TE Vwgh Erkenntnis 1987/9/15 85/04/0180

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Veröffentlicht am 15.09.1987
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Index

Gewerberecht
40/01 Verwaltungsverfahren
50/04 Berufsausbildung

Norm

AVG §56
AVG §62 Abs3
BAG 1969 §2 Abs6
BAG 1969 §3a
BAG 1969 §3a Abs1
BAG 1969 §3a Abs3
ZustG §5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Janistyn, über die Beschwerde der D Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Dr. Norman Dick, Rechtsanwalt in Salzburg, Imbergstraße 15/1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. August 1985, Zl. MA 63-D 259/84, betreffend Feststellung nach § 3 a Abs. 1 BAG über die Zulässigkeit der Ausbildung von Lehrlingen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Lehrlingsstelle der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien stellte mit Bescheid vom 27. September 1984 gemäß § 3 a Abs. 1 BAG fest, daß der Betrieb der Beschwerdeführerin in der Filiale nn1, Wien, X-Straße 12, so eingerichtet und geführt sei, daß die für die praktische Erlernung im Lehrberuf „Drogist“ nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse dort nicht vermittelt werden könnten.

In der Begründung wurde vor allem ausgeführt, daß im Hinblick auf die Größe der „eigentlichen Drogerieabteilung“ (innerhalb der an sich auf Selbstbedienung eingerichteten Filiale) von lediglich 4,5 m2, die überdies nicht ständig besetzt sei, sich der Kontakt des Personals mit Kunden auf ein Minimum beschränke und vom System her keinerlei Möglichkeit geboten wäre, die erforderliche Routine im Umgang mit Kunden zu erwerben. Es sei vielmehr zu besorgen, daß der Lehrlingseinsatz im Betrieb der Beschwerdeführerin sich überwiegend im Bereich des Auszeichnens und Etikettierens der Waren, dem Nachfüllen und der Lagerhaltung bewegen und damit den Bestimmungen des § 2 Abs. 6 BAG in keiner Weise entsprechen würde.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie u.a. vorbrachte, daß Lehrlinge in ihrem Betrieb keineswegs ausschließlich in dem 4,5 m2 großen Bereich, wo die bedienungspflichtigen Waren gelagert seien, beschäftigt würden, sondern vielmehr im gesamten Geschäftslokal, daß die Filiale X-Straße 12 täglich durchschnittlich von ca. 800 bis 1.000 Kunden frequentiert würde und daß 10 bis 12 % dieser Kunden eine Bedienung wünschten, was eine bedienungsmäßige Betreuung von ca. 120 Kunden pro Tag ergäbe, wodurch das Erlernen des Umgangs mit Kunden sicherlich gewährleistet sei. Ausdrücklich beantragt wurde in diesem Zusammenhang die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Vernehmung eines Zeugen, wobei auch die Vorlage statistischen Materiales angeboten wurde.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 6. August 1985 bestätigte der Landeshauptmann von Wien den erstinstanzlichen Bescheid. Zur Begründung bezog sich der Landeshauptmann ausdrücklich auf „Feststellungen der Vertreter der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien und der Vertreter der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien“ (wonach die Betriebsstätte der Beschwerdeführerin in erster Linie auf Selbstbedienung ausgerichtet sei, der Kontakt mit Kunden auf ein Minimum beschränkt sei, die Hauptarbeit von Lehrlingen im Auszeichnen der Ware und dem Nachfüllen der Regale bestünde, die eigentliche Drogerieabteilung nur ca. 4 m2 Fläche aufweise, der vorgesehene Abfüllraum aufgrund des vorhandenen Sortiments als „Alibiaktion“ angesehen werden müsse und in Wahrheit nur vorverpackte Drogerieartikel geführt würden), erachtete aufgrund dieser ausdrücklich als „Gutachten“ qualifizierten und als solche behandelten Stellungnahmen der genannten Institutionen weitere Beweisaufnahmen für entbehrlich und gelangte zur Ansicht, daß Lehrlingen in der Filiale X-Straße viele für den Drogistenberuf wesentliche Kenntnisse nicht vermittelt werden könnten, weil es hiefür praktisch keine Gelegenheit gäbe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Ausbildung von Lehrlingen bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen verletzt.

Gemäß § 3 a Abs. 1 BAG hat die Lehrlingsstelle, bevor in einem Betrieb erstmalig Lehrlinge ausgebildet werden, festzustellen, ob die im § 2 Abs. 6 leg. cit. angeführten Voraussetzungen vorliegen. Ohne die rechtskräftige Feststellung, daß diese Voraussetzungen vorliegen, ist das Ausbilden von Lehrlingen unzulässig.

Nach § 2 Abs. 6 leg. cit. ist die Ausbildung von Lehrlingen nur zulässig, wenn der Betrieb oder die Werkstätte so eingerichtet ist und so geführt wird, daß den Lehrlingen die für die praktische Erlernung im betreffenden Lehrberuf nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden können.

Für einen bestimmten Lehrberuf sind die betreffenden Fertigkeiten und Kenntnisse dem gemäß § 8 BAG festgelegten Berufsbild zu entnehmen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 20. März 1981, Zl. 04/1727/79, und vom 23. April 1982, Zl. 04/0398/80; wobei hinsichtlich der zitierten nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Erkenntnisse auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird). Das Berufsbild für den Lehrberuf Drogist ist in der Anlage 4 der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie, BGBl. Nr. 190/1971, in der Fassung der Verordnung BGBl. Nr. 291/1979, festgelegt. Danach sind dem Lehrling für den Lehrberuf eines Drogisten u.a. in bezug auf den Warenverkauf und die Kundenbetreuung (Warenvorlage, Verkaufsgespräch und Beratung) folgende Fertigkeiten zu vermitteln:

1. Beginnend in den ersten beiden Lehrjahren, das Ausstellen von Kassazetteln und Rechnungen;

2. beginnend im dritten Lehrjahr, die Verkaufsabrechnung (bar- oder unbar);

3. in allen drei Lehrjahren die Ausfolgung von Waren und das Verhalten bei Reklamationen und

4. beginnend im dritten Lehrjahr, die Grundkenntnisse der Preisbildung, Kosten und Kalkulation sowie weiters in allen drei Lehrjahren die Lagerhaltung und Warenpflege.

Die Beschwerde macht zunächst geltend, der erstinstanzliche Bescheid habe sich gar nicht an die nunmehrige Beschwerdeführerin als Partei gerichtet und es habe daher der Bescheid der belangten Behörde die Unzulässigkeit der Lehrlingsausbildung gegenüber der Beschwerdeführerin ausgesprochen, obwohl ihr gegenüber kein erstinstanzlicher Bescheid vorgelegen sei, wodurch sie um eine Instanz verkürzt worden sei.

Dazu ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten folgendes:

Der Antrag an die Lehrlingsstelle der Kammer für gewerbliche Wirtschaft für Wien auf Feststellung gemäß § 3 Abs. 1 BAG vom 4. Juli 1984 ist unter stampiglienmäßiger Verwendung des Firmenwortlautes der Beschwerdeführerin „D-Ges.m.b.H.“ und ihrer S Adresse (S, Y-Gasse) gestellt worden. Der Bescheid der Lehrlingsstelle nennt in seinem Spruch den „Betrieb D- Ges.m.b.H. Filiale nn1, Wien, X-Straße 12, erging laut seiner Zustellverfügung an die „D- Ges.m.b.H., Wien, X-Straße 12“, und wurde der Beschwerdeführerin laut Form. 4 zu § 22 ZustG an der Anschrift S, Y-Gasse, zugestellt.

Daraus erweist sich, daß der erstinstanzliche Bescheid gegenüber der nunmehr beschwerdeführenden Partei als Antragstellerin erlassen und ihr auch im Sinne des § 62 Abs. 3 AVG zugestellt wurde. Der Umstand allein, wonach in der Zustellverfügung des erstinstanzlichen Bescheides nicht die Anschrift der Hauptniederlassung der Beschwerdeführerin in S, sondern die Adresse der Wiener Filiale genannt wird, vermag noch nicht den Mangel eines gegenüber der Beschwerdeführerin erlassenen erstinstanzlichen Bescheides darzustellen. Daß im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides ebenfalls die Anschrift der Wiener Filiale genannt ist, erklärt sich daraus, daß damit der in § 3 a Abs. 1 BAG vom Feststellungsbescheid betroffene Betrieb umschrieben wurde.

Die Beschwerde vertritt weiters die Auffassung, daß die Beschwerdeführerin bereits in anderen Filialen „ihres Betriebes“ mit behördlicher Genehmigung Lehrlinge ausbilde und daher für die Filiale in Wien, X-Straße 12, gar keine gesetzliche Feststellung im Sinne des § 3 a Abs. 1 BAG erforderlich sei, weil eine bereits erfolgte Feststellung bundesweit wirke.

Dem ist unter Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnisse vom 2. Juli 1982, Slg. N.F. Nr. 10.784/A, und vom 14. Februar 1984, Zl. 83/04/0166) zu entgegnen, daß die Voraussetzungen der §§ 3 a Abs. 1 und 2 Abs. 6 BAG jeweils auf die Einrichtung und Führung jenes Betriebes bzw. jener Werkstätte zutreffen müssen, der (bzw. die) den Gegenstand des der Behörde jeweils vorliegenden Antrages nach § 3 a Abs. 3 BAG bildet. Der bei Erlassung eines Feststellungsbescheides nach § 3 a Abs. 1 leg. cit. heranzuziehende Maßstab ist in § 2 Abs. 6 leg. cit. einzig und allein gerade für den konkreten Betrieb (bzw. die Werkstätte) als solchen (bzw. als solche) festgelegt. Der Hinweis der Beschwerde auf die von § 19 Abs. 4 BAG erwähnten zwischenbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen muß nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes versagen, weil die Feststellungsaufgabe, wie sie nach §§ 3 a Abs. 1 und 2 Abs. 6 BAG in bezug auf den jeweils verfahrensgegenständlichen Betrieb (bzw. die jeweils verfahrensgegenständliche Werkstätte) besteht, durch die Regel des § 19 Abs. 4 leg. cit. keine Änderung in der Richtung erfährt, daß bei der Wahrnehmung der genannten Feststellungsaufgabe auf zwischenbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen Bedacht genommen werden dürfte.

Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid somit auch insoweit nicht mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weil sich der zu behandelnde Antrag vom 4. Juli 1984 ausdrücklich auf den Betrieb der Filiale nn1, Wien, X-Straße 12, bezog.

Die Beschwerdeführerin wendete sich in ihrer Berufung hauptsächlich dagegen, daß die Behörde erster Instanz zu dem Ergebnis gelangte, der in Rede stehende Betrieb ermögliche kaum Kundenkontakte der Lehrlinge und es sei deshalb das Ziel der Lehrlingsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 6 BAG nicht erreichbar. Die Berufung der Beschwerdeführerin enthielt in diesem Zusammenhang konkrete Beweisanträge, insbesondere in Richtung der Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 52 AVG.

Die belangte Behörde beschränkte sich demgegenüber aber darauf, die im Verwaltungsverfahren abgegebenen Äußerungen des Vertreters der Arbeiterkammer für Wien und des Landesgremiums Wien für den Einzelhandel mit Drogen und Chemikalien der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien wiederzugeben, erachtete und behandelte diese Äußerungen ausdrücklich als „Gutachten“ und gelangte „aufgrund der Feststellungen“ der genannten Institutionen zu seiner Rechtsansicht.

Im Zusammenhang damit, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung behauptete, in dem in Rede stehenden Betrieb wären täglich ca. 120 Kunden individuell zu beraten, dazu zulässige Beweisanträge stellte und die belangte Behörde daher gemäß § 66 Abs. 1 bis 3 AVG hätte vorgehen müssen, zeigt sich, daß die statt dessen vorgenommene bloße Darstellung der Äußerungen der Arbeiterkammer und des Landesgremiums Wien einen Verfahrensmangel darstellt, der sich deshalb als wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG erweist, weil nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der durch §§ 66 Abs. 1 bis 3 und 60 AVG gebotenen Ermittlungs- und Begründungspflicht zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 15. September 1987

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1987:1985040180.X00

Im RIS seit

27.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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