TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/31 I401 2106457-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2020
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Entscheidungsdatum

31.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8
AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §46a
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I401 2106457-2/4E
I401 2106457-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte, Schmerlingstraße 2/2, 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 11.05.2020, XXXX, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt II. zu lauten hat:

„Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 12.09.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Nigeria wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer gab im Rahmen seiner Befragung zum ersten am 04.04.2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz an, im November 2014 den Entschluss gefasst zu haben, Nigeria zu verlassen, weil seine Eltern bei einem Bombenanschlag der Boko Haram getötet worden seien und er sich als Christ dieser Gruppierung nicht habe anschließen wollen. Den Herkunftsstaat habe er am 20.03.2015 mit einem Bus illegal verlassen und sei mit einem Boot über Griechenland nach Europa gelangt. Mit einem Kleinbus sei er nach Österreich gekommen.

Mit Bescheid vom 19.04.2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) diesen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.09.2015, I406 2106457-1/9E, als unbegründet abgewiesen. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wurde als nicht glaubwürdig erachtet. Dem Beschwerdeführer drohe bei einer Rückkehr auch keine Gefährdung einer Verletzung seiner Rechte gemäß Art. 2 und 3 EMRK. Zudem wurde festgestellt, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden und erwerbsfähigen jungen Mann handle, der im Herkunftsstaat für sich selbst sorgen könne.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 12.09.2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung an diesem Tag gab er an, von einem Freund gehört zu haben, dass ihn die nigerianische Polizei verdächtige, bei der Ermordung eines Polizisten während einer Demonstration für Biafra involviert gewesen zu sein. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass ihn die Polizei festnehmen werde. Mit der Ermordung habe er nichts zu tun gehabt.

In der niederschriftlichen Einvernahme vom 15.04.2019 vor dem Bundesamt äußerte der Beschwerdeführer, er habe gehört, dass ihn „irgendeine Polizei in Afrika“ suchen würde. Es gebe einen Ort, wo sie einen Polizisten bei einem Protest der Biafra getötet hätten. Seit genau zwei Jahren wisse er davon. Wann dieser Protest gemacht worden sei, wisse er nicht. Er sei seit 2015 hier (in Österreich), er habe aber Nigeria bereits im Jahr 2009 verlassen. Es handle sich um eine bloße Anschuldigung. „Schwarze Leute“ hätten ihm gesagt, dass sie gehört hätten, dass er einen Polizisten getötet haben soll. Er leide an Depressionen, die medikamentös behandelt werden. Er wolle nicht zurückkehren, weil er aus Biafra stamme. In Wien habe er an einer Demonstration teilgenommen. Auf Vorhalt, dass er sein Land schon im Jahr 2009 verlassen habe und daher keine Probleme gehabt haben könne, gab der Beschwerdeführer an, die „MASSOB“ hätten demonstriert, bevor das Gesetz gemacht worden sei. Er sei schon in Österreich aufhältig gewesen, als er von den Problemen gehört habe.

3. Mit dem am 21.12.2018 beim Bundesamt eingelangten formularmäßigen Vordruck stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete nach § 46a Abs. 4 FPG, ohne einen der angeführten Tatbestände (nach § 46a Abs. 1 Z 1. bis 4. FPG) anzukreuzen.

4. Der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers regte eine Unterbrechung des Asylverfahrens an, weil zur Überprüfung dessen Geschäftsfähigkeit ein Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters einzuleiten wäre. Das Asylverfahren wurde in der Folge ausgesetzt (vgl. Aktenvermerk vom 13.06.2019; AS 195). Der klinische Psychologe und Gesundheitspsychologe Mag. Dr. B, MSc, stellte in seinem im Auftrag des Bezirksgerichts Innsbruck erstellten klinisch-psychologischen Gutachten vom 16.10.2019 - zusammengefasst - fest, dass der Beschwerdeführer an einer Anpassungsstörung leide, es Hinweise für eine Antriebsminderung gebe und deutliche Zeichen auf eine geminderte Anstrengungsbereitschaft fassbar wären. Die psychische Erkrankung sei jedoch nicht so stark ausgeprägt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage wäre, sich selbst um seine Anliegen kümmern bzw. sich selbst um Hilfe bemühen zu können. Die notwendigen Voraussetzungen für eine Entscheidungsfähigkeit seien gegeben. Eine Erwachsenenvertretung werde aus fachlicher Sicht nicht empfohlen. Eine Bestellung eines Erwachsenenvertreters erfolgte nicht.

5. Bei der am 22.01.2020 erfolgten Einvernahme durch das Bundesamt wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine bei der Einvernahme vom 15.04.2019 gemachten Aussagen. K habe ihm erzählt, dass man ihn überall suchen würde, was er aber nicht glauben könne. Auf die Frage, warum er den Folgeantrag gestellt habe, wenn er selbst nicht glauben könne, dass er von der Polizei gesucht werde, antwortete der Beschwerdeführer, das sei einfach das gewesen, was er gehört habe, und das habe er angegeben. Er wolle nicht nach Nigeria zurück, weil er Angst vor Boko Haram habe, ihm dort niemand helfen werde und er wegen seiner Krankheit nicht ins Spital gehen könne. In Österreich sei es besser für ihn, es gebe hier Menschenrechte und die Regierung und die Leute seien gut zu ihm.

Mit angefochtenem Bescheid vom 11.05.2020 wies das Bundesamt den Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 12.09.2018 (ohne konkreten auf den Status des Asylberechtigten Bezug zu nehmen) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), gewährte gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

Gleichzeitig wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 21.12.2018 ab (Spruchpunkt VIII.).

7. In der erhobenen Beschwerde vom 10.06.2020 führte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer einleitend aus, dass er den angefochtenen Bescheid vollumfänglich anfechte. Als Beschwerdegründe machte er Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend. Durch den Bescheid werde er „in seinem Recht auf subsidiären Schutz, in eventu in seinem Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, sowie in ihrem (gemeint: seinem) Recht auf Durchführung eines den Verwaltungsverfahrensgesetzen entsprechenden Verfahrens und [dem Recht,] nicht mit einem Einreiseverbot belegt zu werden“, verletzt.

Der Beschwerdeführer nahm erneut Bezug auf seine gesundheitlichen Probleme und führte aus, dass er „ohne seine Lebensgefährtin […] normale Dinge des täglichen Lebens nicht mehr erledigen“ könne. Im klinisch-psychologischen Gutachten sei eine psychische Krankheit diagnostiziert worden. Er nehme weiterhin Medikamente ein und leide außerdem an Herzproblemen. Eine Abschiebung nach Nigeria sei wegen unvorhersehbarer Entwicklungen seines Gesundheitszustandes nicht zulässig. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde zum Schluss kommen müssen, dass ihm aufgrund seiner geminderten Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit ein Fortkommen in Nigeria unmöglich sei und subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre. Nach einem über fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, dem Vorliegen einer Lebensgemeinschaft und auf Grund der finanziellen Abhängigkeit von seiner Partnerin bestehe ein schützenswertes Privatleben. Ein Einreiseverbot verunmögliche das weitere Zusammenleben mit seiner Freundin.

Neben dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellte er die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde Folge geben und „dem Beschwerdeführer den subsidiären Schutz, in eventu einen humanitären Aufenthaltstitel zuerkennen, in eventu Spruchpunkte III. bis VIII. ersatzlos beheben und feststellen, dass eine Abschiebung auf Dauer unzulässig ist, in eventu den Bescheid aufheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der oben widergegebene Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung, die nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfähigkeit führt. Er steht derzeit nicht in fachärztlicher Behandlung, nimmt Schmerztabletten gegen auftretende Kopfschmerzen ein und benötigt auch sonst keine medizinische Behandlung oder Pflege. Nach einem Sturz wurde der Beschwerdeführer am rechten Daumen behandelt und zuletzt im Mai 2020 operativ versorgt. Eine schwere oder lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigung konnte bei ihm nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und -willig. Er verkauft seit Oktober 2015 die Straßenzeitung „20er“, wobei er aus dieser Tätigkeit Einkünfte in der Höhe von ca. € 250,-- bis € 300,-- monatlich erzielt(e). Aus diesen Einkünften und durch die finanzielle Unterstützung einer um 24 Jahre älteren Österreicherin, mit der er seit ca. zwei Jahren eine Bekanntschaft pflegt, bestreitet er den Mietaufwand für eine Wohnung. Der Beschwerdeführer lebt seit 15.05.2018 in einer Wohngemeinschaft in V in Tirol. Die Bekannte des Beschwerdeführers und ihr Ehemann sind seit 02.07.2012 in (der ca. 98 km von V entfernten Stadt) K in Tirol mit Hauptwohnsitz gemeldet, wobei sie auch zuvor eine gemeinsame Wohnadresse hatten. Sie ist bei ihrem Ehemann als Angehörige mitversichert. Der Beschwerdeführer bezieht Leitungen aus der staatlichen Grundversorgung in Form der Krankenversicherung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über kein Familienleben und auch sonst über keine maßgeblichen Beziehungen. Er hat bis dato keine Deutschprüfung abgelegt. Er nahm an sechs von zehn Unterrichtseinheiten eines Deutschkurses im Zeitraum 08.08. bis 21.09.2017 teil, er erbrachte (in einem nicht näher bekannt gegebenen Zeitraum) bei Gebietskörperschaften (nicht näher bezeichnete) ehrenamtliche Tätigkeiten. Andere integrative Bemühungen legte er nicht an den Tag.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Er hält sich nach dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.09.2015 abgeschlossenen ersten Asylverfahren samt Rückkehrentscheidung nach Nigeria unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer hat keinen Nachweis darüber erbracht, dass er seiner Verpflichtung, aus eigenem ein Reisedokument bei der für ihn zuständigen Botschaft einzuholen, entsprochen hat. Der Beschwerdeführer hat aus eigenem keine Veranlassungen getroffen, um Dokumente zu erlangen, die seine Identität zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikates nachweisen.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer stellte am 05.12.2014 bereits einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit einer Bedrohung durch Boko Haram begründete. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.09.2015 wurde die abweisende Entscheidung des Bundesamtes sowie die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria bestätigt.

Im gegenständlichen Folgeverfahren machte er geltend, dass er wegen der Anschuldigung, einen Polizisten getötet zu haben, gesucht werde, immer noch Angst vor Boko Haram habe und an gesundheitlichen Problemen leide.

Der Beschwerdeführer hat keine sachverhaltsbezogenen Änderungen bezüglich seiner Fluchtgründe vorgebracht. Die von ihm vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bewirken keine maßgebliche Sachverhaltsänderung. Der Beschwerdeführer bedarf keiner dauerhaften lebensnotwendigen medizinischen Behandlung und hat in seinem Herkunftsstaat Zugang zu den erforderlichen Medikamenten. Er ist arbeitsfähig und in seiner Dispositionsfähigkeit nicht derart eingeschränkt, dass er nicht für sich selbst entscheiden oder seine Angelegenheiten selbst besorgen könnte.

In Bezug auf die Situation in Nigeria ist zwischenzeitlich keine wesentliche Änderung, welche den Beschwerdeführer konkret und individuell betrifft, eingetreten. Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria weiterhin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine, den Beschwerdeführer individuell betreffende Änderung bekannt geworden.

Fallbezogen werden nochmals nachstehende Feststellungen hervorgehoben:

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. IPOB ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger, Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 16.4.2020).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen auf dem Landweg in die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa. Von nicht erforderlichen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias, in die Bundesstaaten Sokoto, Katsina und Jigawa wird abgeraten. Von Reisen in die folgenden Bundesstaaten wird abgeraten, sofern diese nicht direkt auf dem Luftweg in die jeweiligen Hauptstädte führen: in Zentral-und Nord-Nigeria Kaduna, Zamfara, Kano und Taraba, in Südnigeria: Ogun, Ondo, Ekiti, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Anambra, Enugu, Abia, Ebonyi und Akwa Ibom. Auch von Reisen in die vorgelagerten Küstengewässer, Golf von Guinea, Nigerdelta, Bucht von Benin und Bucht von Bonny, wird abgeraten (AA 16.4.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 16.4.2020). Das britische Außenministerium warnt vor Reisen nach Borno, Yobe, Adamawa und Gombe, sowie vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta, sowie Reisen nach Zamfara näher als 20km zur Grenze mit Niger. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zu Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers, und Reisen im Bundesstaat Niger im Umkreis von 20km zur Grenze zu den Staaten Kaduna und Zamfara, westlich des Flusses Kaduna (UKFCO 15.4.2020). Gewaltverbrechen sind in bestimmten Gebieten Nigerias ein ernstes Problem, ebenso wie der Handel mit Drogen und Waffen (FH 1.2019).

In der Zeitspanne April 2019 bis April 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.712), Zamfara (685), Kaduna (589) und Katsina (392). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (3), Kano (7), Jigawa (7), Kwara (8), Enugu (8) und Ekiti (9) (CFR 2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

-        (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020

-        CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

-        FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2019, Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2019, Zugriff 17.4.2020

-        UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (15.4.2020): Foreign Travel Advice – Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 16.4.2020

Grundversorgung

Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 3.2020c). 2018 wurde ein Wachstum von 1,9 Prozent erreicht (AA 24.5.2019c).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 3.2020c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 3.2020c). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).

Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 3.2020c) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 3.2020c; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Das Land ist nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2019).

Die Prozentsätze der Unterernährung haben sich in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegen nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 3.2020b). Über 80 Prozent der ca. 190 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze - Tendenz steigend (GIZ 3.2020c). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 3.2020b). Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmittelpreise variieren ebenfalls nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 3.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent – in erster Linie unter 30-jährige – mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 3.2020b).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 3.2020c).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).

Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Von den auf Hilfe Angewiesenen (7,1 Millionen) sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790, Zugriff 16.4.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.4.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

-        IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annual_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf, Zugriff 15.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 3.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 2.4.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. AA 2.4.2020; ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 3.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019).

Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 3.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2019). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 3.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.4.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 16.4.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera.com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html, Zugriff 16.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

-        HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chained-abused, Zugriff 16.4.2020

-        Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 16.4.2020

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme

Außerdem wird zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus festgestellt:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Nigeria gibt es mit Stand 05.08.2020 44.433 bestätigte Infektionen, wobei 31.851 Personen wieder genesen sind und sind 910 Todesfälle verzeichnet.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten) auf.

Quellen:

https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html, Zugriff 02.04.2020 https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/, Zugriff 02.04.2020 https://orf.at/corona/stories/3157170/, Zugriff 23.03.2020

https://orf.at/corona/stories/3157533/, Zugriff 23.03.2020

https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-karte-101.html, Zugriff 05.08.2020

https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 12.05.2020

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt und zur Person:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zum Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des Bundesamtes und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts zu I406 2106457-1 und seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben. Aufgrund der auch im gegenständlichen Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Die Staatsangehörigkeit wurde bereits im ersten Asylverfahren rechtskräftig festgestellt.

Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und die Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf den Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt, bestätigt durch eine Abfrage aus dem Betreuungsinformationssystem, dem Zentralen Fremdenregister und dem Zentralen Melderegister vom 18.06.2020. Daraus ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer und die Bekannte zu keinem Zeitpunkt an derselben Wohnadresse gemeldet waren. Seinen Angaben nach kennt er seine Bekannte seit etwa Mitte des Jahres 2018 (AS 343) und unterstützt sie ihn finanziell. Befragt nach dem Verhältnis zu ihr, gab der Beschwerdeführer an, dass sie seine Freundin sei, ihm finanziell helfe, da er vom Land (gemeint wohl: Tirol) kein Geld mehr bekommen habe und dass sie mehr als eine Freundin sei. Außerdem führte er aus, mit ihr andere Leute zu treffen, schwimmen zu gehen oder Sportveranstaltungen zu besuchen und beschrieb die Beziehung folgend: „Sie ist ganz nett zu mir. Sie versteht mich und ich verstehe sie.“ (AS 344). Dass tatsächlich eine Lebensgemeinschaft vorliegt, besteht vor dem Hintergrund der Abfragen im Zentralen Melderegister und aus dem Versicherungsdatenauszug jeweils vom 05.08.2020, dass die Bekannte des Beschwerdeführers verheiratet, mit ihrem Ehemann seit 1995 an gemeinsamen Adressen mit Hauptwohnsitz gemeldet und sie in der Krankenversicherung bei ihrem Ehemann mitversichert ist, erhebliche Zweifel. Dass die Bekannte „ganz nett“ zu ihm sei sowie sie ihn und er sie „verstehe“, kann eine aufrechte zwischen dem Beschwerdeführer und der Bekannten bestehende Lebensgemeinschaft, die durch eine Wohn- und insbesondere durch eine Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichnet ist, nicht belegen. Eine Lebensgemeinschaft liegt daher nicht vor.

Dass Verwandte von ihm in Österreich leben oder sonst intensive Beziehungen bestehen, brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Mangels Vorlage von Beweismitteln konnte eine maßgebliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich nicht festgestellt werden. Aus dem Umstand, dass er bei einem über fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur eine Teilnahmebestätigung über einen Deutschkurs, an dem er an sechs von zehn Unterrichtseinheiten im Zeitraum 08.08. bis 21.09.2017 teilnahm und nach einer Bestätigung der Tiroler Sozialen Dienste vom 16.03.2018 über die Verrichtung nicht näher bezeichneter Tätigkeiten in einem nicht näher bekannt gegebenen Zeitraum bei Gebietskörperschaften gemeinnützig tätig war, ergibt sich keine über das übliche Maß hinausgehende integrative Verfestigung des Beschwerdeführers. Aus einem Schreiben der Schwester des Vermieters über den ordentlichen Gebrauch des Mietgegenstandes durch den Beschwerdeführer können integrative Bemühungen nicht abgeleitet werden. Der Verkauf einer Straßenzeitung und die aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte von ca. € 250,-- bis € 300,-- im Monat gehen auf die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme vom 22.01.2020 zurück. Dass diese Tätigkeit nicht zu einer Pflichtversicherung nach einem Sozialversicherungsgesetz geführt hat, fußt auf einem aktuellen Versicherungsdatenauszug. Dass der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig ist, beruht auch auf seinem Vorbringen in der erhobenen Beschwerde, dass eine finanzielle Abhängigkeit von seiner Partnerin bzw. Bekannten bestehe.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Strafregisterauszug vom 18.06.2020.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorliegenden Befunden und dem eingeholten klinisch-psychologischen Gutachten im gerichtlichen Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters. Weitere Ausführungen werden unter Pkt. 2.2. getroffen und kann darauf verwiesen werden.

Der Beschwerdeführer legte im gesamten Verfahren keinen Nachweis vor, dass er sich um die Ausstellung eines Reisedokumentes bei der nigerianischen Botschaft bemüht hätte. Er brachte bei seiner Antragstellung auf Ausstellung einer Karte für Geduldete selbst vor, über kein Reisedokument zu verfügen und er sei „mangels jeglicher Identitätsbescheinigung“ nicht in der Lage, sich um eine Beschäftigungsbewilligung zu bemühen. Aus eigenem trat er mit der nigerianischen Botschaft oder mit einer Person in seinem Herkunftsstaat nicht in Kontakt, um einen Reisepass bzw. Dokumente, die er für die Ausstellung desselben benötigen würde, zu erhalten.

2.2. Zu den neuen Flucht- bzw. Antragsgründen:

Sein Fluchtvorbringen stützt der Beschwerdeführer ausschließlich auf Umstände, welche er bereits im Rahmen seines ersten Verfahrens auf Gewährung internationalen Schutzes geltend machte, insbesondere machte er die nach wie vor bestehende Angst vor Boko Haram geltend. Es wird nicht verkannt, dass es Attacken und Anschläge durch Boko Haram insbesondere im Nordosten Nigerias gibt, allerdings wurde sein diesbezügliches Fluchtvorbringen und auch die Verfolgung aufgrund seines christlichen Glaubens im ersten Asylverfahren bereits als unglaubwürdig angesehen.

Im gegenständlichen Folgeverfahren machte er zudem geltend, dass er wegen der Anschuldigung, einen Polizisten getötet zu haben, gesucht werde. Sein Vorbringen, wonach „irgendwelche Polizei in Afrika“ nach ihm suche, relativierte er insofern, als er angab, selbst nicht daran zu glauben. Es sei für ihn nur ein Gerücht, das ihm ein Freund erzählt habe. Eine konkrete Gefährdung brachte er somit im gegenständlichen Verfahren nicht vor und genügt die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für die Annahme eines asylrelevanten Umstandes (VwGH 06.10.1999, Zl. 99/01/0279). Daran ändert auch der zwischen seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz und seinem gegenständlichen Folgeantrag liegende Zeitraum nichts und ist überdies anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Erstverfahren angab, dass er Nigeria im März 2015 verlassen habe, jedoch im Gegensatz dazu nunmehr vorbrachte, im Jahr 2008 oder 2009 ausgereist zu sein und sich sechs oder sieben Jahre in Libyen aufgehalten zu haben.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide, wird durch einen operativen Eingriff hinsichtlich seiner Daumenverletzung im Mai 2020 entkräftet. Er gab auch an, an Herzproblemen, einem Hautausschlag, einer Allergie und an Kopfschmerzen zu leiden. Für all diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen legte er keine medizinischen Unterlagen, ärztliche Atteste oder Berichte etc. vor. Im Übrigen wurde er vom Bundesamt wiederholt zur Vorlage einschlägiger Unterlagen aufgefordert (zB AS 127, 334). Aus dem im Rahmen der Überprüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters durch das Bezirksgericht Innsbruck eingeholten, vom Beschwerdeführer nicht beanstandeten klinisch-psychologischen Gutachten vom 16.10.2019 (AS 227 ff) ergibt sich, dass er an einer Anpassungsstörung leide und Anzeichen für eine erhöhte Ängstlichkeit, eine Antriebsminderung sowie geminderte Anstrengungsbereitschaft vorlägen. Insgesamt sei der Beschwerdeführer aber in der Lage, sich selbst um seine Anliegen kümmern bzw. sich selbst um Hilfe bemühen zu können. Die notwendigen Voraussetzungen für eine Entscheidungsfähigkeit seien bei ihm gegeben. Weder aus diesem Gutachten, noch aus sonstigen Unterlagen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer derzeit wegen einer psychischen Beeinträchtigung in ärztlicher Behandlung steht oder einer solchen bedarf. Dies wurde von ihm auch nicht behauptet, auch nicht im Beschwerdeschriftsatz. Ebenso wurde von ihm nicht bekannt gegeben, ob und welche Medikamente er gegen die psychische Erkrankung einnimmt. Er versicherte, „Ibuprofen“ gegen die Kopfschmerzen einzunehmen, die von einem Sturz herrühren würden (AS 333). Es lassen sich daher keine zu beachtenden Hinweise darauf finden, dass der Beschwerdeführer einer dauerhaften lebensnotwendigen Behandlung (in Österreich) bedürfe und er nicht arbeitsfähig wäre. Eine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers liegt nicht vor.

Mit dem Verkauf einer Straßenzeitung über einen Zeitraum von knapp fünf Jahren und der Angabe „Es gibt eine Menge Jobs, z.B. Malerarbeiten, bei der Security oder bei der Straßenreinigung. Ich könnte alles machen.“ (AS 343) dokumentierte er seine Bereitschaft, eine Arbeit aufnehmen zu wollen.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen. Wenn der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angibt, wegen seiner Krankheit nicht in Nigeria nicht ins Krankenhaus gehen zu können, so muss dem entgegnet werden, dass die staatliche Gesundheitsversorgung zwar keine kostenfreie Medikamentenversorgung gewährleistet und jeder Patient - auch im Krankenhaus - Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen muss (AA 10.12.2018), die medizinische Versorgung hat sich in den letzten Jahren in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 10.12.2018). Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 10.12.2018).

Zum Vorbringen der Sicherheitslage und Spannungen aufgrund der Boko Haram stehen diese Ausführungen nicht im Widerspruch mit den Feststellungen des Länderinformationsblattes, wobei zwischen verschiedenen Konfliktherden (auch auf Boko Haram wird eingegangen und den religiös motivierten Streitigkeiten zwischen Christen und Moslems) unterschieden wird, aber auch klar zum Ausdruck gebracht wird, dass es in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien gibt. Eine wesentliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Nigeria, welche den Beschwerdeführer individuell und konkret betreffen würde, kann nicht festgestellt werden.

Da sich zwischenzeitlich, bezogen auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen keine entscheidungsrelevanten Änderungen ergeben haben, schließt sich das Bundesverwaltungsgericht daher diesen Feststellungen an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten wegen entschiedener Sache:

Voranzustellen ist, dass das Bundesamt im Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12.09.2018 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zwar zurückwies, es jedoch im Spruch unterließ anzuführen, dass die Zurückweisung dessen Status als Asylberechtigter betrifft. Aus der Begründung zu diesem Spruchpunkt I. ist jedoch ohne Zweifel zu erschließen, dass die Entscheidung des Bundesamtes auf die Zurückweisung mit Bezug auf den Asylstatus gerichtet war.

Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, u.a.). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 08.09.1977, 2609/76).

Von verschiedenen "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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