den verfahrensgegenständlichen Räumlichkeiten durch Gewährung des Untermietvertrages an die von der revisionswerbenden Partei vertretene Unternehmung unternehmerisch beteiligt. Beweiswürdigend führte es aus, es sei „die offenkundig der Verschleierung dienende Vertragskonstruktion der Untervermietung erörtert worden“. Diese Feststellungen reichen fallbezogen jedoch nicht aus, um die Annahme einer subjektiv vorwerfbaren Erfüllung des vierten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG nachvollziehbar zu begründen. Das Verwaltungsgericht wird daher angehalten sein, weitere Feststellungen zu treffen, aus welchen eine Kenntnis der verbotenen Ausspielungen abgeleitet werden kann.

16       Ebenfalls ist das Verwaltungsgericht darauf hinzuweisen, dass die von ihm vorgenommene Strafbemessung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs abweicht (vgl. VwGH 8.6.2020, Ra 2020/17/0029).

17       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in Anlehnung an seine Judikatur zur Staffelung der Strafsätze im AuslBG zu den Strafsätzen des § 52 Abs. 2 GSpG ausgesprochen hat, kann von einer „Wiederholung“ im Sinn dieser Gesetzesbestimmungen nur dann gesprochen werden, wenn zumindest eine einschlägige Vorstrafe vorliegt. Der im Fall „der erstmaligen und weiteren Wiederholung“ vorgesehene zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG setzt nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes die Bestrafung wegen einer Vortat nach dem ersten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpGN voraus. Maßgeblich sind dabei „Vorstrafen“, die im Tatzeitraum bereits formell rechtskräftig waren (vgl. wieder VwGH 8.6.2020, Ra 2020/17/0029).

18       Im behördlichen Straferkenntnis begründete die Behörde ihre Strafbemessung und das Heranziehen des § 52 Abs. 2 zweiter Strafsatz GSpG damit, dass dem Revisionswerber keine „einschlägige Unbescholtenheit“ zugutekomme. Das Verwaltungsgericht bestätigte das Straferkenntnis und begründete seine Strafbemessung damit, dass die belangte Behörde zwar keine Vormerkungen mitgeteilt habe, aber das Fehlen des Milderungsgrundes der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit festgestellt habe. Damit wird jedoch gerade nicht offengelegt, ob eine „einschlägige Vorstrafe“ vorgelegen ist und ob sie bereits im Tatzeitraum formell rechtskräftig war.

19       Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

20       Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

21       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 17. Dezember 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019150161.L00

Im RIS seit

01.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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