TE Lvwg Beschluss 2020/12/11 VGW-151/013/7694/2020/E-12

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Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/10 Grundrechte

Norm

NAG-DV §9 Abs2
NAG 2005 §21a Abs1
NAG 2005 §21a Abs6
BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung 1973 Art I Abs1
B-VG Art. 139 Abs1 Z1
B-VG Art. 140 Abs1 Z1 lita

Text

Verordnungs- und Gesetzesprüfungsantrag

Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch sein Mitglied Dr. Helm im Verfahren über die Beschwerde der Frau A. B., geb. 1981, Staatsbürgerin der Demokratischen Republik Kongo (Kinshasa), gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 22.01.2019, Zl. ..., mit welchem ihr Antrag vom 16.04.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" abgewiesen wurde, an den Verfassungsgerichtshof folgenden

Antrag:

Der Verfassungsgerichtshof möge

den Abs. 2 des § 9b der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 451/2005 idF BGBl. II Nr. 231/2017,

als gesetzwidrig,

i n e v e n t u das Wort „allgemein“ sowie die Wortfolge „durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten“ in § 21a Abs. 1, und das Wort „jene“ in § 21a Abs. 6 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018,

i n e v e n t u § 21a Abs. 6 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018,

jeweils als verfassungswidrig, aufheben.

Begründung

1. Anlassfall

Beim Verwaltungsgericht Wien ist – nach erfolgreicher Amtsrevision bereits im zweiten Rechtsgang - eine Beschwerde anhängig, welche sich gegen die Abweisung des Antrags der o.g. Einschreiterin vom 16.04.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ als Familienangehörige (Ehegattin) eines Drittstaatsangehörigen mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 22.01.2019, Zl. ..., richtet.

Die Beschwerdeführerin ist seit ...2017 verheiratet mit Herrn C. D., geb. ...1972, DR Kongo, welcher über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ verfügt. Für die Erteilung des beantragten Titels an die Beschwerde-führerin liegen alle Voraussetzungen vor, mit Ausnahme des Sprachdiploms einer jener vier Einrichtungen, die in § 9b Abs. 2 NAG-DV aufgezählt sind. Von diesen vier Einrichtungen sind, soweit bekannt, drei in ganz Afrika nicht existent. Lediglich Goethe-Institute sind vereinzelt vorhanden; jenes in Kinshasa bietet aber, den Recherchen des antragstellenden Gerichts zufolge, keine Sprachkurse an.

Die Beschwerdeführerin legte daher zunächst ein Zertifikat des Zentrums der deutschen Sprache und Kultur der E., Kinshasa, über den Besuch eines 100-stündigen Deutschkurses und die zum Abschluss mit der Note „Gut“ bestandene Prüfung vor. Da dieses von der erstinstanzlichen Behörde als unzureichend moniert wurde, reiste sie noch vor Bescheiderlassung in das 4000 km entfernte Nairobi und besuchte den Deutschkurs am dortigen Goethe-Institut. Allerdings bestand sie die Prüfung nicht, zumal der Unterricht in der ihr nicht geläufigen englischen Sprache stattfand (Amtssprache in der DR Kongo ist Französisch). Ihr Antrag wurde daher in der Verwaltungsinstanz abgewiesen.

Noch vor der Behandlung ihrer Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wien unternahm sie einen neuerlichen Versuch, die Deutschprüfung in englischer Sprache in Kenia abzulegen, scheiterte aber (trotz besserer Beurteilung als beim ersten Mal) wieder. Das Verwaltungsgericht Wien erteilte ihr im ersten Rechtsgang dennoch den begehrten Aufenthaltstitel, wobei davon ausgegangen wurde, es könne nicht Zweck der in § 9b Abs. 2 NAG-DV getroffenen Aufzählung sein, für Antragsteller aus bestimmten Weltgegenden schikanöse bis unüberbrückbare Hürden aufzurichten. Die Regelung verfolge vielmehr den Zweck, die Antragsteller zu verlässlichen Instituten zu leiten, wo solche vorhanden seien. Gebe es solche nicht (zumindest nicht in der Weltregion, aus der sie stammen), so müssten solche Antragsteller berechtigt sein, den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse auch auf andere, zumutbare Weise zu erbringen (VGW-151/013/3685/2019 vom 24.10.2019).

Der dagegen erhobenen außerordentlichen Amtsrevision des Bundesministers für Inneres gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.06.2020, Ra 2020/22/0023, statt und behob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien, wobei er davon ausging, dass es sich bei den in § 9b Abs. 2 NAG-DV genannten Einrichtungen um eine taxative Aufzählung handle.

2. Präjudizialität

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Die Einschreiterin hat gegen die Abweisung ihres Antrags durch den Landeshauptmann von Wien, welche mit finanzieller Belastung einer Gebietskörperschaft und Fehlen eines A1-Sprachdiploms begründet wurde, Beschwerde erhoben. Im ersten Rechtsgang konnte der Ehegatte ausreichende Einkünfte nachweisen, sodass mit einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft nicht zu rechnen ist. Das Verwaltungsgericht Wien hat dem Antrag daher stattgegeben, indem es in der Frage des Sprachdiploms seine oben ausgeführte Rechtsansicht zu Grunde legte.

Im zweiten Rechtsgang hat das Verwaltungsgericht Wien nunmehr unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes zu entscheiden, wonach „Sprachdiplome oder Kurszeugnisse von Instituten, die keine gemäß § 21a Abs. 6 oder Abs. 7 NAG mit Verordnung bestimmten Einrichtungen […] sind, […] nicht als Nachweis gemäß § 21a Abs. 1 über Kenntnisse der deutschen Sprache anerkannt“ werden. Andere Fragen sind nicht mehr offen, zumal die belangte Behörde zu der für den 24.9.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung, in der sie aufgefordert worden war, im Falle des Teilnahmeverzichts längstens bis zu Verhandlungsbeginn bekannt zu geben, ob sonstige Erteilungshindernisse bestehen oder welche Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, weder erschienen ist, noch eine entsprechende Bekanntgabe vorgenommen hat.

Das Verwaltungsgericht Wien hat somit die angefochtene Verordnungsbestimmung anzuwenden; dass die darin enthaltene Aufzählung als abschließend zu verstehen ist – was die vom antragstellenden Gericht zu treffende Entscheidung bestimmt – ergibt sich aber nicht allein aus dieser selbst, sondern darüber hinaus aus der Formulierung der Verordnungsermächtigung in § 21a Abs. 6 NAG sowie deren Determinierung in § 21a Abs. 1 NAG, sodass auch diese beiden Gesetzesbestimmungen präjudiziell sind.

3. Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung bzw. die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

3.1. Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung

§ 9b Abs. 2 NAG-DV lautet:

„Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 21a Abs. 1 NAG gelten allgemein anerkannte Sprachdiplome von folgenden Einrichtungen:

1.   Österreichisches Sprachdiplom Deutsch;

2.   Goethe-Institut e.V.;

3.   Telc GmbH;

4.   Österreichischer Integrationsfonds.“

Von den genannten Instituten haben nur zwei Niederlassungen außerhalb Europas; in Afrika bietet ausschließlich der eingetragene Verein „Goethe-Institut“ überhaupt Sprachkurse an, und dieser nur an wenigen Orten. Wenn die Aufzählung in der angefochtenen Verordnungsbestimmung als taxativ zu verstehen ist, so werden insbesondere Antragsteller aus weiten Teilen Afrikas – etwa aus dem Kongo und einigen seiner Nachbarländer – durch diese Aufzählung gegenüber anderen Fremden diskriminiert, weil ein Zugang zu einem anerkannten Sprachkurs für sie in der Praxis nicht existiert.

Art. I Abs. 1 des BVG über die Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, lautet:

„Jede Form rassischer Diskriminierung ist – auch soweit ihr nicht bereits Art. 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 und Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegenstehen – verboten. Gesetzgebung und Vollziehung haben jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft zu unterlassen.“

Der Verfassungsgerichtshof hat dieses BVG in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass es ein Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander begründe; demnach ist die Ungleichbehandlung „nur dann und nur insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.“ (VfGH 30.11.1995, B 1691/95 – B 1559/95 ua). Aus der vom VfGH selbst gezogenen Analogie zu dem für Staatsbürger geltenden Gleichheitssatz des Art. 7 Abs. 1 B-VG ergibt sich, dass es dem Grundrecht ebenso widerspräche, Ungleiches gleich zu behandeln. Aus diesem Grund hätte die angefochtene Verordnung Raum für die Beurteilung anderer Zertifikate als gleichwertig lassen müssen, wenigstens dort, wo keines der aufgezählten Institute erreichbar ist. Die Bedenken gründen sich darauf, dass die Verordnung nach ihrer Textierung keinen Raum für derartige Gleichwertigkeitsüberlegungen lässt.

3.2. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes

§ 21a Abs. 1 und Abs. 6 NAG lauten:

„(1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms einer durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.“

„(6) Durch Verordnung des Bundesministers für Inneres sind jene Einrichtungen zu bestimmen, deren Sprachdiplome als Nachweis gemäß Abs. 1 gelten.“

Hierzu wird auf die oben zur Verordnung geäußerten Bedenken verwiesen, da sich der Ausschluss jeglicher Alternativen zu den laut Verordnung zugelassenen Sprachdiplomen – und damit die faktische Diskriminierung von Antragstellern aus weiten Teilen Afrikas – bereits aus dem Gesetzeswortlaut zu ergeben scheint. Zutreffendenfalls stünde das Gesetz im Widerspruch zum verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander.

4. Zur Formulierung der Anträge

Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Änderung seiner Bedeutung erfährt. Weil beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof im Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel Vorrang vor dem anderen gebührt. Es ist dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, der Norm durch Aufhebung bloßer Teile einen völlig veränderten, dem Normsetzungsorgan überhaupt nicht mehr zusinnbaren Inhalt zu geben, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Rechtssetzung wäre.

Soweit eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes im Hinblick auf das BVG BGBl. Nr. 390/1973 möglich ist, wäre die angefochtene Verordnungsbestimmung gesetzwidrig, da die dort aufgezählten Institute in bestimmten Weltregionen gar nicht oder so spärlich vertreten sind, dass für dortige Antragsteller keine realistische Chance zur Erlangung eines Sprachdiploms besteht. Eine Aufhebung würde den darauf bezüglichen Teil des § 21a Abs. 1 NAG unanwendbar machen und die Vollziehung zu einer Einzelfallbeurteilung nach den Maßstäben des o.g. BVG veranlassen.

Allerdings lässt sich argumentieren, dass die Aufzählung in § 9b Abs. 2 NAG-DV per se nicht als taxativ aufzufassen wäre, sondern sich die abschließende Eigenschaft nur aus der Verordnungsermächtigung in § 21a Abs. 6 NAG ergibt. Diesfalls erwiese sich die genannte Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig; der zweite Eventualantrag zielt auf deren Aufhebung, welche dieselbe Auswirkung hätte wie die im Erstantrag begehrte Aufhebung des § 9b Abs. 2 NAG-DV.

Der erste Eventualantrag geht hingegen davon aus, dass der konkrete Sitz der Verfassungswidrigkeit im Wort „jene“ in § 21a Abs. 6 NAG sowie in der Wortfolge „durch Verordnung gemäß Abs. 6 oder 7 bestimmten“ im Abs. 1 der genannten Bestimmung zu sehen ist, da erst hierdurch die taxative Eigenschaft der Aufzählung von geeigneten Instituten in der Verordnung begründet wird. Das Wort „allgemein“ vor „anerkannt“ in Abs. 1 schließt überdies nur regional anerkannte Institute aus. Mit Aufhebung der im ersten Eventualantrag genannten Wortfolge und beiden Worten aus den Abs. 1 und 6 NAG wäre der Verordnungsinhalt nur mehr als beispielhafte, nicht als taxative Aufzählung zu lesen, ohne dass die Verordnung als solche oder andere Gesetzesinhalte davon berührt wären.

Es wird daher wie oben beantragt.

Schlagworte

Normprüfungsantrag; Gesetzesprüfung; Verordnungsprüfung; Nachweis von Deutschkenntnissen; Sprachdiplom; Ungleichbehandlung

Anmerkung

VfGH v. 6.12.2021, V 608/2020; Abweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.151.013.7694.2020.E.12

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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