TE OGH 2020/12/11 5Ob214/20m

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Veröffentlicht am 11.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin G*****, vertreten durch Dr. Romana Aron, Mieter-Interessens-Gemeinschaft Österreich, *****, gegen die Antragsgegnerin E*****, vertreten durch Dr. Gregor Maderbacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen §§ 16, 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. August 2020, GZ 39 R 144/20w-25, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Gegenstand des Verfahrens ist die Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses. Im Revisionsrekursverfahren ist nur mehr die vom Erstgericht bejahte, vom Rekursgericht verneinte Berechtigung eines Lagezuschlags strittig.

Rechtliche Beurteilung

[2]       Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[3]       1. Mit der Frage der überdurchschnittlichen Lage und des dafür maßgeblichen Referenzgebiets hat sich der erkennende Senat bereits mehrfach auseinandergesetzt (vgl die zu RIS-Justiz RS0111204 indizierten Entscheidungen). Demnach bedarf es zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812). In der auch von den Vorinstanzen zitierten Leitentscheidung 5 Ob 74/17v stellte der erkennende Senat für ein im 5. Bezirk gelegenes Haus als Referenzgebiet auf die innerstädtischen Gebiete mit dafür typischer mehrgeschossiger Verbauung ab. Die dort festgestellte Erschließung der Wohnumgebung des Hauses mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dort bestehende Möglichkeiten der Nahversorgung rechtfertigte die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage iSd § 16 Abs 4 MRG nicht. An den Grundsätzen dieser Entscheidung hielt der erkennende Senat – auch unter Berücksichtigung der in der Lehre daran teilweise geäußerten Kritik – bereits in mehreren Entscheidungen ausdrücklich fest (vgl RS0131812).

[4]       2. Diese Grundsätze auch für die hier zu beurteilende, ebenso im 5. Wiener Gemeindebezirk und in unmittelbarer Nähe der zu 5 Ob 74/17v beurteilten Liegenschaft liegende Wohnung anzuwenden, ist nicht korrekturbedürftig, zumal sich die Entscheidung über die Zuerkennung eines Lagezuschlags grundsätzlich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren hat und dem Rechtsanwender dabei ein gewisser Wertungs- und Ermessensspielraum eingeräumt ist, sodass – solang dieser nicht überschritten wird – eine erhebliche Rechtsfrage nicht vorliegt (RS0111201 [T3]; 5 Ob 242/18a): Auch dieses Objekt befindet sich im dicht verbauten Wohn- und Geschäftsgebiet, wo Geschäfte des täglichen Bedarfs in unmittelbarer Umgebung ebenso wie die – auch fußläufige – Anbindung an eine U-Bahn-Linie oder auch Gesundheits- und Bildungseinrichtungen zu erwarten sind. Dass die Liegenschaft mit der zu beurteilenden Wohnung in einer Mittelparzelle zwischen zwei Straßenzügen liegt, sodass die großen Wiener Bahnhöfe und das Zentrum Wiens relativ rasch erreichbar sind, mag eine gute Verkehrsanbindung sicherstellen, bewirkt aber auch die festgestellte erhebliche Lärmimmission durch Straßenlärm von mehr als 75 dB. Das Kaufkraftniveau in diesem als urban, zwischen Arbeiter- und Trendviertel bezeichneten Bereich ist nur durchschnittlich. Wenn das Rekursgericht auf Basis dieser Feststellungen unter Heranziehung eines Referenzgebiets wie in der „Leitentscheidung“ 5 Ob 74/17y zur Auffassung kam, hier sei (noch) nicht von einer überdurchschnittlichen Lage auszugehen, hat es seinen Ermessensspielraum nicht in korrekturbedürftiger Weise überschritten:

[5]       3. Durch seinen Hinweis auf die zu 5 Ob 74/17v genannten Kriterien und die dort zu beurteilende Wohnumgebung hat das Rekursgericht die in der genannten Entscheidung aufgestellten Prüfkriterien nicht missachtet, sondern gerade dadurch den gebotenen Vergleich mit anderen Lagen (Wohnumgebungen) gezogen. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt daher nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG). Das hier zu beurteilende Objekt weist im Übrigen wesentliche Unterschiede zu den Lagen auf, die den Entscheidungen des erkennenden Senats 5 Ob 242/18a und 5 Ob 150/19y zugrunde lagen:

[6]            4. Bei der im 8. Bezirk gelegenen Wohnung, die Gegenstand der Entscheidung 5 Ob 242/18a war, gab es – im Gegensatz zu hier – Theater und Palais mit kulturellen Angeboten in unmittelbarer (fußläufiger) Entfernung, Parkhäuser in unmittelbarer Nähe, das zu beurteilende Haus schloss direkt an eine Grünanlage an, zusätzlich waren fußläufig mehrere Parkanlagen erreichbar, und das dort beurteilte Objekt befand sich in einer Ruhelage (wovon hier angesichts der festgestellten Lärmimmission keine Rede sein kann). Der wesentliche Unterschied zu dem zu 5 Ob 150/19y beurteilten Objekt liegt darin, dass hier die zu beurteilende Liegenschaft nicht im Zentrum des Bezirks, sondern an dessen Peripherie an einer verkehrsreichen Haupteinfahrtsstraße in das Zentrum von Wien gelegen ist.

[7]       5. Da die Beurteilung des zulässigen Mietzinses und damit auch die Berechtigung eines Lagezuschlags eine Rechtsfrage ist, die vom Richter und nicht vom Sachverständigen zu lösen ist (5 Ob 140/20d), binden diesbezügliche Äußerungen des Sachverständigen im Gutachten die Tatsacheninstanzen in rechtlicher Hinsicht nicht, die die vom Gutachter herausgearbeiteten tatsächlichen Kriterien für die Ermittlung des Lagezuschlags ihrer eigenen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen haben. Dass das Rekursgericht die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht übernahm, rechtlich aber anders, nämlich im Sinn einer hier (noch) nicht überdurchschnittlichen Lage wertete, ist nicht zu beanstanden. Eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

[8]            6. Damit war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E130449

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00214.20M.1211.000

Im RIS seit

01.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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