TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/21 Ra 2019/02/0241

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §32 Abs2
VStG §32 Abs3
VStG §45 Abs1 Z3
VStG §9 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 lita
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Oktober 2019, VGW-002/011/4638/2019-9, VGW-002/V/011/4639/2019, VGW-002/011/4640/2019 und VGW-002/011/4641/2019, betreffend Übertretungen des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. B in S und 2. C GmbH in G, beide vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Mit zwei Straferkenntnissen des revisionswerbenden Magistrats der Stadt Wien wurde über den Erstmitbeteiligten als verantwortlichen Beauftragten der zweitmitbeteiligten Partei gemäß § 9 Abs. 2 VStG wegen Übertretungen des Wiener Wettengesetzes Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und er wurde zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet. Darüber hinaus wurde die Haftung der zweitmitbeteiligten Partei für die vom Erstmitbeteiligten zu leistenden Beträge gemäß § 9 Abs. 7 VStG ausgesprochen. Schließlich wurden noch Verwaltungsstrafverfahren wegen näher genannter Tatvorwürfe gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt. Ein Straferkenntnis betrifft Tathandlungen am 24. Oktober 2017 in T und ein Straferkenntnis betrifft gleiche Tathandlungen am 25. Oktober 2017 in P.

2        Über die dagegen erhobenen Beschwerden führte das Verwaltungsgericht Wien zu vier Geschäftszahlen (beide oben genannte Straferkenntnisse betreffend jeweils für Erstmitbeteiligten und zweitmitbeteiligte Partei eine eigene Zahl) am 25. September 2019 eine mündliche Verhandlung durch, in der das Erkenntnis verkündet wurde:

„I. Gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG wird der Beschwerde zu allen vier Verfahren Folge gegeben, das jeweilige Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG eingestellt, sowie der damit korrelierende jeweilige Haftungsausspruch gemäß § 9 Abs. 7 VStG behoben.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die beschwerdeführende Partei keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz - VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe:

Zu den beiden Straferkenntnissen, betreffend Tatörtlichkeit P als auch die Tatörtlichkeit T, kam im Verfahren hervor, dass die der Behörde zur Verfügung stehende Verfolgungsverjährungsfrist nach § 31 VStG zum Zeitpunkt der jeweiligen Fällung der 1. Verfolgungshandlung nach § 32 VStG, i.e. die jeweils gefasste Aufforderung zur Rechtfertigung vom 30.11.2018, nach Ablauf der einjährigen Verfolgungsverjährungsfrist, die mit 24.10.2018 (bzw. 25.10.2018) zu beiden Verfahren endete, gesetzt wurde.

...“

3        Auf rechtzeitigen Antrag des Magistrats fertigte das Verwaltungsgericht das Erkenntnis vom 15. Oktober 2019 schriftlich aus. Im Kopf der Ausfertigung sind alle vier in Rede stehenden Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes genannt. Im Einleitungssatz des Erkentnisses werden nur zwei Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes und ein Straferkenntnis des Magistrats erwähnt. Der Spruch ist bis auf den Entfall des § 31 Abs. 1 VwGVG gleich mit der Verkündung. In den Entscheidungsgründen wird nur ein bekämpftes Straferkenntnis wörtlich wiedergegeben, die übrigen Erwägungen sprechen von beiden bekämpften Straferkenntnissen und gehen auf die unterschiedlichen Tatorte und Tatzeiten ein.

4        Mit Beschluss vom 15. November 2019 berichtigte das Verwaltungsgericht das Erkenntnis vom 15. Oktober 2019 dahingehend, dass sowohl im Einleitungssatz alle vier Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes und beide Straferkenntnisse des Magistrats genannt und in den Entscheidungsgründen auch der Spruch des zweiten bekämpften Straferkenntnisses wörtlich wiedergegeben werden.

5        Die vorliegende Amtsrevision richtet sich gegen das Erkenntnis vom 15. Oktober 2019 mit allen vier Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes, die auch ausdrücklich beim Umfang der Anfechtung genannt werden.

6        Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung mit den Anträgen auf Zurück- oder Abweisung der Revision, hilfsweise Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung und Zuspruch von Aufwandersatz.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit mit näheren Ausführungen Aktenwidrigkeit und Begründungsmängel geltend.

9        Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.

10       Vorweg ist klarzustellen, dass das Verwaltungsgericht über zwei Beschwerden gegen zwei Straferkenntnisse unter vier Geschäftszahlen ein verbundenes Verfahren führte und in einer gemeinsamen Verhandlung das Erkenntnis verkündete. Die schriftliche Ausfertigung vom 15. Oktober 2019 lässt zwar die Nennung des zweiten Straferkenntnisses nach Datum und Geschäftszahl vermissen, doch ist sowohl aus dem Anführen aller vier Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes als auch aus den Entscheidungsgründen, in denen auf die unterschiedlichen Tatorte und Tatzeiten eingegangen wird, ersichtlich, dass damit - wie bei der Verkündung - über die Beschwerden gegen beide bekämpfte Straferkenntnisse abgesprochen werden soll. Das bestätigt sich auch im Berichtigungsbeschluss des Verwaltungsgerichtes vom 15. November 2019, mit dem lediglich der Einleitungssatz um die Erwähnung aller Geschäftszahlen des Verwaltungsgerichtes und des Datums und der Geschäftszahl des zweiten bekämpften Straferkenntnisses ergänzt wird und in den Entscheidungsgründen zusätzlich der Spruch des zweiten Straferkenntnisses wörtlich zitiert wird.

11       Da es sich somit um eine klar erkennbare Auslassung in der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom 15. Oktober 2019 handelte, war es - wie es auch die Parteien des Verfahrens sahen und es dem Berichtigungsbeschluss des Verwaltungsgerichtes vom 15. November 2019 entspricht - in der richtigen Fassung als Abspruch über beide Beschwerden gegen beide Straferkenntnisse zu lesen, sodass sich auch die hier vorliegende Revision dagegen im vollen Umfang richtet (vgl. dazu Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG² § 29 VwGVG Rz 96).

12       Zur geltend gemachten Aktenwidrigkeit:

13       Wie den Verwaltungsakten zu entnehmen ist, expedierte der Magistrat an den handelsrechtlichen Geschäftsführer der zweitmitbeteiligten Partei am 7. September 2018 und am 11. September 2018 jeweils eine Aufforderung zur Rechtfertigung zu den Tatvorwürfen betreffend beide Tatorte und Tatzeiten. Die zweitmitbeteiligte Partei gab dazu mit Schriftsätzen jeweils vom 15. Oktober 2018 bekannt, dass zu den jeweiligen Tatzeitpunkten der Erstmitbeteiligte ihr verantwortlicher Beauftragter gewesen sei.

14       Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. VwGH 2.12.2020, Ra 2020/02/0144, mwN).

15       Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Indem das Verwaltungsgericht davon ausging, dass der Magistrat die erste Verfolgungshandlung in Form von Aufforderungen zur Rechtfertigung - entgegen dem Inhalt der Verwaltungsakten - erst am 30. November 2018 setzte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels liegt darin, dass das Verwaltungsgericht unter Zugrundelegung der bereits vor Ablauf der Frist für die Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG an den zur Vertretung nach außen Berufenen gerichteten Aufforderungen zur Rechtfertigung, die gemäß § 32 Abs. 3 VStG auch als Verfolgungshandlungen gegen die verantwortlichen Beauftragten und somit gegen den Erstmitbeteiligten gelten (vgl. VwGH 16.1.2019, Ra 2018/02/0300), nicht aus dem Grund der Verfolgungsverjährung die beiden Strafverfahren gegen den Erstmitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG hätte einstellen dürfen.

16       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Wien, am 21. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020241.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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